Читать книгу Es war doch nur Regen!? - Andy Neumann - Страница 8

Freitag, 16.07.2021

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Der Freitag startet, nach viel zu wenig Schlaf, mit einem kurzen Frühstück, ein bisschen Zeit mit den Kindern und Absprachen zum weiteren Vorgehen.

Da ich es gestern vergessen habe, muss es heute sein, eh schon viel zu spät: Die Versicherungen anrufen.

Ich starte bei der Autoversicherung, deren Namen ich mir verkneifen werde, denn sie kommt nicht gut weg. Ich erhalte eine Schadensnummer, für beide Fahrzeuge, den Skoda meiner Frau und den alten Dacia, der auf mich gemeldet ist und seit gestern Morgen im Wortsinn tot überm Zaun hängt, dem des Nachbarn nämlich. Der Skoda ist weg. Wo auch immer, jedenfalls nicht in unserer Straße. Und die ist lang.

Beide Fahrzeuge haben eine Teilkasko, 150 Euro Selbstbeteiligung, das geht ja. Alles gute Nachrichten. Dann die, wie sich herausstellen wird, hanebüchen falsche, aber in diesem Moment positive Botschaft: Es kann bis zu einer Woche dauern, bis sich ein Regulierer meldet. Nun gut, bis dahin muss es irgendwie gehen. Ein neues Auto wäre trotzdem schön. Besser zwei.

Dann die Gebäudeversicherung (gleiches Spiel wie oben, keine Namen!). Und der Schock! Die Telefonate im Februar, als wir die brandneue Fotovoltaik versicherten und bei der Gelegenheit ein »Rundum-Sorglos- Paket« einforderten, waren wohl ein Stück weit für die Katz. Denn das damalige Angebot enthielt zwar im Wohngebäudebereich wirklich alles inklusive Glasbruchs. Doch in der Hausrat hatte man (wie gesagt, wir wollten »Rundum sorglos«) den Elementarbaustein geflissentlich ignoriert. Meine Freude ist in diesem Moment grenzenlos. Egal, denke ich, kümmere ich mich später drum, andere Sorgen jetzt.

Das Gespräch dauert an, ich bekomme die Schadensnummer, und dann die ernsthafte Aufforderung:

»Denken Sie daran, dass Sie den Hausrat einzeln fotografieren!«

(Lesen Sie das noch mal, bitte. Man muss das wirken lassen.)

Mal unabhängig davon, dass das Zeug dank der Sensationsleistung meiner Beraterin ja nicht mal versichert ist. Aber von 30 Zentimeter Schlamm bedeckte Gegenstände einzeln sortieren?

»Notfalls legen Sie alles in eine Reihe und fotografieren mehrere Dinge auf einmal.«

Wir sind am Limit, will ich schreien. Haben Sie eine Ahnung, wie es hier aussieht? Haben Sie noch alle Latten am Zaun? Hat man Ihnen ins …

Ich reiße mich zusammen, natürlich. Weise freundlich auf den Zustand von Haus und Innenleben hin und frage sie, wie ich das ihrer Meinung nach anstellen solle. Wir einigen uns darauf, dass ich alle großen Gegenstände fotografiere und ansonsten sehe, was geht.

Wichtiger ist: Ich darf und soll auch ausräumen und alles tun, was den Schaden minimiert. Was das genau ist, weiß man in diesem Moment natürlich nicht, man ist ja kein Bausachverständiger. Aber zum Glück kenne ich genug Leute, die so was wissen. Erst mal gilt auf jeden Fall: weiter ausräumen, bis die Bude leer ist, und alles abwaschen. Kein bisschen von der Brühe soll im Haus bleiben. Parallel, darum bitte ich meine Frau inbrünstig, so schnell es geht dafür sorgen, dass wir nicht nur an Bautrockner kommen, sondern auch an eine Firma, die professionell Wasserschäden beseitigt. Alles andere wird machbar oder wurde sogar schon gestern beauftragt, aber Trocknungsprofis zu kriegen, das wird sportlich. Ob ich darüber nachdenke, auf den Regulierer der Versicherung zu warten, bevor ich Aufträge verteile?

Nein. Ich bin doch nicht irre!

Ich telefoniere mit unserer Onlinebank, bei der ich die Karten sperren und neue bestellen möchte. Auch hier ein Spoiler: Geht nicht zu Onlinebanken. Wirklich, lasst es! Es ist die Lebenszeit nicht wert, die solche Lagen dann kosten.

Ich rufe einen Mann an, der mir Container bringen soll. Pustekuchen, Vitamin B zum Trotz.

Ich rufe Firmen an, Freunde, diesen und jenen, der mir irgendetwas angeboten hat, was hilfreich sein könnte. Ich versuche, alles zu sortieren, einen klaren Kopf zu behalten, all dem auch irgendwie gerecht zu werden. Bis ich nicht mehr kann, denn es gibt noch genug zu tun.

Also ziehen wir los, auch heute vier Mann hoch: Alex, Marc, Speedy und ich. Wir schuften, wir schaufeln, die Schubkarren voller Schlamm bleiben ungezählt, das Gebiet vor dem Haus bis zur Straßenkante gleicht den schlimmsten Gegenden, die ich damals auf meiner Indienrundreise gesehen habe.

Wir werden nicht müde, es ist immer noch alles zu voll, den Flur schaffen wir, und komm, jetzt haben wir schon angefangen, das Wohnzimmer geht auch noch. Wie, die Küche erst morgen? Nix! Also auch noch die Küche. Und überall die Bücher. Ich liebe Bücher, ich lese sie auch gern, wir haben – korrigiere, hatten – vermutlich so zwischen 200 und 300 davon im Wohnzimmer. Ich finde mein eigenes Buch, die für meine Frau signierte Version aus dem allerersten Paket, das ich damals vom Verlag geschickt bekam. Freue mich, kurz. Aber das Problem mit den Büchern ist: Lassen Sie mal Krieg und Frieden oder ähnliche Schinken eine Stunde im Wasser liegen und versuchen Sie, das Ergebnis mit einer Schaufel abzufischen. Addieren Sie totale Erschöpfung, multiplizieren Sie mit dem Schlammfaktor, dann wissen Sie, warum ich jetzt beinahe einen Hass auf die Dinger entwickle.

Doch wir haben Spaß, trotz allem! Wir erfinden das »Porsche-Selfie«, denn auch wenn es mir um den seltenen Porsche meines Nachbarn leidtut, der ebenfalls »tot überm Zaun hängt«, er bietet die perfekte Kulisse, um sich schmutzverkrustet abzulichten und eine legendäre Erinnerung mitzunehmen.


Wir lachen über die Ansage der Versicherung, überbieten uns beim Versuch, das beste Hausrat-Einzelfoto anzubieten. Wir feiern immer noch den gestrigen Tag und das naive »Nur kurz Handtasche und Portemonnaie suchen, dann raus«. Wir tun das einzig Richtige, glaube ich. Wir lassen uns nicht unterkriegen.

Und dann, irgendwann, schaue ich mich um, sehe den leeren Flur, das leere Wohnzimmer, die leere Küche und denke mir: Wahnsinn! Der Winzer kommt mit dem Unimog, 1.000 Liter-Tank drauf, wir spritzen abwechselnd die Wände frei, weil’s einfach Spaß macht, und verlassen, fröhlich feixend, weil der Winzer ausgerechnet mit einem weißen Hemd aufgetaucht war, das Haus. Ein Hemd. Weiß! Was haben wir gelacht.

Natürlich ist es spät, als wir ins Weingut zurückkommen. Meine Schwiegereltern sind da, auch meine Schwägerin und ihre Tochter. Ich sehe meine Frau ganz kurz, die Kinder sind unruhig im Bett. Wir trinken alle ein Gläschen Wein, Freunde, Familie, wen man sich nur wünschen kann, wenn man sprichwörtlich knietief in der Sch… steckt. Ich habe gefühlt 4.000 Fotos gemacht, um so nah es geht an »alles einzeln« heranzukommen, ich nehme die zahlreichen Hilfsangebote zur Kenntnis, die weiter und weiter auf mich einprasseln, und halte mich für einen unglaublich glücklichen Mann.

Das Haus ist zwar noch nicht leer, aber Vorratsraum, Gästezimmer und Treppenbereich klingen nicht mehr allzu bedrohlich.

An einem Abend wie diesem, umgeben von Menschen wie diesen, muss einem die Zeit für lange Texte fehlen. Ich poste dennoch. Ein Bild des leeren und sauberen Wohnzimmers, die Fliesen schimmern feucht. Der Text ist kurz, aber er ist wichtig.

Kein Geld der Welt könnte die Menschen bezahlen, die ich »Freunde« nennen darf.

Ich liebe euch, Männer! [Herz]

Dem ist nichts hinzuzufügen.

Es war doch nur Regen!?

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