Читать книгу Der Himmel über Kopenhagen - Andreas Schütte - Страница 7
4
ОглавлениеDraußen hat es angefangen zu dämmern. Ich muss eingedöst sein. Meine Zunge klebt wie ein Stück Sandpapier am Gaumen. Die Wasserkaraffe steht auf dem Tisch. Mühsam erhebe ich mich vom Sofa und hole ein Glas aus dem Schrank (Trinken, Plonker, viel trinken, auch ein alter Kaktus braucht Wasser!). Ich öffne das Fenster, abgekühlte Abendluft weht mir ins Gesicht. Der Tatort im Fernsehen ist fast zu Ende, eine alte Folge, aber eine meiner liebsten: Haie vor Helgoland, mit Manfred Krug als Hauptkommissar Stöver. Bei den Nachrichten mache ich den Ton aus, schon seit Jahren, alles was sie dort erzählen ist Verdummung, nichts als Verdummung. Den Bildern entnehme ich, dass sie mal wieder über den Euro faseln, wie kann sich ein ganzes Volk nur so verdummen lassen, heute, zwanzig Jahre später, sind zehn Euro nicht mal mehr fünf Mark wert. Aber meine Rente haben die Gauner um die Hälfte gekürzt. Betrug.
Fliegen schwirren um meinen Kopf herum. Ich schlage mit der Hand nach ihnen, aber sie kommen immer wieder. Wahrscheinlich rieche ich schon nach Verwesung. Der Hunger treibt mich in die Küche. Noch mehr Fliegen. Heute Morgen waren es noch nicht so viele. Olga! Ich mache mir zwei Stücke Brot mit Butter und Wurst und gehe mit dem Teller zurück in die Stube. Es ist der Teller mit dem Sprung.
Die Fliegen werden frecher, landen auf meinem Wurstbrot. Ich decke den Teller mit einer Serviette ab und mache mich auf den Weg zur Besenkammer im Flur. Irgendwo dort drinnen muss eine Fliegenklatsche liegen. Nach langem Stöbern finde ich sie endlich hinter ein paar alten Fotoalben. Bewaffnet und voller Tatendrang betrete ich die Küche. In der nächsten Stunde steht die Zeit still. Ich habe die Tür zum Flur geschlossen, damit keine entkommt. Am Ende habe ich sie alle erwischt, mit Geduld und Hartnäckigkeit. Die Klatsche ist voller toter Fliegenkörper. Zufrieden gehe ich ins Wohnzimmer zurück, hole mein Abendbrot und setze mich in die fliegenfreie Zone. Wenn Olga sich morgen nicht meldet, werde ich selbst alles abwaschen. Ich brauche sie nicht. Ich brauche niemanden.
Wie sehr die Ermordung ein paar kleiner Lebewesen doch die Stimmung heben kann, denke ich kauend.
Es ist weit nach Mitternacht, als ich ins Badezimmer gehe. Ich lasse heißes Wasser in die Wanne laufen und beginne mich zu rasieren. Das tue ich meistens abends, denn meine Haut ist nach der Rasur oft sehr gereizt und kann sich so über Nacht beruhigen. Außerdem ist das Rasieren für mich anstrengend geworden, und es ist ein gutes Gefühl es hinter sich zu haben, bevor man schlafen geht. Nach dem heißen Bad dusche ich mich kurz kalt ab, das ist zwar unangenehm, regt aber den Kreislauf an und ist gut für das Nervensystem. Morgen habe ich einiges vor.