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Zur wissenschaftlichen Vorgehensweise in diesem Buch

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Hin und wieder höre ich den Vorwurf, meine Behauptungen seien wissenschaftlich nicht genug fundiert. Ich würde die Fakten, die meinen Hypothesen zugrunde liegen, nicht durch Studien überprüfen.

Nun, zum einen gibt es noch viel mehr Möglichkeiten, als unter Laborbedingungen wissenschaftlich zu forschen. So integriert beispielsweise die teilnehmende Beobachtung den Experimentator ins Geschehen, damit er nicht als beeinflussender Fremdkörper die Forschungsergebnisse verzerrt. Nach diesem Verfahren arbeitete beispielsweise die Schweizer Naturforscher-Familie Christophe und Hedwige Boesch, die mit ihren Kindern insgesamt zwölf Jahre lang wie Tarzan im Tai-Nationalpark an der Elfenbeinküste unter Schimpansen lebte, um das Sozialverhalten dieser Tiere zu studieren. Erst nach fünf Jahren verhielten sich die Affen so, als wären die anwesenden Menschen ihresgleichen, und ließen sich in ihrem natürlichen Verhalten erforschen. Dies wäre unter Laborbedingungen schlichtweg nicht möglich gewesen.

Zum anderen arbeite ich nolens volens erfolgsorientiert. Ich kann mir nicht den bequemen Luxus leisten, eine Beratung anzubieten, die mit Glück vielleicht etwas Linderung bringt und ansonsten sowieso von der Krankenkasse bezahlt wird. Nein, der Erfolg meiner Beratung wird am Erfolg meiner Kunden gemessen. Um diesen Erfolg auch zu erzielen, begleiten wir in unserem Institut unsere Kunden so lange, bis sie selbst ganz subjektiv das Gefühl haben, keine Hilfe mehr zu brauchen. Somit bekommen wir auch nach Jahren noch heraus, ob unser Coachingziel erreicht ist oder nicht.

Zudem bin ich von Haus aus Sozialwissenschaftler – und damit jemand, der nicht im weißen Kittel mit Spritze und Stoppuhr bewaffnet Ratten und Mäuse untersucht, sondern klinisch arbeitet, also direkt am menschlichen Geschehen empirische Feldforschung betreibt. „Empirisch“ bedeutet hier „erfahrungsgemäß“: Erkenntnisse werden hier aufgrund von Erfahrungen und nicht aufgrund von theoretischen Überlegungen gewonnen. Das impliziert aber, dass die Erfahrungen möglichst übertragbar sein sollten, um Allgemeingültigkeit zu gewährleisten. Dabei wäre es sehr fahrlässig, die Individualität des Menschen außer Acht zu lassen – nicht jeder Mensch reagiert in derselben Situation gleich. Doch wenn jeder Mensch meine Thesen an sich selbst überprüfen und beweisen kann, welchen Zweck sollten dann noch isolierte Laborbedingungen haben?

Die Forschung unter Laborbedingungen versucht per se störende Faktoren, wie etwa den Einfluss des Forschers, auszuschließen und den Forschungsgegenstand aufs Extremste zu reduzieren. Bei Doppelblindstudien zur Erforschung des Placebo-Effektes sehen wir beispielsweise, dass weder der Proband noch der Arzt wissen, ob das zu verabreichende Medikament nun Placebo oder Medikament ist. Dabei geht es doch genau darum zu vermeiden, dass die Überzeugung des Arztes sich auf den Heilerfolg des Patienten auswirken kann. Wenn ein Arzt nun nicht weiß, ob ein Medikament wirkt oder nicht, beeinträchtigt er damit die therapeutische Wirkung. Diese Art von Forschung hat somit derart wenig mit der vielschichtigen Realität zu tun, dass ich von einer direkten Übertragung ihrer Ergebnisse auf menschliche Alltagssituationen im Allgemeinen abrate.

Beispielsweise hat die Berliner Tierärztin Dr. G. K. Pirk zu beweisen versucht, dass Alkohol unabhängig von Sozialfaktoren zur Sucht verleite, und dabei allen Ernstes behauptet, man könne auch bei Ratten feststellen, dass sie so lange freiwillig Alkohol konsumieren, bis sie davon abhängig werden. Frau Dr. Pirk hat dabei den Tieren Alkohol in einer Flüssigkeit mit süßem Geschmack vorgesetzt. Die Ratten konsumierten also die Testflüssigkeit vermutlich nicht wegen des Alkohols, sondern wegen des hohen Zuckergehaltes. Hierzu sollte man wissen, dass jedes Säugetiergehirn derart positiv auf Glukose reagiert, dass es durchaus Toxine in Kauf nehmen kann, nur um an den begehrten „Süßstoff“ heranzukommen. Ob eine Ratte tatsächlich ohne menschliches Eingreifen puren, hochprozentigen Schnaps bis zur Abhängigkeit schlabbern würde, wage ich stark anzuzweifeln, sonst wären die Tiere mit Sicherheit zuhauf in den Tanks der großen Brennereien zu finden, so wie man in der Vergangenheit immer wieder Ratten fand, die sich Zugang zu unseren Silos und Kornkammern verschafften.

Meiner Forschung liegen jedenfalls keine Experimente mit Laborratten und Reagenzgläsern zugrunde, sondern die komplexe Realität des Alltags. Ein jeder Mensch kann die von mir aufgestellten Hypothesen an sich selbst überprüfen. Um hier streng naturwissenschaftlich zu bleiben, muss man allerdings einen wichtigen Schritt machen: Man muss die zugrunde liegenden Faktoren so lange auf Kausalitätsbeziehungen untersuchen, bis sich eine Gesetzmäßigkeit ableiten lässt – und die muss für alle Probanden gelten!

„Streng naturwissenschaftlich“ bedeutet in diesem Kontext:

Ein kausaler Zusammenhang von zwei Faktoren ist beweisbar. Ein Beweismuss unter vergleichbaren Bedingungen allzeit Gültigkeit haben und erlaubt die Annahme einer Gesetzmäßigkeit. Nur wenn ein Ereignis wirklich zwingend die Folge von etwas Vorhergehendem ist, kann es als „kausal“, also als „ursächlich zusammenhängend“ bezeichnet werden. Eine Gesetzmäßigkeit muss für vergleichbare Systeme ausnahmslos gelten – sonst ist sie kein Gesetz, sondern bestenfalls eine Regel, die Ausnahmen zulässt, und wäre damit nicht allgemeingültig.

Treten zwei Phänomene häufig zeitgleich auf, werden sie oft irrtümlich in einen falschen kausalen Zusammenhang gebracht. Vielleicht kennen Sie den alten Spruch: „Wenn das Käuzchen ruft, stirbt ein Angehöriger.“ Zu Zeiten seines Entstehens war das Zusammentreffen der beiden Ereignisse statistisch gesehen signifikant. Doch wenn die Aussage wirklich exakt zuträfe, bräuchte man folglich nur mit der Flinte alle Käuzchen vom Baum zu knallen, und schon bliebe die Familie vielleicht für immer gesund und munter. Doch ich bezweifle stark, dass solche Bemühungen von Erfolg gekrönt wären. Um zu ergründen, warum der Ruf des Käuzchens angeblich ein Mitglied der Familie dahinraffen kann, sollte man wissen, dass Käuze insektenfressende Nachtvögel sind. Man sollte auch wissen, dass Insekten von Licht angezogen werden. Und wenn vor wenigen hundert Jahren in einem Haus das Kerzenlicht bis in die tiefe Nacht brannte, lag das meist daran, dass jemand von einer schweren Krankheit betroffen war und gepflegt werden musste. Ergo: Die Insekten wurden angelockt, das Käuzchen folgte und stieß natürlich auch hin und wieder mal seinen Käuzchenruf aus. Da die medizinische Versorgung früher noch nicht annähernd so lebensverlängernd war wie heutzutage, kam es häufig vor, dass die nächtliche Pflege vergebens war und der Angehörige verstarb. Ob mit oder ohne Käuzchen war hierbei, wie soeben gezeigt, ziemlich einerlei.

Aberglaube ist eine falsche Schlussfolgerung aufgrund stetig wiederkehrender, parallel verlaufender Ereignisse, die aber in keinem Kausalzusammenhang miteinander stehen.

Viele medizinische Erklärungen basieren auf einer solchen falschen Schlussfolgerung und könnten durch bloße Reflexion wieder vom bisherigen (Irr-)Glauben entkoppelt werden, wie ich in meinem Buch „Der Psychocoach 2: Heilen ohne Medikamente“ versucht habe darzustellen. Die Lösung vieler Dinge ist oftmals einfacher, als man denkt.

Isaac Newton (1643 – 1727), auf den diese wissenschaftlich exakte Vorgehensweise zurückgeht, hat im Jahre 1682 das Gravitationsgesetz entdeckt und formuliert. Der Legende nach beobachtete Newton einen fallenden Apfel und geriet darüber ins Grübeln: „Warum fällt der Apfel zur Erde?“ Daraufhin stellte Newton die Theorie der Gravitation auf und begründete damit die Grundprinzipien der klassischen Mechanik. Wenn Newton jedoch nur ein einziges Mal beobachtet hätte, dass ein Apfel auch nach oben in den Himmel fällt, hätte er wahrscheinlich nicht länger von einer Gesetzmäßigkeit gesprochen. Er hätte auch nicht stattdessen von einer „Normvariante“, einer „Ausnahme“ oder einem „Paradoxon“ gesprochen, die das Nach-oben-Fallen irgendwie hinnimmt (wie es aber leider bei vielen beobachtbaren Symptomen in der heutigen Schulmedizin absolut üblich ist). Newton hätte schlicht und einfach so lange weitergeforscht, bis er auch die Ursache für den nach oben fallenden Apfel gefunden hätte.

Das Prinzip exakter wissenschaftlicher Beweisführung lässt nicht zu, dass etwas, das nicht kausal und widerspruchsfrei erklärbar ist, als bewiesene Gesetzmäßigkeit anerkannt wird. Schon eine einzige Ausnahme bei gleichen Ausgangsbedingungen verpflichtet den Naturforscher dazu, sein Gesetz allgemeiner zu formulieren oder aber anzuerkennen, dass es sich bei der beobachtbaren Erscheinung nicht um ein Naturphänomen (in diesem Falle: Sucht), sondern um ein Sozialphänomen (Handlungsmuster) handelt. Mediziner sind Naturwissenschaftler und deshalb sollten sie in ihrem Handeln auch genau dieser wissenschaftlichen Disziplin treu bleiben.

Nur was unter tatsächlichen Lebensbedingungen beobachtbar und wiederholbar ist, halte ich für geeignet, um daraus allgemeingültige Schlüsse zu ziehen. So lässt sich beobachten, dass es Menschen gibt, die nach einem einzigen aufklärenden und Erkenntnis vermittelnden Gespräch ihren bislang chronischen und pathologischen Alkoholkonsum auf ein optionales Maß herunterfahren – also nicht mehr trinken müssen, sondern trinken können, wenn sie dies ganz bewusst wollen, und das, ohne deshalb rückfällig zu werden.

Das heißt also:

Dass ein ehemaliger Alkoholiker durch neuerlichen Alkoholkonsum zwingend rückfällig wird, ist ganz einfach falsch! Dass er durch bloße Abstinenz nicht sein Verhaltensmuster verändert, ist richtig.

Was dies für die Praxis und die Betroffenen bedeutet, wollen wir nun klären. Denn es geht um nichts weniger als die Gesundheit und das Leben von mehreren Millionen Menschen jährlich, die mit der passenden Therapie von ihrem Leiden erlöst werden könnten.

Der Psychocoach 5: Der Geist aus der Flasche

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