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ERSTER KONTAKT

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Ich bin Abena. Tim hat mich ja schon vorgestellt. Ich bin eine der drei neuen YOUNG AGENTS. Und auch, wenn ich im letzten Fall der drei älteren YOUNG AGENTS schon ein bisschen mitgemischt habe, ist dies mein erster offizieller Fall, genauso wie für Tim und Balu.

Jetzt, einen Tag nach unserer Besprechung gestern, stehe ich am Nachmittag gemeinsam mit Billy vor der Tür der Flüchtlingsunterkunft, um unsere Hilfe »im Rahmen eines Schulprojekts« anzubieten.

Ein junger Mann mit dünnem Zauselbärtchen empfängt uns. Seine halblangen, braunen Haare hat er mit einem einfachen Gummiband zu einem mickrigen Zöpfchen zusammengebunden. Über seiner ausgewaschenen Jeans trägt er ein viel zu großes, schlabberiges T-Shirt in einer Farbe irgendwo zwischen Olivgrün und Graubraun.

»Hey!«, ruft er uns zu, obwohl wir direkt vor ihm stehen. »Das ist ja toll! Hilfe können wir immer brauchen. Ich bin der Basti. Und wer seid ihr?«

Er reicht uns beiden nacheinander seine Hand zur Begrüßung.

In nenne ihm meinen Namen.

Billy überlegt kurz. Er ist im Einsatz. Eigentlich müsste er seinen Agentennamen nennen: Liam. Andererseits spielt sich unser Einsatz quasi direkt vor unserer Haustür ab, in der Nähe unserer Schule, in der ihn alle nur unter seinem richtigen Namen kennen. Also entschließt er sich, genau wie ich, auch hier seinen echten Namen zu nennen. »Ich bin Billy.«

Ich hatte übrigens gar keine andere Wahl, denn einen Agentennamen habe ich noch gar nicht.

»Oh«, sagt Basti. »Billy! Das ist ja ein lustiger Name. Wie …«

»Ich weiß«, unterbricht Billy ihn leicht angesäuert. »Wie das Ikea-Regal. Das höre ich nicht zum ersten Mal.«

»Gibt es etwas zu tun?«, frage ich, bevor wir hier ins sinnlose Plaudern geraten. »Wir könnten ab sofort!«

»Hä?«, fragt Basti leicht verwirrt. Dann fällt es ihm ein. »Ach so. Logisch! Kommt mit!«

Der Wohnkomplex für die jugendlichen Flüchtlinge sieht aus wie ein gewöhnliches Mehrfamilien-Wohnhaus und ist eigentlich auch nichts anderes. Ein Wohngebäude mit insgesamt zehn Wohnungen für je maximal vier bis sechs Jugendliche.

»Zurzeit wohnen hier 38 Kinder und Jugendliche aus zwölf Ländern«, erläutert Basti, während er uns zu einem sogenannten Gemeinschaftsraum führt, der am Ende des Flures liegt, von dem auch das kleine Büro abgeht. In dem Raum stehen eine Tischtennisplatte, ein Kicker und mehrere große Tische, an denen gegessen, aber auch gebastelt, gelesen oder sonst etwas gemeinschaftlich unternommen wird.

Zwei Jungs spielen gerade Tischtennis. Ein dritter sitzt an einem der Tische und malt etwas. Der Kicker steht leer, was mich ziemlich überrascht. Auf unserem Schulhof steht auch einer, der ist immer besetzt.

»Und was sollen wir hier tun?«, frage ich, weil dieser Basti von sich aus nichts sagt.

Doch nun zeigt er auf die beiden Jungs an der Tischtennisplatte.

»Macht euch bekannt«, schlägt er vor.

Ich verstehe nicht so recht. »Und dann?«

»Nichts weiter«, antwortet Basti. »Die beiden sind die Besten in unserem Deutschkurs. Es wird ihnen sehr weiterhelfen, wenn sie die Sprache nicht nur über den Kurs lernen, sondern gleichaltrige Gesprächspartner haben, mit denen sie sich auf Deutsch unterhalten können.«

»Wir sollen also nur reden?«, fragt Billy nach.

Basti nickt. »Ganz genau. Das ist das Beste, wie ihr helfen könnt.«

Billy und ich schauen uns verwundert an. Mit allen möglichen Arbeiten haben wir gerechnet, aber damit gewiss nicht. Aber okay, wenn Basti es so vorschlägt …

Ich gehe freundlich auf einen der beiden Spieler zu. Vielleicht lassen sie uns ja mitspielen. »Hallo! Ich bin Abena. Können wir Doppel spielen?«

Die beiden Jungs unterbrechen ihr Spiel. Fragend sieht der Angesprochene mich an.

Ich halte seinem Blick stand, warte einen Augenblick, doch von ihm kommt nichts.

Normalerweise kann ich Menschen schon bei der ersten Begegnung innerhalb von wenigen Minuten recht gut einschätzen und liege selten falsch mit meinem ersten Eindruck. Doch jetzt fällt es mir schwer, seine Nicht-Reaktion zu deuten.

Ich versuche es mit einem Lächeln und wiederhole, dieses Mal allerdings deutlich langsamer, denn vielleicht hat er mich nur nicht verstanden: »Ich – bin – A-be-na.«

Ich tippe mir mit dem Finger gegen die eigene Brust. Das kommt mir zwar selbst ein bisschen blöd vor, aber wenn es der Verständigung dient … »Wollen – wir – ein – Doppel – spielen?«

Ich versuche, mit Gesten zu verdeutlichen, was ich mit Doppel meine.

Der Junge blickt zu seinem Kumpel auf der anderen Seite des Tisches und ruft hinüber: »Doppel?«

Mit einem seitlichen Kopfnicken zeigt er auf Billy und mich.

Der andere nickt ihm zu. »Okay. Wir gegen die.«

Ich werfe Billy einen vielsagenden Blick zu. Von wegen Deutsch lernen! Können die doch längst.

Ich sehe mich nach einem Tischtennisschläger um, doch der andere Junge hat schon zwei aus einer Kiste in der Ecke hervorgekramt und reicht sie mir. Ich reiche einen weiter an Billy und stelle mich das dritte Mal vor, um die Namen der Jungen zu erfahren: »Ich bin Abena. Das ist Billy. Und ihr?«

»Ben«, antwortet der erste Junge, zeigt auf den anderen und sagt: »Asante.«

»Schön«, sage ich und lächle.

Nun fragt Ben: »Ihr wollt helfen? Im Haus? Wobei?«

»Bei allem«, antwortet Billy.

Ich strecke fordernd meine Hand aus und sage: »Wir sind jünger. Wir haben Aufschlag. Gib den Ball!«

Diesen Asante schätze ich auf 15 oder 16, Ben vielleicht ein Jahr jünger.

Ich bekomme den Ball und mache den Aufschlag. Zum Glück kann ich einigermaßen gut Tischtennis spielen. Was ich von Billy nicht behaupten kann, nachdem ich seine ersten drei Schlagversuche gesehen habe. Dreimal hat er Löcher in die Luft geschlagen. Billy ist ja auch mein Mitschüler. Wir gehen in dieselbe Klasse. Aber noch nie ist mir aufgefallen, dass er im Tischtennis eine totale Niete ist. Ich wusste gar nicht, dass wir noch nie zusammen gespielt haben. Er tut mir fast ein bisschen leid. Aber ich versuche, es wieder wettzumachen.

Mein Aufschlag gelingt, wird aber von Asante gut pariert. Allerdings nicht besonders scharf und auch nicht sehr präzise.

Billy trifft! Yeah! Und spielt den Ball zurück. Aber selbst das wäre um ein Haar danebengegangen. Der Ball springt gegens Netz, bevor er rüber in die gegnerische Hälfte rollt und unmöglich erreicht werden kann.

»Eins zu null!«, rufe ich.

Billy schaut ganz stolz. Obwohl man sich für solche Bälle eigentlich entschuldigt.

Ich hole aus zum zweiten Aufschlag. Ein Ass, weil dieses Mal Ben danebenhaut.

Die können das auch nicht!

In dem Augenblick vibriert Billys Smartphone. Es ist sein »Diensthandy«, wenn man so will: Ein Smartphone des Geheimdienstes, das Billy stets gut versteckt in einer geheimen Tasche unter dem Gürtel im Hosenbund bei sich trägt. Ich weiß, dass er im Alltag, zum Beispiel in der Schule, ein altes, einfaches, gewöhnliches Handy benutzt, das er gut sichtbar in seiner Hosentasche trägt.

Billy muss sein Diensthandy nicht mehr aus seiner Geheimtasche ziehen. Mittlerweile ist seine neue, digitale Smartwatch mit dem Handy verbunden. Er kann die Nachrichten direkt auf dem Display ablesen, ohne dass jemand mitbekäme, von welchem Handy sie auf seine Smartwatch gesendet werden.

Billy zeigt mir kurz die Nachricht, die er gerade bekommen hat. Sie ist von Naomi. Und sie gefällt uns überhaupt nicht.

Gonzo lungert hier herum!

Ich seufze: Auch das noch! Gonzo!

»Hier«, das bedeutet, Gonzo steht draußen vor der Tür dieser Wohnunterkunft. Verflixt! Dann ist er uns gefolgt. Und wir haben das nicht mal bemerkt.

Ich muss zugeben, wir haben auch nicht darauf geachtet. Gonzo ist so ähnlich wie Zahnschmerzen. Immer wenn man denkt, man wäre ihn los, taucht er aus dem Nichts wieder auf und bleibt so lange, bis man das Übel an der Wurzel gepackt und ausgemerzt hat.

Schon am ersten Tag, als ich neu in Billys und Gonzos Klasse kam, hat Gonzo sich in mich verguckt. Das klingt im ersten Moment vielleicht schmeichelhaft für mich. Aber Gonzo ist überhaupt nicht mein Typ und entpuppte sich zudem sehr schnell als totale Nervensäge. Ich hab mich dann von Beginn an lieber an Billy gehalten, was sofort Gonzos Eifersucht hervorgerufen hat, die bis heute anhält. Mittlerweile ist er sogar dazu übergegangen, wahlweise Billy oder mir oder auch uns beiden gleichzeitig nachzuspionieren! Was schon lästig war, als noch nur Billy ein young agent war. Aber nun, da auch ich zu den jungen Agenten gehöre, ist es zu einem richtigen Problem geworden.

»Wo ist er?«, frage ich Billy.

»Vor der Tür«, antwortet Billy mir.

Während ich den nächsten Aufschlag mache, den Ben und Asante wieder nicht parieren können.

»Drei zu null!«, rufe ich. Denn wir wollen hier doch nicht vergessen, wer gerade das Spiel gewinnt!

Vielleicht auch, um davon abzulenken, fragt Ben uns: »Wer? Vor die Tür?«

Ich winke ab. »Ach, niemand!«

»Polizei?«, fragt Ben.

Billy und ich schauen uns an. Wie kommt Ben denn auf die Polizei?

Noch bevor ich nachhaken kann, fragt Asante: »Ami? Er hat auch gefragt euch?«

Erneute Verwunderung bei Billy und mir.

Billy sagt erst mal nichts dazu.

Ich schmettere den vierten Aufschlag direkt ins Netz, weil ich jetzt unkonzentriert bin. Sollten wir schon gleich bei der ersten Begegnung auf der richtigen Spur sein?

»Eins zu drei«, ruft Ben mir zu.

Ich frage nicht direkt nach Ami, sondern stell meine Frage offener: »Ach, er heißt Ami?«

Mein fünfter Aufschlag ist wieder ein Ass.

»Ja«, antwortet Asante, während Ben den Ball vom Boden aufhebt und sich für seinen ersten Aufschlag bereit macht. Asante wiederholt seine Frage: »Er hat auch gefragt euch?«

Man sagt mir nach, dass ich eine sehr gute Intuition habe und über eine ausgezeichnete Menschenkenntnis verfüge. Weshalb ich ja auch von Anfang an Gonzo abgelehnt und mich Billy zugewendet habe, wie Billy einmal scherzhaft bemerkt hat.

Jetzt jedenfalls meldet sich wieder mein Gefühl, dass wir bei Asante und Ben genau an die Richtigen geraten sind, über die wir an die Leute herankommen könnten, die wir suchen. Gut möglich, dass dieser Ami genau derjenige ist, der sich hier in der Flüchtlingsunterkunft seine neuen Diebe aussucht. Ich bleibe also mal dran.

»Na ja«, antworte ich vorsichtig. »Da ist uns wirklich einer begegnet. Aber dann hat er wohl gemerkt, dass wir hier nicht wohnen, sondern nur Helfer sind. Ich hätte gern gewusst, was er gewollt hat. Wisst ihr es zufällig?«

Ben und Asante schauen sich an und scheinen sich stumm zu fragen, ob sie Billy und mir vertrauen sollen. Ich spüre regelrecht ihre Zweifel. Deshalb winke ich schnell ab.

»Lasst nur. Müsst ihr nicht erzählen, wenn es zu privat ist.«

Wieder schauen die beiden sich an.

Nachdem er sich augenscheinlich das stumme Einverständnis von Asante eingeholt hat, sagt Ben: »Wir dürfen nicht Arbeit.«

»Verstehe«, sage ich.

»Kein Arbeit, kein Geld«, fügt Asante hinzu.

Ich nicke. »Das ist bitter.«

»Bitter?«, fragt Asante.

»Äh … schlecht«, übersetze ich.

»Kein Arbeit, schlecht«, bestätigt Ben.

Nun reiht auch Billy sich in das Gespräch ein. »Und Ami hat Arbeit für euch?«

Ben und Asante nicken.

»Sprecht ihr eigentlich Englisch?«, fragt Billy.

Beide schütteln die Köpfe.

»Ich Soomaaliya«, erklärt Asante.

Das ist das Somali-Wort für Asantes Heimatland Somalia.

»Ben Afghanistan.« Asante zeigt auf Ben.

Ich verstehe: Die beiden können sich untereinander nur in der für sie fremden Sprache Deutsch unterhalten. Denn die Sprachen Somali und Paschtunisch oder Persisch sind zu verschieden, als dass sich die beiden verstehen könnten. Vielleicht ist das der Grund, weshalb sie so eifrig Deutsch lernen und die Besten im Sprachkursus sind. Sie fühlen sich als Freunde und wollen sich unterhalten können!

»Okay«, biete ich an. »Wenn ihr Hilfe braucht wegen der deutschen Sprache, zum Beispiel, wenn ihr mit Ami redet …« Ich zeige auf Billy und mich. »Wir können helfen.«

»Danke!«, sagt Asante.

»Im Übrigen sprecht ihr echt gut!«, lobt Billy. »Und versteht auch schon alles, oder?«

»Gelernt«, sagt Asante stolz. »Hier in Kuuhhrsuuhhs.«

»Und Buch« ergänzt Ben. Er zieht ein sehr zerfleddertes Büchlein aus der hinteren Hosentasche.

Billy wirft einen Blick darauf.

»Handwörterbuch Deutsch-Persisch« steht darauf, soweit ich es erkennen kann.

»Sehr gut!« Billy reckt den Daumen nach oben.

Oh, Billy! Das war ein Fehler!

Prompt verzieht Ben böse die Miene und schimpft: »Hey!«

»Was ist?«, fragt Billy.

Er weiß es wirklich nicht. Ich springe ihm zur Seite: »In Afghanistan gilt die Geste ›Daumen hoch‹ als üble Beschimpfung. Vielleicht ein wenig so wie hier in Deutschland der gestreckte Mittelfinger.«

»Oh!« Billy läuft rot an.

»In Nigeria übrigens auch. Bei uns in Ghana ist das aber nicht so. Und in Somalia weiß ich es nicht«, erkläre ich weiter.

»Ist okay«, sagt Asante. »Wir wissen, wie gemeint ist in Dschörmany.«

»Ami gibt euch also Arbeit?«, komme ich aufs Thema zurück.

Asante zieht die Schultern hoch. »Ja. Ich hoffe. Gutes Geld, sagt er.«

»Cool!«, sage ich. »Was muss man tun?«

Wieder zieht Asante die Schultern hoch. »Egal!«

Ich kann das gut verstehen. Wenn man überhaupt kein Geld hat und rein gar nichts besitzt außer den Klamotten, die man am Leib trägt, ist einem die Arbeit egal, die einem angeboten wird. Hauptsache, man kann sich etwas Geld verdienen. Asante kann hier zwar wohnen, er bekommt Kleidung aus der Kleiderspendensammlung, er bekommt zu essen. Aber das war es auch schon. Für irgendetwas anderes haben die halb erwachsenen Jungs kaum Geld, bis auf ein geringes Taschengeld. Klar, dass sie nach jedem Strohhalm greifen, den ihnen jemand anbietet.

»Wann geht’s los?«, frag ich noch.

Aber auch das weiß Asante nicht. »Treffen heute um sechs.«

»Viel Glück!«, wünsche ich ihm. Denn ich habe alles erfahren, was wir im Moment wissen müssen. Dann widme ich mich wieder dem Tischtennisspiel. »Ihr habt Aufschlag!«

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