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Einleitung

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Oh schaurig ist's übers Moor zu gehn,

Wenn es wimmelt vom Heiderauche,

Sich wie Phantome die Dünste drehn

Und die Ranke häkelt am Strauche,

Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,

Wenn aus der Spalte es zischt und singt,

O schaurig ist's übers Moor zu gehn,

Wenn das Röhricht knistert im Hauche!

Annette von Droste-Hülshoff

Angst scheint allgegenwärtig zu sein. In uns lauert sie, von außen dringt sie in unsere Herzen, von unseren Phantasien wird sie genährt.

Seitdem ich als Heilpraktiker für Psychotherapie arbeite, kommen die meisten Patienten zu mir, weil sie in irgendeiner Form von Angst belästigt werden. Einige dieser Patienten haben eine Angststörung, andere haben nachvollziehbare Ängste und suchen Lebenshilfe. Natürlich kommen auch Menschen zu mir, bei denen die Angst das Symptom einer anderen Krankheit ist, zum Beispiel einer Depression.

Angst ist der häufigste Grund, weshalb Menschen den Kontakt zu mir suchen.

Vielleicht liegt das daran, dass es so viele Menschen gibt, die aus verschiedenen Gründen unter Ängsten leiden und daran, dass die Angst ein ausgesprochen lästiges Gefühl sein kann.

Trotzdem ist es wichtig zu sagen:

Angst gehört zum Leben dazu. Angst ist normal. Ohne Angst könnten wir niemals überleben.

Die Angst selbst ist nicht unser Feind. Probleme bekommen wir erst dann, wenn wir Gefühle wie die Angst nicht mehr selbst regulieren können, wenn sie sich unserer Kontrolle entzieht und eine scheinbar allmächtige Gottheit in unserem Leben wird.

Obwohl es heutzutage völlig uncool ist, Angst zu haben, versucht die Umwelt stets, uns Angst zu machen. Sehen Sie sich Nachrichten an, lesen Sie Zeitung - und die Angst wird in Ihr Wohnzimmer schleichen. Wir sind bedroht von Kriegen und Wirtschaftskrisen, Terroristen versuchen, unser schönes Land in die Luft zu sprengen. Je nachdem, was Sie für Nachrichten lesen: entweder Islamisten oder Nazis werden Deutschland nachhaltig verändern und die Demokratie zerstören. Wir sehen alle der Altersarmut entgegen, der Sozialstaat ist am Ende. Noch nicht mal das Krankenhaus ist sicher, denn da droht uns der Tod durch Krankenhauskeime. Gefahren lauern in der Luft, die wir atmen und der Nahrung, die wir essen… Ich könnte diesen Reigen beliebig fortsetzen und wahrscheinlich ein ganzes Buch damit füllen, wovor wir Angst haben sollten. Denn das, was ich bisher aufgezählt habe, konnte ich innerhalb einer halben Stunde (!) beim täglichen Lesen der Nachrichten erfahren. Ein grausamer Horrorfilm ist nichts gegen eine solche tägliche Informationsverschmutzung. Dazu gibt es noch die sehr reale Angst vor dem Verlust des Jobs, dem sozialen Abstieg, den existenzbedrohenden Sanktionen durch das Jobcenter. Erwähnt habe ich noch nicht die Angst vor dem sozialen Versagen. Was ist, wenn wir dem Schönheitsideal nicht entsprechen? Was, wenn wir einen Fauxpas machen, der uns als Looser outet? Was, wenn wir uns nicht so präsentieren können, wie es angesagt ist? Was, wenn wir Angst und Nervosität zeigen und dadurch komplett uncool wirken.

Während ich mir das so durchlese, erscheint es mir wie ein Wunder, dass wir nicht alle zitternd und zähneklappernd in unseren Wohnungen sitzen und verhungern.

Warum können so viele Menschen trotz dieser massiven und aggressiven Angstmache überhaupt noch sowas wie ein normales Leben führen?

Die Antwort liegt in den Tiefen unseres Gehirnes verborgen.

Ich erinnere mich da an ein spannendes Erlebnis. Kurz nach der Öffnung der Grenze der DDR buchte ich eine Busreise nach Amsterdam. Diese war für mich ein großer Kulturschock: in einer wirklich behüteten DDR aufgewachsen, waren mir Drogenhändler und Rotlichtviertel nur aus Kriminalfilmen bekannt - meist mit ziemlich brutalen Morden verbunden. Jetzt wurde ich aller 10 Minuten angesprochen, ob ich Drogen kaufen wolle, blickte in Schaufenster mit fast nackten Damen. Und zu allem Überfluss waren die Straßen mit Warnungen vor Taschendieben gesäumt. Darauf war ich so absolut nicht vorbereitet gewesen und erlebte einen sehr unentspannten Tag in dieser eigentlich schönen Stadt. Als ich mich ein halbes Jahr später für mehrere Tage in Amsterdam aufhielt, konnte ich denselben Reizen mit großer Gelassenheit entgegenblicken und den Aufenthalt genießen.

Was war geschehen?

Ohne mein bewusstes Zutun hatte mein Gehirn meine Gefühle auf ein gesundes Maß reguliert. Ich hatte den Schock ganz automatisch, unbewusst, verarbeitet. Ich war jetzt auf Amsterdam vorbereitet und verlebte ein paar schöne Tage dort.

Unser Gehirn ist ein großes Wunder. Es reguliert unser inneres Gleichgewicht - meist, ohne dass wir etwas davon bewusst mitbekommen.

Zu Beginn dieses Buches möchte ich Ihnen etwas über dieses Wunder - das Gehirn - erzählen. Ich habe mich dabei am aktuellen Stand der Forschung orientiert, aber darauf geachtet, unterhaltsam und verständlich zu bleiben. Ich möchte gern meine Begeisterung für die komplexe Schöpfung, die unser Gehirn ist, mit Ihnen teilen - diese komplexe Schöpfung, welche es uns erlaubt, mit den größten Widrigkeiten des Lebens fertigzuwerden, in Schnee und Eis oder im heißen Wüstensand zu überleben.

Normalerweise ist Angst kein Problem sondern unser Freund. Normalerweise reguliert sie sich irgendwann, wenn eine Situation für uns objektiv nicht gefährlich ist.

Bevor ich Heilpraktiker für Psychotherapie wurde, habe ich lange als Dramaturg, Regisseur und Schauspiellehrer gearbeitet. Viele Schauspieler habe ich so kennengelernt - darunter auch eine ganze Menge sehr ängstlicher Menschen. Häufig durfte ich erleben, wie die Angst (zum Beispiel die Angst, eine Bühne zu betreten und vor Leuten etwas zu spielen) mit der Zeit „von ganz allein“ verschwand, ohne dass mir die Schauspieler oder die Schauspielschüler genau erklären konnten, was da eigentlich passiert war.

Immer wieder bin ich davon fasziniert, mit welcher Grazie unser Gehirn unsere emotionalen Probleme lösen kann - wenn wir es lassen.

Normalerweise können wir mit Angst ganz gut umgehen. Und das müssen wir verstehen. Wir müssen diesen „normalen“, „gesunden“ Prozess verstehen, um zu begreifen, was passiert, wenn es mal „holpert“, wenn die Regulierung der Angst nicht mehr so mühelos gelingt.

Und zum „Holpern“ braucht es manchmal nicht besonders viel: zu wenig Schlaf, zu viel Kaffe zur unrechten Zeit, ein großer Schreck in einer schwierigen Phase unseres Lebens - und dann noch ein paar „dumme“ Gedanken obendrauf: so „harmlos“ können die Auslöser dafür sein, dass die Regulierung der Angst nicht mehr so elegant und unauffällig verläuft, wie wir das normalerweise kennen.

Häufig erschrickt man dann vor dieser neuen Situation noch mehr - die immer weniger kontrollierbare Angst wird zum mystischen Rätsel, fast zum Fluch.

Das ist der Grund, weshalb ich mein Buch „Die entzauberte Angst“ nenne. Ich möchte gern diesen mystischen Schleier lüften und für mehr Klarheit sorgen.

Psychotherapie heißt für mich, dem Patienten zu helfen, zur natürlichen Regulierung seiner Gefühle zurückzufinden. Mehr Wissen und weniger mystische Furcht können dabei von großem Vorteil sein.

Die entzauberte Angst

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