Читать книгу Liebeskummer auf Italienisch - Angela Gerrits - Страница 5

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Als ich am Anleger ankam, nieselte es. Ich stellte mich in das kleine Beton-Wartehäuschen neben dem Fahrkartenautomaten und wartete auf Chris. Sie hatte mir auf meine SMS nicht geantwortet. Ich rief sie an, denn ich musste unbedingt mit ihr reden. Was wäre, wenn meine Mutter Ernst machte und mich tatsächlich nicht nach Italien fliegen ließ? Dann standen mir furchtbar langweilige, düstere, vernieselte Ferien inmitten von Baulärm bevor. Nein, unmöglich, ich musste mir gemeinsam mit Chris einen Plan überlegen, der nur ein Ziel haben konnte: Italien!

Ich ließ es lange klingeln, aber Chris ging nicht ans Telefon. Mist! Ausgerechnet jetzt erreichte ich sie nicht.

Eine Fähre legte an und stieß gegen den Ponton, sodass er ins Schwanken geriet. Ich mochte das, denn es fühlte sich an, als wäre ich selbst auf einem Schiff.

Ich wählte Chris Nummer noch mal.

„Hallo!“

Ich blickte von meinem Handy auf.

Ein großer Junge mit rotblonden Locken und Sommersprossen im Gesicht stand vor mir und grinste mich an.

„Hallo“, sagte ich zögernd und hielt mir konzentriert mein Handy ans Ohr, was nichts anderes bedeuten sollte als: Ich kenne dich nicht und habe zu tun.

„Ich bin Valentin! Erinnerst du dich?“

Und ich möchte dich auch nicht kennenlernen.

„Ich habe gewusst, dass wir uns wiedersehen.“

Wie bitte? Ich guckte ihn überrascht an. Er kam mir tatsächlich bekannt vor, aber ich hatte keine Ahnung, wo ich ihm schon mal begegnet war.

„Du bist da vorne beim Imbiss gestolpert und in deine Currywurst gefallen“, erklärte er strahlend, als hätte er meine Gedanken erraten.

Oh nein! Jetzt erinnerte ich mich. Er hatte mein Handy gefunden und mir hinterhergetragen, und ich hatte ihm als Dank ein klebriges Taschentuchknäuel voller Ketchup und Majo in die Hand gedrückt und war einfach abgehauen. Daher kannte ich ihn. Und nun wollte er sich an mir rächen. Das fehlte auch noch. Als hätte ich heute nicht schon genug Ärger gehabt.

Ich holte Luft. „Hör mal, das mit dem Taschentuch tut mir leid, ich hatte es irgendwie eilig, und da ...“

„Kein Problem!“, winkte Valentin ab. Er strahlte mich immer noch an.

Wahrscheinlich ist er plemplem, dachte ich.

Er sah mich mit großen graugrünen Augen erwartungsvoll an.

Ja, er war nicht ganz dicht. Eine andere Erklärung gab es für sein Verhalten nicht. Ich musste hier so schnell wie möglich weg.

„Bitte nicht wieder weglaufen!“, sagte Valentin.

Woher wusste er, was ich vorhatte? Das war mir unheimlich.

„Sag mir wenigstens, wie du heißt.“

„Feline“, antwortete ich zögernd.

„Feline? Echt? Das ist ja schön!“

Wenigstens war er für jemanden, der plemplem war, sehr nett.

„Wartest du auf jemanden?“

Ich nickte. Wie hatte er mich eigentlich erkannt? Ich hatte die Kapuze eben erst im Wartehäuschen abgenommen.

„Wie hast du mich eigentlich erkannt?“

Valentin hob die Schultern und grinste breit. „Keine Ahnung, ich habe dich eben erkannt. Auf wen wartest du denn?“

Ganz schön dreist. Das ging ihn nun wirklich nichts an, auch wenn er mir zehn Handys hinterhergetragen hätte. Auf wen ich hier wartete, war einzig und allein meine Privatangelegenheit.

„Auf deinen Freund?“

Das ging zu weit. Ich beschloss, mich woanders mit Chris zu treffen.

„Geht mich ja eigentlich auch nichts an“, druckste Valentin entschuldigend. „Ich freue mich nur so, dich wiederzusehen, ich habe fast jeden Tag geguckt, immer um dieselbe Zeit wie beim ersten Mal.“

Ich staunte. „Ob ich hier bin?“

Valentin nickte.

Wie beim ersten Mal. Wie das klang! Er war zwar ein bisschen durchgeknallt, aber irgendwie tatsächlich ganz nett. Ich überlegte. Ich war lange nicht am Anleger gewesen, obwohl dies einer meiner Lieblingsplätze in Hamburg war. Ich kam nur hierher, wenn es mir besonders gut oder besonders schlecht ging oder wenn ich dringend Chris treffen musste und bei mir dicke Luft war und ich nicht einfach bei ihr zu Hause aufkreuzen konnte, weil ihre Mutter krank im Bett lag, und die Eisdiele schon Saisonende hatte. Wo blieb sie überhaupt? Und wieso ging sie nicht ans Telefon?

Ich guckte aufs Display. Die Verbindung stand die ganze Zeit!

„Chris?“, brüllte ich ins Handy.

„Bin gleich da! Warte auf mich! Ich will ihn unbedingt kennenlernen!“, hörte ich sie keuchen.

Sie hatte die ganze Zeit mitgehört? Ich klickte sie schnell weg.

„Chris?“, sagte Valentin leise. Das Strahlen verschwand aus seinem Gesicht. „Dein Freund, stimmt’s?“

Ich zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Würde er ja gleich selbst sehen, wer mein Freund war.

Inzwischen nieselte es nicht mehr, der Regen platterte direkt ins Wartehäuschen. Wir hockten uns nebeneinander auf die schmale Betonbank an der hinteren Wand. Schweigend neben einem Jungen zu sitzen, war mir peinlich, deshalb plapperte ich einfach drauflos. Ich erzählte Valentin von unserem Flug nach Italien, von der Renovierung unserer alten Villa, von Chris’ gruseligem italienischen Familienanhang und von dem Ärger, den ich wegen des Tickets zu Hause hatte. Sogar den Streit meiner Eltern erwähnte ich.

„Das kenne ich“, sagte Valentin. „Eltern sind unberechenbar, kriegen sich in die Haare wegen nichts, zumindest kommt es einem so vor, und du stehst da und denkst, dass es deine Schuld ist, dabei hatten sie vorher schon Krach, nur dass du davon nichts mitgekriegt hast, weil sie dich natürlich schonen wollen, und das Ergebnis ist dann irgendwann ein richtig großer Krach, und du weißt überhaupt nicht, was plötzlich los ist. Mach dir also keine Sorgen, du hast damit nichts zu tun, du darfst das nur ausbaden.“

Wow! So hatte noch kein Junge mit mir gesprochen. Und was er sagte, klang unglaublich klug. Ich guckte ihn das erste Mal richtig an.

„Die Sommersprossen habe ich immer, auch wenn’s schneit.“ Er lächelte entschuldigend.

In dem Moment stürmte Chris ins Wartehäuschen. Sie bibberte. „Hier seid ihr!“

Valentin guckte mich überrascht an: „Wieso ihr?“

„Was für ein hübsches Paar!“, grinste Chris.

Was für eine dämliche Bemerkung!

„Ich bin übrigens Chris, Felis beste Freundin.“

Das Strahlen kehrte in Valentins Gesicht zurück. „Ach so!“

Ich stand auf. „Los jetzt, Krisensitzung. Meine Mutter erlaubt mir Italien nicht.“

Chris blickte von mir zu Valentin und wieder zu mir. „Und wohin?“

„Weiß ich noch nicht.“

Ich ging voraus. Nach einer Weile drehte ich mich um. Wo blieb Chris denn? Worüber redete sie mit Valentin?

Endlich kam sie hinterher.

„Gute Reise!“, rief Valentin.

Ich winkte kurz.

„Danke!“, rief Chris zurück. Sie drückte sich an mich. „Der ist ja niedlich! Wo hast du den denn her?“

Das klang, als hätte ich mir einen neuen Pulli gekauft.

„Worüber habt ihr denn noch so lange geredet?“

„Gar nicht lange. Er hat mich nur nach deiner Handynummer gefragt.“

„Und?“

Chris grinste und rannte los.

„Du hast sie ihm gegeben?“, schrie ich empört und rannte ihr hinterher.

Wir kamen völlig durchnässt bei Chris zu Hause an, wechselten schnell die Klamotten und schlüpften unter zwei dicke Daunendecken auf der Matratze unter Chris’ Hochbett.

Ich schüttelte grimmig den Kopf. „Du kannst ihm doch nicht einfach meine Handynummer geben!“

Chris zuckte die Schultern. „Wieso denn nicht? Ihr passt wirklich gut zusammen, das habe ich sofort gesehen.“

„Du spinnst.“

„Doch, ganz sicher!“, beteuerte Chris. „Das habe ich im Gefühl.“

Mit ihrem Gefühl ging sie mir langsam auf die Nerven.

„Hast du vielleicht auch im Gefühl, wie ich meine Mutter dazu kriege, mir Italien zu erlauben?“, fragte ich muffig.

„Ganz einfach“, erwiderte Chris zu meinem Erstaunen. „Du machst deinen Eltern einen Kompromissvorschlag. Auf Kompromisse stehen Eltern total. Du schlägst ihnen vor, wenn du jetzt mit nach Italien darfst, fährst du in den nächsten Ferien mit ihnen.“

Ich überlegte. Bis jetzt war ich immer zusammen mit meinen Eltern weggefahren. „Und wo ist da der Kompromiss?“, fragte ich.

Chris runzelte die Stirn. „Du musst es ihnen einfach so verkaufen, als würdest du ihnen damit einen riesigen Gefallen tun.“

Ich starrte eine Weile trübselig vor mich hin. Chris’ Vorschlag kam mir nicht besonders einfallsreich vor, aber ich hatte auch keine bessere Idee.

„Also schön, ich versuch’s.“

„Und wenn’s nicht funktioniert, ruf mich an, dann drohe ich damit, auch nicht zu fliegen. Dann weigere ich mich einfach, Papas neue Familie kennenzulernen, wenn du nicht mitkommen darfst, und daran will deine Psychologen-Mami bestimmt nicht schuld sein.“

Sie boxte mich in die Seite.

Ich lachte. Chris konnte ganz schön clever sein.

Liebeskummer auf Italienisch

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