Читать книгу Es war doch nur Regen!? - Andy Neumann - Страница 6

Mittwoch, 14.07.2021

Оглавление

Die Welt ist in Ordnung, es regnet. Lange. Das nervt. Aber es ist doch nur Regen?

Ein wenig verärgert sitze ich in unserem Esszimmer und blicke sehnsüchtig auf die Terrasse, die ich mit meinem Bruder Marco über Ostern gebaut habe. 40 Quadratmeter Erholungsgebiet, nach drei Jahren, in denen wir uns mit Split beholfen hatten. Anthrazitfarben gestrichenes Holz, Entspannungsmöbel wie diese wunderbare Wippliege, die unsere Kinder bisher häufiger als Spielplatz verwendet haben als wir zum darauf Liegen, erste Vorhänge, die meine Frau mit ihrem untrüglichen Gespür für das richtige Detail angebracht hat; Urlaubsfeeling pur.

Eigentlich. Es regnet ja. Immer noch.

Irgendwann, es muss um die Abendessenszeit herum sein, ruft mich einer meiner Leute an, um mir zu sagen, dass das Amt, für das ich arbeite, gerade dabei ist abzusaufen. 17 Kilometer von uns entfernt, und es ist am Ende ja »nur« die Tiefgarage und ein Teil des Kellers. Ob ich reinkommen soll, frage ich. Mein Kollege, der alles im Griff hat, verneint. Er sagt mir, was bereits geschehen, wer informiert ist, wie es weiter geht. Was man eben so tut, wenn man in Krisenkommunikation ein Profi ist. Ich rufe an, wen ich anzurufen habe, entspanne mich und weiß: Ich muss nicht noch mal raus, arbeiten.

Also das übliche Prozedere: die Kinder mit bettfertig machen, vorlesen, sie ins Bett bringen, dann ist Suits-Zeit. Zu erwähnen ist allerdings, dass während dieser abendlichen Routine weder mein Telefon stillsteht noch das meiner Frau. Meines, weil ich noch die eine oder andere Meldung erhalte (Tenor: alles gut), ihres, weil sich Freundinnen und Bekannte melden, die nervös werden. Wegen des Regens. Wegen der Ortschaften, aus denen man Bilder und Videos sieht. Weinfässer, Baumstämme, Wohnwagen, die durch reißende Fluten strömen wie Papierbötchen.

»Entspann dich«, das sage ich sicher mehr als einmal an diesem Abend zu meiner Frau.

»Wenn ich nicht nervös bin, muss das keiner um uns rum sein«, vielleicht auch so etwas in der Art. Im Brustton der Überzeugung, mit einem Ausdruck, der keinen Widerspruch kennt, weil man weiß, man kann eigentlich nur verlieren. Die Art zu sprechen, die man bekommt, wenn man sich mit etwas wirklich auskennt. Und meine Profession ist es nun mal zu wissen, dass, wenn der Bevölkerung Gefahr droht, die notwendigen Hebel in Bewegung gesetzt werden, um die Bevölkerung zu warnen. Das weiß ich gut, und ich weiß es nicht nur, ich bin, wie man so schön sagt, »part of the game«, einer, der die Hebel selbst ein gutes Stück in Bewegung setzt. Wer würde so jemandem widersprechen, wenn er sagt: »Entspann dich!«? Meine Frau an diesem Abend jedenfalls nicht.

Als sie mit ihrer Freundin drei Häuser weiter telefoniert, die sich am späten Abend noch um Sandsäcke bemühen will, sage ich, dass wir in unserer Gegend alles, aber keine Sandsäcke brauchen. Wir haben schließlich keinen Keller.

»Die Sandsäcke lasst mal bitte für die, die an der Ahr wohnen, die können sie ganz sicher eher brauchen. Wir sind wie weit, 200 Meter weg? 300? Weit genug jedenfalls.« Wieder: Brustton der Überzeugung, Widerspruch zwecklos.

Gegen 20.15 Uhr, ich telefoniere gerade, bin aber nicht mehr sicher, mit wem, fährt die Feuerwehr am Haus vorbei. Was sie über Lautsprecher durchsagen, weiß ich nicht, aber meine Frau nimmt das Video auf, da sie es am nächsten Morgen unserem Sohn zeigen will.

»Der wird ausflippen, die Feuerwehr direkt an unserem Haus mit Durchsage, und er schläft schon!« Fröhliche Stimmung im Hause Neumann. 20.15 Uhr!

Die Durchsage, die in diesen Minuten erfolgt, habe ich dank des Videos im Wortlaut, auch wenn eingangs etwas fehlt. Sie lautet:

»… Ahr ist die Hochwassergefahr sehr hoch. Innerhalb der nächsten 24 Stunden ist mit Überflutungen, Stromausfall und Verkehrsbehinderungen zu rechnen. Halten Sie sich möglichst nicht in Kellern, Tiefgaragen und tieferliegendem Gelände auf. Sichern Sie flussnahe Gebäude und entfernen Sie Ihre Pkws aus dem Gefahrenbereich. Informieren Sie sich über die Medien und behalten Sie das Wetter und das Abflusssystem im Auge. Achten Sie unbedingt auf Ihre eigene Sicherheit und auf die Anweisungen der lokalen Einsatzkräfte.«

Ich muss es verdeutlichen, damit Sie, liebe Leser, das einsortieren können: Ich bin Bundesbeamter, tagaus, tagein mit Gefahrensituationen, Großschadenslagen und der Vorbereitung darauf beschäftigt. Was ich, auch heute noch, aus dieser Durchsage heraushöre, ist: »Hohe Hochwassergefahr. Eventuell Stromausfall. Nicht in den Keller gehen (den ich nicht habe). Flussnahe Gebäude sichern (das ich nicht habe). Pkw aus dem Gefahrenbereich entfernen (in dem ich offenbar nicht bin, siehe voriger Satz). Auf meine Sicherheit achten (tue ich immer), Anweisungen lokaler Einsatzkräfte beachten (die ja gerade an unserem Haus vorbeifahren).

Was ich – ebenfalls auch heute noch – nicht heraushören kann, ist: »Sie befinden sich in einer Gefahrenzone, es ist hier mit Überflutungen zu rechnen, die nicht nur Keller oder Tiefgaragen betreffen werden. Bringen Sie sich sofort in Sicherheit!« Aber wer weiß, vielleicht liegt das an mir.

Fest steht, ich bleibe entspannt. Wir haben vor gut drei Jahren gebaut, ein massives Haus, Stein auf Stein. Kein Keller, KfW 55 (das wird leider noch wichtig), ein Haus wie ein Berg. Hier kommt kein Wasser rein, Ende!

Die Kinder schlafen. Wir versuchen es noch mit der Serie, aber die Telefonate werden übermächtig, es hilft alles nichts. Die schöne Abendruhe ist dahin.

21.49 Uhr

Meine Frau schickt mir ein Video. Schwimmende Autos, Weinfässer. Gott, der arme Winzer, dem die gehören, denke ich nur. Was für eine Verschwendung, der beste Wein der Welt, schnöde davongetrieben. Der Mann, der das Video aufnahm, sagt plötzlich »Das ist ja der ganze Sermann! Sch…« Das Weingut kenne ich. Doppelt schade, denke ich. Unfassbar, dass die Ahr so hoch ansteigen kann.

Ich bleibe trotz alldem, Sie ahnen es: entspannt.

Ich kann beim besten Willen nicht mehr sagen, was in den beiden Stunden danach passiert, aber ich danke heute allen gütigen Mächten für zwei Dinge: dass wir nicht schlafen gingen und dass ich mich wenige Stunden zuvor nicht entschieden hatte, ins Büro zu fahren. Wie ich heute weiß, wäre es schwierig bis unmöglich geworden, wieder nach Hause zu kommen. Noch während ich das jetzt aufschreibe, steigen Tränen in meine Augen, mein Magen wird flau, und ich möchte zugleich vor Glück aufschreien.

Ich bin zu Hause.

Gott sei Dank.

23.58 Uhr

Das einzige Video, das ich in dieser Nacht fertige, zeigt Autos, die sich mühsam über unsere Straße voranschieben, keine Verkehrsregel mehr gelten lassen. Das Wasser ist da. Wie immer es das geschafft hat, es ist da. Die Nachbarn stehen auf der Straße, wirken nervös oder gelassen oder vielleicht beides, einige sitzen selbst in diesen Autos, aber für mich, für uns beide, ist sofort vollkommen klar: Auf keinen Fall wecken wir die Kinder, setzen sie jetzt in eines der Autos und versuchen wegzukommen. Lebensmüde waren wir noch nie, und dort draußen spielt man Russisches Roulette, wenn man sich ins Auto setzt.

Im Nachhinein fällt mir ein, dass unser Freund Marc, »der Winzer«, uns schon vor diesem Zeitpunkt am Telefon anbot, uns herauszuholen. Mit seinem Land Rover, wahlweise mit dem Unimog, wenn es nicht mehr ginge. Verbieten wir ihm. Wer seine eigenen Freunde in ein Risiko schickt, zu dem er selbst nicht bereit ist, hat einen an der Waffel. Er versucht es trotzdem, wie wir später erfahren. Ich liebe ihn, aber er hat, jedenfalls an diesem Abend, auch einen an der Waffel!

Ich weiß nicht mehr, ob der Strom zu dieser Zeit bereits abgeschaltet ist, aber falls nicht, dauert es ab hier nur noch Minuten.

Was folgt, ist der Kampf. Der Kampf gegen das Wasser, der Kampf gegen das Unvermeidliche, aber, was mich angeht, vor allem: der Kampf um die Gelassenheit. Den ich schmählich verliere. Doch der Reihe nach:

Ich gehe nach dem Video kurz nach draußen, um die Lage zu sondieren. Wasser links vom Haus, unterhalb der Fensterkante. Wasser rechts vom Haus, wenige Zentimeter. Okay, das sieht ganz gut aus. Wir haben keinen Keller, das wird schon halten. Denkt man so.

Ich gehe nach oben, teile meiner Frau den Stand mit, wir fällen die Entscheidung zu bleiben. Und warten. Viel zu kurz.

Bis das Wasser eindringt.

Erst auf der Südseite durch die bodentiefen Terrassentüren.

»Abdichten«, ruft es in mir, ich suche nach Handtüchern, Bettwäsche, was eben greifbar ist. Bitte meine Frau, mir mehr zu bringen, als es auch durch die Haustür kommt, also Nordseite. Drücke alles an Fenster und Tür, was geht. Versuche es dann nur noch an der Haustür. Spüre Druck auf der Tür. Mehr Druck. Zu viel Druck. »Wenn das Ding jetzt aufkracht, sitzt du hier falsch«-Druck. Ich habe verloren. Wir haben verloren.

»Den Kampf verlieren wir«, rufe ich, ob nun zu meiner Frau oder zu mir selbst, wer weiß das schon. Doch es ist offensichtlich. Das Haus wird nicht standhalten. Das Wasser wird kommen, sehr schnell.

In der Zeit, die folgt, lerne ich sehr viel darüber, warum man sich nie für vollkommen angstfrei halten sollte. Warum man nie denken sollte, man kriegt alles im Leben hin, weil das bisher auch der Fall war. Ich lerne, dass es Situationen gibt, in denen man, wenn man Pech hat, nichts, aber auch gar nichts im Kopf hat, was Sinn macht.

Was nehmen Sie mit, wenn Sie wissen, dass Sie Ihr Erdgeschoss verlassen müssen? Ihren Schlüsselbund? Ihr Portemonnaie? Ihren Dienstausweis? All diese Dinge? All diese Dinge, werden Sie sagen. Klar. Ist wie bei Jauch, wir bewegen uns etwa bei der 200 Euro-Frage. Dann kommt der Esel, der sein Portemonnaie liegen lässt. Der bin ich. Warum? Ich kann es nicht sagen. Aber es ist so, ich halte es offenbar nicht für wichtig.

Viel mehr Zeit bleibt dann auch nicht. Einmal im Haus, steigt das Wasser und steigt. Wir wissen, wir müssen ins Obergeschoss und wir werden dortbleiben müssen.

»Wasser«, die Idee stammt von meiner Frau. Also fix zwei Wasserkisten hochgeschleppt. »Irgendwas zu essen, Süßigkeiten für die Kinder«. Also Süßigkeiten mitgenommen (extrem weise, natürlich auch die Idee meiner Frau).

Die Bücher, zuckt es in mir. Vor dem Bücherregal stehend, denke ich: Na, so hoch wird’s wohl nicht steigen. Lege ein paar Leckerbissen auf das Regal, das höher ist als ich. Dann sehe ich die Fotoalben. Jahrelang liebevoll zusammengestellt von meiner Frau, Hochzeit, Kinder, alles. Ich tue, immerhin in diesem Moment, das einzig Sinnvolle: Ich nehme alle, die ich tragen kann, und bringe sie auf den Speicher.

Das Einzige, was ich danach noch holen kann, ist die Taschenlampe, die wir in der Küche immer griffbereit haben. Eine zweite, die meine Frau mir gab, ist bereits ins Wasser gefallen. Ehrlich, man hätte eine Cartoonfigur nach mir benennen können, wenn es irgendwie komisch gewesen wäre.

Dann sind wir oben. Und das Wasser steigt.

Ich kann zeitlich nichts einordnen, was sich zwischen 0 Uhr und etwa 2 Uhr abspielt, aber irgendwann steht meine Tochter in ihrer Zimmertür. Wie immer, wenn sie nachts wach wird, will sie zu uns ins Schlafzimmer. Sie reibt sich die Augen, wirkt ein wenig verwirrt.

Und Freunde, man muss es in aller Deutlichkeit sagen: Wenn es Männer gibt, die in einer solchen Situation nur im Ansatz so stark sind, wie Frauen es sind (jedenfalls meine), dann seid stolz auf euch. Ich bin es nicht.

Ich werde den Ton nie vergessen, in dem meine Frau unsere Tochter anspricht: sanft, liebevoll, beruhigend. Wie immer also.

Genau! Wie! Immer!

Ich schwitze, bin irgendwie fahrig geworden, mein Magen ist flau wie noch was, und ich denke nur: Sch… sie ist wach, hier stinkts nach Öl, alles Lärm, das wird sie fertig machen. Und meine Frau bringt es fertig, kurze Zeit später schon wieder aus dem Schlafzimmer zu kommen, in dem beide Kinder jetzt friedlich schlummern.

Sie müssen das nicht verstehen, aber wenn ich an diese Situation denke, muss ich schon wieder weinen. Was für eine unglaubliche Kraft, was für ein ungeheurer Segen.

Und so geht es dann weiter: Ich versuche, mich irgendwie am Riemen zu reißen, meine Gedanken zu ordnen, zu überlegen, was zu tun ist. Meine Frau wechselt vom Schlafzimmer in den Flur und versucht, einen dauerhustenden Sohn und eine Tochter am Schlafen zu halten und gleichzeitig ihrem Mann dabei zu helfen, die Situation zu ordnen. Und es gelingt. Beides.

Das Wasser steigt, man kann es an unseren Treppenstufen ablesen. Weißer Naturstein gegen braunes Brackwasser, keine schwere Aufgabe. Beim Anblick der Treppe auch die Sicht ins Erdgeschoss. Die Geräusche, der Gestank, die Bilder, alles zutiefst unwirklich, scheußlich, tief ins Mark hinein, sich festbeißend. Fenster krachen ein, irgendwas hämmert von draußen gegen die Südwand (Autos. Es waren, wie sich später herausstellt, insgesamt fünf), ein Mann schreit um Hilfe und wird das bis in den Morgen hinein tun. Möbel treiben durch die Bracke, Bücher, Kinderspielzeug, all die Bilder meiner Schwiegermutter, teils extra für mich gemalt. Eindrücke, die all meine Sinne so intensiv belegen, dass sie mich nie wieder ganz loslassen werden.

Es gelingt mir, den Verlust auch der zweiten Taschenlampe (Cartoonfigur, Sie erinnern sich? McSupertrottel!) immerhin dadurch zu kompensieren, dass ich die Taufkerzen meiner Kinder vom Speicher hole, die notfalls viele Nächte brennen würden. Völlig surreal, wenn man bedenkt, dass ich das Aufheben solcher Erinnerungsstücke eher belächelt habe.

Wir haben also Licht, trinkbares Wasser, etwas Nahrung, und, das Wichtigste: Wir haben uns! Wir sind zusammen, und, auch wenn es vielleicht so klingt, als sei ich ein totales Wrack, allein das hält mich soweit aufrecht, dass ich weitermache. Und niemals aufgehört hätte, alles zu tun, damit dieses »uns« so bleibt.

Dennoch, das Wasser steigt. Und jetzt bin ich nicht mehr nur nervös, ich weiß es auch. Ich frage mich, ob ich panisch bin, und verneine es vehement, auch wenn alle körperlichen Anzeichen eine andere Sprache sprechen. Aber Panik haben und der Panik verfallen, das sind zwei Paar Schuhe, und Letzteres habe ich so vermieden. Vorerst.

Bis mir nichts mehr einfällt, außer, die Feuerwehr anzurufen. Es sind noch fünf Stufen bis zum Obergeschoss. Das Wasser steigt.

An dieser Stelle sei mir der kurze Exkurs erlaubt: Es gab im Nachgang der Katastrophe Menschen in gehobener Position, die unter anderem mit der Behauptung antraten, die Kommunikation sei nicht mehr möglich gewesen. Das ist nicht nur vollkommener Blödsinn, sondern zeigt auch, dass manche Menschen offenbar noch denken, sie könnten alle um sich herum verschaukeln, wenn ihnen die Lüge schon aus dem Gesicht schreit.

Ich rufe also die Feuerwehr an. Ich schätze den Anruf auf etwa 1.30 bis 2 Uhr ein. Mir ist klar, ich werde schwer durchkommen. Mir ist klar, dort hat man extrem viel zu tun. Doch ich brauche Gewissheit, was die Lage angeht. Fünf Stufen noch und zwei kleine Kinder friedlich in ihren Betten. Müssen wir auf den Speicher, also die Kinder wecken, und dort ausharren? Wird es noch schlimmer werden? Oder haben wir den Zenit schon überschritten?

Ich komme durch.

Name. Adresse. Wesentliche Fakten: Erstens, ich bin Polizist, sprechen Sie ruhig Klartext. Zweitens, ich habe meine Frau und zwei Kinder hier, zwei und fünf Jahre alt. Das Wasser braucht noch fünf Stufen bis zum Obergeschoss, Dachgeschoss vorhanden. Ich brauche nur zwei Informationen: Wird das Wasser noch weiter steigen, und gibt es für den worst case überhaupt noch Evakuierungsmöglichkeiten?

Klartext ist ja schön, meistens. Aber ich hätte ihn mir in diesem Telefonat gern geschenkt. Ich fasse auch die Antwort kurz. Der Feuerwehrmann hat das übrigens hervorragend gemacht, ich wollte es ja so:

Den Prognosen nach soll das Wasser eher noch steigen. Wenn es nur noch drei Stufen sind, sollen wir ins Dachgeschoss. Wenn auch das nicht reicht, muss ich das Dach aufbekommen und raus. Evakuierung: Fehlanzeige. Mehr kann er mir an Hilfe zur Selbsthilfe leider nicht mitgeben.

Das sage ich anschließend meiner Frau.

Äußerlich, wie ich glaube, eher ruhig.

Innerlich bin ich fast zerbrochen.

Der Geist ist nicht immer, wie wir ihn uns wünschen, und so sehr wir auch meinen, ihn lenken zu können, am Ende macht er mit uns, was er will. So auch meiner.

Ich bin nicht mehr panisch. Ich habe Angst. Todesangst. Nicht einmal groß um mich selbst. Aber um meine Familie. Aufs Dach? Wirklich? So hoch? Und was dann? Keine Hubschrauber, keine Rettung, nur wir selbst. Ich könnte es versuchen, klar. Könnte schwimmen, mich am Walnussbaum festhalten, an was auch immer, da wird sich schon was bieten. Aber mit zwei Kindern im Arm? Oder auch nur einem, wissend, dass meine Frau es dann mit dem anderen allein versuchen muss?

Vielleicht dreht nicht jeder Mann durch bei diesem Gedankenbild, vielleicht bin ich viel weicher, als ich es mir eingestehen würde, vielleicht ist das, was nun folgt, vollkommen irrational. Mag alles sein. Aber es ist, wie es ist, ich habe, für eine, zwei, fünf Minuten Angst, dass wir sterben. Oder, schlimmer, dass meine Familie, auch nur einer von ihnen, stirbt. Und ich überlebe. Niemals wieder in meinem Leben möchte ich auch nur eine Sekunde lang ein solches Gefühl haben!

Doch es vergeht. Mehr noch: Ich beginne, wieder zu funktionieren.

Meine Frau tut das Ihre, sie wirkt nach wie vor weit gefasster, als ich es bin.

Ich gehe ins Treppenhaus.

Das Wasser kratzt an der vierten Stufe.

Ich sehe aus dem Fenster im Kinderzimmer unseres Sohnes.

Der Himmel ist doch klar?

Fenster auf. Das Tosen ist ohrenbetäubend. Dachte man vorher schon. Aber das hier ist anders. Das ist eine Flut. Ein reißender, alles verschlingender Strom. Und unser Haus mittendrin. Egal, Augen nach oben.

Ja, der Himmel ist klar!

Kein Regen mehr. Die ganzen Bachläufe die Ahr entlang mussten sich doch schon vor Stunden entladen haben? Theoretisch, aber nur theoretisch kann die Ahr dann doch nicht weiter steigen? Was man so denkt, wenn man überhaupt keine Ahnung davon hat, wie sich Wasser verhält.

Also weiter denken. Hoffnung aus irgendetwas ziehen. Hier stirbt niemand, damit das mal klar ist. Doch, genauso tickt es in mir. Und das ist gut so. Ich gewinne Kraft, und damit bekomme ich meine Sicherheit zurück. Mehr braucht es nicht. Und jetzt: Informationen. Informationen, verdammt, wo kriege ich Informationen her, auf die ich mich verlassen kann?

Heiko!

Einer meine besten Freunde, Patenonkel unseres Sohnes, und kraft Funktion jemand, der wirklich alles wissen würde, was es jetzt zu wissen gibt. Ich rufe ihn an. Es muss gegen 3 Uhr sein. Die erlösende Info: Der Deutsche Wetterdienst sagt, der Regen ist definitiv vorbei. Das Wasser kann, wenn, dann nur noch minimal steigen, sollte aber eigentlich schnell anfangen zu fallen.

Wohl dem, der die richtigen Freunde hat, denke ich mir. Nicht zum ersten Mal in meinem Leben, vor allem aber nicht zum letzten Mal seit dieser Nacht.

Ich gehe zu meiner Frau ins Schlafzimmer, teile ihr so leise wie möglich (Wie kann es sein, dass sie die Kinder am Schlafen hält? Das gibt’s doch gar nicht!) mit, dass wir ziemlich sicher aus dem Gröbsten raus sind, und lege mich ins Kinderzimmer, um jede Stunde den Pegelstand zu kontrollieren. Stelle mir den Wecker. Will schlafen. Will, dass meine Frau schläft. Wie dumm man sein kann, oder?

Ich spüre, ich bin durch. Wieder handlungsfähig, mit klarem Verstand und guter Dinge. Aber durch. Vollständig. Etwas arbeitet in mir. Muss raus. Ich nehme das Pad. Öffne meinen Facebook-Account. Den öffentlichen. Und schreibe.

Und damit beginnt es. Mein ganz persönliches Protokoll einer Katastrophe.

circa 4 Uhr

Liebe Facebook-Freunde,

unser Haus wurde heute Nacht, im absoluten Wortsinn, geflutet. Und ich, ein erwachsener Mann, Polizist, voller Selbstvertrauen, der sich nicht daran erinnern kann, seit seiner späten Jugend je etwas wie Angst gefühlt zu haben;

ich hatte eine Scheißangst!

Um meine Kinder, um meine Frau, und ja, sogar um mich selbst.

Da wir es nicht raus geschafft haben, saßen wir im ersten Obergeschoss unseres Hauses fest, sahen unsere Autos davonschwimmen, andere Autos gegen unser Haus krachen, hörten Terrassentüren aufbrechen, sahen das Klavier untergehen, die wunderbaren Gemälde meiner Schwiegermutter im Brei schwimmen, vieles, das uns lieb war, vielleicht für immer verlorengehen.

Und das Wasser stieg und stieg, bis es nur noch fünf Stufen waren, die es vom ersten Obergeschoss getrennt haben.

Meine unfassbar tapfere Frau hat mit mir gemeinsam alles, was noch zu retten war und irgendwie wichtig schien, ins Dachgeschoss getragen. Und dann konnte man nur noch warten.

Diese Ohnmacht, dieses »gar nichts tun können«, das ist, jedenfalls für jemanden wie mich, der sich immer damit brüstet, in jeder Lage eine Lösung und einen extrem kühlen Kopf zu haben, einfach nur entsetzlich.

Die Kinder haben, bis jetzt, zum Glück alles verschlafen, welche Gnade auch immer ihnen das vergönnt hat. Der Schock dürfte groß genug sein morgen früh. Ob sie ihre Welt dann noch verstehen werden, weiß ich nicht.

Der Schaden wird sicher immens, und uns geht es noch gut, denn wir sind unverletzt, wissen, wo wir unterkommen, und sind sehr gut versichert.

Vor uns liegen dennoch schwere Monate.

Hinter uns liegt eine Gefahr, die ich hier, in diesem Ausmaß, niemals für möglich gehalten hätte.

Und ob das nun eine direkte Auswirkung des Klimawandels ist oder nicht, ich will euch nur um eines bitten:

Lassen wir es nicht drauf ankommen!!

Darf gern geteilt werden.

Das wurde es. Immerhin bald 300mal, Stand heute. Zahlreiche Nachrichten waren die Folge, Anrufe, Voicemails, Freunde, Bekannte, alte Schulkameraden, auch Vertreter der Medien meldeten sich bereits am Morgen.

Ich hatte das einkalkuliert, denn ich wollte in dieser Nacht zwei Dinge: erstens sofort damit anfangen, mich selbst zu heilen, und das, was diese Nacht mit einem hätte machen können, so schnell es geht zu bekämpfen. Zweitens meine Botschaft loswerden. Eine Botschaft, die, wie hätte es anders sein können, in der Zeit nach dieser Nacht genauso schnell überall behandelt wie sie im üblichen Muster abgehandelt wurde. Die Botschaft besteht aus den beiden letzten Sätzen. Und auch wenn ich müde bin, denn ich weiß, die eine Seite bekehrt man mit nichts, die andere Seite versteht, aber tut nichts oder zu wenig – mir ist diese Botschaft wichtig.

Lassen wir es nicht drauf ankommen!

Tun Sie alle etwas, im Großen, im Kleinen, ganz egal. Aber tun Sie etwas. Nehmen Sie nicht nur hin. Vertrösten Sie sich nicht damit, dass es Sie nichts mehr angeht. Sondern tun Sie etwas. Reißen Sie das Pflaster ab und parken künftig auf Rasen, bauen Sie eine Fotovoltaikanlage, essen Sie gescheites Fleisch, das mehr kostet als Euro 3,50 im Kilopack, reuen Sie sich über Bienen und tun etwas für sie, begrünen Sie die Garage, mir egal. Aber es ist doch kein Argument, dass das alles rein gar nichts mit dem Klimawandel zu tun haben muss, dass wir als Deutschland ja sowieso nur zwei Prozent und überhaupt, sollen doch die Kinder den Mist ausbaden, die schwänzen schließlich so gerne. Sorry, Leute, so leicht ist es nicht.

Aber genug davon. Botschaften werden nicht zwingend besser, wenn man mehr Wörter auf sie verwendet. Meine Einstellung kennen Sie jetzt.

Es war doch nur Regen!?

Подняться наверх