Читать книгу Athleten im E-Sport - Andreas Schaetzke - Страница 7

1.1Herausforderungen

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Gerade die Entwicklung des E-Sports in den vergangenen zehn Jahren birgt viele Chancen – aber auch Risiken.

In der Wirtschaftswissenschaft würde man die gegenwärtige Situation des E-Sports als „Boom-Phase“ bezeichnen. Im Vergleich zu anderen Sportarten und Branchen, wie zum Beispiel der Filmindustrie, ist der E-Sport eine rasant wachsende Branche. Die Steigerungsraten sind hierbei, je nach Prognose und Statistik, teilweise dreistellig.

Betrachtet man andere Sportarten als Referenz und Vergleichswert, dann wäre das eindringlichste Beispiel der Profifußball. Der E-Sport wird über kurz oder lang einen vergleichbaren Stellenwert in der Welt besitzen. In Ländern wie Südkorea oder China ist E-Sport bereits Volkssport und seine Stars sind Helden ganzer Generationen.

Der Profifußball zeigt aber deutlich, welche Grenzen des Wachstums der E-Sport haben sollte. Es besteht das Risiko, dass der E-Sportler als Mensch zur Ware verkommen könnte. Ferner bleibt offen, ob es wünschenswert ist, dass bestimmte marktfremde Investoren in den E-Sport drängen. Phänomene wie RB Leipzig sind im Profifußball nicht unumstritten, ebenso verhält es sich bei der wirtschaftlichen Ausrichtung von Vereinen wie dem FC Chelsea, bei dem der russische Milliardär und Oligarch Roman Abramowitsch mehr als eine Milliarde US-Dollar in den Verein gepumpt hat, um mit diesem die Champions League zu gewinnen.

Der E-Sport hingegen hat ein vergleichsweise gesundes Wachstum mit Marktteilnehmern, die in der überwältigenden Mehrheit auch in diesen Markt gehören.

Der wichtigste Teil dieses Wachstums und des Marktes als Ganzem ist der E-Sportler, also der Spieler und somit Hauptakteur. Hierzu gibt es bereits heute beachtliche Zahlen. Der League of Legends-Spieler Lee „Faker“ Sang-hyeok verdient etwa 2,5 Millionen US-Dollar Jahresgehalt, im Shooter-Genre wechselte der Starspieler Nikola „NiKo“ Kova für eine Ablösesumme von angeblich rund einer Million US-Dollar vom deutschen Clan mousesports zum internationalen FaZe Clan.5

Dieses Buch wird unter anderem eine realistische Analyse des Ist-Standes sowie der Zukunft als fundierte Prognose erarbeiten.

Dabei werden wir hinsichtlich der E-Sportler auf unterschiedliche Aspekte eingehen:

•Vergleich von Kulturen, Kontinenten und Nationen

•politische, gesellschaftliche und sportliche Anerkennung der E-Sportler und des E-Sports

•Unterscheidung: Hobbyspieler, Amateure, Semiprofis und Vollprofis

•spielerische und charakterliche Evolution des Spielers: vom Hobby zum Beruf

In den letzten Jahren hat sich der E-Sport von einem Mix aus Einzel- und Teamsportarten immer mehr zu einem Phänomen entwickelt, in dem vor allem Teams gegeneinander antreten. Besonders deutlich erkennt man dies an dem Verfall des Echtzeitstrategiegenres (RTS), in dem klassischerweise im Eins-gegen-eins gespielt wird. Im Vergleich zu den großen Genres des E-Sports, also vor allem den MOBAs und den Taktikshootern, spielen RTS-Spiele kaum noch eine Rolle. Eine der größeren E-Sport-Disziplinen, die Einzelkämpfern bleibt, ist die Fußballsimulation FIFA, die weiterhin durchaus erfolgreich ist und vielfach gespielt wird. Ferner hat sich mit Starcraft 2 ein RTS-Titel als große E-Sport-Disziplin gehalten.

Aufgrund der vermehrten Hinwendung des E-Sports zu Teamspielen, ergeben sich auch bei der Betrachtung der E-Sportler neue Aspekte, die beachtet werden müssen.

E-Sportler sind somit in der Regel Teil eines Teams. Die Teammitglieder sind dabei so sehr aufeinander angewiesen, dass ein Vergleich zum klassischen Sport, also etwa Fußball oder Handball, sich eher verbietet, bei dem die meisten Spieler leicht austauschbar sind. Beim E-Sport hingegen könnte man eher einen Vergleich zu einer Musikgruppe anstellen. Das Team muss harmonieren und im Gleichklang funktionieren, um bestmögliche Leistungen abrufen zu können. Der Kern vieler E-Sport-Teams spielt beziehungsweise spielte dabei seit vielen Jahren ununterbrochen zusammen, wenn man etwa an die Counter-Strike-Teams der polnischen „Golden Five“ oder das schwedische „Ninjas in Pyjamas“ denkt. Hier war der Teamgedanke so groß, dass drei bis vier der Spieler aus diesen Teams über ganze E-Sport-Generationen hinweg miteinander gespielt haben.

Im E-Sport gibt es folgerichtig unterschiedliche Modi, in denen gespielt wird, vorwiegend sind dies Fünf-gegen-Fünf-Disziplinen, aber auch Sechs-gegen-Sechs, Vier-gegen-Vier, Zwei-gegen-Zwei und eben auch, wenn auch immer seltener, Eins-gegen-Eins werden gespielt. Wir werden in diesem Buch auf die unterschiedlichen Aspekte und Faktoren dieser Modi eingehen – gerade im Hinblick auf den E-Sportler selbst.

Eine kritische Herangehensweise an die Thematik ist dabei überaus wichtig. Der Ruhm, das Geld und der Status eines E-Sportlers können diesem schnell zu Kopf steigen. Auch E-Sportler sind nur Menschen und wir wissen aus vielen Branchen, dass Menschen schnell die Bodenhaftung verlieren können. Daher ist es wichtig, dass der E-Sportler von einem Netzwerk aus anderen Akteuren der E-Sport-Branche umgeben ist. Dies sind vor allem die Vereine, also die Clans, die dem E-Sportler feste Strukturen bieten, als auch organisatorische Aufgaben erfüllen, für die dem E-Sportler selbst oft das nötige Know-how als auch die Zeit fehlen. Ferner stellen die Clans ein Fundament und einen Ruhepol für die Spieler, sodass diese geerdet bleiben.

Zusätzlich sind diese Strukturen wichtig, weil E-Sportler unter einem immensen Leistungsdruck stehen, wie es für die meisten Leistungssportler gilt. Das ergibt sich aus vielerlei Faktoren. Zum einen verdienen Spieler ihren Lebensunterhalt nur mit dem E-Sport, dementsprechend ist es auch aus finanziellen Gesichtspunkten wichtig, dass man erfolgreich ist und möglichst viele Wettbewerbe gewinnt: Einmal direkt, um Preisgelder zu gewinnen, aber auch indirekt, um den eigenen Marktwert zu steigern. Zum anderen besteht ein großer Druck „von unten“, denn viele Nachwuchsspieler drängen nach und träumen vom großen Ziel des Profispielens. Alleine in der Electronic Sports League (ESL) sind über acht Millionen Spieler registriert6 – viele davon haben den Wunsch, Profispieler zu werden.

Ein zusätzlicher Leistungsdruck entsteht dadurch, dass viele Profispieler keinen Plan B haben. Um ganz oben mitzuspielen, ist es erforderlich, dass man in Vollzeit spielt. Das ergibt sich nicht nur aus den Wettbewerben, die überall auf der Welt stattfinden, sowie dem täglichen Trainingspensum von mehreren Stunden, sondern auch durch weitere Notwendigkeiten. So ist es etwa wichtig, dass man sich auch körperlich fit hält oder aber Sponsoren-Verpflichtungen erfüllt, beispielsweise also eine bestimmte Zeit pro Tag die eigenen Spiele im Internet zu streamen, Autogrammstunden wahrzunehmen oder Interviews zu geben.

Das bedeutet oft, dass E-Sportler die klassische schulische Laufbahn abbrechen oder ruhen lassen. Viele Vollzeit-Profis unterbrechen etwa ihr Studium. Dies ist ein großes Risiko, denn wenn der Plan A, das Profispielen, nicht zündet, dann wird der Wiedereinstieg in die „normale“ Berufswelt schwierig.

Auch andere Risiken gibt es. So können Spieler, die nicht auf einen Ausgleich achten, zu Übergewicht neigen, Rückenschäden aufweisen oder aber andere Erkrankungen und Verletzungen erleiden. Deshalb setzen viele Profis auf Fitness und körperliche Stärke. Das ist auch deshalb wichtig, weil es ihnen so leichter fällt, Wettbewerbe durchzustehen und über Tage hinweg konzentriert zu bleiben.

Spieler müssen bei der Professionalität von Strukturen Abstriche machen, wenn man etwa den Profifußball als Referenz hernimmt. Leistungs- und Nachwuchszentren sind beispielsweise Mangelware. Hobby-Clans verfügen in der Regel nicht über die notwendige Infrastruktur, um Talente ausreichend zu fördern. Andere Länder sind da deutlich weiter als Deutschland. In China gibt es bereits Schulen, die sich voll auf den E-Sport konzentrieren und dabei durch die Vermittlung zusätzlicher, auch für den E-Sport relevanter Inhalte einen Plan B für ihre Studenten schaffen. So werden auch Kenntnisse im Hardware- und im Software-Bereich vermittelt, sodass Spieler, die es nicht zum Profi schaffen, in die IT-Industrie wechseln können. Gleichzeitig unterhalten die Schulen Kontakte zu großen Clans, sodass Schüler oft direkt nach der Schule ins Profigeschäft wechseln können.

Welche Rolle zukünftig Clans, Vereine, Agenten und Verbände im E-Sport spielen werden, bleibt abzuwarten. Gegenwärtig schwanken die Strukturen von hochprofessionell bis zu amateurhaft, je nach Genre, Disziplin und Nation.

Ein wichtiger Faktor wird dabei der Wert der Spieler sein. In Sachen Persönlichkeit und Skill, aber auch rein monetär. Welche Ablösesummen bereits gezahlt werden, haben wir dargelegt. Wie dies in der Zukunft aussehen wird und welche Entwicklungen es geben wird, ist schwer abzuschätzen. Eine valide Prognose ist schwierig, auch, wenn man andere Sportarten als Referenz für einen Vergleich heranzieht. Der E-Sport in seiner jetzigen Form ist 20 Jahre alt und hat sich in dieser Zeit rasant entwickelt. Andere Sportarten hatten für eine vergleichbare Entwicklung mehrere hundert Jahre oder zumindest mehrere Jahrzehnte Zeit.

Wir werden daher in diesem Buch zwar eine Prognose anstellen, uns aber eher auf den Ist-Stand sowie die nahe Zukunft fokussieren. Auch werden wir deutlich machen, weshalb man beim E-Sport bereits von Generationen sprechen kann, denn eine E-Sport-Generation hat eine vergleichsweise kurze Lebensspanne. Außerdem werden wir auch deshalb von Generationen sprechen und diese beschreiben, weil der E-Sport der 1990er-Jahre ein ganz anderer gewesen ist, als der E-Sport von 2020. Jener von 2030 wird wieder anders sein. Vergleiche sind hier schwierig und die Evolution des E-Sports findet in einem immensen Tempo statt.

Das erkennt man auch an den Spielern selbst. War E-Sport vor 20 Jahren noch Hobby oder maximal Nebenjob, so ist er heute Beruf von vielen Menschen – und das betrifft nicht nur die Spieler, sondern auch die Industrie drumherum. Karriere- und Familienpläne werden am E-Sport ausgerichtet. In Deutschland ist „E-Sportler“ zwar noch kein anerkanntes Berufsbild, aber dies wird sich auf absehbare Zeit ändern. Andere Länder, beispielsweise Südkorea, China, die USA oder Frankreich, haben bereits gezeigt, wie es geht. China gilt mittlerweile als größter E-Sport-Markt weltweit. Chinesische E-Sportler haben in Summe bis einschließlich 2018 mit rund 73,2 Millionen US-Dollar am meisten an Preisgeldern gewonnen. Die USA holen aber mit großen Schritten auf, 2019 und 2020 waren sie die stärkste Nation.7

E-Sportler machen in kürzester Zeit eine mentale Entwicklung durch, wie sie nur selten zu beobachten ist. Sie müssen schnell erwachsen werden, sind Weltenbummler und Kulturversteher, die oft in multinationalen Teams und für internationale Organisationen spielen.

Für uns ist es im Rahmen des Buches daher auch wichtig, dass wir auf die Titelhelden dieses Werkes eingehen und direkt mit ihnen sprechen. Deshalb werden wir Gespräche und Interviews mit unterschiedlichen Marktteilnehmern des E-Sports führen.

Dieses Buch dreht sich primär um die Person „E-Sportler“: Wer ist er? Was tut er? Was will er? Diese und viele weitere Fragen werden wir mit diesem Buch beantworten und die teilweise nebulöse Welt des E-Sportlers für Laien aufklären und aufzeigen, was es heißt, ein Profi-E-Sportler zu sein.

Athleten im E-Sport

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