Читать книгу Susanna - Angela Rommeiß - Страница 9
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Оглавление„Was soll das heißen, ich darf nicht heimfahren? Ich habe schließlich eine Arbeit, um die ich mich kümmern muss. Warum soll ich denn noch länger hierbleiben?“ Rolf sprang von seinem Stuhl hoch.
„Na, na, nun beruhigen Sie sich doch erst einmal!“ Der diensthabende Beamte blieb gelassen angesichts des schimpfenden Mannes aus Deutschland. Mit einer Handbewegung wies er ihn auf seinen Stuhl zurück.
„Darf ich rauchen?“, fragte Rolf aggressiv.
„Nein!“, erwiderte der Polizist und seufzte.
Er war Schlimmeres gewöhnt. Erst gestern hatten sie sechs betrunkene Jugendliche hier gehabt, reicher Leute Kinder, die nicht einsehen wollten, dass die Welt nicht ihnen gehörte. Die hatten vielleicht ein Theater gemacht, als sie wegen Ruhestörung und Sachbeschädigung angezeigt worden waren! Kamen hierher mit dicken Geldbündeln in den Taschen ihrer teuren Freizeitkleidung und randalierten schlimmer als eine Horde Affen. Im Winter, in der Skisaison, war es noch schlimmer, da kam es fast täglich zu solchen Vorfällen. Na, die reichen Väter waren nicht besonders angetan gewesen vom Verhalten ihrer Sprösslinge! Und die waren nüchtern auch ziemlich kleinlaut geworden.
Dieser Mann hier hatte andere Sorgen. Das heißt, er sollte Sorgen haben, aber es schien nicht so, als ob er seine Ehefrau besonders schmerzlich vermisste. Wollte tatsächlich ohne sie heimfahren. Wachtmeister Christian Michelauer schaute in seine Unterlagen.
„Ihr Urlaub ist doch sowieso noch nicht zu Ende, Herr Berger. Haben Sie denn nicht vor, Ihre Frau mit heim zu nehmen? Die Suchmannschaften sind schon überall ausgeschwärmt, es kann nicht mehr lange dauern, bis wir sie gefunden haben.“
„Ja, natürlich!“, Rolf lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und fingerte nervös an der Zigarettenschachtel in seiner Hosentasche herum. „Es ist nur... nach diesem schrecklichen Erlebnis, wissen Sie, da möchte man doch nicht bleiben, da will man doch nach Hause!“
„Was für ein schreckliches Erlebnis meinen Sie?“, fragte Michelauer nach. Rolf wurde blass.
„Sie ist verschwunden, oder?“, entgegnete er aggressiv. „Wäre das für Sie nicht schrecklich, wenn Ihre Frau Sie sitzenlassen würde?“
Verdammt, da hatte er sich fast verplappert. Rolf gefiel der Blick nicht, mit dem ihn dieser Polizist ansah. Ahnte er etwas? ‚Ich sollte vorsichtiger sein und meine Rolle besser spielen!‘, ermahnte sich Rolf in Gedanken. Hatte keinen Zweck, jetzt die Nerven zu verlieren. Sollte er der Polizei einen Tipp geben, wo sie suchen sollten? Je eher sie die Leiche fanden, desto eher konnte er heimfahren und die Millionen verprassen. Aber nicht in den Österreicher Alpen, ha! Sunny, diese einfältige Trine, hatte ja gedacht, eine Flugreise ins Nachbarland war das höchste der Gefühle! Hatte keine Ahnung gehabt, was das für ein Batzen Geld war, den sie da mit ihrem Lottogewinn an Land gezogen hatte. Gut angelegt, dass ordentlich Zinsen anfielen, musste er nie mehr arbeiten. Und dann - ab in den Süden! Luxus, schöne Frauen, gutes Essen und alles das ohne seine lästige kleine Ehefrau. Für den Alltag war sie ja tauglich gewesen, aber ein Luxusleben führte er doch lieber alleine. Außerdem war er ihrer schon seit ein paar Jahren überdrüssig geworden. Es wurde Zeit für etwas Neues. Eine Scheidung wäre ihm teuer zu stehen gekommen, zumal dummerweise sie die Million gewonnen hatte und nicht er. Diese Lösung war zweifellos am einfachsten für alle Beteiligten. Sunny hatte schließlich nicht viel gemerkt, hatte ihr kleines, wertloses Leben schnell und schmerzlos beendet und war jetzt in einer besseren Welt. Rolf konnte sich ein kleines gehässiges Grinsen nicht ganz verkneifen, ehe er merkte, dass der österreichische Polizist ihn beobachtete. Verdammt, er musste sich wirklich zusammennehmen!
„Mir ist heute Morgen eingefallen“, sagte er hastig, „dass sie womöglich nach Hause gefahren ist. Wir hatten schließlich einen Streit, und da wollte sie sicherlich nach Hause zu ihrer Mutter. Kann doch sein, oder? Deshalb wollte ich heute auch fahren...“
Wachtmeister Michelauer zog zweifelnd die Augenbrauen zusammen.
„Nach Deutschland soll sie gefahren sein? Auf der Autobahn im dichtesten Verkehr - ohne Führerschein und ohne Fahrpraxis, wie Sie uns selbst gesagt haben? Das halte ich dann doch eher für unwahrscheinlich, Herr Berger. Passen Sie auf, ich mache Ihnen einen Vorschlag: Sie gehen in aller Ruhe in Ihr Hotel zurück, führen ein paar Telefonate mit Ihren Schwiegereltern und melden sich bei uns, wenn Ihre Frau tatsächlich dort sein sollte. Wenn nicht, melden wir uns bei Ihnen, wenn es etwas Neues gibt. Einverstanden?“
Murrend zog Rolf ab, nicht ohne über die bisher erfolglos gebliebene Suchaktion zu protestieren, die sich seiner Meinung nach viel zu sehr in die Länge zog.
Im Hotel angekommen, warf er sich in voller Bekleidung aufs Bett.
Heute war das Wetter wieder schön. Viel zu schade, um täglich im Polizeirevier verhört zu werden. Auch vorgestern hatte es nur wenige Wolken gegeben, als er zum Wrack hinuntergestiegen war. Der Nebel, der am Absturztag alles verhüllt hatte, war genau zur rechten Zeit gekommen. Kein Mensch hatte ihn gesehen, weder mit Sunny auf dem Hinweg noch ihn allein mit dem anderen Wagen auf dem Rückweg. Niemand hatte ihn bei der Autovermietung gesehen. Hauptsache, die Polizei stieß nicht zufällig darauf, dass er zwei Wagen gemietet hatte, dann wäre er in Erklärungsnot. Nun, er könnte sagen, sie hätten getrennt Ausflüge machen wollen.
Aber Sunny hatte keinen Führerschein, verdammt. Oder er behauptete, zunächst auf eigene Faust nach ihr gesucht zu haben. Dafür musste er schließlich noch einen Wagen mieten, sollte er etwa zu Fuß suchen? Zu dumm, dass er bereits zu Protokoll gegeben hatte, dass er sich am Tattag betrunken und am nächsten Tag lange geschlafen habe.
Tattag! So ein Wort durfte ihm nicht zufällig herausrutschen! Es hatte keine Tat gegeben, nur einen Ausflug und einen Streit. Dann war sie weggefahren, er war heimgelaufen und hatte sich besoffen. Oder ein zweites Auto gemietet? Sollte er diese Version gleich erzählen oder erst, wenn sie von selbst auf das zweite Auto kamen?
Rolf seufzte und rieb sich die Schläfen. Es wurde komplizierter, als er gedacht hatte. Ach, er würde einfach alles laufen lassen. In ein paar Tagen würde man sie finden und an einen Unfall glauben. Dann wäre sie vielleicht auch schon verwest und keiner käme auf die Idee, die Wunde am Hinterkopf stamme von einem Schraubenschlüssel.
Rolf riss die Augen auf. Der Schraubenschlüssel! Warum zum Teufel hatte er das Ding nicht mitgenommen? Er hatte das Werkzeug zwar abgewischt, aber sicherlich waren seine Fingerabdrücke noch dran. Oh, verdammt, er war doch zu blöd! Dabei hatte er ihn schon in der Tasche gehabt, ihn dann aber wieder rausgenommen, weil er zu schwer und zu lang war. Die Tasche war zu klein gewesen und nicht zugegangen, da wollte er ihn hinten an den Rucksack schnallen, musste es aber in der Aufregung vergessen haben. Sollte er noch mal zurück zum Wrack klettern? Konnte er das wagen? Was, wenn er dabei den Suchtrupps auffallen würde? Lieber nicht, sonst wäre er gleich unter Verdacht. Ach, verdammt, dabei hatte er alles so perfekt geplant!
Schon am Tag des Lottogewinnes, nachdem Sunny ihn freudestrahlend an der Tür empfangen und ihm die frohe Nachricht entgegen gesprudelt hatte, kam ihm schon der Gedanke, wie schön es wäre, dieses viele Geld für sich alleine zu haben. Die dumme Kuh wollte das Häuschen renovieren und einen Swimmingpool bauen lassen. Überdacht und beheizt! Und dann alle Nachbarn einladen! Rolf schnaubte geringschätzig. Die blöden Nachbarn sollten sich im öffentlichen Schwimmbad vergnügen, ihn würden sie nicht wiedersehen!
Als er ein paar Tage später den Schrank im Flur durchsuchte, weil er eine Taschenlampe brauchte, war ihm ein Karton mit alten, abgelaufenen Medikamenten in die Hände gefallen. Er wollte schon schimpfen, dass sie das Zeug nicht schon längst entsorgt hatte, da fiel sein Blick plötzlich auf diese Pillen. Hatte sie nicht immer grässliche Kopfschmerzen davon bekommen? Was wäre, wenn sie sie alle auf einmal nähme? Vielleicht würde sie sterben, aber vielleicht auch nicht. Und wenn, käme er sicher in Verdacht. Niemand brachte sich um, wenn er gerade 1,5 Millionen gewonnen hatte.
Er tat die Pillen wieder in den Schrank zurück. Aber noch nachts gingen sie ihm nicht aus dem Sinn. Selbst am nächsten Tag auf der Arbeit grübelte er und irgendwann war ihm dann dieser geniale Plan eingefallen.
Rolf stand auf und öffnete den kleinen Kühlschrank, der im Fernsehschrank eingelassen war. Hm, Sekt oder Bier? Ihm stand der Sinn nach etwas Stärkerem. Kurz entschlossen machte er sich auf den Weg zur Hotelbar. Es konnte doch niemanden wundern, wenn ein einsamer, verlassener Ehemann, dessen Frau gerade im ganzen Land gesucht wurde, seinen Kummer bei einem ordentlichen Glas Whisky vergessen wollte! Auch wenn es noch nicht einmal Abend war.
Es wunderte sich niemand. Schweigend schenkte ihm ein junger Mann den Alkohol ein und ließ auf einen Wink seines einzigen Gastes die Flasche gleich stehen. Dann machte er sich wieder ans Gläserpolieren.
„Auf dein Wohl, Sunny – Schätzchen!“, sagte Rolf leise, als er das erste Glas dieses Abends an die Lippen führte.
„Und auf die Millionen!“