Читать книгу Amelie im Schlaraffenland - Angela Rommeiß - Страница 5

Caramella

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Es dauerte gar nicht lange, da tauchten am Wegesrand kleine Häuser auf. Zäune umschlossen Hühnerhöfe und Blumengärten, der Pfad wurde zu einem gepflasterten Weg. Alles, die Häuser, die Gärten, die Brunnen und die Handwagen, wirkten so klein und zierlich, als wäre es extra für Kinder gemacht. An einem Haus, hinter dessen Fensterscheiben noch Licht war, blieb Amelie stehen, nahm ihren ganzen Mut zusammen und klopfte. Die Tür öffnete sich knarrend und vor Amelie stand eine alte Frau, gerade so groß wie sie selbst, und schaute ihren Besucher freundlich an.

„Oh, ein Gast aus der Menschenwelt! Tritt doch näher, mein Kind!“ mit diesen Worten öffnete sie die Tür weit und ließ Amelie eintreten. Die sah sich neugierig um. Wie in einer Puppenstube sah es hier aus! Auf dem Tischchen stand eine Kerze und verbreitete mattes Licht. Der kleine Sessel am Kamin war mit einem gehäkelten Tuch bedeckt.

„So setz dich doch, Mädchen!“, sagte die alte Frau freundlich. Sie trug ein langes Kleid, ein grünes Wolltuch um die Schultern und eine schneeweiße Schürze. Auf dem Haupte saß ihr ein besticktes rosa Häubchen. Es schien ihr nicht das Geringste auszumachen, dass ihre Besucherin im Nachthemd vor ihr stand. Als Amelie sich gesetzt hatte, vollführte die Frau mit den Händen seltsame Bewegungen über der Tischplatte, als wolle sie Fliegen verscheuchen. Wie aus dem Nichts tauchten plötzlich Schüsseln und Näpfe auf, die sich rasch füllten: Mit Plätzchen und Schokolade, mit Eis und Pudding. Mitten auf dem Tisch stand eine große Sahnetorte.

„Greif doch zu!“, sagte die Frau aufmunternd.

Amelie, die ihren Augen nicht traute, berührte vorsichtig mit dem Zeigefinger die Torte. Es blieb Sahne am Finger kleben, die Torte war echt! Die Schokoladenplätzchen waren es auch, wie sie schnell feststellte, und alles schmeckte einfach köstlich! Aus einem Krug schenkte ihr die Hausherrin Apfelmost in einen Becher, dann setzte sie sich zu ihr und schaute ihr lächelnd beim Essen zu.

„Nun, wer bist du und was führt dich zu uns?“, fragte sie nach einer Weile.

Das Mädchen schluckte schnell einen Bissen hinunter und antwortete höflich: „Ich heiße Amelie, bin sieben Jahre alt und möchte das Schlaraffenland finden!“

Die Alte lachte glockenhell. „Nun, du hast es gefunden! Ich heiße Caramella und bin siebenhundertachtundsechzig Jahre alt.“

„Aber ... aber so alt kann man doch gar nicht werden!“, rief Amelie erstaunt.

„Oh doch, bei uns schon!“, widersprach die Frau lächelnd. „Hier geht alles etwas langsamer zu. Bei den Schlaraffen vergeht ein Jahr wie bei euch ein Monat. Du musst dich darüber nicht wundern. Nun, wie sieht es aus. Bist du müde?“

Amelie, die ein Gähnen kaum unterdrücken konnte, nickte. Daraufhin führte sie Frau Caramella in ein Nebenzimmer, wo ein wunderhübsches Himmelbett stand. Amelie hatte sich kaum in die weichen Kissen sinken lassen, als ihr auch schon die Augen zufielen.

Am nächsten Morgen schien die Sonne hell in das kleine Fenster hinein und ließ die blauen Vorhänge leuchten. Mit lautem Kikeriki begrüßte ein bunter Hahn den neuen Tag. Amelie war sofort hellwach. Sie sprang aus dem Bett und sah sich um. Es war kein Traum gewesen! Sie war immer noch im Schlaraffenland! Neben dem Bett standen ein Tischchen und ein Stuhl. Auf dem Tisch befanden sich eine wassergefüllte Schüssel und daneben ein Handtuch, über der Stuhllehne hing ein rotes Kleid. Nachdem sich das Mädchen erfrischt hatte, zog sie das Kleid statt ihres Nachthemdchens an. Es passte wie angegossen! Als sie in die Stube trat, war Frau Caramella gerade dabei, das Frühstück zuzubereiten. Wie gestern Abend vollführte sie bloß ein paar Handbewegungen über dem Tisch, schon türmten sich duftende Pfannkuchen auf einem Teller, übergossen mit heißem Himbeersirup. In einer Schüssel lagen Krapfen, daneben stand ein Teller mit Rührei.

„Wie machen Sie das bloß?“, fragte Amelie verblüfft.

„Oh“, lachte Caramella, „das weißt du nicht? Wir, das Zaubervolk der Schlaraffenzwerge, haben alle diese Gabe. Der eine mehr, der andere weniger. Wir können Essen herbei- und wieder wegzaubern. Am besten gelingen uns Süßigkeiten, aber mit viel Übung kriegt man auch Rühreier hin. So, nun komm und lass es dir schmecken!“

Amelie setzte sich und sie aßen. „Wozu halten Sie sich denn Hühner, wenn Sie Eier herbeizaubern können?“, fragte sie schließlich.

Caramella schenkte Kakao nach. „Ach, die legen nur Ostereier. Die Hasen bringen sie im Frühling zu euch, das weißt du doch!“, sie zwinkerte Amelie fröhlich zu. Anscheinend machte es Caramella großen Spaß, einen Gast zum Essen dazuhaben. Immerfort verschwand eine Schüssel, aus der sich das Mädchen bereits genommen hatte, und es tauchten andere Leckereien stattdessen auf. Sahnegefüllte Windbeutel, schokoladenüberzogene Eclair, Streuselkuchen und Obsttorte kostete Amelie. Schließlich sank sie erschöpft zurück.

„Ich kann nicht mehr!“, erklärte sie entschieden.

„Oh!“, sagte Caramella bedauernd und im nächsten Moment war der Tisch leer.

„Danke für das schöne Kleid!“ Amelie war ein bisschen verlegen, weil ihr das nicht eher eingefallen war. „Und überhaupt, danke für alles. Ich habe mir das Schlaraffenland ganz anders vorgestellt. Laufen denn hier nicht die gebratenen Schweine mit Messer und Gabel im Rücken herum?“

Frau Caramella schüttelte verständnislos den Kopf. „Aber Kind, gebratene Schweine können doch nicht mehr herumlaufen! Womöglich glaubst du auch an das Märchen, gebratene Vögel würden den Leuten ins Maul fliegen?“

Amelie nickte verschämt. Ihre Gastgeberin lachte. „Ach, was ihr Menschen euch so alles vorstellt!“ Bei diesen Worten vollführte sie eine elegante Handbewegung und hatte plötzlich eine Kaffeetasse in der Hand. Zwei Stückchen Zucker tauchten in der Luft auf, schwebten einen Moment über der Tasse und plumpsten dann hinein.

„Wenn du dir die Stadt angesehen hast“, plauderte Caramella und nippte an ihrem Kaffee, „dann kannst du ja auf deiner Rückreise wieder bei mir hereinschauen. Ich würde mich freuen! Es kommen nur noch selten Gäste zu uns, weißt du. Früher kamen die Knechte und Mägde scharenweise aus der Menschenwelt, um sich einmal richtig satt zu essen. Aber heutzutage glaubt niemand mehr an die Zauberwelt.“

„Ich schon!“, rief Amelie. „Und ich will erst wieder heim, wenn ich mir alles angeschaut habe!“

Caramella wurde plötzlich ernst, beugte sich über den Tisch und flüsterte: „Sieh dich nur vor, Kleines, dass du dem Schloss nicht zu nahe kommst! Die Zuckerkönigin hat große Macht und sie kann sehr ungemütlich werden!“ Ihre Stimme war immer leiser geworden, als habe sie Angst, belauscht zu werden.

„Meinen Sie das weiße Schloss auf dem Berg?“, hauchte Amelie erschrocken. Aber Caramella schüttelte den Kopf. „Nein nein, da wohnt die Zahnfee. Das Schloss der Zuckerkönigin liegt am Rande der Stadt in einem großen Park, du wirst es von weitem erkennen. Geh aber nicht zu dicht heran!"

„Aber warum denn nicht?“ So schnell gab Amelie nicht auf. Caramella seufzte.

„Die Königin besitzt geheimnisvolle Zauberkräfte, die sie aber nicht, wie wir normalen Schlaraffen, zum Guten verwendet. Das war nicht immer so. Vor vielen Jahren war sie eine gute Königin, man kannte sie als gütig und weise. Doch die Macht hat sie verändert. Jetzt lässt sie sich kaum noch außerhalb des Palastes blicken und verbreitet Unheil über das Volk.“

Amelie war erschrocken. Vielleicht sollte sie doch lieber wieder nach Hause gehen? Caramella lächelte, als habe sie die Gedanken des Mädchens erraten. „Du brauchst keine Angst zu haben, einem Menschenkind kann in der Traumwelt nichts Böses geschehen! Aber dennoch: Hüte dich vor ihr!“

Nach diesen mahnenden Worten verabschiedete sich Amelie von der guten Frau Caramella. Sie war sehr neugierig auf die Stadt, obgleich ihr nicht recht wohl zumute war, wenn sie an die gruselige Königin dachte. Sie beschloss, einen Bogen um das Schloss zu machen und mit leichtem Sinn spazierte sie in ihrem roten Kleid die Straße entlang auf die Schlaraffenstadt zu.


Amelie im Schlaraffenland

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