Читать книгу Liebeskummer auf Italienisch - Angela Gerrits - Страница 6

--4--

Оглавление

Es funktionierte. Bevor ich am nächsten Morgen zur Schule ging, trug ich Mama und Papa mit ruhiger, freundlicher Stimme meinen Kompromissvorschlag vor  nacheinander, denn Mama saß schon in ihrem Arbeitszimmer und schrieb an ihrem Artikel, während Papa frühstückte und Zeitung las.

Außerdem redeten sie nicht mehr miteinander.

Papa nickte zu meinem Vorschlag nur kurz und sagte: „Mach dir keine Gedanken, Chris’ Mutter kriegt ihr Geld, ich habe schon mit ihr telefoniert. Aber das nächste Mal wird vorher gefragt.“

Mama war noch wortkarger, sie zupfte sich einen Stöpsel aus dem Ohr und guckte mich über den Rand ihrer Brille mürrisch an. „Also wenn’s nach mir ginge ... aber egal.“ Damit wandte sie sich wieder ihrem Computer zu.

„Und Südschweden?“, fragte ich vorsichtig.

„Abgesagt“, erwiderte Mama knapp.

Das war keine gute Nachricht. Ich wollte nicht, dass meine Eltern sich stritten und nicht mehr miteinander redeten und sogar den Urlaub absagten, auch wenn ich mit all dem wahrscheinlich gar nichts zu tun hatte, wie Valentin mir erklärt hatte. Wieso fuhren sie nicht ohne mich nach Südschweden?

„Und wieso fahrt ihr nicht ohne mich?“, hakte ich nach.

Mama drehte sich um, legte den Kopf schief und lächelte, aber es war ein unfreundliches Lächeln. „Weil wir uns beides nicht leisten können, meine Süße, Südschweden und Italien.“

Ich war also doch schuld.

Missmutig schlurfte ich in die Schule und erzählte Chris von Mamas Reaktion.

„Ach Quatsch, das sagt sie nur, um dir ein schlechtes Gewissen zu machen“, versuchte Chris mich zu beruhigen. „Oder würdest du mit jemandem in Urlaub fahren, mit dem du nicht mehr sprichst?“

Chris hatte recht. Mama wollte mir die Vorfreude verderben, und ein bisschen gelang ihr das ja auch. Aber nur ein bisschen, denn Chris hielt mich mit den Reisevorbereitungen auf Trab, und als Mama und Chris’ Mutter uns schließlich zum Flughafen brachten, war ich schrecklich aufgeregt. Ich war noch nie alleine geflogen. Gut, Chris war dabei, dennoch kam ich mir einen Moment lang sehr verloren vor, als ich mein Gepäck am Check-In-Schalter auf das Rollband stellte und mir klar wurde, dass Mama nur daneben stand und nicht mitkommen würde.

Sie war inzwischen wieder etwas freundlicher zu mir, und die Tatsache, dass ihre Tochter gleich alleine ins Flugzeug steigen und erst in einer Woche wiederkommen würde, ließ sie in letzter Minute sehr fürsorglich werden: „Hast du alles?“, fragte sie besorgt. „Und creme dich nach jedem Baden ein. Und unternimm nichts ohne Chris. Und ruf an, wenn du angekommen bist. Und benimm dich. Und sei höflich und hilf im Haushalt. Und lass deine Klamotten nicht überall rumliegen. Und geh nicht so spät ins Bett ...“

„Mama!“

Sie hob beschwichtigend die Hände. „Ich meine ja nur. Schließlich bist du Gast und gar nicht eingeplant.“

„Da machen Sie sich mal keine Sorgen, Frau Weiler“, schniefte Chris’ Mutter in ihr Papiertaschentuch. „Mein Ex-Mann soll froh und dankbar sein, dass Feline mitkommt, denn ohne sie wäre Chris überhaupt nicht geflogen. Und den Ärger möchte ich mir gar nicht erst vorstellen, den ihr Vater dann vom Zaun gebrochen hätte.“

Chris nickte heftig. Ich warf ihr einen dankbaren Blick zu.

„Tatsächlich?“ Mama guckte erst Chris, dann mich erstaunt an. „Das war mir ja gar nicht klar, dass es so wichtig ist. Tja dann ...“

„Dann vertragt ihr euch jetzt wieder, Papa und du?“, sagte ich schnell. „Du musst mir versprechen, dass ihr euch wieder vertragen habt, wenn ich aus Italien zurückkomme. Sonst bleibe ich da.“

Mama und Chris’ Mutter lachten wie über einen putzigen Witz, aber ich verstand in diesem Moment überhaupt keinen Spaß.

„Du könntest Papa zum Beispiel einen Gruß von mir ausrichten“, beharrte ich.

Mama seufzte. „Ich werde sehen, was sich machen lässt.“

„Und Finger weg von meinem Zimmer! Das wird nicht renoviert!“

„Soll ich Papa vielleicht auch etwas ausrichten?“, fragte Chris ihre Mutter zögernd.

„Ich wüsste nicht, was“, antwortete sie wie aus der Pistole geschossen, aber sie merkte offenbar, dass das sehr zickig klang, und setzte in mildem Ton nach: „Hauptsache, ihr passt gut auf euch auf. Und wenn’s dunkel wird, geht ihr besser nicht mehr raus, ihr kennt euch in der Gegend schließlich nicht aus, und wer weiß, was da für Typen rumlaufen. Und wenn es doch mal später wird, nehmt ihr bitte ein Taxi. Und achtet darauf, dass das Taxameter läuft, sonst hauen die Taxifahrer euch übers Ohr und knöpfen euch Fantasiepreise ab.“

Das klang, als wären Chris und ich auf dem direkten Weg in ein fremdes, wildes, unerforschtes Land, in dem an jeder Ecke Schwerverbrecher und Diebe lauerten.

„Das klingt ja, als gäbe es in Italien nur Schwerverbrecher und Diebe“, sagte Mama lachend.

Chris’ Mutter guckte verunsichert in die Runde. Einige Sekunden lang sagte niemand etwas.

„Wir müssen los!“, rief Chris in die unangenehme Pause hinein und hakte mich unter. „Meine Mutter hasst Flughäfen“, raunte sie mir entschuldigend zu.

Wir gingen durch die Kontrolle und winkten unseren Müttern so lange zu, bis mir mein rechter Arm wehtat. Dann schlenderten wir nebeneinander den langen Gang entlang zu unserem Gate und steuerten auf zwei schwarze Plastiksitze am Fenster zu, um dort auf den Aufruf unseres Fluges zu warten.

„Reden deine Eltern überhaupt nicht mehr miteinander?“, fragte Chris.

Ich schüttelte betrübt den Kopf. „Seit drei Tagen nicht, seit sie sich angeschrien haben.“

„Bloß wegen Italien?“ Chris zog die Stirn kraus. „Oh oh, das ist gar kein gutes Zeichen.“

„Wie meinst du das?“, fragte ich erschrocken.

Chris zuckte die Schultern. „Na ja, so hat das bei meinen Eltern damals auch angefangen. Sie haben sich wegen jeder Kleinigkeit in die Wolle gekriegt, und immer ging es dabei um mich, theoretisch, denn eigentlich …“

Sie ließ den Satz in der Luft stehen, was ich hasste, besonders wenn es sich um schlechte Nachrichten handelte wie in diesem Fall. Ich musste daran denken, was Valentin gesagt hatte: dass man als Kind immer glaubte, schuld zu sein, wenn Eltern sich stritten, dabei hatten sie vorher schon Krach gehabt, und man hatte damit überhaupt nichts zu tun, man durfte das nur ausbaden … Sollte das heißen, dass Mama und Papa auf dem besten Weg waren, sich zu trennen? Ich geriet in Panik.

„Ich will dir ja keine Panik machen, aber …“

„Zu spät, herzlichen Dank“, grummelte ich.

„Ach Quatsch, Feli, das muss doch gar nichts bedeuten, nur weil das bei meinen Eltern so war. Ich dachte bloß, als deine beste Freundin muss ich dich warnen, weil ich das alles selbst schon durchgemacht habe.“ Sie seufzte. „Eigentlich bin ich dafür, dass meine Mutter auch wieder heiratet. Bevor sie richtig alt wird.“

Ich guckte Chris erstaunt an. „Wieso, deine Mutter sieht doch noch ganz gut aus.“

„Findest du?“ Sie lächelte. „Deine aber auch.“

Mein Handy piepte.

Ich wünsche Dir eine gute Reise! Gruß Valentin

Im ersten Moment freute ich mich. Gleich darauf ärgerte ich mich wieder über Chris. Ich zeigte ihr die Nachricht.

„Ist der süß!“, kiekste sie.

Na ja, irgendwie ganz nett, dachte ich und stellte mein Handy aus.

Dann war es endlich so weit: Wir saßen im Flugzeug und hoben ab. Rechts neben mir hatte sich ein älterer Mann mit grauem Haarkranz und Bierbauch in den Sitz gequetscht, links am Fenster saß Chris. Ich beugte mich vor und guckte gebannt hinaus, bis unter uns nur noch Wolken und über uns strahlend blauer Himmel zu sehen waren. Die Stewardess fragte, was wir trinken möchten, und bot uns in Plastikfolie gewickelte Brötchen zu einem Sonderpreis von zwei Euro an.

Ich kaufte eins, doch ich war viel zu aufgeregt, um etwas essen zu können. Es war ein angenehmes Aufgeregtsein, das im Magen kribbelte. Ich flog das erste Mal alleine in Urlaub. Mit meiner besten Freundin. So was kannte ich bisher nur aus Mamas Erzählungen.

Ich schloss die Augen und stellte mir das Sommerhaus vor, von dem Chris mir erzählt hatte. Ich stellte mir ein großes weißes Haus mit vielen Fenstern mitten in einem riesigen Garten voller Obstbäume vor, und unter einem besonders großen schattigen Baum stand ein langer Tisch für die vielen Verwandten, die jeden Sonntag zum Essen kamen und laut lachten und wild durcheinanderredeten. Ich atmete durch. Jetzt, da selbst Mama nicht mehr sauer auf mich war, war die Vorfreude perfekt.

Fast perfekt, denn der Stachel, dass Mama und Papa vielleicht kurz davor waren, sich wie Chris’ Eltern scheiden zu lassen, saß. Chris hatte mal wieder ganze Arbeit geleistet. Ich fragte mich, ob es nicht auch die Pflicht einer besten Freundin sein sollte, einfach die Klappe zu halten, um der besten Freundin nicht die Ferien zu versauen. Ja, das sollte ihre Pflicht sein, fand ich.

„Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dass du mitkommst.“

Ich guckte Chris von der Seite an. Sagte sie das jetzt nur, um mich bei Laune zu halten?

Als hätte sie meine Gedanken erraten, schüttelte sie den Kopf. „Ich wäre wirklich nicht geflogen ohne dich, kein Scherz.“

„Wegen dieser Sofia?“, hakte ich nach.

Chris holte tief Luft. „Als ich meinem Vater Bescheid sagen wollte, wann er uns vom Flughafen abholen soll, war sie am Telefon.“ Sie spitzte die Lippen und äffte Sofia nach: „Nein, dein Vater kann jetzt leider nicht. Kann ich was ausrichten? Bin gespannt, ob sie es ihm wirklich ausgerichtet hat. Die soll ein richtiger Drachen sein, hat meine Mutter erzählt. Und launisch. Und kocht jeden Tag Spaghetti. Wahrscheinlich weil sie nichts anderes kann. Und besonders hübsch ist sie auch nicht. Ziemlich groß für ’ne Italienerin mit dünnen hellbraunen Haaren. Meine Mutter ist jedenfalls viel hübscher. Und dann diese Bruchbude, die sie geerbt hat! Mein Vater hat mir mal Bilder gezeigt. Er hat da sein ganzes Geld reingesteckt, hat meine Mutter erzählt. Die reinste Verschwendung.“

„Du meinst das Sommerhaus?“, fragte ich irritiert.

Chris verzog das Gesicht. „Ein runtergekommener Bauernhof. Bestimmt stinkt’s noch nach Schaf oder Schwein oder beidem zusammen. Aber wenigstens liegt es am Meer.“

„Na siehst du, dann sind wir doch sowieso immer am Strand“, entgegnete ich erleichtert.

Aber Chris machte eine wegwerfende Handbewegung. „Die Vorhersage im Internet zeigte drei Tage Regen.“

„Oh nein“, seufzte ich enttäuscht.

„Hauptsache, dieser Giacomo geht uns nicht auf die Nerven.“ Chris schnaubte verächtlich. „Hab ein Foto von ihm gesehen. So ’n Kleiner, kannst du durchpusten, so dünn. Sah total lächerlich aus mit seinem Baseballcap. Aber ’ne dicke Sonnenbrille und ’ne Vespa unterm Hintern, und hintendrauf seine Freundin. Kleiner Möchtegernmacho, der sich für unwiderstehlich hält. Wenn der zu meinem Vater Papa sagt, dann raste ich aus.“

Ich rutschte tiefer in meinen Sitz. Das klang nicht sehr erbaulich, was Chris da erzählte. Meine Vorfreude bröckelte, und für einige Sekunden sehnte ich mich schon nach dem Baulärm in unserer alten Villa zurück.

„Ich bin jedenfalls total froh, dass du mitkommst“, versicherte Chris erneut, „dann bin ich mit diesen Idioten wenigstens nicht allein. Ausgenommen mein Vater natürlich, der ist supernett, aber das weißt du ja. Obwohl er sich gerade einen nagelneuen, knallroten italienischen Schlitten gekauft hat, völlig peinlich, hoffentlich holt er uns damit nicht ab!“

Ich hatte gar nichts dagegen, mit einem nagelneuen, knallroten italienischen Schlitten abgeholt zu werden. Im Gegenteil, denn Mama und Papa fuhren immer nur alte, hässliche Kisten. Aber das sagte ich nicht.

Stattdessen beruhigte ich Chris: „Keine Sorge, ich bin ja bei dir, und wenn diese Sofia und ihr kleiner Obermacho-Sohn dir blöd kommen, dann zeigen wir’s ihnen, verlass dich auf mich.“

Chris biss zufrieden in ihr pappiges Brötchen.

Ich zupfte nachdenklich an meinem Holzperlenarmband herum. Mir war natürlich klar, dass ich meine beste Freundin gegen ihre schreckliche neue Verwandtschaft verteidigen musste, aber die Ferien wollte ich mir davon nicht verderben lassen.

Der Bierbauchmann zu meiner Rechten atmete geräuschvoll aus und lehnte sich im Sitz zurück. Sein Bauch streckte sich nach oben und schob das aufgeklappte Tischchen hoch, auf dem sein Kaffeebecher stand, der ins Wanken geriet und umkippte. Der Kaffee kleckerte auf meine helle Jeans.

Da war meine Vorfreude endgültig futsch.

Ich tupfte die Flecken mit der Serviette notdürftig ab und sagte Chris, ich sei müde. Sie versuchte zwar noch zwei-, dreimal, mir von ihrer schrecklichen Verwandtschaft zu erzählen, aber ich stellte mich taub. Ich wollte jetzt nichts mehr davon hören.

Bis zur Landung döste ich vor mich hin. Der Pilot klang unfreundlich, als er sich von seinen Fluggästen verabschiedete, und die Maschine setzte viel zu hart auf. Das wäre meinem Piloten-Papa nie passiert. Ich bekam ein bisschen Heimweh. Als die Anschnallzeichen erloschen, wollte ich am liebsten gleich wieder zurück.

Eine kalte Kaffeewolke zog an meiner Nase vorbei, als ich aufstand und mich in den Gang zwängte. Der Junge aus meinem Traum lächelte mich an und verschwand.

Chris stieß mich in die Seite. „Wenigstens lächelst du wieder. Ich habe mir schon Sorgen gemacht.“

Also schön, sagte ich mir: Wenn Chris’ Vater uns jetzt mit einem alten Auto abholt, dann wird es genau so schrecklich, wie Chris vorausgesagt hat. Wenn aber sein neuer knallroter Schlitten vor der Ankunftshalle steht, dann werden die Ferien schön. Das war zwar ein vollkommen schwachsinniges Spiel, aber es verkürzte zumindest die Zeit, bis wir endlich unser Gepäck hatten.

Ich hoffte auf den knallroten Schlitten. Dringend.

Liebeskummer auf Italienisch

Подняться наверх