Читать книгу Kann man sagen, muss man aber nicht - Andreas Neuenkirchen - Страница 9

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canceln Wir wollen gar nicht erst das explosive Fass aufmachen, ob es die Cancel Culture, also das Boykottieren öffentlicher Personen bis zu deren Verbannung aus der Öffentlichkeit, wirklich gibt, oder ob sie lediglich ein Hirngespinst konservativer Bedenkenträger und Verschwörungstheoretikerinnen ist. Schön wäre es aber, wenn es sie zumindest in der Sprache gäbe. Dann könnte sie sich gleich an das Canceln des Verbes canceln machen. Im Englischen darf es ruhig weiterhin to cancel geben, wenn unter Englischsprachigen etwas »abgesagt« werden muss, aber Deutschsprachige können nicht nur etwas »absagen« sondern auch »streichen«, »rückgängig machen«, »absetzen«, oder sogar »abblasen«. Es gibt auch keine mildernden Umstände dafür, dass canceln ganz ursprünglich aus dem Lateinischen kommt, nämlich von cancellare (die sich sonst so mit ihrer Sprachreinheit brüstenden Französinnen und Franzosen benutzen es ebenfalls als, man ahnt es, canceller). Das lateinische Original bedeutet »gitterförmig durchstreichen, vergittern«. Also: »Ihr Flug wurde leider vergittert.« Wer macht denn so was? Oder: »Die ▶ kultige Serie wurde nach der dritten ▶ Season gitterförmig durchgestrichen.« Das kann keiner wollen. Dann lieber absagen, absetzen, streichen.

challengen Bitte challengen Sie Ihre Mitarbeiter, nicht mehr challengen zu sagen, wenn sie »herausfordern« oder »anfechten« meinen, die tatsächlichen deutschen Entsprechungen des englischen Verbs to challenge. Wer Deutsch und Englisch derart faul vermengt, der klingt nicht cool und international wie Falco beim ▶ elaborierten Sprechgesang, sondern eher wirr wie Nina Hagen, die spät nachts vom ▶ Trash-Fernsehen aus dem Bett geklingelt wurde und irgendwas von UFOs faselt, you know.

checken Das englische Verb to check gefällt den Deutschen so gut, dass sie es als checken übernommen und dabei mit mehr Bedeutung aufgeladen haben, als im Original steckt. Checken heißt im Deutschen nicht nur »überprüfen« (wie im Englischen) oder einen sportlichen Gegenspieler mit beherztem Körpereinsatz am Spiel hindern (auch diese Bedeutung gibt es im Englischen), sondern auch »kapieren« oder »verstehen«. Da hat das Checken eine Bedeutungsalleinstellung im Deutschen. Tatsächlich wird es meist in dieser Variante verwandt. Sagt man: »Ich check das nicht!«, dann ist damit nicht die Weigerung gemeint, etwas zu überprüfen oder anzurempeln, sondern: »Ich kapier’s nicht.« Warum man einem englischen Wort, das im Original schon mehrere Bedeutungen hat, im Deutschen noch eine weitere anfantasieren musste, für die es bereits etablierte, gut funktionierende und allgemein bekannte Ausdrücke gibt – das sollte mal jemand checken. Sowohl im Sinne von »prüfen« wie auch im Sinne von »verstehen«.

Checker Der Duden meint, der Checker wäre in der deutschen Sprache an erster Stelle ein Kontrolleur. Das wäre zu verkraften, denn in diesem Fall bezöge sich die Definition doch zumindest auf die Bedeutung des englischen Ursprungswortes. Man mag noch nicht mal wegen des Anglizismus maulen, denn der Kontrolleur ist ja ebenfalls nicht gerade urdeutsch (sondern ein eingedeutschter Franzose, eigentlich ein contrôleur). Leider jedoch fällt der Begriff Checker auf offener Straße meistens in seiner saloppen Zweitbedeutung: jemand, der etwas kapiert, der es voll drauf hat. Wenn dieser Jemand besonders viel kapiert, oder das wenigstens von sich behauptet, wird er auch gerne mal als Ober-Checker tituliert, vor allem von sich selbst. Wer sich allerdings selbst als Checker oder Höheres bezeichnet, der ▶ checkt meist am allerwenigsten.

Chiffre Wer sich zu fein für ▶ Codes ist, der spricht in Chiffren. Also nicht mehr in Wörtern, geformt aus Buchstaben, sondern in Zahlen, denn selbstverständlich hat die Chiffre denselben Werdegang wie die Ziffer und kommt von der altfranzösischen cifre. Neben der profanen Ziffer steht sie im deutschen Sprachgebrauch außerdem für eine Geheimzahl. Was gemeint ist, wenn jemand in Chiffrenkommuniziert, ist also ein Geheimnis. Bestenfalls kann es der Sprecher selbst entziffern. Zum Beispiel, wenn die »taz« über ein Szeneviertel in Leipzig schreibt: »Connewitz. Das ist nicht irgendein Stadtteil …, sondern auch eine Chiffre.«3Aha. In der modernen Lyrik stehen Chiffren für Wörter oder Wortgruppen, deren Bedeutungen sich nicht beim ersten Überfliegen erschließen. Da stehen sie gut; Gedichte sind schließlich keine Gebrauchstexte. Ansonsten gilt: Wer nicht gerade moderner Lyriker oder Geheimagent ist, sollte von ▶ Codes und Chiffren die Finger lassen und lieber verständlich formulieren.

chillen Wer chillt, der ist so entspannt, dass er sogar zu entspannt ist, um ein so langes und unentspanntes Wort wie entspannen zu benutzen, obwohl es genau dasselbe heißt wie chillen. Chillen, seit 2004 im Duden, kommt natürlich aus dem Englischen, wo to chill »abkühlen« heißt. Die Bedeutungsverwandtschaft zum Entspannen und Erholen lässt sich durchaus ausmachen, nur fragt man sich (neben der üblichen Frage, ob ein Anglizismus notwendig ist, wo es bereits mindestens zwei deutsche Wörter mit gleicher Bedeutung gibt): Ist chillen auch im Winter entspannend? Wenn nun jemand kommt und sagt: »Alter, was hast du denn gegen chillen? Chill mal deine Base!«, dann hat der korrekt darauf hingewiesen, dass es im Deutschen noch eine dritte Bedeutung fürs Verb gibt, nämlich »abregen«. Und dafür hatten wir, mit gechilltem Kopf betrachtet, vor 2004 ebenfalls schon ein Wort. Nämlich »abregen«. Ein Wort für viele Umstände mag für manche eine willkommene Vereinfachung sein. Andere erleben es als unnötige Verarmung.

Code Menschen um die 50 sind dem Wort Code wahrscheinlich zum ersten Mal während ihrer kurzen Karrieren als Yps-Detektive begegnet, dort vor allem in der Steigerung zum »Geheimcode«, den es mit einem Gimmick der Woche zu entschlüsseln galt. Ursprünglich stammt das Wort allerdings nicht aus »Yps«, sondern aus dem Lateinischen, wo der Kodex zunächst für beschriebene Holztafeln stand, später für Loseblattsammlungen, schließlich für Zusammenstellungen von Gesetzestexten. Dieser Ursprungsbegriff ist weiterhin in der deutschen Sprache vorhanden; er meint vor allem ungeschriebene Verhaltensregeln innerhalb klar umrissener gesellschaftlicher Gruppen. Der Code hingegen legt seinen Fokus auf die Kommunikation innerhalb solcher Gruppen. Er bezeichnet ein vereinbartes Inventar sprachlicher Zeichen und die Regeln zu ihrer Verknüpfung. Kennt man diese Regeln nicht, hilft auch kein Gimmick weiter. Wer allerdings einmal Yps-Detektiv gewesen ist, der bleibt selbst im Erwachsenenalter fasziniert von Codes und sieht sie überall, ob er sie versteht oder nicht. Insbesondere dann, wenn er inzwischen den Stetson an den Nagel gehängt und das Detektivbüro geschlossen hat, um in die kulturberichterstattende Zunft zu wechseln. Wenn ein Künstler schlicht nichts zu sagen hat, man das als Hofberichterstatter aber partout nicht wahrhaben möchte, dann behauptet man einfach, er benutze einen Code, gerne auch einen ▶ elaborierten. Entschlüsselt wird so ein Code selbstverständlich nie, denn wo nichts ist, da gibt es nichts zu verstehen.

Comedian Man möchte meinen, auf deutschen Bühnen hätte nie jemand gestanden und Witze gerissen, bevor der »Quatsch Comedy Club« und ähnliche 90er-Jahre-Fernsehformate dabei Kameras mitliefen ließen und das Ganze englisch benannten. Das Witzige, das war Comedy, so lernten wir, und die Witzigen, das waren die Comedians. Manche meinen, man brauche den Begriff Comedian, um den hippen jungen Possenreißer, der sagt, was da draußen wirklich abgeht, vom steifen Kabarettisten der alten Schule zu unterscheiden, der Helmut Kohl imitierte und Witze über grüne Körnerfresser machte. Dabei hat es eine Unterscheidung zwischen diesem und jenem im Deutschen schon immer gegeben. Das eine war halt Kabarett, das andere Komik. Die, die Komik machten, waren Komiker. Hatten sie Musikinstrumente dabei, so waren sie Blödelbarden. Heute empfinden diesen Begriff einige Humorexperten und -expertinnen als despektierlich. Vielleicht sollten sie es mit Humor nehmen. Ob mit oder ohne musikalische Begleitung – diese Unterhaltungskünstler machten jedenfalls schon, bevor die Comedy und der Comedian in die deutsche Sprache kamen, nichts anderes als das, was ihre Artgenossen im anglofonen Raum machten: auf Bühnen Lustiges erzählen. Sicherlich gab es kulturelle und anderweitige Unterschiede zwischen den Darbietungen von, sagen wir mal, Lenny Bruce und denen von, zum Beispiel, Heinz Erhardt. Dennoch waren der Bürgerschreck und der Bürgersympathisant beruflich ein und dasselbe: Komiker. Genau wie ihre Nachfolger.

committen Wir wollen uns heute committen, niemals wieder committen zu sagen, wenn wir mehr als anderthalb Sekunden darüber nachdenken, was wir überhaupt sagen wollten. Außerdem wollen wir uns committen, immer länger als anderthalb Sekunden darüber nachzudenken, was wir sagen wollen, bevor wir das Maul aufreißen. Committen, eine deutsche Aneignung des englischen to commit (»verpflichten«, »bekennen«) steht seit 2006 im Duden. Committen wir uns doch, nicht Teil des Problems zu sein, sondern gemeinsam dafür zu sorgen, dass es noch zu unseren Lebzeiten wieder aus dem Nachschlagewerk verschwinden darf. Oder zumindest mit dem Verweis »veraltet« versehen wird.

Community Liebe Gemeinde, wir haben uns heute hier zusammengefunden, um darauf hinzuweisen, dass Community nichts anderes heißt als … eben Gemeinde. Das klänge ▶ krass uncool, höre ich da von den billigen Plätzen? Nur, wenn man sich das einredet. Es klingt zu religiös? Nur, wenn man es zulässt. Gemeinden sind für alle da. Es gibt religiöse Gemeinden, atheistische Gemeinden, schwul-lesbische Gemeinden, schwäbische Gemeinden, türkische Gemeinden und viele mehr. Sogar im Internet gibt es Gemeinden. Communitys braucht es da keine, solange man sich nicht auf Englisch verständlich machen muss.

connecten Im Interview mit der »Ostsee-Zeitung« gibt der Musiker Dag-Alexis Kopplin von der Band SDP zu Protokoll: »Als Musikfans haben wir das im Publikum immer gehasst, wenn Bands sich auf die Bühne gestellt und ihre Lieder abgespult haben und man sich gar nicht richtig mit denen connecten konnte.«4 Leider antwortete die das Interview führende Journalistin nicht: »Als Sprachfan habe ich es immer gehasst, und tue es noch, wenn Menschen einfach so an englische Verben deutsche Endungen ranklatschen und dann so tun, als mache sie das zu deutschen Verben.« Das englische Verb to connect heißt »verbinden«, »verkabeln«, »vermitteln«, »ankoppeln«, »kontaktieren«, »zusammenfügen« und noch vieles mehr. Das Online-Wörterbuch »Leo« listet 36 Bedeutungen in verschiedenen Konstellationen. Irgendeine wird darunter sein, die man im Deutschen anstatt connecten verwenden kann.

Content Mit der Devise »Content is King« (»Der Inhalt ist der König«, ursprünglich aus einem Aufsatz von Bill Gates) versuchen seit der letzten Jahrtausendwende mehrere Berufszweige sich verzweifelt einzureden, dass die »Gratis ist großartig«-Attitüde des Internet-Zeitalters sie nicht überflüssig gemacht hat – im Gegenteil sogar. Sie sagen sich: Selbst wenn da draußen nun Tausende Amateure und Amateurinnen Gratis-Inhalte schaffen – der bezahlte Premium-Content von echten Autorinnen, Künstlern, Fotografinnen, Filmemachern wird immer gefragt sein. Wer allerdings Inhalte jedweder Couleur unter einem faulen Anglizismus zusammenfasst, wie es die meisten Content vermittelnden Unternehmen tun, der hat sie bereits zur Ramschware deklariert. Und zwischen Ramsch und gratis gibt es kaum menschenwürdige Margen.

Craft Der Begriff Craftbier, der handwerklich gebraute Biere mit oft ungewöhnlichen Zutaten bezeichnet, ist ein wenig wackelig zusammengesetzt aus dem englischen craft (»Handwerk«) und dem guten, alten deutschen Bier beziehungsweise nur halb übersetzt vom englischen Original craft beer. Damit kann man nicht nur unter sprachästhetischen Gesichtspunkten Schwierigkeiten haben. Der Begriff Craft ist nämlich keineswegs ein geschütztes, streng definiertes Gütesiegel, sondern kann von jedem auf jede Plörre geklebt werden, egal ob vom enthusiastischen Badewannenpanscher nebenan oder von der rein profitorientierten Großbrauerei, die gerade zur weiteren Gewinnoptimierung ihre Brauanlagen in ein Arbeitskräftebilligland umgezogen hat. Die Plörre muss noch nicht mal Bier sein. Craft-Gin, Craft-Tee, Craft-Kaffee hat längst den Weg in die Bars und Supermarktregale gefunden. Und bei Aldi wurde bereits Craft-Wein gesichtet. Hoffentlich hilft der einem wenigstens, den Schmerz zu vergessen.

cringe Anfang des 21. Jahrhunderts wurde eine ganz neue Art der Komödienunterhaltung populär; im englischsprachigen Raum nannte man sie cringe comedy. Gemeint waren damit Formate à la »The Office« (deutsch: »Stromberg«), die mit dem grotesken Benehmen peinlicher und unsympathischer Figuren ihr Publikum eher erschaudern (to cringe) lassen wollten, als zum Lachen zu bringen. Man könnte sagen: Es handelte sich um Komik, die nicht lustig war. In den letzten Jahren hat sich der Begriff cringe auch in die deutsche Jugendsprache eingeschlichen, und man weiß nicht so recht, warum. Sicherlich, das englische Original ist auch im übertragenen Sinne eines; herkömmliche Übersetzungsversuche (neben »erschaudern« gehört »zusammenzucken« dazu) werden seiner kompletten Bedeutung inklusive aller Assoziationen nicht vollständig gerecht. Dennoch gibt es keinen Grund, die Waffen zu strecken: Es ist gar nicht so lange her, dass die deutschsprachige Jugend mit einer pfiffigen Wortneuschöpfung genau das eingefangen hatte, was englischsprachige Menschen meinen, wenn sie von cringe sprechen. Diese Wortneuschöpfung hieß fremdschämen und steht seit 2009 im Duden. Man muss sie nur benutzen.

crossfunktional Es gibt Sätze, bei denen man gar nicht weiß, an welcher Stelle man zuerst weghören möchte. »Wir haben bemerkt, dass insbesondere crossfunktionale Themen wie das Internet der Dinge ganzheitlich im Kerngeschäft adressiert werden müssen«5, sagt ein Herr Viessmann (»Chief Digital Officer eines Familienunternehmens«) dem österreichischen »Industrie Magazin«. Crossfunktional heißt hier wohl, dass dem Internet der Dinge (also der virtuellen Vernetzung physischer Objekte) viele Funktionen innewohnen. Nichts anderes erwarten wir von ihm. Immer wieder hört man auch, dass in Unternehmen bevorzugt Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesucht werden, die »crossfunktionale Kompetenzen« mitbringen. Das soll heißen: Sie müssen alles können und mindestens für zwei arbeiten, werden aber trotzdem nur einfach bezahlt. Letztendlich ist crossfunktional nichts weiter als eine schlechte und überflüssige Übersetzung des englischen Schaumschlagworts cross-functional. Bei Geräten kann man einfach funktionsübergreifend sagen. Und Menschen sollte man ohnehin nicht auf ihre Funktionsweisen reduzieren.

Kann man sagen, muss man aber nicht

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