Читать книгу Im Sommer, wenn niemand bleibt - Andreas Nolte - Страница 2
I Dienstag, 19. Juli
ОглавлениеDer Sommer begann schon im April. Im Juli lag die Stadt unter einer feinen Staubschicht, dass alle Blumen im Park ihre Farben verloren. Selbst die Juwelen in der Auslage des Schmuckgeschäfts funkelten nicht mehr, weil das Schaufenster nach dem Putzen gleich wieder blind wurde. Der Fluss trocknete aus und legte alles frei, was die Menschen nicht mehr nötig hatten: Fahrräder, Schuhe, alte Fernseher.
Der Garten von Familie Armbruster grenzte ans Ufer, früher hätte Felix im Flussbett nach Schätzen gesucht– dafür ist er jetzt schon zu alt. „Felix, wo bleibst du denn?“ rief seine Mutter vom Haus herüber. Seine Eltern waren aufgeregt, weil sie das erste Mal alleine verreisten. Sie hatten einen ihrer üblichen Urlaube geplant, bei denen man Berge hochgeht, um sie danach wieder hinunterzugehen. Dieses Jahr würden sie niemanden auffordern müssen, die schöne Aussicht zu genießen; Felix durfte zusammen mit seiner großen Schwester zu Hause bleiben.
„Jetzt hilf endlich!“
Er ließ sich Zeit.
„Immer, wenn man dich mal brauchen kann–!“
„Ich komm ja schon.“
Seine Schwester nannte ihn Trantüte und befahl ihm, die Koffer ins Auto zu tragen. „Geh doch aus dem Weg!“ rief die Mutter, als sie mit einer Tasche an ihm vorbei wollte. Die Eltern eilten kopflos hin und her: WO IST MEINE KULTURTASCHE? HAST DU AUCH DIE FLUGTICKETS EINGESTECKT? DU DARFST KEINE NAGELSCHERE MIT INS HANDGEPÄCK NEHMEN!
In solchen Situationen ist es das Klügste, sich ins Auto zu setzen; an einem Faraday-Käfig ziehen Unwetter ja gefahrlos vorüber. Felix schaltete die Klimaanlage an und fuhr das Fenster hoch, wodurch das Lärmen der Eltern wie durch Watte bei ihm ankam. Leider riss irgendwann seine Schwester die Tür wieder auf. „Beweg mal deinen Arsch!“ rief sie. Seine Schwester gehört zu der Art Mädchen, die Stützgerüste in den BH eingebaut haben, damit ihr Busen nach mehr aussieht. Die zupfen sich auch ihre Augenbrauen, danach sehen sie aus wie ein Denkmal aus Eisen– bei der hier passt sogar der Name: Patrizia, mit scharfem Z. Für einen Moment fragte sich Felix, ob sein Entschluss wirklich klug war, drei Wochen mit ihr allein zu verbringen.
Endlich war alles verstaut. Patrizia setzte sich hinters Steuer; sie durfte seit einem Jahr ab und zu den Wagen lenken. Vor drei Wochen war sie 18 geworden, auf der Rückfahrt vom Flughafen würde sie das erste Mal ohne Aufsicht fahren. „Da vorne ist rot“, sagte Herr Armbruster, „du kannst runter vom Gas. Energiesparen, du weißt schon.“ Felix sah im Spiegel, wie seine Schwester die Augen verdrehte, aber sie folgte der Anweisung ohne Kommentar. Die Mutter auf der Rückbank rief manchmal ACHTUNG!– es war nicht ganz klar, wovor sie warnte. Auch dazu äußerte sich Patrizia nicht. Felix wusste, dass sie innerlich kochte– als kleiner Bruder musste er sich auf der Rückfahrt in Acht nehmen.
Sie fuhren vorbei an Wohnblocks und Einkaufszentren mit endlosen Nutzflächen für Autos und Müll, aber durch die getönten Scheiben ihres Wagens blendete ihn die Ödnis nicht so arg. Felix fand es angenehm, die Welt im Vorbeigleiten zu betrachten, so wie man sie in einem Film nach Mitternacht erleben kann.
Nach einer halben Stunde erreichten sie den Flughafen. „Nicht so rasant einparken!“ rief der Vater.
„Ist doch genug Platz“, entgegnete Patrizia und riss den Lenker herum– sie hat ja ein gutes Augenmaß. Während die Eltern noch die Hände über dem Kopf zusammenschlugen, brachte sie den Wagen mit einem Ruck zum Stehen. „Das nächste Mal bitte etwas langsamer“, mahnte der Vater. Frau Armbruster erinnerte ihn daran, dass er früher auch so forsch gefahren war: „Jetzt lass das Kind doch.“
Felix fiel auf, wie verschieden seine Eltern sind: Während Papa sich ums Auto sorgt, hat Mama eher Angst um Leib und Leben. Auf dem Weg durch die Empfangshalle ging sie mit Patrizia noch einmal die Checkliste durch: Was nachts zu tun ist –ABSCHLIEßEN, ALARMANLAGE AN– was tags zu tun ist –BLUMEN GIEßEN, RASEN SPRENGEN– was morgens zu tun ist –AUFSTEHEN, ZÄHNE PUTZEN– sie sollte darauf achten, dass ihr Bruder daran denkt.
„Ich bin doch schon 12“, warf Felix ein, doch niemand beachtete ihn. Seine Schwester quittierte die Auflistung bei jedem Punkt mit einem gedehnten JAAA.
„Esst auch viel Salat, es ist alles da zum Kochen. Nicht immer zu McDonalds gehen, ja?!“
Patrizia entgegnete: „Und was sollen wir machen, wenn euer Flugzeug abstürzt?“ Die Mutter schaute sie entgeistert an; daran hatte sie anscheinend nicht gedacht. Sie sagte: „Gott bewahre!“ und hörte endlich mit ihrer Liste auf.
Herr Armbruster ging vorneweg und suchte den richtigen Schalter. Dabei reckte er den Kopf, um über die Menschenmenge hinweg zu schauen; er ist nicht allzu groß. Schließlich steuerte er mit dem Gepäckwagen auf eine der Schlangen zu. Mutter sagte: „Die daneben ist aber kürzer.“
„Die geht nach Mumbai. Siehst du das nicht?!“
„Nein, das ist die daneben. Aber wenn du unbedingt ewig warten willst, bitte!“
Patrizia erkundigte sich vorne. „Mama hat Recht“, teilte sie ihnen mit, „die kurze hier ist auch nach Teneriffa.“
Beide Eltern schwiegen beleidigt. Nach fünf Minuten, als sich der Abstand zur anderen Schlange zusehends vergrößerte, sagte Herr Armbruster: „Meinetwegen können wir uns auch da anstellen.“
„Ich bleib jetzt hier!“ verkündete seine Frau. Felix machte den Vorschlag, sich bei beiden Schlangen anzustellen. Ausnahmsweise hörten die Eltern auf ihn; Vater wechselte also. Leider zeichnete sich in seiner Schlange bald ein Problem mit einem Schrankkoffer ab. Genauer gesagt bestand das Problem in seinem Besitzer, der ihn nicht zu groß fand und den diensthabenden Chef sprechen wollte. Als das zu nichts führte, wollte er mit dem Chef vom Chef sprechen. Der Passagier bekam einen hochroten Kopf, umso blasser erschienen seine Beine, die aus den Shorts nach unten wuchsen. Frau Armbruster war mittlerweile am Schalter angelangt, und da der unzufriedene Passagier inzwischen den Chef der Fluggesellschaft zu sprechen wünschte, wechselte Herr Armbruster zurück.
Nach dem Einchecken blieb noch viel Zeit. Vater starrte verärgert vor sich hin– Felix vermutete, dass er auch keine rechte Lust hatte, die schönen Berge auf Teneriffa zu betrachten. Seine Mutter begann erneut ihre Aufzählung. Als sie merkte, dass Patrizia die ganze Zeit nur Botschaften in ihr Handy am tippen war, und auch sonst niemand zuhörte, verstummte sie endgültig. Niemand wusste etwas Interessantes zu erzählen, deshalb verabschiedeten sich die Eltern vorzeitig. Seine Mutter wollte Felix in aller Öffentlichkeit einen Kuss auf die Wange drücken, rechtzeitig wand er sich aus ihrer Umarmung. Sein Vater hatte mehr Anstand und gab ihm lediglich die Hand. Erst als er seine Eltern unter all den Leuten nicht mehr erkennen konnte, bedauerte er, sich nicht ordentlich von ihr verabschiedet zu haben. „Ich möchte noch sehen, wie das Flugzeug startet“, sagte er zu Patrizia.
„Das kann ja ewig dauern!“ Sie war in Gedanken schon bei ihren Freunden.
„Na und?“
Statt einer barschen Antwort begann sie zu grinsen: „Stell dir nur vor, ihr Flugzeug stürzt beim Start ab und du müsstest das mit ansehen. Dann hättest du doch für den Rest deines Lebens ein Trauma.“ Patrizia hat manchmal einen morbiden Zug– während er sich noch eine Antwort überlegte, ließ sie ihn stehen und rief ihm über die Schulter zu: „Du kannst ja die S-Bahn nach Hause nehmen.“
Vom Flughafen aus war er noch nie mit der Bahn gefahren. Er lief ihr hinterher, sie hatte es so eilig, dass er sie erst am Parkhaus erreichte. Beim Raussetzen streifte sie den Kotflügel des Nachbarautos. „Scheiße!“ rief sie, und Felix duckte sich. Die Plastikverkleidung ihres Wagens hatte an dem anderen Auto etwas Farbe hinterlassen. Mit angefeuchtetem Finger rieb sie über die Stelle, bis kaum noch etwas zu sehen war. Sie wollte sich wieder ins Auto setzen, da fragte Felix: „Ist das nicht Fahrerflucht?“
„Mach mich nicht wahnsinnig! Ist doch überhaupt nix zu sehen.“
„Da sind noch Schleifspuren.“
„Ich seh nix, setz dich rein!“
„Hier schau, ein bißchen.“
Sie startete den Motor: „Steig ein oder fahr Bahn.“
Felix stieg ein.
„Außerdem: Wenn da ein Kratzer war, war der bestimmt schon vorher da“, sagte Patrizia. Im Gegensatz zur Hinfahrt fuhr sie diesmal Formel-1, sodass Felix öfters die Augen zusammenpresste. Er dachte an die Unfallstatistik: Auf den Straßen sterben zehn Menschen auf eine Milliarde Passagierkilometer, beim Fliegen nur drei. Er wäre also besser mit seinen Eltern geflogen. Noch besser wäre er mit der S-Bahn nach Hause gefahren; bei der Bahn gibt es nur einen Toten. Allerdings, was hätte er davon gehabt, wenn seine Eltern und seine Schwester gleichzeitig gestorben wären, wo ihr Tod doch viel wahrscheinlicher ist?
Plötzlich gab es eine kleinere Detonation in Patrizias Handtäschchen, worauf einige Häuser in sich zusammen stürzten. „Gib mir mal das Handy!“ befahl sie ihm.
„Es ist verboten, während dem Fahren zu telefonieren“, erwiderte er.
„Klugscheißer. Jetzt gib schon!“ Wieder explodierte das Handy.
„Du hast ja einen tollen Klingelton. Kann ich den auch haben?“
„Gibst du`s mir jetzt endlich?!“ Sie wurde wütend. Seine Schwester muss jederzeit mit der Welt verbunden sein, sonst bekommt sie Minderwertigkeitskomplexe– er suchte also in ihrer Tasche zwischen Lippenstift und Tampons nach dem Gerät. Sie machte eine Vollbremsung, fast hätte sie eine alte Frau auf dem Zebrastreifen überfahren. Patrizias Gesicht sah mit einem Mal so käsig aus wie die stoppeligen Beine des Passagiers mit dem Schrankkoffer. Das Handy war kein Thema mehr, es hatte sowieso aufgehört zu explodieren. Ohne weitere Zwischenfälle kamen sie zu Hause an.
Dort mischte sich Patrizia gleich einen Drink aus der elterlichen Bar und platzierte den Ventilator auf dem Wohnzimmertisch. Sie ließ sich in den Sessel fallen, in dem sonst Herr Armbruster sitzt, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt, und legte ihre Beine auf den Tisch.
„Darfst du das?“ fragte Felix.
„Halt die Klappe!“ Eine Weile telefonierte sie, während Felix in seinen Comics las. Nicht, dass er keine Freunde hat– aber er muss sie nicht ständig um sich haben wie seine Schwester. Mit halbem Ohr hörte er zu; es war auch kaum möglich wegzuhören, weil sie laut und aufgeregt redete. Soweit er mitbekam, versuchte sie vergeblich, sich für den Abend zu verabreden. Nachdem sie die Konferenz beendet hatte, löffelte sie einen Diätjoghurt und blätterte durch ein Lifestyle-Magazin, das dick war wie ein Telefonbuch. Später erinnerte sie sich an ihren Bruder: „Komm, ich schneid dir die Haare, Felix.“
„Wieso?“ Felix schaute nicht auf von seinem Heft.
„Weil sie viel zu lang sind. Du siehst ja aus wie ein Mädchen.“
„Na und?“ Felix las weiter.
„Letztens fragte mich einer meiner Freunde: Wie heißt denn deine Schwester. Die sieht ja niedlich aus.“
„Na und?“ Er las nicht mehr wirklich, obwohl er seinen Blick noch auf das Heft gerichtet hielt– was ist denn schlimm daran, wie ein Mädchen auszusehen?
„Demnächst macht dir wahrscheinlich ein Junge bei euch einen Heiratsantrag.“
„Immer noch besser als mit so Speckröllchen um den Bauch herumzulaufen wie du.“ Felix flüchtete rechtzeitig, er spürte noch den Luftzug des Lifestyle-Magazins, das knapp an seinem Kopf vorbeiflog und eine Vase vom Regal riss, die am Boden zerschellte. „Na, dann leg mal dein Taschengeld zusammen“, rief er ihr zu, bevor er das Wohnzimmer verließ.
Am Nachmittag wurde es immer heißer, selbst ein sporadischer Windstoß brachte keine Abkühlung. Im Fernsehen sprachen sie mittlerweile von einem Jahrtausendsommer– ein Vorgeschmack auf das Ende der Welt, wenn die Sonne sich aufbläht zu einem Roten Riesen, dessen Umfang bis zur Erdbahn reicht und sie verbrennt. Es soll zwar noch ein paar Milliarden Jahre dauern, doch vielleicht fängt es in diesem Jahr schon an. Das Flussbett hatte sich so mit Hitze aufgeladen, dass das andere Ufer in der Luft schwamm.
Mit einem Mal plagte Felix das schlechte Gewissen, dass er so gemein zu Patrizia gewesen war. Er wollte es wieder gut machen– nicht für seine Schwester, sondern damit seine Eltern nicht abstürzen– jetzt sind sie wahrscheinlich über Spanien. Manchmal hat er das dringende Bedürfnis, jemandem etwas Gutes zu tun, weil sonst etwas Schreckliches passiert. Ihm fiel ein, wie sehr seine Schwester Eis liebt, und dass sie wahrscheinlich schon länger keins gegessen hatte. In der Tiefkühltruhe fand er nichts, also musste er welches besorgen. Vor der Haustür packte ihn die Hitze– wenn man sich nur langsam genug bewegt, wie es das Faultier macht, kann einem nichts passieren. Felix stieg also ganz langsam aufs Rad, trat nur langsam in die Pedale und wechselte häufig die Straßenseite, um möglichst im Schatten zu fahren.
Im Eiscafé lief ein Fernseher, aber es war niemand da, der zusah. Es war überhaupt niemand dort, selbst auf den Verkäufer musste Felix lange warten; die meisten Leute liegen bei solchen Temperaturen ja im Wasser. Als der Verkäufer endlich kam, hatte er tatsächlich feuchte Haare. Felix überlegte, welche Portion für Patrizia angemessen wäre, und entschied, dass zwei Kugeln ausreichen. Er verstaute das Eis in dem Kühlbeutel, den er vorsorglich mitgenommen hatte, und machte sich auf den Rückweg.
Die Straßen lagen verlassen in der Sonne. Genauso wird es an jenem Tag aussehen, an dem der letzte Überlebende feststellt, dass er allein auf der Welt zurück geblieben ist. Felix fröstelte bei dem Gedanken. Freilich hätte eine leere Welt auch Vorteile: Er könnte durch fremde Häuser gehen und die verwaisten Leben besichtigen, sich in fremden Kühlschränken bedienen und DVDs sehen, die ihm seine Eltern verboten haben. Nur würde es am letzten Tag der Welt vermutlich keinen Strom mehr geben.
Felix war froh, als er einen Menschen entdeckte: Ein Junge versuchte sein Rad aufzupumpen, was ihm nicht gelang. Er hockte in der Sonne und seine roten Haare glänzten vom Schweiß. Als er Felix bemerkte, richtete er sich auf und schaute ihn böse an. Felix fühlte sich verpflichtet, etwas zu sagen: „Da brauchst du Flickzeug.“
„Ach, da wär ich von allein nicht drauf gekommen“, entgegnete der Junge.
Felix ärgerte sich über seine eigene Bemerkung. Er verstand das nicht– bei seiner Schwester findet er meist die richtige Antwort, nur bei Fremden wird er so tolpatschig. Er bemerkte sehr wohl, dass der Junge, Hände in den Hüften, ihn von oben bis unten musterte. Felix schaute in die Sonne.
„Hast du denn welches?“ fragte der Junge.
„Zu Hause. Wenn du willst, kannst du mitkommen, es ist nur zwei Straßen weiter. Meine Eltern sind nicht da, weißt du“, und er begann zu erzählen, dass sie sie zum Flughafen gebracht hatten, dass seine Schwester fast einen Unfall gebaut hatte, undsoweiter.
„Dann lass uns gehen“, sagte der Junge mitten in Felix Rede.
„Ich heiße Felix, und du?“ So schnell konnte er mit dem Reden gar nicht aufhören.
„Uli“, antwortete der. Uli ging seltsam, breitbeinig wie ein Cowboy ohne Hut und Pferd. Sein Arm schlenkerte bei jeder Bewegung auffällig entfernt vom Körper, ein Muskelmann auf Freigang. In Wirklichkeit war er nicht größer als Felix, möglicherweise auch nicht kräftiger. Ab und zu spuckte er beim Gehen auf die Straße. Sein Alter? Felix wagte nicht nachzufragen, und auch der Junge sagte nichts, während er sein Fahrrad schob. Es war so still in der Straße, dass das Flapp-Flapp des platten Reifens von den Häuserwänden zurückklang.
Er führte Uli in die Garage. Ihre Garage ist sehr groß, ganz so wie man es in amerikanischen Vorstadtserien sieht. Wenn Felix Vater genug vom Gerede seiner Frau hat, zieht er sich hierhin zurück und schraubt an seinem Motorrad. Die Werkzeugwand nimmt eine ganze Seite der Garage ein, jedes Teil hat seinen vorgezeichneten Platz. Felix gab Uli das Flickzeug. „Ich muss meiner Schwester noch das Eis bringen“, sagte er.
„Ich komm allein zurecht“, erwiderte Uli und löste das Rad vom Rahmen.
Als Felix ins Wohnzimmer trat, mixte Patrizia gerade einen weiteren Drink an der Bar. Ihre Bewegungen waren sanfter geworden, und als sie sich zu ihm umdrehte, glänzten ihre Augen. Sie lächelte ihn an, während er ihr das schmelzende Eis entgegenhielt. „Für dich“, sagte er.
Sie hielt den Arm ausgestreckt, ohne nach dem Eis zu greifen; vielmehr starrte sie auf die Tropfen, die es auf dem Parkett hinterließ. Schließlich rief sie: „Bist du jeck! Ich mache diese Woche eine Diät.“ Es muss sich um eine Alkoholdiät handeln– sie war schon so betrunken, dass sie sogar vergaß, über die Flecken auf dem Boden zu schimpfen. Sie ließ sich in den Sessel fallen, der unter ihrem Gewicht erschreckt knarzte. Felix war enttäuscht, obwohl er nur eine Pflicht erfüllt hatte, um seine Eltern vor dem Absturz zu bewahren. Auf dem Weg zur Garage schleckte er rasch das Eis, bevor es sich ganz auflöste. Uli wartete bereits: „Der alte Schlauch ist gerissen. Da ist nichts zu flicken.“
„Wir haben, glaub ich, Ersatzschläuche. Moment.“ Felix wollte gerade anfangen zu suchen, da sagte der Junge, dass er schon einen gefunden hatte: „Kann ich ihn einbauen? Ich besorg dir morgen einen Neuen.“
Felix beobachtete Uli beim Einbau des Schlauchs. Der Junge machte es recht gekonnt. Er selbst mag diese Art von Tätigkeit nicht und gibt einen platten Reifen lieber bei seinem Vater ab. Herr Armbruster zeigt ihm dann jedes Mal, wie man es macht, ohne dass Felix je Interesse bekäme, es selber zu probieren. Umso lieber schaut er Handwerkern bei der Arbeit zu. „Ich find`s toll, wie du das machst“, sagte er.
„Das ist doch ein Kinderspiel.“
Im Prinzip sind Felix Angeber unsympathisch. Bei diesem Jungen war es anders, vielleicht weil es allzu sehr nach Schauspiel aussah. Uli beendete seine Arbeit und wusch sich die Hände. Auch hierbei waren seine Bewegungen markant. Felix fragte: „Wie heißt denn das Stück, in dem du spielst?“
Im ersten Moment schaute Uli ihn erstaunt an, bis er anfing zu grinsen: „Bob, der Baumeister.“ Er hielt Felix die Hand entgegen, um sich ganz formal zu verabschieden, wie es zwischen Männern üblich ist. „Ich bring dir morgen den Schlauch vorbei.“ Dieser feste Händedruck beeindruckte Felix ganz schön. So gut es ging, erwiderte er ihn.