Читать книгу Heliosphere 2265 - Der komplette Fraktal-Zyklus - Andreas Suchanek - Страница 52

Forschungsstation CAVE, Kuiper-Gürtel, Sol-System, 24. Januar 2266, 17:00 Uhr

Оглавление

Admiral Juri Michalew beobachtete interessiert die Reaktion von Sjöberg. Über einen Kamera-Feed sah er seinem Erzfeind zum unzähligsten Mal dabei zu, wie dieser seine Frau, die noch immer in der Parlidenrüstung steckte, besuchte. Das Entsetzen war groß gewesen, als Juri die Wahrheit enthüllt hatte. Sjöberg hatte lange geschwiegen und dann verlangt, dass er zu seiner Frau gebracht wurde. Die übrigen Offiziere waren nicht weniger entsetzt gewesen.

In den vergangenen Tagen hatte es vier Treffen des Rates der Admiralität gegeben, bei denen die Präsidentin jedes Mal zugegen gewesen war. Kartess hatte außerdem mehrere Sondersitzungen ihres Kabinetts einberufen und konferierte dauernd mit dem Verteidigungs- und dem Innenminister. Nicht einmal Juris Informanten konnten ihm erzählen, was dort besprochen wurde.

Natürlich war das auch nicht notwendig. Es war klar, worauf die Sache hinauslief. Die Präsidentin hatte keine Wahl, musste einfach aktiv gegen die Parliden vorgehen. Wie sollte sie es der Öffentlichkeit verkaufen, dass sie nichts unternahm und ihre eigenen Bürger den verdammten Sternköpfen überließ?

Nur noch wenige Admiräle sprachen sich gegen einen Krieg aus. Sogar Sjöberg war überraschend still geworden, wenn es um dieses Thema ging. Das Argument, dass der Angriff auf Schiffe der Parliden schließlich die Leben von Menschen kosten würde, hatte Juri recht schnell ausgehebelt. Genau genommen waren die versklavten Offiziere Geiseln. Und eine Regierung durfte sich von Geiselnehmern nicht erpressen lassen. Eine andere Möglichkeit als den direkten Angriff gab es schlicht und einfach nicht. Die Zweifler waren endlich in der Minderheit.

Und dabei hatte Juri noch nicht einmal seine schärfste Waffe gezückt. Er warf einen Blick auf das mobile Pad, das vor ihm auf der Konsole lag. Er hatte den Bericht erneut gelesen, den Randall ihm über einen Mittelsmann beim Geheimdienst besorgt hatte. Darin wurde die ganze Wahrheit offenbar, die die Präsidentin noch immer unter Verschluss hielt.

In den vergangenen vier Jahren waren drei Kolonien in den Randgebieten der Solaren Union quasi entvölkert worden. Die Bewohner: spurlos verschwunden. Eine geheime Ermittlungseinheit versuchte die Sache aufzuklären, bisher vergeblich. Um die Angelegenheit offiziell zu erklären, hatte man den Erios-Virus zu Hilfe genommen. Dieser sich durch die Luft verbreitende Erreger war absolut tödlich und es gab bisher kein Gegenmittel. Erstmals auf der Kolonie Erios aufgetreten, hielt er nun als Ausrede her und erklärte offiziell das Verschwinden der Kolonisten.

Juri wusste es besser. Die Parliden waren dafür verantwortlich, es gab keine andere Erklärung. Dass die Regierung nicht längst gehandelt hatte, war ein Armutszeugnis. Doch jetzt, mit dem Wissen um die Versklavung und die psychische Folter von unzähligen Terranern, musste Kartess aktiv werden.

Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder Sjöberg zu, der gerade einen Monitor nahm und gegen die Wand warf. Juri schüttelte den Kopf. Beim ersten Besuch hatte der Admiral fast das gesamte Labor demoliert. Sein Feind verlor nicht oft die Fassung, doch in dieser Situation konnte Juri es nachvollziehen.

Er selbst hatte seine Großeltern im Parlidenkrieg verloren, seine Eltern im Kampf gegen den Eriin-Bund und seine Frau sowie seinen einzigen Sohn – Ironie des Schicksals – an das echte Erios-Virus. Der Inkompetenz der bisherigen Regierungen war es zu verdanken, dass noch keines der drei Probleme gelöst war.

Gerade brach Sjöberg schluchzend über dem Stasetank zusammen, in dem seine Frau lag. Juri schaltete ab, wollte dieses erbärmliche Schauspiel nicht länger mit ansehen müssen.

Zugegeben, allein der Gedanke, dass Offiziere der Space Navy – bei vollem Bewusstsein! – als Sklaven dienten, auf ihre eigenen Schiffe schossen und zu was auch immer noch missbraucht wurden, machte ihn krank. Gedanklich hatte er bereits die Flotte zusammengestellt, die dem Hauptsystem der Sternköpfe einen Besuch abstatten sollte. Die HYPERION konnte mit ihrem Interlink-Antrieb in das System fliegen und die Phasenstörer beseitigen, die Hauptflotte folgte und legte die Hauptwelt der Parliden in Schutt und Asche.

Er lächelte bei dem Gedanken.

*


Büro der Präsidentin, Paris

Ione Kartess hatte längst aufgehört, ihre ViKo-Drinks zu zählen. Seit mittlerweile achtundvierzig Stunden war sie auf den Beinen und traf sich abwechselnd mit Spezialisten des Geheimdienstes, dem Verteidigungsminister und Yoshio Zhang von der Admiralität der Space Navy. Dazwischen wurden immer wieder Sitzungen des Admiralitätsrates anberaumt, der die verschiedenen Szenarien einer militärischen Intervention durchspielte.

»Also gut, was können Sie mir berichten, Collin«, wandte sie sich an ihren Verteidigungsminister.

Collin O'Sullivan gehörte zur eher gemäßigten Fraktion des Kabinetts, und genau deshalb hatte sie ihn auf diesen Posten gesetzt. Der untersetzte Rotschopf, dessen Gesicht von Sommersprossen übersät war, dachte zuerst nach, bevor er handelte. Gleichzeitig behielt er die Space Navy eisern im Griff.

»Überraschenderweise ist bisher noch kein Gerücht nach außen gedrungen – und mit ‚außen‘ meine ich die Presse«, sagte O'Sullivan bedächtig. »Zhang hat seine Leute unter Kontrolle, die Mehrheit des Kabinetts ist ebenfalls noch ahnungslos und die Presseheinis haben noch nichts bemerkt.

Das gab uns die Möglichkeit, diverse Strategien auszuarbeiten. Ich habe alle Dokumente in Ihren persönlichen Speicher übertragen.«

»Geben Sie mir eine Zusammenfassung.«

»In einem Satz ausgedrückt: Wir können es mit der Parlidenflotte nicht aufnehmen. Der Geheimdienst hat unter Hochdruck die neuesten Schätzungen abgeliefert. Ich muss leider sagen, dass wir die Aliens bisher nicht ausreichend im Blickfeld hatten. Nachdem die Rentalianer uns jedoch ihre Daten aus dem Kartas-System geliefert haben, sind wohl ein paar Bürohengste erschrocken aufgewacht und haben sich mit ihren Kollegen bei den Rentalianern in Verbindung gesetzt.« O’Sullivan verzog abschätzig die Mundwinkel. »Unsere eigenen Bemühungen, eine solide Überwachung des Parlidenraums zu etablieren, waren bisher ja relativ erfolglos. Laut den ersten Schätzungen sind wir, was die Gesamtsumme der Schiffstonnage angeht, 1:2 unterlegen.«

Ione fuhr ein eisiger Schreck in den Magen. »So übel sieht es aus?!«

»Ich fürchte ja, Madame Präsident«, sagte O'Sullivan. »Selbst mit der Unterstützung der Rentalianer sitzen wir verdammt tief in der Scheiße. Eine Gesamtflotte hätte eine annähernd ausgeglichene Schlagkraft, jedoch nur, wenn wir den Eriin-Bund auf unsere Seite ziehen können.«

Ione schüttelte entschieden den Kopf. Dieses Szenario gefiel ihr gar nicht.

Nach dem ersten Parlidenkrieg hatten sich einige Welten von der Solaren Union abgespalten und ihre Unabhängigkeit erklärt. Daraufhin hatte der Präsident jener Zeit diese Kolonien von jedwedem Handel abgeschnitten – mit katastrophalen Folgen. Die reichen und stolzen Kolonien verwandelten sich innerhalb kürzester Zeit aufgrund einer zusammenbrechenden Wirtschaft und Staatsstreichen zu Hochburgen der Piraterie. Handelsfrachter wurden von Schiffen des Bundes aufgebracht, geplündert und keine Überlebenden zurückgelassen. Kinder wurden entführt und von ihnen aufgezogen, alle anderen umgebracht.

Nach einem Regierungswechsel in den Solaren Welten hatte die nachfolgende Präsidentin sofort reagiert. Sie schickte Diplomaten, sicherte Hilfen zu und löste das Embargo auf. Doch es war längst zu spät: Die entfremdeten Welten schlossen einen Handelspakt.

Die Navy hatte reagiert und eine Streitmacht entsandt. Doch nachdem die ersten Kolonien besiegt worden waren, hatten sich die übrigen Welten zu einem Verteidigungsbündnis zusammengeschlossen. Die Flotte der Solaren Welten war, zu dem Zeitpunkt noch vom Krieg gegen die Parliden geschwächt, der neuen Einheit unterlegen. Über die Jahrzehnte entwickelte sich dieses Bündnis zum Eriin-Bund.

»Ich werde keinen Pakt mit Piraten eingehen, die Handelsschiffe aufbringen und Offiziere der Solaren Union meucheln«, stellte Ione klar. »Es muss eine andere Möglichkeit geben.«

»Das hängt vom Zeitrahmen ab«, sagte O'Sullivan. »Wenn wir den Flottenetat um die Hälfte aufstocken … », er bedeutete dem Finanzminister, der bisher schweigend gelauscht hatte und nun entsetzt den Mund aufriss, sich noch zurückzuhalten, und fuhr fort: »… und die Rüstungsindustrie ausbauen, könnten wir die notwendigen Schiffe innerhalb von drei Jahren in Betrieb nehmen. Wir müssten weitere Schiffswerften bauen, den Nachwuchs schneller ausbilden und gleichzeitig unsere Systeme stärker bewaffnen. Besonders Kreuzer der Interlink-Klasse könnten das Rückgrat einer Invasionsflotte bilden.«

»Das mag ja schön und gut sein«, warf Trevor Holden aufgebracht ein. Der glatzköpfige Finanzminister stand augenscheinlich kurz davor, O'Sullivan an die Gurgel zu gehen. »Aber wir haben das Geld einfach nicht. Woher wollen Sie all die Unions-Dollar nehmen? Das geht nur durch Kürzungen in anderen Bereichen. Und wir sprechen hier von Kürzungen im Milliarden-Bereich. Soll ich die Subventionen für die Randsysteme streichen? Es von der Bildung abziehen? Oder der Rente? Was glauben Sie, geschieht dann? Außerdem würde die Presse es bemerken, wenn so viel Geld in den Verteidigungsetat fließt!«

»Immer mit der Ruhe«, sagte Ione. »Ein Problem nach dem anderen. Wir könnten also innerhalb von drei Jahren kriegsbereit sein?«

O'Sullivan nickte zögerlich. »Wenn wir den Etat aufstocken, ja. Mir wäre wohler, wenn wir vier Jahre veranschlagen, aber ich denke, drei könnten ausreichen.«

Sie nippte nachdenklich an ihrem ViKo. Innerhalb von drei Jahren konnte viel geschehen. Möglicherweise fanden die Wissenschaftler bis dahin eine Möglichkeit, diese Sklavenrüstungen von den Opfern zu lösen, was die Sache noch einmal vereinfachen würde.

»Was geschieht, wenn es zuvor zu einem Krieg kommt?«, fragte Svea Christensen, die Informationsministerin. Mit ihren langen blonden Haaren und dem Bambi-Blick wurde sie oft unterschätzt, obwohl sie ihr Ministerium fest im Griff hatte.

»Den ersten Parlidenkrieg konnten wir durch die Zerstörung ihrer zentralen K.I. für uns entscheiden«, sagte O'Sullivan. »Hätten wir diese Möglichkeit erneut, wäre die Sache, dank der HYPERION, schnell erledigt. Wir gehen jedoch davon aus, dass es mittlerweile entweder mehrere Backup-Systeme gibt oder die K.I. dezentral verteilt wurde. In diesem Fall stünde uns ein Kampf bevor, den wir innerhalb von ein bis zwei Jahren verlieren würden.«

Ione massierte sich ihre Schläfen, da sich die zunehmende Müdigkeit in einen stetig anwachsenden Kopfschmerz verwandelte.

»Einstweilen kann ich noch einen Deckel auf der Sache halten«, sagte Christensen. »Aber machen wir uns nichts vor: Das Ganze fliegt uns um die Ohren, sobald wir den Etat verändern. Die Opposition wird Antworten wollen und uns mit Freuden der Presse zum Fraß vorwerfen.«

»Wie sieht es in Ihrer Ecke aus, Michael?«, fragte Ione den Innenminister.

Der breitschultrige Mann Mitte vierzig, auf dessen Gesicht keine Falte zu sehen war, schüttelte den Kopf. »Bisher ist alles ruhig. Ein paar Republikaner kochen wie immer ihr Verschwörungssüppchen, aber ansonsten gibt es noch keine ernst zu nehmenden Probleme. Wie sich die Bekanntgabe dieser Sklavengeschichte auswirkt, lässt sich aber schwer sagen. Ich halte den Verfassungsschutz auf Trab, aber ein solcher Skandal wird sicher ein paar radikale Kräfte hervorrufen.«

Iones Gedanken richteten sich einem Fadenkreuz gleich auf Admiral Juri Michalew. »Behalten Sie unseren speziellen Freund im Auge, Michael. Wenn er auch nur mit einer Wimper zuckt, will ich das wissen.«

Der Admiral mochte die Situation durchaus für sich ausnutzen. Andererseits bekam er genau das, was er schon so lange wollte: einen Krieg – wenn auch mit ein wenig Verzögerung.

»Also gut.« Kartess blickte die Anwesenden der Reihe nach an. »Collin, Sie bekommen Ihren Verteidigungsetat aufgestockt und leiten alle Vorbereitungen für einen möglichen Krieg ein. Trevor, schichten Sie um, streichen Sie Ausgaben, von mir aus plündern Sie die Staatskasse bis auf den letzten Unions-Dollar, aber machen Sie es möglich, dass wir im Falle eines zweiten Parlidenkrieges nicht die Tontauben sind, die niedergeschossen werden. Svea, konstruieren Sie langsam und stetig einen Informationsfluss, der das Parlidenproblem aufbauscht – noch kein Wort von der Versklavung. Erwähnen Sie die Schlacht im Elnath-System. Nutzen Sie diesen Captain aus, dem wir einen Orden verliehen haben – wie hieß er noch?«

»Jayden Cross«, warf die Ministerin für Öffentliche Information ein.

»Genau! Er hat dort gekämpft und sein Name hat in der öffentlichen Meinung noch immer einiges an Gewicht. Machen Sie ihn zu einer Ikone, einem leuchtenden Vorbild. Wenn das Schiff wieder im System ist, zerren Sie ihn vor die Kameras. Und graben Sie ein paar Leute aus, die bei Tikara ihre Familien verloren haben. Ich will, dass die Menschen langsam, aber stetig einen Hass gegen die Parliden entwickeln. Michael, Sie behalten alle Bewegungen der rechten und linken Szene im Auge. Wenn da jemand einen Pulser zieht, will ich vorbereitet sein.«

Holdens Gesicht färbte sich rot, während er im Kopf vermutlich schon die Finanzen durchrechnete, Zahlen verschob und Ausgaben umschichtete. Er hatte wirklich die undankbarste Aufgabe. Kurz sah es so aus, als würde er noch einmal widersprechen wollen, doch er besann sich eines Besseren.

»Dann ist unsere Sitzung hiermit beendet.«

*

Heliosphere 2265 - Der komplette Fraktal-Zyklus

Подняться наверх