Читать книгу Susanna - Angela Rommeiß - Страница 7

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Rolf fluchte.

Wo war sie? Sie hätte als blutiger Klumpen im Auto liegen müssen, höchstens noch daneben! Aber nirgends war eine Spur von ihr! Hatte sie vielleicht ein Raubtier weggeschleppt? Gab es hier so große Raubtiere? Könnte sie noch am Leben sein und irgendwo umherirren? Die Schlucht war schließlich nicht so tief, ein Überleben theoretisch möglich.

Er hätte sie lieber eine von diesen steilen, schroffen Felswänden hinunterstürzen lassen, wo der Wagen hundert Meter im freien Fall zurückgelegt hätte, ehe er unten in einem Feuerball explodiert wäre. Ja, das hätte ihm Spaß gemacht und er hatte es auch schon ein paar Mal in seiner Phantasie durchgespielt. Aber er musste dann doch eine Schlucht aussuchen, die abseits der begangenen Wanderwege lag und davon gab es gar nicht so viele. Diese hier war perfekt – abgelegen in einem unbewohnten Teil des Gebirges, wo es schattig und klamm war, die Touristen nichts Sehenswertes fanden und deshalb die Einheimischen auch keine Pensionen, Ferienhäuser, Skilifte und Gaststätten bauten. Es war menschenleer hier, die Schlucht war gut ausgewählt. Nur etwas tiefer hätte sie sein können.

Ob sie überlebt hatte? Ach nein, das war unwahrscheinlich.

Verdammt, er hätte gründlicher suchen müssen, aber die Zeit lief ihm davon. Wenn er sie nicht bald als vermisst melden würde - er, der verzweifelte Ehemann, dessen Frau nach einem Streit im Leihwagen davongefahren war, im dichten Nebel und ohne Ortskenntnis - würde er vielleicht noch unter Verdacht geraten. Und das wollte er auf gar keinen Fall, er hatte sowieso schon zu viele Fehler gemacht.

Er hatte doch alles so perfekt geplant! Die Idee mit den Tabletten war doch genial gewesen! Der Audi, hellgrau wie der Nebel, der glücklicherweise wie bestellt kam, als er gerade mit den Vorbereitungen fertig war. Die Show, die er Susanna vorspielte, so dass sie bis zum Schluss völlig ahnungslos blieb!

Und dann machte er so blöde Fehler. Wie hatte er nur die Jacke im Auto vergessen können? Der erste Patzer war ihm schon passiert, als er mit dem Schraubenschlüssel an die Decke des Wagens gestoßen war, weil er in der Aufregung zu weit ausgeholt hatte. Dadurch hatte er sie nicht so stark erwischt, dass sie sofort tot war. Zwar ohnmächtig, aber noch am Leben, wie er an ihrem Atem merkte. Naja, der Absturz würde ihr den Rest geben. Er hatte sie auf den Fahrersitz gehievt, damit es so aussah, als sei sie gefahren. Dabei war er ins Schwitzen geraten, hatte die Jacke ausgezogen und neben sich gelegt. Dann hatte er die Handbremse gelöst und den Wagen einfach rollen lassen.

Lautlos verschwand er im Nebel, mit ihm seine Frau, die ohnmächtig über dem Lenkrad hing. Kurz darauf krachte, splitterte und polterte es von unten, wollte gar nicht wieder aufhören. Ein bisschen hatte er ja auf eine Explosion gehofft, aber so was gab es wahrscheinlich nur im Film. Als endlich Stille war, hatte er sich auf den Heimweg gemacht. Er musste nicht weit laufen, in etwa dreihundert Meter Entfernung parkte der andere Wagen. Am Vortag, nachdem er sich für diesen einsamen Platz entschieden hatte - schön zerklüftet und schwer zugänglich - hatte er den Subaru hierher gefahren, den Zündschlüssel in einer Astgabel versteckt und sich zu Fuß auf den langen Rückweg gemacht.

Beim Einsteigen war ihm das Fehlen der Jacke aufgefallen. Den Schraubenschlüssel hatte er auch vergessen! Verdammt nochmal, so was Blödes! Ärgerlich schlug er mit der flachen Hand aufs Lenkrad und dachte fieberhaft nach.

Sollte er gleich hinunterklettern und die Sachen holen? Seine Ausrüstung hatte er ja dabei, wie immer. Aber es war zu neblig, man sah ja die Hand vor den Augen nicht. Das war einerseits gut, denn so wurde man bestimmt nicht gesehen, aber eine Suche gestaltete sich sicher schwierig, deshalb hatte er beschlossen, am nächsten Tag nochmal herzukommen.

Vielleicht hinderte ihn auch der Gedanke an das, was jetzt in dem Auto lag, an einer sofortigen Suche. Es war genug Aufregung für einen Tag, morgen wäre zumindest das Blut schon getrocknet.

So war Rolf denn heute noch einmal hergefahren und hatte den Abstieg unternommen. Mit Ekel dachte er daran, womöglich ihre Leiche berühren zu müssen, hatte befürchtet, seine Jacke könnte mit ihrem Blut besudelt sein.

Jetzt wünschte er fast, sie wäre es. Ihr Verschwinden gab ihm Rätsel auf. Nun ja, er hatte nicht gründlich und weiträumig genug gesucht. Sie lag vielleicht mehrere Hundert Meter von der Absturzstelle entfernt. Er musste sie auch nicht finden, das konnten die anderen erledigen. Hauptsache, seine Jacke war wieder da und alle Spuren waren beseitigt.

Eigentlich gar nicht schlimm, dass ihm der Anblick ihrer übel zugerichteten Leiche erspart blieb. Er grinste. Jetzt musste er nur noch erfolgreich den trauernden Ehemann spielen, dann stand einem Leben in Luxus und Freiheit nichts mehr im Wege!

An der Rezeption des kleinen Hotels war heute Vormittag nur die Tochter des Besitzerpaares im Dienst. Der ältere Mann wäre ihm lieber gewesen, aber es half ja nichts. Rolf überprüfte sein in besorgte Falten gelegtes Gesicht in einem Wandspiegel und trat dann an den Tresen.

„Entschuldigen Sie!“ sprach er die junge Frau mit ruhiger, dunkler Stimme an. Darauf standen die Frauen. Und richtig wandte sie sich ihm lächelnd zu.

„Ja, bitte?“

„Also, wissen Sie, es geht um meine Frau!“ Rolf räusperte sich verlegen. „Gestern haben wir einen Ausflug gemacht, mit einem Leihwagen...“

Die junge Frau nickte wissend.

„Nun ja... es ist mir sehr unangenehm, aber langsam mache ich mir Sorgen, wissen Sie... Also, wir hatten einen Streit, eine kleine Auseinandersetzung, wenn Sie verstehen...“, er lachte verschämt, als müsse sie Verständnis haben für solcherlei Eheprobleme. Hatte sie aber nicht, sah ihn nur an - jetzt nicht mehr lächelnd, sondern leicht beunruhigt. Verdammt, er hätte warten sollen, bis der Mann da war. Aber jetzt musste er durch.

„Wir hatten also einen Streit, einen kleinen Wortwechsel, und dann hat sie sich einfach hinters Steuer gesetzt und ist weggefahren. Hat mich mitten auf der Straße stehenlassen und fuhr weg. Ich musste den ganzen Weg zurücklaufen. Ich dachte natürlich, sie wäre hier, aber das war sie nicht. Und heute ist sie auch nicht aufgetaucht, deshalb mache ich mir langsam Sorgen...“

„Warum haben Sie nicht gestern Abend schon jemandem Bescheid gesagt?“, fragte die junge Frau mit ehrlicher Besorgnis und einer Spur Unverständnis für sein Handeln in ihrer Stimme.

‚Weil ich heute erst meine Jacke und das Mordwerkzeug aus dem Auto holen musste, du dumme Trine!‘, dachte Rolf, sagte es aber natürlich nicht laut.

Er sagte es auch dem Polizeibeamten nicht, der ihm eine Stunde später die gleiche Frage stellte. Rolf hob die Arme, gab sich unverstanden.

„Meine Güte, ich war natürlich ziemlich sauer, können Sie sich das nicht vorstellen? Lässt mich einfach mitten in der Pampa stehen und düst ab! Da war ich so geladen, als ich im Hotel ankam, dass ich froh war, dass ich sie nicht sehen musste. Ist doch verständlich, oder?“

Der Polizeibeamte Luis Huber klopfte mit seinem Stift auf den Block und runzelte die Stirn.

Was war nur mit den Menschen los, dass er sich mit so einem Mist herumärgern musste, obwohl er doch seine eigenen Sorgen hatte. Verschwundene Wanderer, verlaufene Kinder oder Hunde, schlecht ausgerüstete Flachländler, die sich in Sandalen daran machten, einen Dreitausender zu besteigen – er hatte alles schon gehabt. Konnten sie ihn nicht in Frieden lassen? Ihn quälten seine Hämorriden, unruhig rutschte er auf dem Stuhl herum. Hätte er sich doch bloß heute Morgen diese verdammte Salbe besorgt! Hoffentlich hatte nach Dienstschluss die Drogerie noch auf. Oder ob er die Sekretärin bitten sollte...? Nein, er konnte Fräulein Niedermeyer auf keinen Fall Hämorridensalbe für sich kaufen lassen! Das wäre im Nu in der ganzen Dienststelle rum, und das wollte er auf jeden Fall vermeiden. Er seufzte, wandte sich erneut seinem Gesprächspartner zu und bemühte sich, seine Stimme nicht gelangweilt klingen zu lassen.

„Hatte Ihre Frau Papiere dabei - Fahrerlaubnis, Personalausweis? Könnte sie zurück nach Deutschland gefahren sein?“

Rolf beugte sich vor: „Meine Frau hatte gar keinen Führerschein! Konnte zwar ein bisschen fahren, aber wollte nie den Führerschein machen. Prüfungsangst, verstehen Sie?“

„Aber das wäre doch noch ein Grund gewesen, sich sofort bei uns zu melden. Das ist in höchstem Maße verantwortungslos, Herr Berger!“ Der Polizist war ehrlich entrüstet und vergaß sogar für einen Moment seinen Juckreiz.

Rolf betrachtete verächtlich den kleinen, schmächtigen Mann mit dem schütteren Haar. Weichei! Lässt sich bestimmt von seiner Alten das Fernsehprogramm vorschreiben.

Dann setzt er eine zerknirschte Mine auf. Er musste unbedingt seine Rolle weiterspielen. Eigentlich hatte er nach dem Ausflug direkt zur Polizei gehen wollen, aufgeregt und abgehetzt: ‚Meine arme Frau - ohne Führerschein und in diesem Nebel! Bitte unternehmen Sie sofort etwas, liebe Polizei, ehe es zu spät ist!‘ Ja, das wäre gut angekommen. Aber noch war nichts verloren.

„Ich weiß, dass ich sofort hätte kommen müssen. Aber, wie gesagt, wir hatten uns gestritten, ich war böse auf sie... naja, da habe ich mich an die Bar gesetzt und mich zugeschüttet. Bin erst heute Mittag zur Besinnung gekommen. Dann bin ich aber gleich hergekommen!“ Rolfs Gesicht war jetzt das eines eifrigen Schuljungen. Rechtzeitig fiel ihm ein, dass er sich große Sorgen machen musste.

„Finden Sie meine Frau, bitte! Hoffentlich ist ihr nichts zugestoßen, das würde ich nicht verkraften! Sie war doch mein Ein und Alles...“

„Na, na!“, brummte der Polizist und schrieb etwas auf seinen Block. „Jetzt geben Sie mir mal die Personalien Ihrer Frau und die Nummer des Fahrzeuges, dann werden wir sie im Nu finden. Es wäre schön, wenn Sie auch ein Foto hätten. Sie halten sich dann bitte in Ihrem Hotel zur Verfügung, wir werden Sie informieren, wenn es etwas Neues gibt oder wir noch weitere Fragen an Sie haben!“

‚Idiot!‘, dachte Rolf und sagte: „Selbstverständlich!“ Dann nahm er den Speicherchip aus seiner Kamera, reichte ihn über den Schreibtisch und sah zu, wie der Beamte die Bilder hoch lud. Gemeinsam machten sie sich daran, ein Foto von Susanna auszusuchen, auf dem sie gut zu erkennen war. Sie entschieden sich für einen Schnappschuss, den Rolf gleich zu Beginn ihres Urlaubes von seiner Frau gemacht hatte.

„Eine hübsche Frau“, sagte Huber. Rolf nickte nur.

„Wir finden sie schon, keine Sorge!“, tröstete der Polizist, der Rolfs Schweigsamkeit als Besorgnis deutete.

Als Rolf Berger das Polizeipräsidium verlassen hatte, saß Polizeiwachtmeister Huber nachdenklich an seinem Schreibtisch und blickte das Foto auf seinem Monitor an, auf dem eine lachende, blonde Frau zu sehen war. Dabei dachte er an ihren Mann. Da war etwas gewesen, was ihm unangenehm aufgefallen war. Was war es nur? Man hatte ja als langjährigen Ermittler so seine Ahnungen. Doch dann juckten erneut die Hämorriden und er vergaß seine Ahnungen.

Hätte er sich rechtzeitig heute Morgen in der Drogerie die Salbe gekauft, wäre ihm sicherlich aufgefallen, dass sein Gesprächspartner von seiner vermissten Frau bereits in der Vergangenheitsform gesprochen hatte.

Susanna

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