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Vorwort

Na, der Winter traut sich was! Hat denn der überhaupt keine Angst, ein Buch über die Angst zu schreiben? Ist der besser als Kierkegaard oder Riemann? Oder rät und unterrichtet der nur frisch von der Leber weg, wie man der Herrschaft seiner Ängste entkommt? Wie immer kommt Winter gleich zur Sache, fackelt nicht lange herum, krempelt die Ärmel auf, als wolle er nur ja keine Zeit verlieren, und legt die Wurzel aller Ängste erst einmal frei. Er ist verdammt schnell, effizient, rational. Und damit liegt er richtig.

Es stimmt, dass in kritischen Momenten in uns allen immer noch der Steinzeitmensch im Kopf das Kommando übernimmt. Der Neandertaler in uns spürt in sich bis zum heutigen Tag, dass er im Grunde ein abhängiges Leben führen muss. Das war in den Vorzeiten meistens die Abhängigkeit vom Wetter, vom Wachsen der Pflanzen und vom Jagdglück. Und das ist es bis heute. Die Bedroher unseres Lebens haben zwar im Großen und Ganzen ihre Themen und Werkzeuge gewechselt, aber nicht ihre menschlichen Adressaten. Und zu Blitz und Donner, Dürre und Kartoffelkäferplagen kamen Krankheit, Feinde, Armut und immer wieder Isolation, Isolation und Isolation. Dies ist eine Katastrophe für den Homo sapiens mit seiner vermeintlich angeborenen Schwarmintelligenz. Die Rückkehr der Götter ist in vollem Gang. Es ist ein „Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit“, wie das frühe 19. Jahrhundert die tiefste unserer Empfindungen auf den Punkt brachte. Modern und mit Andreas Winter konstatieren wir Kontrollverlust als Grundübel unserer Existenz. Da hilft kein Nachtgebet mehr, weil es als Beschwörung des allabendlich eintretenden Kontrollverlusts vor dem Schlafengehen nicht mehr stattfindet. Das Wohl oder Wehe des Lebens liegt einfach nicht in unserer Hand. Und Abgeben geht nicht, weil in modernen Zeiten ja keiner mehr da ist. Wir sind abhängige Lebewesen und werden es bleiben. Das merkt man schon als Baby, schiebt es für ein paar erwachsene Jahre in den Hintergrund, um es als alter Mensch erneut bestätigt zu bekommen: Wir sind Nesthocker, Opfer des Gelbfiebers oder Spielzeug einer wütenden Gottheit, die seit dreitausend Jahren zürnt, weil er einen von uns in seinem Garten beim Äpfelklauen erwischt hat!

Aber statt sich nun den unzähligen theologischen und philosophischen Deutungsversuchen dieser Urangst anzuschließen, interessiert sich Winter nicht dafür. Diese lassen ihn kalt. Allerdings nicht jene, die ihn mit ihren Ängsten um Rat und Hilfe angehen. Die Ängstlichen haben eben nicht nur die Angst geerbt (Erbsünde), sondern gleich auch die antiken und bis heute tradierten therapeutischen Methoden, um damit fertig zu werden. Die Steinzeitmenschen aller Zeiten, für die das Leben im frühesten aller Frühkapitalismen schon nichts anderes war als ein Geben und Nehmen, nahmen an, dass mit Hagel, Blitz und Donner, Dürre und Unfällen, Krankheit und Tod das Nehmen und Geben anscheinend nicht mehr ausgeglichen war. Opfer mussten her, Investitionen in ein auszusöhnendes Götterverhältnis. Da türmten sich wahre Schätze um die Altäre aller Zeiten und Kulte. Und weil das Leben des eigenen Kindes das teuerste und wertvollste war, lag ganz oben auf den Altären oft eine Kinderleiche. Nicht nur bei den Mayas, auch im Juden- und Christentum. Überall opfern die Väter ihre Söhne. Solche Opfer sind die tragischen therapeutischen Verirrungen nahezu aller Kulturen und Zeiten. Wie viele Söhne und Töchter forderte der jeweilige Vater Staat bis zum heutigen Tag? Aber seien wir nicht hochmütig! Ein an Krebs erkrankter oder von seinen Traumata gejagter Mensch bietet seiner jeweiligen selbst gemachten Gottheit allerhand Opfergaben und Schnickschnack an. Was versprechen wir in ausweglosen Situationen nicht alles unseren unbekannten Göttern: Pilgerreisen, Tempel im eigenen Garten, das Rauchen aufzugeben und ein neuer Mensch zu werden und für den Papst in Rom eine riesige Spende. Der Pfennig dort im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt. Aber hilft das? Ist das ein therapeutischer Ansatz, der am Ende einen freien Menschen zu Gesicht bekommt? Die Gottheiten wenigstens, soweit ich sie studiert habe, lassen sich auch von solchem Geschachere nicht beeindrucken. Die Statistik ist eindeutig: Beten kann süchtig machen. Wenn überhaupt da drinnen und draußen eine Gottheit existiert, will sie wohl eher, dass wir unserem Schicksal (geschicktes „salus“, Heil) zustimmen und endlich schauen, was ist.

Wer aber nimmt uns bei der Hand und ist bei uns, wenn wir uns umschauen nach dem, was uns verfolgt in unsere Tage und Nächte? Wer ist treu und betreut und tröstet uns, wem vertrauen wir in solchen Momenten? Da sind wir ganz Steinzeit und Urmensch und haben ein urmenschliches Bedürfnis. Wir brauchen eine Hand! Wir brauchen einen zweiten Menschen. Wie immer, wenn wir in ein Loch fallen. Wer könnte das sein, wenn die Mutter tot ist und viele andere mit einer Medizin daherkommen, die nur den Göttern und Halbgöttern gefällt, die die Macht behalten wollen und uns knechten und beherrschen mit unseren Ängsten? Ganz einfach! Versuchen Sie es doch einmal mit dem vorliegenden Buch und dem, der es für Sie geschrieben hat. Versuchen Sie es doch einmal mit Andreas Winter! Er löst die tatsächlich erlebte Katastrophe in unserer Kindheit oder wo und wann auch immer von der allzu frühzeitig eintretenden Deutung und Interpretation auf. Winter stellt nur fest. Er konstatiert, die Angst war berechtigt. Aber ist sie es heute auch noch? Ist Angst vor dem Neuen berechtigt und hilfreich, um sich frühzeitig zu verteidigen? Oder aber – und das ist die eigentliche Entdeckung des Pädagogen Winter – sind wir Menschen vielleicht auch nur Hunde? Hunde, die wie der Pawlowsche Hund schon Speichelfluss oder eben wie in unserem Fall mit spontanem Urinfluss die Hose voll haben, kaum dass irgendwo eine Alarmglocke klingelt und unser Unterbewusstsein an die einstmalige berechtigte Angst erinnert? Wenn Angst konditioniert ist, wie vieles andere auch, ist ein Weg aus der Angst gefunden. Die Therapieplätze vieler Kliniken, die Angststörungen zu bewältigen versuchen, sind ausgebucht. Aber geht das auch ambulant? Einfacher, unkomplizierter, schneller? Ja, wie dieses Buch zeigt.

Jürgen Fliege im Juni 2016

Was deine Angst dir sagen will

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