Читать книгу Kann man sagen, muss man aber nicht - Andreas Neuenkirchen - Страница 8

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Backlash Eine altgediente Punkband verkauft ihre aufwühlendste Widerstandshymne an die Eiskonfektreklame? Eine liberal verortete Kinderbuchautorin erlaubt sich plötzlich konservative Ansichten? Die schrullige Art eines für seine Schrulligkeit bekannten Schauspielers wird nur noch als nervige Masche wahrgenommen? Dann ist es höchste Eisenbahn für den Backlash! Der englische Ausdruck (wörtlich: »Gegenschlag«) beschreibt eine Gegenreaktion, die immer dann eintritt, wenn etwas zu lange zu erfolgreich war. Die alten Fans sind ungehalten über die jungen Fans, weil die ja nun wirklich gar nichts verstehen, und die, die nie Fans gewesen waren, graben so lange, bis sie endlich die Leichenteile im Keller beziehungsweise im Twitter-Feed finden. Und weil dieser Kreislauf sich immer und immer wiederholt, hört auch das Wort nie auf, seine Kreise durch Mediendebatten und Privatgespräche zu ziehen. Und natürlich haben es immer alle schon immer gewusst, dass es mal so weit kommen würde. Backlash-Experten und -expertinnen überall. Man denke an die mahnenden Worte der Sängerin Nicole: »Flieg nicht so hoch, mein kleiner Freund«, sang sie 1981, ein Jahr vor ihrem Höhenflug beim »Grand Prix Eurovision de la Chanson«, wie der »Eurovision Song Contest« damals in Deutschland hieß (aber nicht in Frankreich, dort hieß er »Concours Eurovision de la chanson«). Ihr Backlash kam wohl 1985; ab da folgten laut Wikipedia sechs Langspielplatten ohne Chartplatzierungen. Nur sagte man damals noch nicht Backlash dazu. Gegeben hat es das trotzdem. Genauso wie das Comeback, das gemeinhin auf den Backlash folgt.

Backoffice Das englische Backoffice (»Hinterbüro«) steht für den Verwaltungsapparat von Unternehmen. Mit anderen Worten: Dort wird dafür gesorgt, dass die Besserverdienenden im Frontoffice in Lohn und Brot bleiben. Eine redliche Aufgabe also, und dennoch wird der Begriff seine sprachliche Nähe zum »Hinterzimmer« und damit ein gewisses Geschmäckle nicht los. Wer im Backoffice sitzt – so legt zumindest die oft herablassende Benutzung des Wortes nahe –, der gehört nicht so richtig zum Betrieb dazu und wird ihn stets so verlassen, wie er hereingekommen ist: durch die Hintertür beziehungsweise durch den Personaleingang.

batteln Wenn junge Leute mit vorgerecktem Kinn fragen: »Ey, Alter, wollen wir uns batteln?«, dann klingt das nach einer grammatisch inkorrekten Aufforderung zum gemeinsamen Anfordern von Almosen (»betteln«), meint aber eine kämpferische Auseinandersetzung auf Basis des englischen Verbs to battle (etwa: »eine Schlacht schlagen«) – mal handgreiflich, meistens nur spielerisch oder sportlich. Beim einen ist man finanziell arm dran, beim anderen zunächst nur sprachlich (nach der Battle mögen weitere Unpässlichkeiten dazukommen).

Bauchgefühl Ist es das Herz, die Seele oder das Hirn, das den Menschen steuert? Nein, es ist heutzutage wohl vor allem der Bauch, also der untere Teil des Rumpfes zwischen Becken und Zwerchfell. Denn da muss es ja herkommen, dieses ominöse, viel beschworene Bauchgefühl. Es steht für eine emotionale Einschätzung bar jeder Vernunft. Dafür einen anschaulicheren Begriff zu wählen als das Fremdwort Intuition ist sicherlich nicht verkehrt. Doch kommen diese Eingaben wirklich aus dem Gedärm? Seien wir ehrlich: Das einzige Bauchgefühl, das wir regelmäßig haben, ist Hunger. Manchmal vielleicht noch … aber lesen Sie weiter.

Bauchschmerzen Schmerzt Menschen und Wirbeltieren der Rumpf zwischen Zwerchfell und Becken, dann spricht man von Bauchschmerzen. Hegt man in einer Sache starke Bedenken, dann kann das psychosomatisch zwar zu solchen führen, allerdings sicherlich nicht so oft, wie redensartlich behauptet wird. Um der Abwechslung willen könnte man erwägen, auch andere körperliche Beschwerden ins Feld zu führen, um Unzufriedenheit auszudrücken. Sagt zum Beispiel jemand: »Im ▶ Endeffekt bereitet mir die Präse von morgen noch ein wenig Bauchschmerzen.« Dann kontert man mit: »Immer, wenn ich so was höre, bekomme ich Ohrensausen.«

bei dir »I am with you«, sagt man im Englischen, wenn man ausdrücken möchte, dass man jemandes Standpunkt teilt. Inzwischen schmeißt sich mancher auch im Deutschen derart intim an Gesprächspartner ran: »Da bin ich ganz bei dir.« Manch anderem ist das zu viel der Nähe, nicht weit entfernt von: »Ich weiß, wo du wohnst.« Warum nicht lieber ein höflich distanziertes: »Ganz Ihrer Meinung.«?

Beitragsanpassung Wer meint, dass man nach einer Beitragsanpassung weniger Geld in der Tasche hat als vorher, der irrt sich gewaltig. Beitragsanpassungen gehen durchaus in beide Richtungen, und zwar immer: Der Anpassende hat hinterher mehr Geld in der Tasche, der ungefragt Angepasste weniger.

bespaßen Das Verb bespaßen bedeutet laut Duden, dafür zu sorgen, dass jemand Spaß hat, klingt für diese lustige Sache aber zu aggressiv. Man kann dem Bespaßen, das ja kaum anders als mit Tröten, Gummihühnern und Quietschehämmern daherkommen kann, unmöglich entkommen. Spätestens da tritt die Nähe zwischen Bespaßen und Belästigen klar zutage.

Bestie Wenn die Jugend vom Bestie spricht (sprich: »Besti«), dann meint sie einen besten Freund oder eine beste Freundin. Wenn in der Unterhaltungsliteratur eine Bestie (»Besti-e«) erwähnt wird, ist das sehr häufig ein Drachen oder ein Werwolf. Gut, im Sinne der populären modernen Monsterromanzen kann natürlich auch ein mythologisches Geschöpf oder eine Kreatur der Nacht ein enger Vertrauter sein: Eine Bestie wird zum Bestie. Aber schriftlich verwirrend ist diese Übernahme aus dem englischen Slang schon. In der Originalsprache besteht die gefährliche Verwechslungsgefahr zwischen bestie (»best friend«) und beast (»Untier«) nicht.

bildungsfern Die Begriffe der Bildungsferne und Bildungsnähe gerieten durch die PISA-Studien, internationale Untersuchungen zur Schulleistung, in den deutschen Debattenkreislauf. Gemeint waren Schüler und Schülerinnen, die analog zum Bildungsgrad ihrer Eltern der Bildung fernblieben oder ihr nahestanden. Das Adjektiv bildungsfern ist unglücklich, weil mehrdeutig. Bei mehrdeutigen Begriffen kann man sich der populistischen Instrumentalisierung sicher sein, und so wird auch dieser fast nur noch in seiner diskriminierenden Lesart gelesen. Sicherlich gibt es Menschen, die der Bildung fernbleiben. Doch ist das die Schuld dieser Menschen oder die des Bildungssystems? Pauschalisieren lässt sich weder das eine noch das andere. Dennoch ist der Begriff bildungsfern heute meist nur als Anschuldigung der damit Bedachten gebräuchlich.

Binge-Watching Bei wenigen Begriffen ist es bedauerlicher als beim Binge-Watching (aus dem Englischen von »Gelage« und »ansehen«), dass die deutsche Sprache sich nicht die Mühe einer Übersetzung gemacht hat. Gemeint ist das Ansehen vieler Folgen einer Fernsehserie hintereinander, ohne zwischendurch nennenswerte Pausen zu machen. Vor dem binge watching gab es im Englischen bereits das binge drinking, auch ein Problem in deutschen Großraumdiskotheken und Absturzkneipen. Dafür hat man eine hervorragende Übersetzung gefunden: Komasaufen. Warum also nicht Komagucken statt Binge-Watching? (Am besten aber ganz sein lassen, denn das Vergnügen und die Aufmerksamkeit wachsen, je mehr Zeit man sich lässt. Wer seine Lieblingsserie wirklich liebt und die Leistung ihrer Macher schätzt, genießt sie langsam und konzentriert.)

Blase Was man früher nicht alles hatte: eine Familie, einen Freundeskreis, einen Tellerrand, Arbeitskollegen, den Krieg-der-Sterne-Fanclub. Heute hat man stattdessen lediglich eine Blase bzw. man ist Teil von ihr, zusammen mit Erzeugern und Nachwuchs, Freundinnen, Kollegen und Vereinskameradinnen. Aber wie fühlt man sich eigentlich in einer Blase? Man möchte gar nicht wissen, was sonst noch darin schwimmt oder worin man da überhaupt schwimmt. Eigentlich meint das Wort, das vom althochdeutschen blāsa (»blasen«) kommt, einen mit Luft gefüllten oder durch ein Gas gebildeten kugeligen Hohlraum in einem festen oder flüssigen Stoff. Doch im modernen Wichtigtuer-Vokabular ist es als Kurzform der Filterblase in aller Munde. Der Duden beschreibt diese junge Bedeutungsvariante als »selektive Informationsauswahl auf Webseiten durch Berücksichtigung des Nutzerverhaltens, -standorts«, doch der Volksmund bezeichnet damit eher das soziale Umfeld, online wie offline, oder eben den eigenen Tellerrand. Warum sagt man das dann nicht auch? Wenn man nicht gerade ein Kleinkind mit einem Plastikröhrchen Seifenlauge in der einen und einer Pustevorrichtung in der anderen Hand ist, hat das Wort eher unschöne Konnotationen. Man muss sich dafür nicht mal an den eigenen Unterleib fassen. Die Wirtschaftsblase etwa heißt ja nicht so, weil sie so wunderschön ölig funkelt, sondern weil sie zum dramatischen Platzen verdammt ist. Sicherlich: Über den eigenen Tellerrand sollte man bisweilen hinausschauen. Aber ein unwiderrufliches Zerplatzen des sozialen Umfelds kann sich wohl keiner wünschen.

Bleistift (zum) Zum Bleistift zu sagen, wenn man »zum Beispiel« meint, funzt latürnich nur, wenn man auch ▶ funzen und latürnich für die Krönung humoristischer Wortakrobatik hält.

briefen Das Verb verbriefen, das eine schriftliche Zusicherung beschreibt, wird im Duden als »veraltend« gescholten. Ganz neu dafür ist briefen (seit 2000 gelistet). Das ist allerdings keine Kurzform des alten Wortes. Es hat auch nichts mit Brief und Siegel zu tun, sondern mit dem englischen briefing, also dem Informieren. Im Englischen steht außerdem das Adjektiv brief für »kurz und knapp«. So ist briefen die Kurz-und-Knapp-Version von »informieren« oder »in Kenntnis setzen«. Würze ist in dieser Kürze kaum zu finden. Man begegnet eher fader Verknappung.

Bruh Das deutsche Bruh kommt vom englischen bruh, was wiederum von bro kommt, und jenes von brother (»Bruder«). Damit kann (selten) ein Blutsverwandter gemeint sein, oder (nicht ganz so selten) ein guter Freund. Meistens aber ist der Ausruf »Bruh!« eine moderne Version von: »Heilige Mutter Gottes!« Es handelt sich also nicht um die Anrufung einer konkreten Person, sondern um einen Ausdruck der Verwunderung mit missbilligender Tendenz. Früher sagte die Jugend: »Würg.« Ein gelungenes Schlusswort zu diesem Thema.

Kann man sagen, muss man aber nicht

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