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Kapitel 8

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»Seid froh, dass sie nicht dreißig Jahre jünger ist, Junker Fockena, sonst hättet Ihr sie vielleicht geheiratet und sie hätte Euch das Leben zur Hölle gemacht«, sagte Hilko Boyen mit einer so tiefen Stimme, dass auch im leisen Ton des Kaufmanns jedes Wort zu verstehen war. »Aber als Schwiegersohn bin ich ganz gut mit ihr gefahren, und sie auch wohl mit mir.«

Er sah in die Diele, wo Frau Hiske gerade Siebo Heiken und seine beiden Begleiter anwies, die Madonna mit Säcken zu umwickeln und in Stroh einzupacken. Zwei Mägde waren dabei, in der Upkamer den Tisch für Hilko Boyens Familie und die beiden Gäste zu decken.

»Wenn Frau Hiske in Wittenberg gelebt hätte, dann hätte sich die evangelische Bewegung vermutlich gar nicht erst ausgebreitet«, bemerkte Ulfert Fockena grinsend.

»Da täuscht Ihr Euch«, antwortete der Kaufmann. »Sie hat sogar Luthers Übersetzung des Neuen Testamentes gekauft. Es ist eine Ausgabe der neuen Auflage vom Dezember 1522, gebunden und mit Initialen geschmückt. Sie hat ein Vermögen gekostet: anderthalb Gulden.«

»Nur ein Teil dessen, was Euer Schwiegervater für Eure Dorfkirche gestiftet hat«, stellte Fockena fest.

»Groß im Nehmen, groß im Geben – das war sein Wahlspruch. Im Herbst vor drei Jahren ist er gestorben. Und Pfarrer Cornelis muss jede Woche eine Messe für ihn lesen, genauso wie sein Vorgänger, Pater Klemens.« Boyen lächelte. »Römisch oder evangelisch: bezahlt ist bezahlt.«

Er lehnte sich zurück. Hilko Boyen war ein untersetzter, kräftiger Mann. Nur wenige graue Fäden durchzogen sein schwarzes Haar, seine Gesichtsfarbe war frisch und gerötet, seine Augen blickten lebendig und wach. Sein Gesicht war glattrasiert, und trotz seiner humorvollen Bemerkungen zogen sich seine Mundwinkel nach unten. Für einen Moment schien er in seinen Gedanken versunken.

Frau Hiske gab den drei Männern ein paar Anweisungen, dann reichte sie ihnen eine Münze. »So habt ihr an diesem Tag doch noch ein gutes Werk getan, während eure Genossen in der Kirche randalieren, als wäre es eine Kneipe.«

Siebo Heiken nahm das Geld und verneigte sich. Dann trottete er mit seinen beiden Begleitern davon.

»Ich werde die Madonna zu meinem Neffen schicken. Er ist Kirchvogt in Bagband. Dort wird man wissen, wie man ein Bild der Mutter Gottes respektvoll behandelt. Ist Ubbius schon da?«, fragte Frau Hiske ihren Schwiegersohn. Der schüttelte den Kopf.

Rimberti und Fockena erhoben sich, um Frau Hiske zu begrüßen. Sie musterte die beiden Männer von oben bis unten und bemerkte: »So, Ihr seid nun die Berater unseres neuen Grafen. Dann werden uns ja glanzvolle Zeiten bevorstehen. Und wenn dazu noch solche tüchtigen Prediger im Land sind wie Karlstadt und Melchior Hofmann, dann ist der Lauf des reinen Wortes Gottes wohl nicht mehr aufzuhalten.«

»Ihr meint doch nicht etwa …«, wollte Rimberti erwidern, doch Frau Hiske unterbrach ihn und wies mit ausgebreiteten Händen auf den reich gedeckten Tisch, auf dem Schüsseln mit Fleisch und Gemüse dampften. »Lasst uns erst danken und essen. Alles andere hat Zeit. Sprecht Ihr das Tischgebet, Junker Ulfert?«

»Salz?«, fragte Hilko Boyen erstaunt, als der Tisch abgeräumt worden und seine Schwiegermutter in die Mittagsruhe gegangen war. Seine beiden Gäste hatten ihn über Einzelheiten am Mord von Jakob Sanders informiert.

»Wir haben mit Salz gehandelt«, erklärte Boyen. »Wobei ich zugeben muss, dass ich fast keine Ahnung habe, wie das Salz an der Küste produziert wird. Das hat alles Jakob von Norden aus gemacht, und ich war als Partner beteiligt. Dafür habe ich mich um den Ankauf und Weiterverkauf von Rindern und Schweinen gekümmert. Da war Jakob als Partner dabei. So haben wir es auch mit Nord- und Ostseehandel gemacht, mit Wein, mit Honig, mit Flachs und Wolle. Lief es einmal in einem Bereich schlecht, so machten wir in einer anderen Sparte Gewinne.«

Hilko Boyens Gesicht wirkte bekümmert. Er trank klares Wasser aus seinem Becher und atmete schwer durch. Dann sprach er weiter: »Jakob und ich kannten uns viele Jahre. Wir haben als Jungs unsere Ausbildung in Rostock gemacht. Wir hatten verschiedene Lehrherren, aber da die beiden viele Geschäfte gemeinsam durchführten, haben wir nicht nur einander, sondern auch die Vorzüge einer verlässlichen Zusammenarbeit kennengelernt. Nicht nur gegenseitige Hilfe in Notfällen, das versteht sich ja von selbst.«

Rimberti nickte.

»Es gibt Geschäfte, die sind für einen Kaufmann allein zu groß«, erklärte Boyen. »Zu zweit verfügten wir über mehr Kapital, wir waren auch in Engpässen beweglich, und vor allem konnte jeder von uns seine besonderen Fähigkeiten einbringen, und so haben wir einander ergänzt. Jakob hatte ein Gespür für gute Gelegenheiten, den Kaufmannsinstinkt. Und ich hatte die nötige Menschenkenntnis. Und Kaltblütigkeit.«

»Kaltblütigkeit?«, fragte Lübbert Rimberti zurück.

»Jedenfalls bis vor Kurzem.« Der Kaufmann sah aus dem Fenster. Sein Blick konzentrierte sich auf einen Punkt draußen.

»Ich glaube, ich mache einen kleinen Spaziergang«, seufzte Ulfert Fockena. »Nach dem guten und vielen Essen wird mir etwas Bewegung guttun.«

»Ich spüre Euren Schmerz um Jakob Sanders«, sagte Rimberti.

Boyen nickte. »Vor einem Vierteljahr sind meine Frau und meine Tochter ums Leben gekommen. Sie wollten den Bruder meiner Frau in Amsterdam besuchen. Ein Dorf, in dem sie übernachteten, wurde von Wiedertäufern besetzt. Die Aufrührer stürmten gemeinsam mit den Dorfbewohnern das Kloster. Einigen Mönchen gelang die Flucht, und sie holten spanische Soldaten aus der nächsten Garnison. Die stürmten am nächsten Tag das Dorf und ließen fast niemanden am Leben.«

Hilko Boyen schwieg einen langen Moment. Dann sprach er weiter: »Ich weiß nicht einmal, wo und wie sie beigesetzt worden sind.«

Von draußen war zu hören, wie jemand an die Außentür klopfte und von einer Magd in Empfang genommen wurde.

»Hinrich!« Hilko Boyen erhob sich und begrüßte einen großen und schlanken Mann, den Rimberti auf Mitte dreißig schätzte, also in seinem eigenen Alter. »Was für eine Freude, dich zu sehen. Selten genug, dass die Kölner dich einmal freigeben für die alte Heimat.«

Verhalten erwiderte Hinrich Ubben die Umarmung seines Freundes. »Meine Freude ist nicht weniger groß. Aber getrübt ist sie durch die traurigen Ereignisse.« Er sah zu Rimberti hin und entschied wohl, zunächst nicht mehr zu sagen.

Boyen trat einen Schritt zurück. »Doktor Rimberti hat ebenfalls Rechtswissenschaften studiert. Er ist Syndikus in … Ich habe noch nicht einmal genau zugehört vorhin. Auf jeden Fall soll er Graf Enno in einer rechtlichen Angelegenheit beraten und einen Todesfall untersuchen, der mich sehr traurig macht.«

»Jakob Sanders. Ich habe davon gehört«, antwortete Ubben und erklärte Rimberti: »Wir sind in Norden aufgewachsen. Unsere Wege führten dann in unterschiedliche Richtungen, aber Hilko und ich sind immer in Verbindung geblieben.«

»Ich habe schon viel von Euch gehört«, antwortete Rimberti, »und auch davon, dass Ihr in Köln zurzeit mit niemand Geringerem zusammenarbeitet als mit Professor Johannes Frissemius, eine Zierde unserer Juristenzunft und ein Meister glanzvoller Sprache. Man erzählt, dass Ihr an einem Werk über Friesland schreibt.«

Ubben nickte ihm zu, und Rimberti spürte, dass diesem Mann jede eitle Selbstdarstellung fremd war. »Frisia descriptio soll es heißen. Das ist auch ein Grund für meine Reise in die Heimat. Es gibt eine Reihe von Fragen, die ich für meine Beschreibung Ostfrieslands klären möchte. Außerdem werden die Eltern alt, und ich möchte jede seltene Gelegenheit nutzen, sie zu besuchen. Aber erzählt von Euren Geschäften, Doktor Rimberti.«

Nur kurz berichtete Rimberti von seinem Gutachten, dass er zum Verkauf der Herrlichkeit Hillersum schreiben sollte. Ausführlicher erzählte er vom Mord an Kaufmann Sanders.

»Salz?«, fragte Hinrich Ubben erstaunt, als Rimberti seine Erzählung unter Auslassung einiger Details beendet hatte. »Das wird an der Küste gewonnen. In meiner Heimat Ostermarsch, aber vor allem in der Westermarsch und auf Bant werden im Vorland große Mengen Salz gewonnen. Aber auch im Watt vor der Küste bei Esens wird Salztorf ausgegraben.«

Rimberti sah ihn staunend an. Obwohl er in Ostfriesland aufgewachsen war und ihm bekannt war, dass im Bereich der Küste Salz gewonnen wurde, so wusste er nichts darüber, wie diese Salzgewinnung vor sich ging.

»Hier ganz in der Nähe, an der Westermarscher Küste, solltet Ihr Euch das einmal ansehen«, sagte Hinrich Ubben. »Die Torferde unter dem Kleiboden und unter dem Schlick ist sehr salzhaltig. Sie wird ausgegraben und getrocknet. Später wird sie dann verbrannt, und die Asche wird mit Wasser ausgelaugt. Und das wird dann eingekocht. Es wird so viel Salz gewonnen, dass unsere Heimat gut versorgt wird und sogar damit gehandelt werden kann. Wie man bei meinem lieben Freund Hilko Boyen sieht.«

Boyen nickte. »Ich lasse hauptsächlich Fisch damit einpökeln. Und wenn das Salz sehr weiß und rein ist, salze ich auch Butter und Fleisch damit ein. Aber das wisst Ihr bereits. Wenn es Euch interessiert, werde ich mich darum kümmern, dass Ihr die Salzsiederei in Westermarsch besichtigen könnt. Alle paar Tage fährt auch jemand zur Insel Bant, um Vorräte zu bringen.«

»Berend Sanders erzählte, dass die Aufsicht über die Salzbuden seine Aufgabe ist«, erklärte Rimberti.

»Berend ist ein Großmaul. Eigentlich hätte er als Ältester die Geschäfte übernehmen müssen, aber er hat schon das Erbe seines früh verstorbenen Onkels in ein paar Jahren verbraucht. Glücksspiele, falsche Freunde, Liebschaften, und die wenigen Investitionen in den Handel waren schlecht gewählt. Dann war das Geld weg. Der alte Sanders hat seinem jüngeren Sohn Jakob das Geschäft übergeben, und er hat für Berend alle Schulden bezahlt und ihm eine Leibrente festgesetzt. Berend musste alle Ansprüche auf die Firma aufgeben. Das ist vertraglich geregelt.«

»Und dann ist da noch ein dritter Bruder«, stellte Rimberti fest.

»Konrad. Er hat die freien Künste studiert und ist Bibliothekar im Kloster geworden, in der Schola Dei in Ihlow. Der alte Sanders hat ihn dort eingekauft.«

»Und was wird aus ihm, wenn das Kloster aufgelöst wird?«, erkundigte sich Rimberti.

»Ihlow?«, fragte Heinrich Ubben erstaunt. »Die Schola Dei? Graf Enno wird es nicht wagen, die Schule Gottes aufzulösen. Die edelsten Familien des Landes haben ihre Söhne diesem heiligen Ort anvertraut. Seine große Bibliothek und die Gelehrsamkeit und Frömmigkeit seiner Mönche sind weit über Ostfriesland bekannt.«

»Die Axt ist schon an die Wurzel gelegt«, sagte Rimberti. »Graf Enno hat bereits gewisse Pläne. Und Bruder Konrad in der Schule Gottes ist nun alleiniger Erbe des Sanders’schen Handelshauses.«

Das Salz der Friesen

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