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Der Khan Sulejmen und der Vogel Baigys

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Sulejmen besaß viele Schätze in seinen Palästen, am teuersten war dem Khan ein seltener Ring, den er nie vom Finger nahm. Es war ein Zauberring: Wer ihn aufsetzte, verstand die Sprache der Tiere, der Vögel und der Pflanzen und gewann Macht über alle Lebewesen. Einmal wollte sich Sulejmen auf der Jagd mit kühlem Quellwasser erfrischen. Als er eine Handvoll Wasser schöpfte, rutschte ihm der Ring vom Finger und versank. Der Khan wollte gerade in den Quellbach springen und den Ring vom Grund holen, als plötzlich ein großer Fisch auftauchte, den Ring verschluckte, mit dem Schwanz wedelte und in der Tiefe verschwand.

In großem Kummer ging Sulejmen lange am Ufer entlang, bis er eine einsame Hütte erblickte, an der Fischernetze trockneten. Die Nacht brach herein. Der Khan betrat die Hütte. Als er über die Schwelle trat, hörte er eine näselnde Stimme: »Dank dem Schicksal! Es schenkte uns ein gutes Abendbrot.« Den Khan überlief es kalt: In der Mitte der Hütte stand die blutrünstige Hexe Shalmauys-Kempir und streckte ihre kralligen Hände nach ihm aus. Er griff nach dem Jagdmesser, da ertönte eine andere Stimme, süß wie Nachtigallengesang: »Mutter, lass ab von dem Fremdling! Sieh nur, wie schön und stattlich er ist. Der Khan Sulejmen kann nicht schöner sein.«

Der Khan drehte sich zu der Stimme um, sein Herz klopfte und entbrannte: Auf einem bunten Teppich am Herd saß ein Mädchen, so lieblich, dass für sie jeder in den Tod gegangen wäre. Shalmauys-Kempir sprach: »Du kannst von Glück reden, dass du meiner Tochter Buluk gefällst, Fremder. Ich habe Erbarmen mit dir, doch verlasse eilends unsere Hütte, mein Alter kommt gleich zurück. Dann bist du rettungslos verloren.« Sulejmen antwortete: »Ich weiche keinen Schritt, wenn nicht die schöne Buluk mit mir geht.«

Im selben Augenblick schäumte der Bach, die Erde dröhnte und die Hütte wankte, als tobte ein Wirbelsturm. Shalmauys-Kempir hastete aufgeregt in alle Ecken, öffnete schließlich eine Truhe und rief zu Sulejmen: »Kriech in die Truhe, Wahnsinniger! Schnell!« Kaum hatte sie die Truhe zugeschlagen, da wälzte sich der alte Menschenfresser, der einäugige Riese Djau in die Hütte. »Es riecht nach Menschenfleisch!« schrie er aus seiner riesigen Kehle. Die Frau schalt ihn: »Bist wohl ganz von Sinnen, alter Narr! Es riecht nach dem Dshigiten, den wir gestern verschmausten. Heute hat niemand bei uns hereingeschaut.«

Die Nacht verging. Im Morgengrauen ging der Djau zum Bach auf Fischfang und kehrte bald mit gutem Fang zurück. »Macht Frühstück«, befahl er der Frau und der Tochter. »Ich gehe wieder auf Jagd, vielleicht erbeute ich zum Mittag einen Recken oder das Ross eines Recken.« Er ging. Shalmauys-Kempir ließ Sulejmen aus der Truhe und stieß ihn zur Tür. »Fort aus meinen Augen, ungebetener Gast! Ich musste deinetwegen Höllenangst ausstehen!« Aber Sulejmen rührte sich nicht vom Fleck, er konnte seinen Blick nicht von der schönen Buluk lassen. Dem Befehl des Vaters folgend, säuberte das Mädchen den Fisch. Als sie einen großen Aland aufschnitt, schrie sie vor Überraschung auf: In seinem Bauch fand sie einen goldenen Ring. Der Ring fiel ihr aus der Hand und rollte Sulejmen direkt vor die Füße. Er hob ihn auf und setzte ihn auf den Finger. Sogleich wurde er allmächtig und weise wie zuvor. »Ich bin der Khan Sulejmen!« sagte er freudig. »Buluk, willst du meine Gattin und Gebieterin der ganzen Welt sein?«

So wurde Buluk die Frau des Khans. Nun schlief sie auf seidenen Kissen, aß von goldenem und silbernem Geschirr, kleidete sich in Samt und Brokat. Nichts war dem Khan für sie zu schade. Er vergaß alle Staatsgeschäfte und sann nur darauf, es seiner Frau recht zu machen. Eines Tages sagte er zu ihr: »Wenn du es wünschst, baue ich dir einen Palast aus Gold und Edelsteinen.«

»Ich brauche keinen Palast aus Gold und Edelsteinen«, antwortete Buluk launisch und rollte die Augen. »Mein Gebieter, wenn du mich liebst, baue mir einen Palast aus Vogelknochen.« Da hieß der allmächtige Sulejmen alle Vögel der Erde herbeieilen und gebot ihnen, sich nach dem Wunsch der Khanfrau demütig dem Todesurteil zu fügen.

In schwarzen Scharen, ohne Singen und Zwitschern, flogen die unglücklichen Vögel zu Sulejmens Palast, wo sie willfährig und ergeben ihr Schicksal erwarteten: So viel Macht besaß der Zauberring.

Buluk zählte sie und sagte ärgerlich: »Mein Gebieter, ein Vogel verweigert den Gehorsam, er ist deinem Befehl nicht gefolgt. Dieser Vogel heißt Baigys.« Da wurde Sulejmen zornig. Er befahl dem schwarzen Raben, den Verräter Baigys zu suchen und zu bringen. Drei Tage war der Rabe auf der Suche, kehrte aber unverrichteter Dinge zurück, denn nirgends hatte er eine Spur von dem ungehorsamen Vogel gefunden. Nun schickte der Khan den raschen Falken auf die Suche.

Der Falke fand Baigys auf einem Berg unter einem Stein. Der Ungehorsame hatte sich unter den Stein verkrochen, weder mit dem Schnabel noch mit den Krallen war an ihn heranzukommen. Da sagte der Falke: »Ehrenwerter Baigys, was tust du da?«

»Ich denke nach.«

»Worüber denn? Was hast du gesagt? Ich habe dich nicht verstanden.«

Da steckte Baigys den Kopf unter dem Stein hervor, der Falke aber packte ihn und schleppte ihn in den Klauen zum Khan.

Baigys sang, Ach, verloren bin ich! Bin dem Tod verfallen! Hart sind die Liebkosungen von Feindeskrallen.

Der Falke warf Sulejmen den Vogel zu Füßen, doch auch vor dem Khan sang Baigys sein Lied weiter:

Du, mein Köpfchen, bist kaum einen Finger breit.

Bin nicht größer als ein Sperling unterm Federkleid.

Wenig Fleisch und wenig Blut an meinem Körper ist.

Auch ein Abendfalke wird nicht satt, wenn er mich frisst.

Sulejmen gab ihm einen drohenden Fußtritt: »Baigys, warum bist du meiner ersten Aufforderung nicht gefolgt?« - Baigys antwortete: »Ich habe nachgedacht.«

»Worüber denn?«

»Ob es mehr Berge oder mehr Täler auf der Welt gibt.«

»Und zu welchem Schluss kamst du?«

»Es gibt mehr Berge, wenn man auch die Häufchen, die die Maulwürfe in der Steppe aufwerfen, zu den Bergen zählt.«

»Worüber hast du noch nachgedacht?«

»Ob es mehr Lebende oder mehr Tote gibt.«

»Und was meinst du?«

»Es gibt mehr Tote, wenn man die Schlafenden für Entschlafene hält.«

»Und worüber hast du noch nachgedacht?«

»Ob es mehr Männer oder mehr Frauen gibt.«

»Und was meinst du?«

»Frauen gibt es viel mehr, wenn man jene kleinmütigen Männer dazu zählt, die den Kopf verlieren und bereitwillig jeder Laune der geliebten Frau nachgeben.«

Als Baigys dies sagte, hielt Sulejmen die Hand vor die Augen und wurde über und über rot: Der Beherrscher der Welt verstand die Anspielung des kleinen Vogels. Sofort ließ er alle seine gefiederten Untertanen frei, die hoben sich singend und zwitschernd in die Lüfte und flogen in ihre Nester. So wurde der Palast aus Vogelknochen nie gebaut. Die Vögel aber wählten den schlauen Baigys, der ihnen das Leben rettete, für alle Zeiten zu ihrem Richter.


Die schönsten Märchen aus Kasachstan

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