Читать книгу Einfach unwiderstehlich - Andy Stanley - Страница 16
ОглавлениеKAPITEL 7:
EINE GANZ NEUE
VEREINBARUNG
Für fromme Juden des ersten Jahrhunderts war vieles von dem, was Jesus lehrte, skandalös, blasphemisch oder im freundlichsten Fall: Er wusste es halt nicht besser. Bei etlichen Gelegenheiten hoben religiöse Führer Steine auf, um ihn zu steinigen.1 Leute, mit denen er aufgewachsen war, versuchten, ihn von einer Klippe zu stoßen. Nach einer Predigt, in der er vom Essen seines Fleisches und vom Trinken seines Blutes sprach, verließen ihn einige seiner leidenschaftlichsten Anhänger. Aus religiöser Sicht des ersten Jahrhunderts war Jesus also kein Status-quo-Typ. Aber die Menschen aus dem einfachen Volk? Sie liebten ihn.
Seine vertrautesten Jünger waren davon überzeugt, dass er sich am Ende mit den maßgeblichen Anführern der jüdischen Gemeinde vertragen würde und dass sie gemeinsam die Römer aus dem Land treiben und ein neues Zeitalter des tempelzentrierten Judentums einleiten würden. Bis zum Schluss waren sie davon überzeugt, dass Jesus gekommen war, um etwas Altes zu erweitern, anstatt etwas Neues einzuführen. Das mag vielleicht erklären, warum das Anstößigste, was Jesus gesagt hat, keine Welle erzeugt hat.
WEIHNACHTSÜBERRASCHUNG
Um diese anstößigste Aussage aller Zeiten ins rechte Licht zu rücken, stellen Sie sich vor, wie Ihr Pastor im nächsten Dezember am ersten Sonntag im Monat Folgendes ankündigt:
„Ich möchte mir eine Minute Zeit nehmen, um eine dauerhafte Änderung in der Art und Weise anzukündigen, wie unsere Gemeinde Weihnachten feiern wird. Ab diesem Jahr feiern wir nicht die Geburt Jesu, sondern wir feiern stattdessen meinen Geburtstag.“
Sobald Ihnen klar würde, dass er (oder sie) das ernst gemeint hat, würden Sie, wie ich vermute, während der Kollekte hinausschlüpfen und nie mehr wiederkommen. Es sei denn, Sie sind ein Diakon oder Ältester in dieser Gemeinde. In diesem Fall würden Sie eine Notsitzung des Leitungsgremiums einberufen, gefolgt von einem Anruf bei einem Psychiater vor Ort.
Können Sie sich etwas Absurderes vorstellen?
Nein?
Ich schon.
Etwas, das Jesus gesagt hat. Jeder hätte da aufstehen und sich verabschieden müssen. Aber sie wollten bis zum Ende durchhalten. Also ging niemand weg.
Na ja, tatsächlich ist einer gegangen. Der, nach dessen Namen wir unsere Söhne nicht nennen.
Folgendes ist geschehen.
PASSAH
Am Vorabend seiner Kreuzigung, die niemand in dem Raum kommen sah, traf sich Jesus mit den Zwölf zum Passahmahl. Das Passahfest war eines der wichtigsten Feste für die Juden im Altertum, wenn nicht sogar das wichtigste Fest. Das Passahfest war das jährliche Gedenken und die Feier der Befreiung der Nation aus Ägypten. Zweifellos hatten die Juden des ersten Jahrhunderts gemischte Gefühle, wenn sie ihre Befreiung aus Ägypten feierten, während sie von Rom besetzt waren. Für viele war es eine jährliche Erinnerung daran, was Gott tun könnte, wenn er nur wollte … und zwar einen weiteren Josua zu schicken, um die Eindringlinge zu vertreiben. Die Leute, die sich an diesem Abend bei Jesus zusammengefunden hatten, hofften, dass er tatsächlich Josua 2.0 war.
Während dieses heiligsten Anlasses machte Jesus seine bis heute vielleicht seltsamste und anstößigste Verlautbarung. Sie haben sie schon Dutzende Male gelesen oder gehört, und ich schätze, dass sie bei Ihnen nur wenige bis gar keine Emotionen hervorgerufen hat.
„Und als die Stunde gekommen war, legte er sich zu Tisch und die Apostel mit ihm. Und er sprach zu ihnen: Mit Sehnsucht habe ich mich gesehnt, dieses Passahmahl mit euch zu essen, ehe ich leide.“2
Dass Jesus seine Leiden erwähnte, mag der Grund dafür sein, dass die Jungs nicht beleidigt auf das reagierten, was als Nächstes kam. Denn wenn Jesus leiden würde, waren die Chancen hoch, dass auch sie leiden müssten. Auf Leiden freut sich niemand.
„Und er nahm einen Kelch, dankte und sprach: Nehmt diesen und teilt ihn unter euch! Denn ich sage euch, dass ich von nun an nicht mehr von dem Gewächs des Weinstocks trinken werde, bis das Reich Gottes kommt.“ (Lukas 22,17)
An genau dieser Stelle könnten sie gedacht haben: Irgendwie beziehst du das alles auf dich. Vielleicht sollten wir uns einen Moment Zeit nehmen, um uns daran zu erinnern, woran wir uns hier erinnern sollen. An Mose. An Ägypten. Lass mein Volk ziehen.
„Und er nahm Brot, dankte, brach und gab es ihnen und sprach: …“
Jetzt kommt’s.
„… Dies ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Dies tut zu meinem Gedächtnis!“ (Lukas 22,19)
Und da müssen sie gedacht haben: Wie bitte? Du willst, dass wir das Passahfest zu deinem Gedächtnis feiern? Das ist ja noch schlimmer, als zu beanspruchen, größer als der Tempel zu sein!
Jesus hat eine Mahlfeier umgestaltet und neu interpretiert, die auf den vielleicht wichtigsten Moment in der Geschichte Israels zurückweist. Versetzen Sie sich in die Lage der Jünger und stellen Sie sich vor, wie lächerlich, ja wie lästerlich das geklungen haben mag. Wir machen uns nicht lustig über Weihnachten oder Ostern, aber Jesus hatte kein Problem, die höchste aller Gedenkfeiern an den Rand zu stellen.
Es sei denn.
Es sei denn, etwas Größeres als die Befreiung Israels aus Ägypten würde sich bald ereignen. Aber was könnte größer sein als das? Vielleicht würde er es später erklären. Außerdem war es Zeit für den Hauptgang. Also ließen sie sich auf das Tischgespräch ein, während sie über Jesu seltsame und verschwörerische Verlautbarung nachdachten.
Aber gerade in dem Moment, als sie dachten, dass alles wieder normal wird, tat er es erneut.
„Ebenso nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sagte: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird.“3
„Der neue Bund.“
Sagte er wirklich „der neue Bund“? Wie der, den Jeremia sechshundert Jahre zuvor vorhergesagt hatte? Wenn das der Fall war, dann war das hier wirklich etwas Großes. Vielleicht nicht so episch wie der Exodus des Volkes aus Ägypten, aber dennoch groß. Der alttestamentliche Prophet Jeremia hatte davor gewarnt, dass der Bund zwischen Gott und dem Volk Israel eines Tages erfüllt und ersetzt würde.
„Siehe, Tage kommen, spricht der HERR, da schließe ich mit dem Haus Israel und mit dem Haus Juda einen neuen Bund: nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe an dem Tag, als ich sie bei der Hand fasste, um sie aus dem Land Ägypten herauszuführen …“4
Dieser neue, den alten ersetzende Bund würde sich in mehrfacher Hinsicht von dem ursprünglichen Bund unterscheiden. Jeremia zufolge wäre der neue Bund ein Bund des Gewissens.
„Ich werde mein Gesetz in ihr Inneres legen und werde es auf ihr Herz schreiben. Und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein.“ (Jeremia 31,33b)
Die Einführung dieses neuen Bundes würde die Notwendigkeit zeremonieller Tieropfer aufheben.
„Denn ich werde ihre Schuld vergeben und an ihre Sünde nicht mehr denken.“5
BEIM ÜBERGANG VERLOREN
Die volle Bedeutung der Worte Jesu konnten die Jungs in dem Raum nicht erfassen. Das kann man ja auch nachvollziehen. In dieser Nacht war viel los. Und die Nacht fing gerade erst an. Sein früherer Hinweis auf das Leiden und Verlassen, kombiniert mit der Aufregung durch das unkommentierte Verschwinden des Judas, lenkte von der ungeheuren Bedeutung seiner Worte ab. In wenigen Stunden würden die Zeugen dieser bedeutsamen Verlautbarung um ihr Leben rennen, während eine Horde ihren Herrn zur Befragung und noch Schlimmerem zum Haus von Kaiphas schleppen würde. Es blieb keine Zeit, die Bedeutung dessen, was Jesus sagte, zu verdauen.
Sie würden sich jedoch später daran erinnern.
Jemand in diesem Raum würde es schließlich Lukas anvertrauen, der es später vielleicht dem Apostel Paulus weitererzählt hat, der es dann in jeder größeren Hafenstadt am Mittelmeer nicht für sich behalten konnte.
Aber zurück zum Ausgangspunkt. Nachdem sich der Staub gelegt hatte und das Grab leer aufgefunden worden war, stand die Bedeutung der Worte Jesu im Mittelpunkt. Zweitausend Jahre später feiern Christen auf der ganzen Welt in Kirchen, Häusern und Zeltlagern, in aller Öffentlichkeit und im Geheimen, eine Version dieser heiligen Mahlfeier zum Gedenken an ihn.
Jesus verwendete sein letztes Passahmahl, um das Ende des Passahfestes, wie sie es kannten, zu verkünden und die Einsetzung eines neuen Bundes als sein Erkennungsmerkmal einzusetzen. Nicht einen neuen Bund zwischen Gott und einem Einzelnen, wie es bei Abraham der Fall war. Nicht einen Bund zwischen Gott und einem bestimmten Volk, wie es bei Israel der Fall war. Das hier war der große Bund.
Der letzte Bund.
Der ewige Bund.
Das hier war ein Bund zwischen Gott und der Menschheit. Für jede Nation und jede Generation. Die Einsetzung eines neuen Bundes signalisierte die Erfüllung von Gottes Verheißung an Abraham. Endlich ist es einer für alle. Mit der Einsetzung des neuen Bundes würde jede Nation gesegnet werden.
Doch der neue Bund bedeutete nicht nur die Erfüllung von Gottes Verheißung an Abraham, sondern auch gleichzeitig das Ende des Bundes, den Gott mit dem Israel der Antike am Berg Sinai geschlossen hatte. Den Juden des ersten Jahrhunderts fiel es extrem schwer, dies zu verstehen. Aber wie wir gleich entdecken werden, waren die Juden des ersten Jahrhunderts nicht die einzigen, denen es schwerfiel, die vorübergehende Natur dieser von Gott eingesetzten Vereinbarung zwischen ihm und dem alten Israel zu erkennen.
BEI DER ÜBERTRAGUNG VERLOREN
Die Einsetzung des neuen Bundes erklärt, warum die meisten Christen nichts dagegen einzuwenden haben, wenn ein wenig Speck in ihrem Rührei ist. Sie erklärt, warum manche von Christen geführte Restaurants oder Fast-Food-Ketten sonntags geschlossen haben. Würden wir noch immer unsere Marschbefehle von Mose bekommen, wären alle samstags geschlossen.
Aber – vergessen Sie das!
Dank des neuen Bundes sind wir nicht verpflichtet, etwas zu töten, um mit Gott in Kontakt bleiben zu können. Wenn Sie das dritte Buch Mose durchblättern, werden Sie eine ganze Menge Dinge entdecken, die von uns nicht verlangt werden. Aber die Kirche hat eine unangenehme Gewohnheit, einzelne Aspekte von Gottes Bund mit Israel selektiv umzubenennen und in die ekklesia von Jesus einzuschmuggeln. Diese Gewohnheit erklärt, wie Kirchenführer aus dem 16. Jahrhundert die Hinrichtung von William Tyndale rechtfertigten und sanktionierten, der versucht hatte, die Bibel dem einfachen Volk zugänglich zu machen. Aber diese Umbenennung und das Einschmuggeln des Alten in das Neue begannen noch viel früher.
In den Jahren nach dem Tod der Apostel beanspruchten heidenchristliche Kirchenführer die jüdische Bibel als ihre eigene und bestanden darauf, dass sie für die ganze Kirche verbindlich sei. Wir werden dies in Kapitel zwölf näher erläutern. Hier genügt es zu sagen, dass diese nichtjüdischen Kirchenführer die alten jüdischen Texte durch die Linse ihrer sich entwickelnden christlichen Theologie betrachtet und so interpretiert haben. Zu diesem Zeitpunkt der Geschichte hatte die Kirche keinen eigenen offiziellen Text. Infolgedessen stützten sich heidenchristliche Kirchenführer stark auf die jüdische Bibel. Genauer gesagt, sie stützten sich stark auf ihre Interpretation der jüdischen Bibel. Es dauerte nicht lange, bis Werte und Gebote des alten Bundes begannen, die Lehre der jungen Kirche zu durchdringen.
Ein Beispiel.
Nicht lange, nachdem das Christentum im vierten Jahrhundert legalisiert wurde, begann die Kirche, Heiden so zu behandeln, wie Heiden Christen behandelt hatten. Unbußfertige, Götzen anbetende, Tiere opfernde Heiden wurden von ihnen verfolgt und in manchen Fällen hingerichtet. Wie rechtfertigten Kirchenführer diese unchristliche Gewalt? Das war wirklich einfach! Die heiligen Schriften verlangten, dass Götzendiener hingerichtet werden.
Welche heiligen Schriften?
Die kürzlich übernommenen jüdischen heiligen Schriften.
Julius Firmicus Maternus war ein heidnischer Astrologe aus dem vierten Jahrhundert, der zum Christentum konvertierte und schließlich ein angesehener und freimütiger Verteidiger des christlichen Glaubens wurde. Um 346 schrieb er einen Brief an die Söhne von Kaiser Konstantin, Konstans und Konstantius II., die zu dieser Zeit gemeinsame Regenten des Reiches waren. Der Brief trägt den Titel De errore profanarum religionum [Über den Irrtum heidnischer Religionen]. Götzenverehrung und Tieropfer waren zu dieser Zeit im Reich verboten, aber die Gesetze, die diese Formen heidnischer Anbetung verboten, wurden nicht durchgesetzt. Das beschäftigte Firmicus, und daher schrieb er seinen Brief.
Darin erinnert Firmicus die kaiserlichen Brüder daran, dass sie Gottes Diener sind und es daher in ihrer Verantwortung lag, das Heidentum aus dem Reich zu tilgen. Das umfasste die Vernichtung und Beschlagnahmung heidnischer Tempel sowie die Vernichtung der Heiden selbst, wenn sie sich nicht bekehren wollten. Firmicus war ein Fan der Zwangsbekehrung. Er war davon überzeugt, dass die Zwangsbekehrten denen, die sie dazu zwangen, später danken würden. Selbst wenn später das Jenseits meinte. Und wie rechtfertigte dieser vom Heidentum bekehrte Christ dieses gewalttätige und potenziell blutige Vorgehen?
Mit Bibelstellen.
Die Bibelstellen, die er auswählte, um seinen Aufruf zur Gewalt gegen die Heiden zu stützen, kamen aus dem Mund Moses. Der ursprüngliche Kontext war unwichtig, denn schließlich ist die Bibel die Bibel. Und die ganze Bibel ist gleichermaßen inspiriert und gleichermaßen verbindlich. Folgenden Text hatte er ausgewählt:
„Das gilt selbst dann, wenn der Verführer dein eigener Bruder oder dein Sohn, deine Tochter, deine geliebte Frau oder dein bester Freund ist, an dem du wie an deinem eigenen Leben hängst. Vielleicht sagt einer von ihnen heimlich zu dir: ‚Komm, lass uns anderen Göttern dienen!‘ Es werden Götter sein, die du nicht kennst und von denen auch deine Vorfahren nichts wussten, Götter von nahen oder fernen Völkern, ja selbst Götter, die man am anderen Ende der Welt verehrt. Hör nicht auf ihn und geh nicht darauf ein!
Du darfst den Vorfall nicht vertuschen und deinen Freund oder Verwandten nicht schonen. Hab kein Erbarmen mit ihm! Wirf selbst den ersten Stein, um ihn zu töten, und nach dir sollen die anderen aus deinem Volk ihn steinigen. Er muss unbedingt sterben! Denn er wollte, dass du dem HERRN die Treue brichst, deinem Gott …“6
Schwer zu widerlegen.
Also ließen sie es sein.
Bald darauf waren die Heiden Freiwild.
In Jesu Namen.
Im elften Jahrhundert fand der erste Kreuzzug statt. Moderne Historiker haben überzeugend argumentiert, dass die Kreuzzüge angesichts ihres geopolitischen Kontextes gerechtfertigt waren. Was niemand zu rechtfertigen versucht, ist die Art und Weise, wie Kirchenführer die Bibel einsetzten, um Reiche und Arme gleichermaßen zu motivieren, die lebensgefährliche Reise in den „Nahen Osten“ zu unternehmen, um dort die Sarazenen aus der Heiligen Stadt zu vertreiben. Kirchenführer bewaffneten das Christentum, indem sie jedem, der sich dem Kreuzzug anschloss, eine „Du kommst aus der Hölle frei“-Karte anboten. Die Doppelzüngigkeit dieser Kombination aus alten und neuen Bundeskonzepten ist leicht zu übersehen. Die Kirche setzte Texte aus dem alten Bund ein, um Gewalt im Namen Gottes zu sanktionieren, und versprach den Teilnehmern die Version des Himmels aus dem neuen Bund. Am Ende waren muslimische Ungläubige nicht die einzige Gruppe, die darunter litt. Tausende von Juden wurden ermordet und ihr Eigentum beschlagnahmt. Warum? Auch das war für sie ganz einfach. Juden waren für die Kreuzigung Jesu verantwortlich. Das machte sie zu Feinden Gottes und damit zu Feinden der Kirche. Und die Aussage der Bibel war deutlich. Feinde Gottes müssen bestraft werden. Am Ende fanden Kirchenführer in der jüdischen Bibel die Rechtfertigung dafür, Juden zu misshandeln. Zugegeben, ihre Interpretation und ihre Art, Texte aus dem Zusammenhang der jüdischen Bibel zu reißen, war grauenvoll.
Aber genau darum geht es mir.
REFORMATOREN ZU HILFE!
Im vierzehnten Jahrhundert hatte sich die Kirche so weit von den Grundsätzen des neuen Bundes entfernt, dass es einen kircheninternen Reformbedarf gab. Als die interne Reform scheiterte, nahmen die Reformatoren Abstand von der Autorität der Kirche, und das Ergebnis war der Protestantismus – ein Begriff, der aus einem Brief stammt, der im Jahr 1529 gegen ein Edikt protestierte, das gegen die Lehre von Martin Luther protestierte.
Die theologischen Grundlagen der protestantischen Bewegung lassen sich am besten in den Fünf Soli zusammenfassen:
Sola scriptura.
Sola gratia.
Sola fide.
Solus Christus.
Soli Deo Gloria.
Die Fünf Soli waren eine Antwort auf bestimmte Verzerrungen des neuen Bundes. Die Reformatoren waren in erster Linie darüber besorgt, wie die Kirche die Lehren der Erlösung und der Autorität verzerrte. Indem sie von heidnischen und jüdischen Traditionen Anleihen machte, hatte die Kirche ihr eigenes Priestertum eingesetzt. Wie in allen Religionen des Altertums dienten die Priester als Vermittler zwischen Gott und den Menschen. Das verschaffte ihnen außergewöhnliche Macht und Einfluss in einer Welt, in der die Alphabetisierungsraten niedrig waren und der Zugang zur Schrift eingeschränkt wurde. Kirchenführer behaupteten, dass sich ihre Autorität aus einer Kombination aus Heiliger Schrift, Tradition und dem Wort des Papstes ableite. Darauf antworteten die Reformatoren mit „Sola scriptura!“, allein die Schrift! Auch wenn die Reformatoren gelegentlich heftig darüber diskutierten, welche Dokumente als „Schrift“ betrachtet werden sollten, stellten sie nie die Autorität der Heiligen Schrift infrage.
Was die Erlösung anbelangt, so hat die Kirche einen ziemlich komplizierten Ansatz zusammengeschustert. Das Heil wurde erworben durch eine Kombination aus neuen und alten Bundeskonzepten in Verbindung mit dem, was sie sich ausgedacht hatten. Im Wesentlichen kam die Erlösung durch Gottes Gnade, gute Werke und dann die Buße für die nicht-so-guten Werke sowie auf Fürbitte der bereits verstorbenen Heiligen.
Das war ursprünglich bestimmt für einen verwirrenden letzten Abend im Gemeindesommerlager gedacht.
Auf all dies antworteten die Reformer mit „Sola Gratia! Sola fide! Solus Christus! Soli Deo Gloria!“ Das Heil kommt allein durch den Glauben, allein durch die Gnade, allein in Christus, allein zur Ehre Gottes!
Dank der Reformatoren sind nicht nur Protestanten überwiegend Bibelmenschen, auch in der katholischen Kirche hat sich seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil Richtung Bibel eine Menge getan. Immer weniger Katholiken glauben, dass man sich den Himmel mühsam verdienen müsse. Das haben evangelische Christen schon ein paar Jahrhunderte vorher genießen können. Wir alle kennen Johannes 3,16. Viele haben eine Entscheidung für ein Leben mit Jesus getroffen.
Manche mehrere Male.
Die meisten von uns sind davon überzeugt, dass wir unser Heil nicht verlieren können. Also sind wir gut gerüstet für die Frage, wem wir letztendlich Rechenschaft schuldig sind und wie wir Zugang zu unserem Vater im Himmel erhalten. Aber es wäre ein großer Fehler, wenn wir annehmen würden, dass unsere Art des Christentums frei sei von allen Überresten des alten Bundes.
Das ist es nicht.
NICHT IMMUN
Die heutige Kirche leidet unter ihrer eigenen Version von vermischter und angepasster Theologie (mix-and-match theology), mit der sie immer wieder auf ein – ihrer Meinung nach – richtiges Verhalten pocht. Mit Vermischen und Angleichen meine ich unsere nicht enden wollende Gewohnheit, auf Konzepte, Lehren, Sprüche und Erzählungen des alten Bundes zurückzugreifen, um unsere eigenen Lehren, Sprüche und Erzählungen zu stützen. Hier ist eine Auswahl einiger der „Überbleibsel des alten Bundes“, nur um Ihren Appetit zu wecken.
Warum stehen in den USA Christen hinter der Bewegung, die Zehn Gebote in Klassenzimmern und Gerichtsgebäuden an die Wand zu hängen? Warum nicht Teile der Bergpredigt?
Warum geben wir den Kindern eine Ausgabe des alten Bundes, die mit der des Neuen in einem Buch zusammengebunden ist, ohne ihnen den Unterschied zu erklären?
Warum haben manche Kirchen Priester?
Warum beschreiben Christen ihre Pastoren manchmal als von Gott „gesalbt“?
Warum warnen einige christliche Führer ständig vor Gottes drohendem Gericht?
Warum sollte ein Christ seinen Sohn oder seine Tochter aus dem Haus werfen, weil sie schwanger oder er schwul ist?
Warum sollten christliche Leiter einen Tsunami als Gottesgericht über eine überwiegend muslimische Region der Welt verkünden?
Warum richten Christen Nichtchristen (nicht selten auch andere Christen) dafür, dass sie sich nicht wie Christen verhalten?
Warum verwenden Pastoren Sätze wie „Die Bibel sagt …“ und „Die Bibel lehrt …“, und sprechen dabei den verschiedenen Stellen in der Bibel dieselbe Autorität zu?
Warum lassen wir uns von einem schlussendlich heidnischen König mit siebenhundert Frauen in Ehe- und Freundschaftsfragen beraten?
Warum muss ich mit allem rechnen, nur weil ich dieses Buch schreibe?
DIE UMBENENNUNG
Dass wir uns recht verstehen: Nichts davon ist eine große Sache, solange wir uns damit zufriedengeben, geschlossene Kirchenbiotope zu schaffen, die von und für Kirchenleute entworfen wurden. Für diese Kirchen schafft die Verschmelzung von Alt und Neu einfach nur einzigartige religiöse Ausdrucksformen, theologische Positionen, um sich von anderen abzugrenzen und eine breite Palette von Liedtexten. Nichts passiert.
Aber …
Aber wenn Sie … wenn ich … wenn wir … an der ekklesia von Jesus teilnehmen wollen, ist dort kein Platz für umbenanntes, zweckentfremdetes und nachgerüstetes Altes. Was einige gern für unverwechselbar halten mögen, müssen wir als Fehler ablehnen. Die Reformatoren weigerten sich, das Heil durch Bußübungen als theologisches Merkmal zu akzeptieren. Sie verglichen es mit dem neuen Bund und befestigten dann ein Etikett daran: fehlerhaft.
Was auf dem Spiel steht, geht über theologische Korrektheit hinaus. Es geht hier um den Missionsbefehl. Es geht hier um Evangelisation. Es geht hier um die ekklesia von Jesus, die als Salz und ungefiltertes Licht dient. Es geht hier darum sicherzustellen, dass das lebensverändernde Neue, das Jesus auf der Welt entfesselt hat, nicht mit etwas Altem nachgerüstet wird. Retro-Look ist in Ordnung, wenn es um das Kinderzimmer Ihrer Tochter geht, die in der Mittelstufe ist. Für die Kirche ist „Retro“ nicht in Ordnung. Um es etwas anders als Jakobus, der Bruder Jesu, zu formulieren: Es geht hier darum, es denjenigen, die sich Gott zuwenden, nicht unnötig schwer zu machen.7 Um es etwas anders als der Apostel Paulus zu formulieren: Es geht hier darum, einige zu gewinnen und einige zu retten.8 Für Christen, die mit dem Rücken zur Kultur stehen und darauf warten, dass Jesus endlich wiederkommt, oder schlimmer noch, darauf warten, dass eine Erweckung ausbricht, damit sie nicht die schwierigen Sachen machen müssen, wird sich das Folgende nicht so vordringlich anfühlen. Es könnte sich sogar bedrohlich anfühlen.
Ich bin davon überzeugt, dass unsere aktuellen Versionen des christlichen Glaubens von einer Vielzahl von Relikten aus dem alten Bund befreit werden müssen. Das hat nichts mit Ausdrucksformen der Anbetung oder des Musikstils zu tun. In modernen, traditionellen und liturgischen Kirchen wird Altes mit Neuem vermischt. Wir schleifen eine Litanei alter Bündniskonzepte und Annahmen hinter uns her, die uns bremsen, voneinander trennen und diejenigen verwirren, die draußen stehen und hereinschauen.
Wenn Ihr Herz also durch die Gebrochenheit unserer Welt zerbrochen ist, werden Sie durch das Folgende ermutigt. Wenn Sie darüber trauern, wie mühelos unsere heutige Kultur das Christentum und die Kirche ablehnt, hoffe ich, dass Sie die folgenden Seiten für mehr als ein theologisches Recht-haben-Wollen erachten werden. Wenn Sie Eltern sind, die sich um die Beständigkeit des Glaubens Ihrer Kinder sorgen, ist dies von entscheidender Bedeutung. Und wenn Sie an einer Version unseres Glaubens interessiert sind, die frei ist von dem, was uns unnötigerweise nicht unwiderstehlich macht … dann lassen Sie uns loslegen!