Читать книгу Young Agents - Andreas Schluter - Страница 10

ABGESCHIRMT

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Verdammt! Wie konnte ich das zulassen? Lediglich drei Männer sind es, die uns entführen. Zwei sitzen mit uns hinten, um uns zu bewachen, einer fährt den Van. Hätte ich besser aufgepasst, hätte ich es verhindern können. Ach, was sage ich: Ich hätte es verhindern müssen! Mit zwei Verbrechern wäre ich bestimmt noch fertig geworden. Zumindest hätte ich sie so sehr beschäftigen können, dass Shiona hätte abhauen können. Deshalb hat der Geheimdienst uns YOUNG AGENTS doch weiter auf Shiona angesetzt. Wir sollten genau das verhindern, was jetzt geschehen ist. Mist, verdammter!

Die Männer haben uns die Hände mit Kabelbindern auf den Rücken gebunden. Hätten sie es nicht auch bei Shiona so gemacht, ich hätte vermutet, sie wüssten, wer ich bin. Aber es ist wohl nur eine völlig überzogene Sicherheitsmaßnahme: zwei Kinder mit Kabelbindern zu fesseln, obwohl sie von zwei bewaffneten Profigangstern bewacht werden. Also wirklich! Ohne es zu wissen, haben die beiden Verbrecher aber genau das Richtige getan. Ich kann bei dem Gangster, der mir gegenübersitzt, die Pistole im Holster unter der Jacke gut erkennen. Wäre ich nicht gefesselt, wäre es ein schneller Griff gewesen, und ich hätte beide Entführer schnell unter meiner Kontrolle. So aber kann ich nur untätig rumsitzen und mich ärgern.

Shiona und ich sitzen auf der Rückbank in Fahrtrichtung nebeneinander. Vor uns, auf der gegenüberliegenden Sitzbank, die beiden Männer, ihre Blicke auf uns gerichtet. Ich schaue mir die beiden genau an und versuche, in ihrer Mimik zu lesen: Wissen oder ahnen die etwa, dass ich ein YOUNG AGENT bin? Unmöglich. Niemand weiß von uns.

Der Van fährt Richtung Innenstadt. Doch dann ist es plötzlich vorbei. Mehr kann ich nicht beobachten. Denn jetzt ziehen die Männer uns schwarze Säcke über die Köpfe, damit wir nicht mitbekommen, wohin sie uns fahren.

Verdammt!

Von außen wird uns niemand sehen, da die Scheiben dunkel getönt sind. Von Passanten können wir also keine Hilfe erwarten. Das Einzige, was mir bleibt, ist, genau hinzuhören. Uns die Ohren mit Watte zuzustopfen, auf die Idee sind sie zum Glück nicht gekommen. Vielleicht also kann ich verräterische Geräusche wahrnehmen: eine Kirchturmuhr, die schlägt, beispielsweise. Oder irgendeine öffentliche Durchsage. Möglicherweise an einem Bahnhof. Die Geräusche des Straßenverkehrs. Vielleicht kann ich heraushören, ob wir auf einer ein- oder mehrspurigen Straße fahren. Oder ist Schiffstuten zu hören?

Da ich direkt aus der Schule komme, habe ich meinen Agentenrucksack nicht dabei. Aber vielleicht ist es auch gut so. Den hätten sie mir bestimmt abgenommen und darin herumgeschnüffelt. Immerhin haben sie mein Agentensmartphone in meiner geheimen Tasche im Hosenbund noch nicht entdeckt, nur mein normales Schülerhandy. Das haben sie natürlich sofort einkassiert. Aber mit meinem Smartphone könnte ich den Weg, den wir fahren, leicht aufzeichnen. Wenn ich nur drankäme. Die Bedienung meines Handys kann ich aber im Moment vergessen. Deshalb mache ich es auf die alte Methode: Ich zähle die Minuten.

Als wir am Ziel sind und die hintere Schiebetür aufgeschoben wird, komme ich auf zwanzig Minuten Fahrtzeit. Aber in welche Richtung? Auf jeden Fall befinden wir uns noch innerhalb der Stadtgrenze.

Unmittelbar nachdem sie uns geschnappt und auf die hintere Sitzbank geworfen hatten, fing Shiona an zu weinen. Und hat bis jetzt nicht aufgehört. Zwischendurch schluchzte sie immer wieder mit zitternder Stimme: »Wer sind Sie?«, »Was wollen Sie?«, »Wir haben Ihnen doch nichts getan!«

Unsere Entführer haben natürlich kein Wort gesagt. Und ich auch nicht. Ich weiß, wie man auch aus scheinbar bedeutungslosem Geplapper Informationen herausziehen kann. Deshalb gibt es im Beisein von Entführern nur zwei Möglichkeiten: entweder überhaupt nichts sagen oder die Entführer in ein Gespräch verwickeln, in dem man nichts von sich preisgibt, aber gleichzeitig so viel wie möglich über sie erfährt. Letzteres habe ich nicht für nötig gehalten, weil ich sicher bin zu wissen, von wem wir entführt wurden: vom Boss. Denn er braucht Shiona als Pfand, damit ihr Vater nicht als Kronzeuge aussagt.

Obwohl Shionas Vater im Gefängnis sitzt, die Anklagepunkte gegen ihn mehr als eindeutig sind und er als Kronzeuge aussagen soll, scheint Shiona es aber immer noch nicht begriffen zu haben. Sie scheint nach wie vor fest davon überzeugt zu sein, dass ihr Vater mit der Unterwelt nichts zu tun hat. Sonst würde sie doch nicht solche Fragen stellen!

Für Shiona ist es ein großes Glück – von dem sie allerdings nichts ahnt –, dass sie in mir einen ausgebildeten Agenten als Beschützer an ihrer Seite hat.

Ich hoffe sehr, dass ich gleich einen unbeobachteten Moment erwische, um mit meinem Handy unsere Position zu orten und Naomi und Charles zu informieren. Noch aber stecken unsere Köpfe in den Kapuzen. Einer der Entführer gibt mir von hinten einen Stoß. Ich stolpere aus dem Van und weiter voran. Ich höre Shiona hinter mir kieksen, wahrscheinlich, als auch sie unsanft aus dem Auto gestoßen wird. Der Entführer packt mich nun von hinten grob an den Armen und dreht mich etwas, um meine Laufrichtung nach links zu korrigieren. Auf diese Weise geführt, bleiben wir nach wenigen Schritten wieder stehen.

Dann geht es drei Stufen hoch.

Eine Tür wird geöffnet. Wir betreten ein Haus, wie ich vermute. Denn nach Lager, Fabrik oder Ähnlichem klingt es nicht.

»Wer ist er?«, fragt als Nächstes eine tiefe Männerstimme.

Damit bin wohl ich gemeint.

»Er war dabei, wollte ihr helfen«, lautet die Antwort eines unserer Entführer.

»Idiot!«, bekommt er zu hören.

»Was hätte ich machen sollen? Ich kann doch nicht …«, will der Entführer sich verteidigen.

Doch seine Erläuterung wird abrupt abgeschnitten. »Halt die Schnauze!«

Unser Entführer verstummt augenblicklich.

Wir werden ein paar Schritte weiter voran geschoben. Dann links herum.

»Vorsicht, Treppe!«, lautet eine knappe Anweisung.

»Hoch oder runter?«, frage ich.

»Runter!«

»Ist es nicht leichter für alle, wenn Sie uns die Kapuzen abnehmen?«, versuche ich mein Glück, bekomme aber die gleiche Antwort wie unser Entführer zuvor: »Halt die Schnauze!«

Vorsichtig schiebe ich einen Fuß vor, um die erste Stufe zu ertasten.

»Einfach nur die Treppe runtergehen. Als ob ihr aufs Smartphone glotzt. Dabei guckt ihr doch auch nie, wohin ihr latscht«, behauptet die tiefe Stimme. »Also los!«

»Das ist ja wohl ein Unterschied«, widerspricht Shiona. »Also, wenn ich auf mein Smartphone …«

»Quassel nicht! Geh!«

»Tu ich ja! Aber ich will nicht die Treppe runterfallen – HEY!«, quiekt Shiona plötzlich auf. »Loslassen!«

Der Mann mit der tiefen Stimme scheint sich Shiona geschnappt zu haben und trägt sie einfach die Treppe hinunter.

Ich gehe hinterher. Mir macht das nichts aus. Ich könnte eine Treppe mit verbundenen Augen im Vollspeed runterrasen. Tu ich aber natürlich nicht. Im Gegenteil: Ich gehe betont langsam und extra wackelig. Die sollen nicht den Schimmer einer Idee bekommen, mit wem sie es hier wirklich zu tun haben.

Als wir unten ankommen, werde ich unsanft in einen Raum geschoben.

»Ihr könnt jetzt die Säcke abnehmen«, knurrt der Mann mit der tiefen Stimme, wartet dies aber nicht ab, sondern zieht sie uns selbst vom Kopf.

Ich sehe mich um.

Wir stehen in einer kleinen Zelle. Das wird mir auf den ersten Blick klar. Dies ist kein Zimmer, sondern eine Gefängniszelle. In einem Keller. Ohne Fenster. Mit kahlen, grauen Betonwänden. In der Mitte der Decke ist ein Lüftungsgitter eingebaut, daneben baumelt eine nackte Glühbirne am Kabel von der Decke. Die einzige Lichtquelle in diesem Raum. In einer Ecke entdecke ich eine Toilettenschüssel, nur halb verdeckt durch einen dünnen Paravent aus Bambus und Stoff. Daneben ein schlichtes, kleines Waschbecken an der Wand, auf dem ein Seifenspender steht, quer darüber liegt ein sauberes, zusammengefaltetes Handtuch. An der gegenüberliegenden Wand ist eine Pritsche aufgebaut mit einem frisch bezogenen Bett. Auch hier ist deutlich zu erkennen: alles ist für eine Person eingerichtet, für Shiona.

»Oh nein!«, jammert sie wie auf Kommando. »Es ist doch wohl nicht Ihr Ernst, dass wir hier …«

»Stell dich nicht so an, Prinzessin. Es ist nur für ein paar Tage«, sagt der eine Entführer, der uns hier hinuntergeführt hat. Die anderen Männer sind offenbar oben geblieben. Es scheint ihn nicht zu stören, dass wir ihn erkennen. Jedenfalls hat er sich nicht die Mühe gemacht, sich zu maskieren. Wichtig war wohl nur, dass wir den Weg hierher nicht sehen. Aber ihm können wir ruhig ins Gesicht blicken und uns sein Aussehen einprägen. Er weiß also, dass Shiona nicht zur Polizei gehen wird. Aber: Selbst wenn, Shiona könnte nichts beweisen. Trotzdem merke ich mir sein Erscheinungsbild, das sich fast nicht von dem unterscheidet, wie man sich klischeehaft einen Türsteher oder Leibwächter vorstellt. Ein Hüne von einem Mann, breitschultrig, kräftig, muskulös, mit einem Stiernacken und Stoppelhaarschnitt. Sein Blick eher dumpf als wach und intelligent. Sein Kinn sauber rasiert. Seine Augenbrauen mittelbraun, auch sonst eher ein heller Hauttyp. Keine sichtbaren Tattoos. Aber ein besonderes Merkmal: eine recht lange, schrägverlaufende Narbe über dem rechten Auge. Vermutlich das Andenken an eine Messerstecherei. Keine Ringe an den Fingern, aber eine goldene, protzig große Uhr am linken Handgelenk, daneben ein ebenfalls goldenes Gliederarmband. Das gesamte Kraftpaket steckt in einem schwarzen Anzug mit weißem Hemd und hellblauer Krawatte. Es ist die »Berufsuniform« aller Bediensteten des Bosses, ob Chauffeur oder Bodyguard.

Vor einiger Zeit war ich ja dem Boss sehr dicht auf den Fersen. Ich hatte mich in den Sommerferien als Schülerpraktikant in eine seiner Firmen geschmuggelt und war sogar an Geheimdokumente in seinem Safe herangekommen. Als ich dabei entdeckt wurde, konnte ich gerade noch rechtzeitig abhauen. Aus dieser Zeit weiß ich jedenfalls, dass immer, wenn der Boss persönlich in der Firma auftauchte, auch der jeweilige Chauffeur und sämtliche Bodyguards in genau derselben »Uniform« zu sehen waren.

Und noch etwas ist interessant: »Es ist nur für ein paar Tage«, hat der Bodyguard zu Shiona gesagt. Wie kommt er darauf? Der Prozess, in dem Shionas Vater aussagen soll, findet frühestens in zwei Monaten statt. Und das ist schon optimistisch gerechnet. Normalerweise dauern die Vorbereitungen für solche Gerichtsverhandlungen erheblich länger. Eigentlich müsste der Boss Shiona doch bis zum Abschluss des Prozesses gefangen halten, andernfalls würde er Gefahr laufen, dass ihr Vater doch noch aussagt.

Wieso also spricht der Bodyguard von nur wenigen Tagen?

Vielleicht ist es eine Lüge. Ich vermute aber, er sagt die Wahrheit. Für mehrere Monate würde der Boss Shiona doch nicht in solch einem kargen Verlies festhalten, eher luxuriös in einer seiner Villen im Ausland unterbringen, wo sie aber ebenso wenig weg könnte. Immerhin ist ihr Vater der engste Vertraute und Komplize des Bosses.

Shiona im vollen Luxus als »Gast« in sein Haus einzusperren, sie als Pfand und Druckmittel gegenüber ihrem Vater aber jederzeit zur Verfügung zu haben, wäre eigentlich der beste Plan, den der Boss haben könnte.

Vielleicht kommt das noch? Vielleicht ist der Ort hier nur eine Übergangslösung, die auf die Schnelle zur Verfügung stand. Shiona wird also möglicherweise in den nächsten Tagen woandershin transportiert.

Oder der Boss führt noch etwas anderes im Schilde.

»Was soll das heißen?«, beschwert sich Shiona weinend und mit zitternder Stimme, aber doch empört. »Sie können mich doch nicht in so ein Loch einsperren! Wenn Sie Lösegeld wollen: Mein Vater kann Ihnen zurzeit keines zahlen. Er sitzt im Gefängnis.«

Der Bodyguard lacht kurz und bitter auf.

»Nein?«, antwortet er sichtlich amüsiert. »Im Gefängnis? Na, sieh mal an, wer hätte das gedacht?«

Mit diesen Worten geht er aus dem Raum, schlägt die Stahltür von außen zu, und wir hören, wie der Schlüssel im Schloss zweimal umgedreht wird. In der Tür gibt es eine kleine Klappe auf Augenhöhe, die man nur von außen öffnen kann, um hineinzuschauen oder Essen hineinzureichen. Es ist eine klassische, alte Gefängnistür. Wo immer wir sind, der Boss hat sich eine private Gefängniszelle einbauen lassen. Und deshalb vermute ich auch, dass wir uns entweder beim Boss zu Hause oder in einer seiner Firmen befinden, wo im Keller dieses geheime Privatgefängnis liegt.

Shiona stürmt an die verschlossene Tür und bollert mit den Fäusten dagegen.

»Hey, kommen Sie zurück! Glauben Sie mir, mein Vater ist im Gefängnis.«

»Beruhige dich, er kommt gleich zurück«, sage ich zu Shiona.

Sie stoppt mit dem Hämmern an die Tür, dreht sich zu mir um und fragt: »Wie kommst du darauf?«

Ich zeige auf das Handtuch und das Bett.

»Alles ist für eine Person eingerichtet. Hast du oben nicht zugehört? Es war nicht geplant, mich auch zu entführen. Sie wollten nur dich«, erkläre ich ihr.

»WAS?«, jammert Shiona sofort wieder los. »Bloß weil mein Vater Geld hat und …«

»Auf jeden Fall wird gleich wieder jemand kommen. Dann wird entweder ein zweites Bett für mich aufgestellt, oder sie holen mich ab.«

»Holen dich ab?«, fragt Shiona verdattert dazwischen. »Wohin denn?«

»Entweder in eine andere Zelle, wenn es denn noch eine zweite geben sollte, oder sie lassen mich frei.«

»Dich freilassen?« Es klingt fast vorwurfsvoll. »Und mich nicht? Was wollen die von mir? Ich hab ihnen doch gesagt, dass mein Vater im Moment nicht an sein Geld herankommt.«

»Shiona, hör mir mal zu.« Ich versuche es im sanftesten und einfühlsamsten Ton, der mir möglich ist. »Ich weiß, du hältst deinen Vater für unschuldig.«

»Ja, natürlich!«

»Aber diese Leute offenbar nicht. Sie wollen nichts von dir. Sie wollen etwas von deinem Vater.«

»Sag ich doch«, bestätigt Shiona. »Sein Geld.«

»Nein«, widerspreche ich. »Sein Schweigen. Und du dienst dafür als Pfand.«

Shiona verstummt. Sie zieht die Augenbrauen zusammen, sieht mich finster und misstrauisch an, kommt einen Schritt näher und sagt: »Hä? Soll das heißen, du hältst meinen Vater für einen Verbrecher?«

»Ich nicht«, winde ich mich heraus. »Aber offenbar die, die dich entführt haben. Sie glauben, dass dein Vater etwas aussagen kann. Und dass er auch aussagen wird, wenn er dafür mildernde Umstände bekommt oder sogar freigelassen wird, um bei dir sein zu können. Und genau das wollen die verhindern. Verstehst du? Dein Vater soll schweigen, sonst tun sie dir etwas an.«

»Spinnst du?«, faucht Shiona mich an. »Hast du zu viele schlechte Krimis gesehen oder was? Mein Vater hat doch mit diesen Verbrechern nichts zu tun. Woher sollte er die kennen? Und was soll er bitte schön aussagen können? Das ist doch alles Quatsch! Die wollen Lösegeld, das ist alles.«

In dem Moment öffnet sich die Tür.

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