Читать книгу Durchkreuzt - Andreas R. Batlogg - Страница 8
1.
(K)Ein Tag wie jeder andere
ОглавлениеMünchen im September, ein wunderbarer Herbsttag. Das Datum prägte, ja brannte sich mir ein. Denn es veränderte alles, schlagartig, »out of the blue«, wie die Amerikaner sagen: 25. September 2017, Darmspiegelung bei einem Gastroenterologen. Drei oder vier Jahre vorher war ich nach einer Reise schon einmal bei einem Internisten gewesen. Ich kannte die Prozedur. Ohne große Vorahnung oder ernsthafte Befürchtungen ging ich in die Arztpraxis, die mir ein Freund empfohlen hatte: »Der Doktor ist Jesuitenschüler, du kannst ihm vertrauen!«
Schon wegen der Lokalanästhesie sind die meisten Patienten ein wenig aufgeregt. Aber man bekommt nicht viel mit, wacht wieder auf – und fährt nach Hause: per Taxi oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln, vorsichtshalber. Als ich wieder bei Bewusstsein war, fühlte ich mich nicht unwohl – und wartete auf das Arztgespräch. In der Hoffnung, für die in den letzten Monaten aufgetretenen Beschwerden eine plausible Auskunft zu erhalten.
Ich sehe den Doktor noch vor mir, es ist wie gestern: »Die Ursache für Ihre Probleme sind gefunden. Leider ist es ein bösartiger Tumor, ziemlich groß.« Mehr als ein »So!« brachte ich zunächst nicht heraus. Nach einer ersten Schrecksekunde dann: »Und was bedeutet das?« »Ich organisiere für Sie einen Termin im Klinikum Neuperlach, gleich morgen.« Ein kurzer Telefonanruf genügte. »Ihnen steht eine größere Operation bevor, vielleicht auch Chemotherapie.« So etwas sitzt! »Wie stehen meine Chancen?« »Darmkrebs ist sehr gut erforscht. Die Aussichten, dass Sie das alles überleben, stehen sehr gut. Es gibt hervorragende Ärzte auf diesem Gebiet.«
Krebs! Einmal ausgesprochen – auf mich zugesprochen, verändert das alles. Krebs: Wuchtig ist dieses kleine Wort, bedrohlich, dunkel. Das ist also die Zäsur in meiner Lebensgeschichte? Die erste Gefühlslage reichte von: »Das war’s!« bis »Kämpfen!« Ich dankte dem Arzt für seine Offenheit. Ein halbes Jahr später – wir sind inzwischen befreundet – fragte ich ihn bei einem Abendessen, wie er Patienten mit solchen Diagnosen konfrontiert. Er meinte: »Ich mache schon Unterschiede. Wenn ich den Eindruck habe, jemand verkraftet so etwas nicht, sage ich: Da gibt es noch einiges abzuklären. Bei dir hatte ich den Eindruck, ich kann gleich mit der Wahrheit herausrücken.«
Benommen verließ ich die Praxis. Mit wirren Gefühlen. Bevor ich ein Taxi bestieg, betrachtete ich die Bäume an der belebten vierspurigen Straße, die bunten Blätter, die Herbstsonne. Als wäre es das erste Mal! Wie lange noch?, durchzuckte es mich.
Dann versuchte ich, mich zu sortieren: Wen soll ich jetzt anrufen? Meine Eltern? Mein Vater hatte einige Monate vorher einen Gehirnschlag erlitten. Das wäre jetzt keine gute Idee, die regen sich daheim nur auf. Und Näheres wusste ich ja noch nicht. Der mir am nächsten stehende Mitbruder in St. Michael, meiner Kommunität, war nicht erreichbar. So war es ein Jesuit in Frankfurt, der mich seit einigen Monaten beim Verfassen eines Buches über Papst Franziskus beriet. »Andreas, ich bete für dich!« Was mir Michael sonst noch sagte, weiß ich gar nicht mehr. Aber die Versicherung, für mich zu beten, war in diesem Moment ein Trost. Gleichzeitig hatten seine Worte etwas Schweres und Ernstes an sich. Ausweichen lässt sich einer solchen Diagnose nicht. Verdrängen, ignorieren geht auch nicht. Auf einen selber wirkt sie so brutal wie auf andere, die davon erfuhren oder denen ich davon erzählte, besonders auf Nahestehende.
Zurück in meiner Kommunität, setzte ich mich zuerst im Garten von St. Michael nieder: der erste Innenhof mit Renaissance-Fassade in Deutschland, 1583 bis 1597 mit der Michaelskirche gebaut. Späte Nachmittagssonne. Es war mittlerweile 17 Uhr. Es rumorte in mir. Bald würden mich die Mitbrüder fragen: Alles in Ordnung? Nichts mehr war in Ordnung. Würde denn jemals wieder alles so sein können wie zuvor?
Abends bat ich meine Oberen – den Pater Superior, den Pater Minister – und den mir am nächsten stehenden Mitbruder zu einem Gespräch: »Ich habe Krebs.« Und schon konnte ich nicht mehr weitersprechen. Die Stimme brach mir. Wir vereinbarten, dass ich erst die nachfolgenden Untersuchungen abwarten solle, bevor wir die anderen Kommunitätsmitglieder informieren und dann die Ordenszentrale verständigen würden. Wir tranken noch einen Schnaps. Alles war plötzlich irgendwie anders. Ins Bett ging ich mit bangen Fragen.