Читать книгу Die entzauberte Angst - Andreas Poppe - Страница 5

Vorwort: Vom Wissenschaftler zum Künstler - vom Künstler zum Therapeuten

Оглавление

Vorworte werden geschrieben, nachdem das Buch fertig ist. Das ist recht logisch: sollen sie doch etwas einleiten, was bereits vorhanden ist. Nur ein Narr würde ein Vorwort schreiben, bevor das Buch fertig ist.

Ich habe also ein Buch über Angst geschrieben, über Angststörungen, über die Möglichkeiten, der Angst zu begegnen, sie auszuhalten.

Diese Arbeit hat ein reichliches Jahr in Anspruch genommen. Das Schreiben, das Diskutieren über das Geschriebene und das Überarbeiten. Das Buch hat das vergangene Jahr meines Lebens sehr stark bestimmt: es hat Prioritäten gesetzt, meine Freizeit strukturiert, mich auch bei Wanderungen und vielen entspannenden Momenten beschäftigt. Es hat mich selten völlig losgelassen, es war immer da, hat mich begleitet im Alltag.

Ich glaube, wenn man über Angst schreibt, dann ist das immer ein sehr persönliches Thema. Jeder Mensch hat Angst - das gehört nun mal zum Leben dazu. Und so war es keine Überraschung, dass mir beim Schreiben immer wieder persönliche Erlebnisse eingefallen sind. Ich habe mich entschlossen, einige dieser Erlebnisse mit Ihnen zu teilen, denn warum sollte ich Ihnen erklären, dass Angst etwas Normales ist und Ihnen gleichzeitig Momente verschweigen, in denen ich selbst ängstlich war.

Das Schreiben hat auch viele Erinnerungen an meinen beruflichen Werdegang geweckt. Und im Nachhinein sehe ich, dass aus fast jeder Phase meines Lebens etwas in diesem Buch enthalten ist. Ich erkenne den kleinen Jungen wieder, der mit Leidenschaft Tierbücher gelesen hat und in seiner Freizeit anfing, die Tierklassifikationen auswendig zu lernen. Ich sehe mich als Jugendlichen, der sich so stark für Chemie interessierte, dass er ein kleines Chemielabor im Keller des elterlichen Hauses hatte. Ich habe wirklich gedacht, ich würde Wissenschaftler werden. Dann habe ich in den Ferien im Krankenhaus gearbeitet und gespürt, wie gern ich anderen Menschen helfe. Vor dem Hintergrund meines naturwissenschaftlichen Interesses glaubte ich, ich müsse Arzt werden: die abenteuerlichen Geschichten über die Pioniere der Medizin waren für mich genauso spannend wie ein Karl-May-Roman. Das Medizinstudium ernüchterte mich ein wenig. Kein Abenteuer, viel Hierarchie, viel Dogma. Irgendwie wollte ich mein Leben nicht als jemand verbringen, der mit einem weißen Kittel durch die Gänge eines Krankenhauses läuft und Lehrmeinungen nachbetet (Ich bitte hiermit alle Ärzte für diese Formulierung um Entschuldigung - aber so habe ich das damals empfunden.). Also auf zum Theater! Hinein in das unkonventionelle, brausende Leben! Dieses Leben, auch wenn es bei weitem nicht so glamourös und unkonventionell ist, wie ich gehofft hatte, hielt mich über 30 Jahre lang im Bann. Da der kleine Wissenschaftler in mir immer noch lebendig war (und ist), habe ich dabei auch Theaterwissenschaft studiert, wirklich wissenschaftliches Arbeiten gelernt und Einblicke in die Theaterarbeit erhalten, die sich mir nur als Künstler nicht erschlossen hätten. Nur: eine Laufbahn, die sich auf Forschung und Lehre beschränkt, wollte ich dann doch nicht einschlagen. So ging es in die Welt als Dramaturg, Regisseur und Schauspiellehrer. Meine Neugierde und Abenteuerlust wurden dadurch sehr lange gestillt, ich lernte andere Länder und Sprachen kennen und natürlich auch verschiedene künstlerische und pädagogische Arbeitsweisen. Am meisten geprägt haben mich sicher die Russen, mit denen ich in Århus (Dänemark) zusammenarbeitete. Sie führten mich sehr praktisch an die Arbeit des russischen Schauspiellehrers Konstantin S. Stanislawski heran, dessen Bücher ich bereits vorher intensiv gelesen hatte. So warf ich mich immer mehr auf die Psychologie des kreativ arbeitenden Schauspielers und auf Wege, diese kreative Arbeit psychologisch zu unterstützen. Ganz allmählich wurde ich vom Künstler zum psychologischen Berater. Hier musste ich erfahren, dass man nicht jede Antwort auf die psychische Not eines Schauspielers bei Stanislawski finden kann - so entstand das Bedürfnis nach einer therapeutischen Ausbildung. Nachdem ich diese absolviert hatte und die Genehmigung bekam, als Heilpraktiker für Psychotherapie zu arbeiten, war die Zeit für eine erneute Entscheidung gekommen. Warum sollte ich nur Schauspielern helfen?

Heute arbeite ich in einem Pflegeheim. Das erinnert mich sehr an die Erfüllung, die ich hatte, als ich als Jugendlicher im Krankenhaus arbeitete. Da ich nicht in Vollzeit beschäftigt bin, bleibt mir genügend Raum, Patienten psychotherapeutisch zu behandeln und Bücher zu schreiben.

Beim Lesen meines Buches finde ich all diese Phasen wieder. Da gibt es ein starkes Interesse für Schulmedizin, eine große Neugierde verschiedenen psychotherapeutischen Schulen und Verfahren gegenüber, eine immer noch große Liebe zur Kunst und eine rege Anteilnahme an spirituellen und philosophischen Fragen.

Während meiner Ausbildung zum Heilpraktiker für Psychotherapie war ich immer wieder überrascht, wie viele therapeutische Interventionen ich 30 Jahre lang schon an Schauspielschulen praktiziert hatte. Durch die medizinische Einbindung bekamen sie natürlich einen anderen Kontext - ich lernte auch ihre Wirkung besser verstehen, doch benutzt hatte ich sie viele Jahre lang.

Selbstverständlich habe ich auch viele Interventionen und Techniken kennengelernt, die ich noch nicht kannte und habe ein deutlich profunderes Verständnis für psychologische und psychiatrische Themen entwickelt. Keine Schauspielschule der Welt hätte mir dies bieten können.

Und dennoch: gerade, als ich die Tipps zur Selbsthilfe zusammengestellt habe, fielen mir immer wieder Übungen ein, die ich mit meinen Schauspielschülern gemacht habe. Ich glaube, dass sich diese Übungen nicht nur mit anderen therapeutischen Übungen gut zusammenfügen - ich denke, sie stellen auch eine Bereicherung des therapeutischen Repertoires dar.

Und jetzt ist es an der Zeit loszulassen, loszulassen von einem reichlichen Jahr Arbeit und Lebensinhalt und sich Neuem zuzuwenden. Es ist Zeit, das Buch in die Welt zu schicken und ihm zu wünschen, es möge viel Gutes tun, viele Ängste lindern helfen.

Um besser loslassen zu können, möchte ich mich noch bei einigen Menschen bedanken.

Die entzauberte Angst

Подняться наверх