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2. Kapitel
ОглавлениеNoch sehr früh am Morgen, die Dämmerung zog auf, wurde ich unruhig und wachte auf – viel früher, als mir lieb war. Neben mir schlief Yana tief und fest. Ich löste mich von ihrem warmen Körper und orientierte mich mit blinzelnden Augen. Als mein Gehör von der Nachtruhe wieder einsetzte, vernahm ich den Ton einer leisen, melodisch klingenden Querflöte. Wer musizierte nur zu so früher Stunde?
Gähnend streckte ich mich und drehte meinen Kopf in verschiedene Richtungen, um den Ursprung der Melodie zu orten. Ich konnte es nicht und vermutete, der Musikant musste weit weg sein. Aber nah genug für einen kleinen Spaziergang, um meine Neugierde auf den Unbekannten zu stillen. Langsam rutschte ich zum Fußende des Himmelbettes, schwang meine Beine über den Bettrand und schlüpfte in ein herumliegendes Negligé.
Vom Schlaf noch zittrig ging ich auf den Flur hinaus und spähte zu beiden Seiten. Der Korridor wirkte verlassen. Schatten wechselten sich mit dämmrigem Licht ab. Ich fröstelte, schloss die Augen und lauschte. Die Melodie war weiterhin leise.
Ich ging dem Klang nach, eine zauberhafte Melodie, die mich durch den großen Trakt mit seinen Winkeln und Erkern führte, über mehrere Treppen hinauf und hinab, durch den Gesindetrakt, in die Küche und hinaus auf den Hof. Ich gelangte in den weitläufigen Garten mit seinen Gemüsefeldern, den duftenden Gewürzen und dem Apfelhain.
Mein Herz pochte, denn weit konnte der Flötist nicht mehr sein. Aufgeregt durchstreifte ich die Grünanlage, wischte Zweige zur Seite und sah vor dem Sockel einer Statue einen schwarzen, länglichen Gegenstand liegen. Die Melodie endete abrupt. Ich blieb stehen.
Leise rezitierte ich einen kurzen Psalm, der für einige Augenblicke alle magischen Gegenstände in meinem Sichtfeld mit rotem Schimmer umgab. So leuchtete auch die Querflöte rot auf. Ich hatte das Instrument gefunden – wo aber war der Spieler?
Aufmerksam schaute ich mich um, doch ich war allein. Lediglich einige Wachen standen mehrere Dutzend Schritte von mir entfernt. Sie hatten offenbar nichts gehört, zumindest blieben sie unbeirrt auf ihrem Posten. Dann fiel mir auf, dass ich von meiner Position aus auch den Balkon meines Schlafgemaches gut sehen konnte. Wenn ich meinen Weg durch das halbe Anwesen bedachte, hätte ich die Musik in meinem Bett viel lauter hören müssen. Welche Magie steckte in der Flöte?
Verwirrt und neugierig zugleich näherte ich mich der Flöte und sah dabei hinauf zur Statue. Sie zeigte Tashna’kam, den Nachtfaun und Dämonenfürsten des Abyss. Er stand aufrecht mit einem langen Stab in seiner Hand. Der dunkle Marmor verschluckte das aufkeimende Tageslicht. Die Statue wirkte lebendig auf mich, und so hätte ich mich nicht gewundert, wenn der Dämonenfürst mit seinen gewinkelten Beinen, die allen Faunen eigen sind und an die Hinterläufe von Ziegen erinnern, jeden Moment von dem Sockel stieg. Stattdessen glänzten die schwarzen Hufe und rührten sich nicht. Zu ihnen lag nun eine Querflöte in dem noch vom Morgentau feuchten Gras. Ich bückte mich und hob das Musikinstrument auf.
Die Querflöte war recht kurz und bestand aus schwarzem Ebenholz, das von spiralförmigen Verzierungen durchwirkt war. Zuversichtlich setzte ich sie an meine Lippen, aber da ich keine Erfahrung mit Querflöten hatte, bekam ich keinen Ton heraus. Vielleicht benötigte ich auch ein magisches Befehlswort. Mein Blick huschte hinauf zum Balkon. Yana würde mir sicherlich helfen.
Meinen Rückweg kürzte ich ab – nun wusste ich ja, wohin ich wollte, und betrat kurz darauf bereits das Schlafzimmer. Schnurstracks hielt ich auf meine noch schlafende Geliebte zu und rüttelte an ihrer Schulter.
»Lass mich schlafen«, murmelte sie.
»Ich habe etwas Magisches gefunden.« Eifrig wedelte ich mit der Flöte, doch die Magierin rührte sich nicht.
»Na und? Lass mich schlafen. Und mach nichts kaputt!« Demonstrativ zog Yana die Decke über ihren Kopf.
Enttäuscht ging ich in den Salon und setzte mich auf einen weich gepolsterten Sessel. Vielleicht konnte ich mehr über die Querflöte herausfinden, wenn ich meine eigenen, mir inne wohnenden Kräfte nutzte. Ich nahm das Instrument zwischen meine ausgestreckten Hände, schloss meine Augen und konzentrierte mich auf die feinen Schwingungen, die alle Vorbesitzer eines Gegenstandes in ihm hinterließen. Summend entlockte ich der Flöte erste Eindrücke von einem selbstsicheren, kräftigen Griff. Ich spürte eine männliche Aura, die sehr alt war und überaus chaotische Muster in sich trug, noch viel chaotischer als meine eigene Natur. Die Impressionen wurden realer. Ich fühlte, wie eine Hand aus dem schwarzen Holz die Querflöte formte. Ein wundersamer Vorgang, und nach der Vollendung endete mein Gespür mit dem Ablegen des Meisterwerkes.
Andächtig besah ich mir die Querflöte nun genauer. Ein wunderschönes Stück, stellte ich fest. Die Oberfläche war vollkommen glatt. Langsam drehte ich das Instrument und konnte keine Fehler erkennen. Meine Finger glitten über die kühle Außenseite.
Dann setzte ich die Querflöte an meine Lippen und nutzte mein Wissen über zahlreiche Musikinstrumente, um sie zu spielen. Die Haltung war für mich ungewöhnlich, aber ich entlockte der Holzröhre einen Ton, wenngleich dieser auch unschön klang. Das Ergebnis machte mich mürrisch, dennoch gab ich nicht auf und blies weiter. Die Töne wurden kläglicher.
»Oh, welch liebliches Geräusch«, spottete Imphraziel und erschien auf einem mir gegenüberstehendem Sofa.
»Kannst du es besser?«
»Klar«, trillerte er und streckte seine kleinen Hände aus. Ich reichte ihm die Querflöte, die in etwa die Länge seines Oberkörpers hatte. Schnell wurde deutlich, dass sie für den Imp zu unhandlich war.
»Kannst du sie identifizieren?«
»Natürlich kann ich das! Aber was bekomme ich dafür?«
»Auch noch frech werden! Du hast alles, was du brauchst.« Ich schnappte mir die Flöte und sah mein Gegenüber scharf an.
»Pah, dann sie zu, wie du mehr erfährst«, spie er und verschwand mit dem leisen Nachhall einer Teleportation.
Sofort setzte ich die Querflöte an meine Lippen, rutschte auf dem Sessel vor dem Kamin in eine bequeme Position und probierte verschiedene Blastechniken. Doch nach mehreren Ansätzen musste ich mir eingestehen, dass ich nicht mit dem Instrument zurechtkam. Die Töne waren bei weitem nicht vergleichbar mit denen, die ich gehört hatte.
Genervt stand ich auf und wollte mich bei Yana ins Bett einkuscheln gehen. Kaum hatte ich einen Schritt gemacht, wallte Wehmut nach dem Flötenspiel in mir auf. Ich stockte und sah über meine Schulter zurück zu der Flöte. Ich hatte sie auf dem Sessel liegengelassen. Sie wirkte einsam auf mich. Schon fand ich mich auf dem Sessel sitzend wieder und beschäftige mich mit ihr, strich über ihre hölzerne Haut, führte ihr Mundstück an meine Lippen und hauchte meinen Atem in ihren Klangkörper.
Quiek.
Dem schrägen Ton folgte mein Aufschrei. Mit aller Wucht warf ich die Querflöte von mir. Sie landete auf dem Sofa. Ich sprang förmlich aus meinem Sessel auf und fegte mit einer ausholenden Armbewegung eine Vase samt Frühlingsblumen von dem niedrigen Couchtisch. Noch bevor sie auf dem Boden zerschellte, ließ ich meine Wut an einer Büste aus. Irgendwo in meinem Köpfchen kam mir das mit Gips geformte Gesicht bekannt vor. Der Aufprall an der Wand verwandelte das Abbild in Tausend Scherben. Im Tobsuchtsanfall nahm ich meine natürliche Sukkubusgestalt an. Das Blut pochte in meinen Schläfen, während sich meine ledernen Flügel ausbreiteten. Mit den Krallenhänden zerfetzte ich Polster und mein Dämonenschwanz fegte Gläser von Anrichten. Zwei Wachen schauten kurz herein, doch als ich sie mit feurigen Augen anfunkelte, zogen sie sich schnell zurück und störten mich nicht weiter. Geifernd machte ich mich über eine Vitrine mit Porzellantellern her. Ein blutiger Schleier vernebelte meine Sicht.
Als mein Blick sich wieder klärte, lag um mich herum verteilt zerstörtes Inventar. Nur die Couch stand noch. Und auf ihr lag seelenruhig die Querflöte.
Sofort spürte ich das Prickeln in meinen Klauenhänden. Ich nahm die Flöte wieder auf und musste mich zwingen, sie nicht sofort an meine Lippen zu führen. Infolge meiner Gegenwehr traten deutlich die Muskelstränge an meinen Armen hervor.
»Ich lass mich von dir nicht beherrschen!«, schrie ich das Miststück an und spürte das Brennen meiner glühenden Augen. Es half nicht. Ein letztes Mal knurrte ich, dann hockte ich mich auf die Couch. Da ich mit meinen Klauen spielte, konnten die hervorgebrachten Töne kaum als vernünftig bezeichnet werden. Ein erneuter Tobsuchtsanfall drohte.
Doch diesmal siegte die Vernunft, zumindest ermöglichte mir ein kurzer Augenblick der Klarheit die Anwendung von psionischen Atemtechniken und ich verfiel in Meditation. Ruhe kehrte in mein Gemüt ein. Flügel und Klauen verschwanden und ich hatte meine Beherrschung wieder, bevor ich die Querflöte erneut ansetzte.
Zur Belohnung meiner Mühen brachte das Instrument angenehm klingende Töne hervor und ich spielte eine einfache Weise. Aus der Erinnerung heraus versuchte ich, die gehörte Melodie nachzuspielen, aber so ganz gleich klang es nicht. Ich variierte die Klänge, was mir nun auch mehr oder weniger gut gelang. Das Musikinstrument gab sehr klare Töne von sich und ich konnte einfache Musikstücke zu meiner Zufriedenheit spielen.
Langsam fasste ich Vertrauen in das Instrument, doch ich erreichte bei weitem nicht die Schönheit der Melodie aus meinen Gedanken. Ich musste einfach mehr über die Geheimnisse der Querflöte erfahren. Und das erforderte einen Besuch, für den ich mich angemessen kleiden wollte. Ein flüchtiger Blick in den zerbeulten Metallspiegel bestätigte meine Vermutung: die kleine Auseinandersetzung hatte meine Haare zerzaust. Noch bevor die Sonne den Horizont verließ, würden meine beiden Sklavinnen Arbeit bekommen. Ich schmunzelte und erhob mich.
Bestens gelaunt ging ich in mein Ankleidezimmer und rief nach Elyabel und Malia, die kurz darauf – nackt und noch schlaftrunken – eintraten. Gähnend rieb sich Elyabel ihre haselnussbraunen Augen. Ihr hellblondes, schulterlanges Haar hob sich von ihrem kräftigen Hautton ab. Malia hatte hingegen eine helle Haut. Hellblaue Augen blitzten zwischen den brünetten Haarsträhnen vor ihrem Gesicht hervor. Der Bogen ihrer festen Brüste war beinahe perfekt. Luzius hatte eine gute Wahl getroffen, als er mir die beiden Sklavinnen zum Geschenk machte. In meiner Abwesenheit war ihre Jugend zu einer wohlgerundeten Weiblichkeit gereift.
»Genug geschlafen. Ich benötige eine ansprechende Aufmachung. Bringt mir meine Kleider zur Auswahl und bereitet den Frisiertisch vor. Los, los!« Amüsiert betrachtete ich die Bewegung ihrer runden Pobacken, als sie meinen Anweisungen nachkamen.
Ich wählte ein Frühlingskleid aus, bei dem sich vor dem Oberkörper zwei Bänder kreuzten und damit meine Brüste bedeckten. Die Bandenden wurden am Nacken verknotet. So blieben Bauchnabel und Rücken frei. Die luftige Erscheinung ergänzte ein Paar Sandaletten mit Wadenschnürung.
Die Sklavinnen gingen mir beim Ankleiden zur Hand und frisierten mich für den Tag. Aus dem Wohnraum hallte Geklapper zu uns herüber. Offenbar beseitigten Bedienstete die Spuren der Verwüstung.
Dezenter Schmuck rundete meine frühlingshafte Erscheinung ab. Ich hatte einen Fußweg von zehn bis zwanzig Minuten vor mir, um die Unterkunft von Saphira mit ihrem Labor und der Bibliothek zu erreichen. Die Hohepriesterin konnte die Sammlung an rituellen und magischen Schriftstücken aus dem Tempel der Keylani in Ustan retten und belegte damit ein eigenes Gebäude im Viertel der Magier. Vielleicht befanden sich darunter auch Aufzeichnungen über mystische Musikinstrumente.
Ohne anzuklopfen betrat ich den Vorhof und hielt auf den Flügel mit den Arbeitsräumen zu. Ich wusste, die vorhandenen Alarmzauber würden mich erkennen und meine Anwesenheit der Magiebegabten kundtun, und so fand ich Saphira auch beim Destillieren einer von mir nicht näher bekannten Flüssigkeit vor. Sie trug ihre karminroten Haare zurückgebunden zu einem Knoten, was auf mich einen strengen Eindruck machte. Vielleicht, dachte ich, brauchte sie auch nur ein wenig Ablenkung von ihrer Arbeit.
»Guten Morgen, Saphira«, trällerte ich vergnügt.
Anstelle einer Antwort hob sie einen Zeigefinger – das unmissverständliche Zeichen für mich, Ruhe zu geben. Mit angehaltenem Atem beobachtete ich, wie sie an einigen Ventilen drehte. In diesen Momenten wurde mir immer bewusst, warum Labore in einigem Abstand zu den Unterkünften von wichtigen Persönlichkeiten – wie den Kindern der Scharlachroten Königin – gebaut wurden. Jetzt war ich eindeutig zu nahe dran. Erst nachdem sich Saphira mir zugewandt hatte, atmete ich aus.
»Ich brauche deine Hilfe«, begann ich ohne Umschweife.
»Du bist so früh wach?«
»Ich konnte nicht mehr schlafen. Sag, kennst du dich mit magischen Musikinstrumenten aus?«
»Musik ist nicht mein Fachgebiet. Worum geht es denn?«
»Ich muss wissen, was das für eine Flöte ist«, demonstrativ streckte ich ihr die Querflöte entgegen.
Saphira nahm das Instrument behutsam aus meinen Händen. Einige Augenblicke verstrichen, in denen sie aufmerksam die Flöte betrachtete, dann legte sie diese auf ein Samtkissen.
»Ich werde einen Zauber vorbereiten, der die Geheimnisse der Querflöte entlocken sollte«, murmelte die Hohepriesterin und wandte sich von mir ab. Sie ging zu einem robust gearbeiteten Sekretär, öffnete eine Schublade und holte eine Schmuckschatulle hervor. Ein leise gesprochenes Wort öffnete das Schloss und der Deckel hob sich wie von Geisterhand. Mit Daumen und Zeigefinger pickte Saphira eine Perle aus dem Geschmeide heraus, flüsterte ein anderes Wort und die Schatulle verschoss sich wieder. Von einer Anrichte holte sie eine Karaffe mit rotem Wein und einen mit arkanen Symbolen verzierten Krug. Sie legte alles auf einem Arbeitstisch ab, ging zu einem Regal, auf dem unzählige herkömmliche und merkwürdige Materialien lagerten, und kramte aus den Reagenzien eine Eulenfeder hervor. Auf ihrem Weg zurück nahm sie einen Stößel samt Mörser mit und zerrieb darin zunächst die Perle. Anschließend goss sie Wein in den Krug und ließ vorsichtig den Perlenstaub hineinrieseln. Das Gemisch rührte sie mit der Feder um, streifte die Feder am Rand ab und legte sie beiseite. Sie nahm den Krug auf und trank den Wein in einem Zug. Alle Handgriffe erschienen mir sehr routiniert.
Saphira räumte die Gegenstände wieder weg, zog einen Stuhl heran und setzte sich vor die Flöte. Einen Moment lang hielt sie inne, dann brachte sie ihre Hände über das Studienobjekt und vollführte kompliziert wirkende Gesten. Dazu rezitierte sie arkane Verse. Auf mich wirkte die Zauberei sehr langatmig, daher schaute ich mich gelangweilt um. Die alchemistischen Aufbauten sagten mir nichts und blubberten leise vor sich her. In der Luft lag die Würze mir unbekannter Zutaten, deren Gemisch ich nicht länger ausgesetzt sein mochte. Ich verließ das Labor und trat hinaus in die kühle Morgenluft.
Ich machte einen Spaziergang und sog den Geruch des erwachenden Tages in mich ein. Es war noch sehr früh. Nur wenige Wesen zeigten sich zu der Stunde auf den Straßen und Plätzen. Ich schlenderte durch die Tempelstadt und ließ die Umgebung auf mich wirken. Irgendwo tönte ein Schrei in der Gasse. Sein Ursprung und Grund störte mich nicht weiter. Ich besah mir die Gebäude, deren Dächer oft ineinander über gingen und so das Stadtbild prägten. Der Scharlachrote Tempel war jedoch nicht allein einer einzigen Gottheit gewidmet. Auch wenn er als Residenz für das Oberhaupt von Bregantier diente und somit der Gottheit Odimorr huldigte, beherbergte er die Tempel aller Gottheiten der östlichen Reiche. Wenngleich der Tempel des Laird geschlossen und der Tempel des Xorin versiegelt wurden. Der Krieg gegen den gemeinsamen Feind im Westen hat die Allianz nicht lange aufrechtgehalten.
Neben den Tempelanlagen befand sich in dem eigens den Magiern gewidmeten Viertel auch eine Beschwörerschule, auf deren Türmen und Kuppeln Runen prangten. Der arkane Markt war noch geschlossen. Sklaven und Bedienstete räumten auf, Fuhrwerke lieferten neue Waren an und ich sah Bäcker und ihre Gehilfen bei der Zubereitung und Verteilung ihrer Köstlichkeiten. Natürlich durften nach einer durchzechten Nacht die umher wankenden und liegenden Alkoholleichen nicht fehlen.
Als mein Rundgang endete, hatte Saphira ihren Zauber bereits vollendet und rollte bei meinem Eintreten eine Schriftrolle zusammen. Die Querflöte lag unverändert auf dem Samtkissen.
»Hallo, Saphira, da bin ich wieder.«
»Unverkennbar. Aber setz dich doch«, die Hohepriesterin wies auf einen stabilen, aber nicht sehr gemütlich aussehenden Stuhl.
»Hast du denn so viel über das Instrument herausgefunden?«, wiegelte ich ab. »Was für eine Magie wohnt ihm denn inne?«
»Gerne würde ich dir eine klare Antwort geben, aber die Querflöte ist ganz und gar ungewöhnlich. Einen solchen Gegenstand habe ich bislang noch nie zuvor untersucht, und ich habe schon allerhand merkwürdige Objekte studiert. Das ist jedoch nicht der Grund, warum mir eine Erklärung schwerfällt. Die gesamte Struktur der Magie ist einzigartig und mit nichts vergleichbar. Am ehesten beschreiben lässt sich die Funktion der Magie damit, dass sie Visionen hervorruft.«
»Und von welcher Art sind die Visionen? Handeln sie über andere Orte oder über die Zukunft?«
»Das ist sehr schwer zu deuten. Ich möchte mich da nicht festlegen. Auf jeden Fall ist die eingewobene Magie nichts Alltägliches und nutzt auch eher klerikale anstatt arkane Kräfte.«
»Aber wer könnte einen solchen Gegenstand herstellen? Kommt ein Anhänger der Keylani infrage? Ihre Weisheit und ihre Nähe zur Magie sprächen meiner Ansicht nach dafür.«
»Der Gebrauch eines Musikinstrumentes ist nicht typisch für Keylani. Das spricht eher für die Magie von Barden, aber auch dafür ist die magische Struktur recht ungewöhnlich. Und viel zu kompliziert. Die Querflöte hat keinen normalen Auslöser für die eingewobene Magie. Normalerweise hat ein magisch beschaffener Gegenstand ein Befehlswort oder eine andere Vorrichtung für seine Aktivierung – dieser hier jedoch nicht.«
»Vielleicht reagiert die Querflöte auf die Musik, die mit ihr gespielt wird.«
»Denkbar. Möglicherweise ist der Auslöser eine komplizierte Tonfolge, die gespielt werden muss. Wenn dem so ist, Crish, konnte ich diese jedoch nicht entziffern.«
»Handelt es sich bei der Querflöte dann um ein Unikat? Oder gibt es vergleichbare Gegenstände?«
»Also, ich kenne viele einfache bardische Gegenstände, aber so etwas … nein, die Beschaffenheit der Magie und die ganze Machart des Instrumentes ist einfach zu ungewöhnlich. Wie ich schon sagte: einen solchen Gegenstand habe ich noch nie zuvor untersucht.«
»Haben denn die Visionen alle Anwesenden oder zeigen sie sich nur dem Spieler?«
»Vermutlich hat nur der Spieler Visionen, aber diese Aussage ist mit Vorsicht zu genießen. Die Visionen könnten sich auf recht ungewöhnliche Eigenart manifestieren, vielleicht auch in Abhängigkeit von der angestimmten Melodie.«
»Dann werde ich wohl noch ein wenig üben müssen. Wüsstest du jemanden, der mir noch mehr über die Querflöte berichten könnte?«
»In der Stadt befindet sich die Bardenzunft. Barden kennen viele Geschichten.«
»Ich danke dir, Saphira.«
»Bitte.« Die Hohepriesterin sah mich nachdenklich an. »Woher hast du die Flöte überhaupt?«
»Ich habe sie heute Morgen gefunden.«
»Und wo?«
»In Luzius Garten.«
»Hast du denn Luzius nicht gefragt?«
»Er war noch nicht so früh wach«, behauptete ich. »Eine Melodie hat mich geweckt, die sich so anhörte, als würde sie von der Flöte stammen. Die Melodie endete, als ich die Flöte sah.«
»Sie wollte offenbar, dass du sie findest, Crish. Hat sonst noch jemand die Melodie gehört?«
»Soweit ich sehen konnte, hat ansonsten niemand darauf reagiert.«
»Damit ist der Fund genauso ungewöhnlich wie die Beschaffenheit der Flöte selbst. Wenn du mehr über sie herausfinden willst, solltest du nicht jeden dahergelaufenen Barden fragen. Du solltest dich an den Meister der Zunft wenden. Das würde ich tun.« Sie nahm das Samtkissen auf und präsentierte mir die Querflöte. »Machtvolle Gegenstände wechseln oft den Besitzer. Du solltest vorsichtig sein, denn ich vermute, dass der Fund nicht zufällig geschah. Du darfst niemandem trauen. Und auch was die Flöte dir sagt, solltest du nur mit Vorbehalt genießen.«
»Barden reden viel – ist es denn klug, wenn ich sie aufsuche?« Ich nahm die Querflöte an mich.
»Fürwahr, Barden sind Meister der Zunge«, Saphira zwinkerte mir zu, »und das nicht nur im Erzählen. Besonders der Meister der Zunft selbst rühmt sich seiner Kunstfertigkeit. Aber ich kenne sonst keinen anderen, den du fragen könntest. Ich werde selbstverständlich mit niemanden über deinen Fund sprechen. Wie denn auch? Ich ersticke beinahe in Arbeit …«
»Dann will ich dich nicht weiter stören.«
Ich trat an Saphira heran, griff mit der freien Hand an ihren Hinterkopf und zog sie in einen leidenschaftlichen Abschiedskuss. Das Samtkissen plumpste auf den Boden. Nach einem Dutzend Zungenschlägen löste ich mich von ihr. Einige Strähnen hatten sich aus dem strengen Haarknoten gelöst und ihre Unterlippe zitterte. Zu meiner eigenen Verwunderung drängte mich eine innere Kraft hinaus aus dem Labor und zurück zum Anwesen meines Bruders.
Von dort schickte ich dem Meister der Bardenzunft einen Boten, der meine Audienz ankündigte.
In dem wieder hergerichteten Wohnzimmer nahm ich das Frühstück ein. Meine beiden Sklavinnen bedienten mich. Sie reichten mir Trauben und gossen frisch gepresste Säfte in Kristallgläser.
Nachdem ich gestärkt war wechselte ich in das Frisierzimmer. Ich wählte für den Besuch beim Zunftmeister ein ausgesprochen kurvenbetontes, seitlich geschlitztes Kleid aus roter Seide, durchwirkt mit Ornamenten aus Silberfäden. Dazu passten die farblich abgestimmten magischen Handschuhe und ein Paar hochhackiger Schuhe aus rot gebeiztem Leder. Der Schmuck musste dezent sein, daher beschränkte ich mich auf ein Paar Ohrringe aus einer Reihe dunkler, kristallener Tropfen.
Selbstverständlich brauchte ich auch eine neue Frisur.
Der Bote kehrte zurück, verneigte sich und berichtete: »Königliche Hoheit, Zunftmeister Tymolo wird Euch erwarten.«
Ich entließ den Boten mit einer knappen Handbewegung und wartete, bis die beiden jungen Frauen meine Haare zu einem offenen Zopf hochgesteckt und mit langen Nadeln aus Elfenknochen befestigt hatten. Einzelne Strähnen fielen lockig über meine Schläfen hinab.
Zufrieden erhob ich mich, glättete einzelne Kleiderfalten und betrachtete mich im Standspiegel. Der kurze Psalm zur Anrufung abgründiger Kräfte ging mir leicht von den Lippen und umgab mein Äußeres mit einer mystischen, anziehenden Aura. Ich nahm noch einen kunstvollen, hauchdünnen Papierfächer auf, der mir als Zierde diente, und machte mich auf den Weg zur Bardenzunft.
Auf den Straßen herrschte bereits ein geschäftiges Treiben. Ich genoss das Bad in der Menge und ließ mich bewundern. Die Einwohner achteten und grüßten mich. Ich verzichtete bewusst auf eine Garde – der Übergriff auf einen Angehörigen des Königshauses käme einem Selbstmord gleich. Niemand gab einem Dämon auch noch einen Grund für Folter.
Gleichwohl kam in mir der Wunsch nach einer eigenen Sänfte auf, mit vier knackigen Trägern, die mir nicht nur für die Rundgänge zur Verfügung standen. Beizeiten, dachte ich, würde ich mich mit Luzius darüber unterhalten.
Dann hatte ich die Zunft erreicht und bewunderte die unverkennbare, prunkvoll gestaltete Fassade. Die aufwändigen Verzierungen aus Marmor wurden von Statuen durchbrochen, deren Oberkörper aus dem Stein heraus ragten. Die Geschöpfe hielten unterschiedliche Musikinstrumente in den Händen. Um das Gebäude zogen sich lange Notenreihen und Bänder mit Texten oder Melodien. Selbst ich als Laie der Bildhauerkunst erkannte die handwerkliche Vollendung in den Ziselierungen.
In der nicht minder prächtigen Vorhalle lächelte mich ein junger, gutaussehender Mann an, der mich formvollendet höflich begrüßte.
»Könnt Ihr mich zu Zunftmeister Tymolo führen?«, bat ich und musste nicht in den Gedanken meines Gegenübers forschen, wohin dieser mich gerne geführt hätte. Der Jüngling war eine wahrhaftige Versuchung.
»Ich muss Eure Bitte leider ablehnen, aber ich werde jemanden rufen, der Euch führt.« Mit seinem Stab klopfte der Concierge auf den Boden, was einen glockengleichen Ton erzeugte. Ein anderer Mann in der Zunfttracht kam mir entgegen und verbeugte sich.
»Guten Morgen Prinzessin. Ich bringe Euch zum Zunftmeister. Wenn Ihr mir bitte folgen würdet.«
»Gern.«
Wir gingen in das Innere des Gebäudes und ich passierte zahlreiche Räumlichkeiten, in denen Musik geübt wurde. Irgendwo rief ein aufgebrachter Lehrer: »Dilettanten und Stümper!« Über den lebhaften Trubel hinweg unterhielt ich mich mit meinem Führer, sein Name war Fearghus, der mir die Örtlichkeiten erklärte.
Edle Teppiche bedeckten den Boden und dämpften unsere Schritte. Der Weg führte hinauf in die obersten Geschosse. Auf dem letzten Abschnitt der Treppe kam mir ein Mann entgegen, den ich auf den zweiten Blick wiedererkennen würde. Bis auf sein Gesicht umhüllte schwarzes Leder seinen Körper. Rote Nähte und silberne Knöpfe sowie ein modischer Schnitt bezeugten seinen exquisiten Geschmack. Mir fiel die über seinen Rücken hängende schwarze Laute mit blutroten Saiten auf. Er nickte mir freundlich zu und ich lächelte zurück, dann hatten wir einander defiliert.
»Der Zunftmeister hatte einen Gast?«, befragte ich meinen Führer.
»Ja, das war Schattenlaute. Den kennt hier jeder.«
Meine eigene Vermutung wurde bestätigt. Hatte ich bislang nur von ihm gehört, konnte ich den Erzählungen nun auch ein Bild zuordnen.
»Ich hatte noch nicht persönlich das Vergnügen.«
»Schattenlaute ist der mächtigste und begabteste Barde, den es auf der Welt gibt, Eure königliche Hoheit.« Fearghus sprach mit Bewunderung und geleitete mich in eine Diele. »Wir sind da.«
Zwei formvollendete Statuen, ein stehender Harfenspieler und ein sitzender Trommler, umsäumten eine dunkle Holztür mit dem Symbol der Zunft: eine Laute gekreuzt mit einer Flöte und umrahmt von einem Tamburin. Der Holzschnitzer hatte eine Melodie in den Rand des Tamburins geritzt.
Neben dem Zugang verlief eine gespannte Saite. Mein Begleiter zupfte sie und erzeugte einen durchdringenden Ton. Kurz darauf hörte ich das Echo aus dem Raum vor uns.
»Ihr dürft eintreten, Prinzessin.«
»Habt dank, Fearghus.« Er verneigte sich und ich durchschritt das sich langsam öffnende Portal.
Großzügige Fenster fluteten das Empfangszimmer mit dem goldenen Licht der Morgensonne und boten, oberhalb der Stadt gelegen, einen guten Blick auf die Umgebung.
Auf dem glatten Marmorboden lagen Teppiche aus. Fresken mit Darstellungen von Tanz und Gesang erstreckten sich über Wände und Decken. Eine kleine Auswahl an Musikinstrumenten stand oder hing im Raum verteilt.
Der Zunftmeister saß an einem Schreibpult und erhob sich bei meinem Eintreten. Ich schätzte sein Alter mittig der vierziger Jahre, wobei er seine Jugendlichkeit behalten hatte. Sein gutes Aussehen und die charismatische Ausstrahlung trugen zu meinem ersten Eindruck bei. Besonders auffällig waren seine schlanken, grazilen Finger, die nicht nur ein Instrument in Schwingung versetzen konnten, dem war ich mir sicher. Seine Tracht war sichtlich fein gearbeitet und betonte die führende Stellung in der Zunft. Kein Grau zeigte sich in dem dunklen Haar und ich bemerkte die mich musternden, wachen Augen.
Nach seiner Verneigung ging er auf mich zu und ich reichte ihm meine Hände. Erneut verneigte er sich und ich genoss den gekonnten Handkuss, mit dem er nicht nur meiner herausgehobenen Position am Hofe, sondern auch meiner Weiblichkeit schmeichelte.
»Bitte, Prinzessin Crish, nehmt doch Platz.« Er wies auf eine Sitzgelegenheit mit niedrigem Tisch. »Darf ich Euch etwas zu trinken einschenken?«
»Gern, Zunftmeister Tymolo. Habt Ihr einen Weißwein?«
»Gewiss«, er ging zu einer Anrichte und füllte aus einer der bereitstehenden Karaffen Wein in zwei Gläser ab.
Ich setzte mich auf die Couch und lehnte mich zurück. Der geschlitzte Rock ermöglichte mir, die Beine übereinanderzuschlagen und in ihrer ganzen Länge zur Geltung zu bringen.
»Zum Wohl, Prinzessin.« Der Zunftmeister reichte mir ein Glas und setzte sich zu mir. »Auf Eure schönen Augen.«
Mit unseren Blicken sprachen wir miteinander und ich strahlte ihn über den Glasrand hinweg an. Der Wein war von außergewöhnlicher Qualität und mundete mir sehr. Ein, vielleicht auch zwei weitere Gläser hätten mich den Grund meines Besuches vergessen lassen. Die Gesellschaft des Zunftmeisters empfand ich als ausgesprochen angenehm. Auch er schien über meine Anwesenheit erfreut und sein Blick schweifte mehrmals über meinen kurvenreichen Körper, bevor er das Wort erhob.
»Womit habe ich die Ehre Eures Besuches verdient, Prinzessin Crish?«
»Die Ehre liegt ganz auf meiner Seite, Zunftmeister. Ihr müsst mir verzeihen, denn ich habe viel zu lange schon meinen Besuch der Bardenzunft aufgeschoben. Umso mehr freue ich mich über die Gastlichkeit des Hauses. Der Wein ist vortrefflich, und auch alles, was ich bisher gesehen habe, behalte ich gerne in meiner Erinnerung.«
»Für Euer Lob danke ich im Namen der Bardenzunft, Prinzessin. Sollte Eure königliche Hoheit einen Wunsch haben, dann lasst ihn mich wissen.«
»Auf das Angebot komme ich gerne zurück, und ich habe tatsächlich ein Anliegen, für das ich die Gelegenheit meines Besuches nutzen möchte.« Ich machte eine kurze Pause und beugte mich meinem Gastgeber entgegen. »Ich habe eine Bitte, Zunftmeister, bei dem ich auf das Wissen der Zunft hoffe. Barden hören viele Geschichten, unter anderem über Gegenstände und ihre Besitzer. Ich besitze ein Instrument und möchte mehr darüber erfahren.«
»Sagen und Legenden sind unser Metier, fürwahr. Um was für ein Instrument handelt es sich?«
»Ich habe den Gegenstand dabei, seht selbst«, offerierte ich und schnippte mit der rechten Hand. Mein roter Kristalldildo erschien. »Oh«, ich gab mich überrascht und sorgte dafür, dass sich meine Wangen beschämt dunkler färbten.
»Zweifellos ein Instrument, dass Eure königliche Hoheit zu spielen weiß.«
»Ich gebe zu, damit mehr Übung als mit diesem hier zu haben«, gestand ich und schnippte mit der linken Hand. Die Querflöte erschien und ich reichte sie dem Zunftmeister. Dabei berührte mein Fuß wie zufällig sein Bein.
Aufmerksam betrachtete er den Gegenstand. Indessen flüsterte ich ein Befehlswort und der Dildo verschwand wieder im Handschuh. Ich widmete mich dem Wein und wartete.
»Das ist eine hervorragende Arbeit, Prinzessin. Sie ist gewiss nicht menschlichen Ursprungs. Mein erster Eindruck ließe mich fast behaupten, sie entstamme elfischen Händen, allerdings ist das verwendete Holz untypisch für Elfen. Aber die Form ist definitiv elfisch. Elfen nutzen die Querflöte zur Begleitung ihrer hohen Lieder, doch sind sie bei ihnen länglicher als die Eure.« Er nutzte seine Hände, um den Größenunterschied zu verdeutlichen. »Querflöten sind bei den Elfen in etwa so lang wie ein Arm. Das in diesem Fall genutzte Holz ist mir überhaupt nicht bekannt und ich kenne auch nichts Vergleichbares. Zwar habe ich derlei Holz schon gesehen, aber das waren allesamt Dinge, die aus der Zeit vor dem Magierkrieg stammten.«
»Könnte sie aus der Zeit vor dem Magierkrieg stammen?«
»Zu meinem Bedauern muss ich gestehen, dass ich keine Ahnung über die Herkunft Eurer Querflöte habe. Allerdings wäre diese Möglichkeit nicht ungewöhnlich.«
»Welche Sagen sind über die Schaffung eines solchen Instrumentes aus der Zeit vor dem Krieg überliefert?«
»Niemand kennt sich besser über die Art der Fertigung von Musikinstrumenten aus wie ich. Und eine solche Form ist nicht bekannt, da bin ich mir gewiss. Sie ist eine Mischung aus einer gewöhnlichen Flöte und einer Querflöte nach elfischer Machart.«
»Ist denn jemand bekannt, der das gespielt hat?«
»Dieses Instrument hier? Nein.«
»Kann denn ein solch einzigartiger Gegenstand unauffällig bleiben? Ich meine, es sollten doch Geschichten darüber bestehen, die überliefert worden sind.«
»Wenn Ihr wollt, Prinzessin, kann ich in den Archiven suchen.«
»Ich habe wenig Hoffnung, in den Schriften etwas zu erfahren. Wenn es Aufzeichnungen über ein solch ungewöhnliches Instrument gäbe, hätten diese Einzug in Lieder und Erzählungen gehalten.«
»Nein, mündlich ist nichts überliefert.«
»Nur wenige Schriftstücke sind aus der Zeit vor dem Magierkrieg erhalten, nicht wahr?«
»Dem ist so. Aber in diesem Fall muss ich zugeben, die Angelegenheit geht über meinen Horizont hinaus. So ungern ich das zugebe. Die Querflöte gehört eindeutig zu den sehr seltenen Gegenständen. Es kann gut und gerne mehr über sie zu berichten geben, aber leider nicht aus unserem Hause.«
»Könnt Ihr mir sagen, wen ich fragen oder mit wem ich mich über die Querflöte unterhalten könnte?«
»In der Zunft hat niemand mehr Ahnung als ich. Da muss ich Euch leider enttäuschen.«
»Ehrlich gesagt hatte ich mir mehr von meinem Besuch erhofft, Zunftmeister«, bekundete ich enttäuscht und stellte das Weinglas auf den niedrigen Tisch ab, »dennoch danke ich für die aufrichtigen Worte.«
»Vielleicht gibt es einen Barden, der etwas wissen könnte«, beschwichtigte der Zunftmeister. »Ihr habt Glück, Prinzessin, denn er hält sich momentan hier im Scharlachroten Tempel auf. Sicherlich habt Ihr bereits von ihm gehört. Sein Name ist Schattenlaute.«
»Ich habe ihn bereits gesehen.«
»Nur selten besucht er den Tempel. Die überwiegende Zeit reist er durch das Land und wandert auch über die Grenzen unseres Reiches hinaus. Er kennt die meisten Lieder unseres Standes.«
»Und er könnte mehr wissen als Ihr?«
»Das denke ich doch. Wie es der Zufall so will, hat er mich gerade erst besucht. Wir haben zusammen Wein getrunken und er hat sich erkundigt, wie es um die Zunft steht. Vorhin war ich mir sicher, er habe mir lediglich seine Aufwartung gemacht. Wenn ich jetzt diesen Gegenstand sehe … nun, wer weiß.«
»Ihr meint, es ist mehr als ein Zufall«, ich zweifelte nicht daran. Jemand zog im Hintergrund seine Fäden und ich grübelte über mögliche Verantwortliche und deren Motive.
»Ich möchte mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, Prinzessin. Aber seltsam ist es doch.«
»Wohin ist Schattenlaute gegangen?«
»Das hat er mir nicht gesagt. Er hat den Raum kurz vor Eurem Erscheinen verlassen, daher vermute ich, er befindet sich noch im Scharlachroten Tempel.«
»Solltet Ihr ihn in nächster Zeit sehen, bitte teilt ihm mit, dass ich ihn sprechen möchte.«
»Das werde ich.«
»Dann möchte ich Eure kostbare Zeit nicht weiter in Anspruch nehmen, Zunftmeister. Es war mir eine Freude, Euch kennenzulernen.« Ich streckte die Hand nach der Querflöte aus und nahm sie an mich.
Der Zunftmeister erhob sich und reichte mir hilfreich seine Hand. »Die Freude war ganz auf meiner Seite«, schmeichelte er und geleitete mich zur Tür. Auf der Innenseite befand sich ebenfalls eine gespannte Saite, die mein Gastgeber sanft zupfte. Nachdem der Ton verklungen war, öffnete sich die Türe.
»Auf ein baldiges Wiedersehen.« Ich schenkte meinem Gastgeber ein warmes Lächeln.
»Auf ein baldiges Wiedersehen, Prinzessin Crish.«
Im Flur wartete Fearghus und führte mich zum Ausgang.
»War Euer Besuch vom gewünschten Erfolg, Prinzessin?«
»Leider nein. Aber mit ein wenig Glück werde ich Schattenlaute treffen und erfahren, wonach ich suche.«
»Hoffentlich könnt Ihr das«, wünschte der junge Mann anteilnehmend. Ich sah mich auf unserem Weg nach allen Seiten um, konnte aber Schattenlaute nicht entdecken. Vermutlich hatte er schon längst die Zunft verlassen. Ob er auch den Scharlachroten Tempel verlassen hatte? Weit konnte er nicht gereist sein – es sei denn, er benutzte Magie für seine Reisen.
Am Ausgang angelangt verabschiedete ich mich von meinem Führer. Doch bevor ich zurück zu meiner Unterkunft ging, konzentrierte ich mich auf die Kräfte des Abyss. Ein kurzer Psalm in Verbindung mit einer ausholenden Geste erschuf eine geisterhafte Hand, die in Höhe meines Kopfes neben mir schwebte. Ich gab ihr die Beschreibung von Schattenlaute, woraufhin sie mir mit emporgehobenen Daumen den Empfang der Anweisungen bestätigte. Sie flog um die Ecke des Gebäudes und würde, sollte sie den Gesuchten finden, diesen durch Handzeichen zu mir führen.
Was wusste dieser geheimnisumwobene Barde? Unser Treffen auf den Stufen der Bardenzunft war kein Zufall, da war ich mir sicher.