Читать книгу Gelassenheit durch Auflösung innerer Konflikte - Angelika C. Wagner - Страница 6
Оглавление
Vorwort zur ersten Auflage
Wie entsteht Gelassenheit? Wieso drehen sich die Gedanken bei akuten Konflikten endlos im Kreis? Wie lässt sich die Entstehung unterschiedliche Bewusstseinszustände – von tiefer innerer Ruhe bis hin zu Angst, Ärger, Panik – erklären? Und vor allem – was lässt sich praktisch tun, um solche Zustände wieder zu verändern, also beispielsweise einen Konflikt aufzulösen und innerlich wieder zur Ruhe zu kommen?
Um diese Fragen geht es in dem hier vorliegenden Buch. Wann immer wir in den letzten Jahren Bekannten, Freunden, Studierenden und Klienten von unserer Forschungsarbeit erzählt haben, erwiderten diese unisono: »Ja, mehr Gelassenheit könnte ich auch gebrauchen – und wie bekommt man die?«
In diesem Buch geht es um eine – zugegebenermaßen lange – Antwort auf diese kurze Frage. Grundlage dafür sind die Ergebnisse eines Langzeitforschungsprogramms zur Entstehung und Auflösung innerer Konflikte unter der Leitung der Verfasserin; zunächst an der Pädagogischen Hochschule Reutlingen (1976–1985) und seit 1985 an der Universität Hamburg. Ziel war und ist, herauszufinden, wie inner Konflikte (Angst, Ärger, Wut, Enttäuschung) entstehen und wie diese sich wieder auflösen lassen. Die Ergebnisse dieses Langzeitforschungsprogramms mit weit über sechzig empirischen Untersuchungen, werden in diesem Buch zusammenfassend dargestellt.
Beim Schreiben habe ich in erster Linie diese Bekannten, Freunde und Klienten vor Augen gehabt – und versucht, so allgemein verständlich zu schreiben, dass dieses Buch auch ohne größeres psychologisches Fachwissen gelesen werden kann. In zweiter Linie habe ich an Studierende gedacht, die sich, aus verschiedenen Fachdisziplinen kommend, Antworten auf ihre Fragen zur eigenen mentalen Selbstregulation erhoffen. Und drittens ging es mir beim Schreiben natürlich auch darum, innerhalb der gegenwärtigen Fachdiskussionen einen Beitrag zu einer Psychologie der Veränderung (Grawe, 1994) zu leisten.
Die zentrale Frage, die uns und vor allem mich über viele Jahre hinweg beschäftigt hat, lautet: Wie ist es möglich, den eigenen Bewusstseinszustand zu verändern und innerlich (wieder) ruhiger zu werden? Was lässt sich tun, wenn sich die eigenen Gedanken endlos im Kreis drehen, wenn man sich ärgert, Angst hat oder sich nicht entscheiden kann? Und wie lassen sich unangenehme Gewohnheiten verändern – zum Beispiel endlich aufzuhören, Dinge vor sich herzuschieben, sich unnötig aufzuregen oder anzufangen, sich öfter zu entspannen? Während meines Promotionsstudiums in den USA (1967–1971) an der University of Michigan in Ann Arbor lernten wir, dass es wichtig sei, »to make psychology practical to the people«. Mein Doktorvater, Prof. Dr. Ronald Lippitt am Institute of Social Research, führte uns bereits damals im Rahmen eines dreisemestrigen Seminarmoduls in die theoretischen und praktischen Grundlagen einer »Psychology of Change« ein.
Und so steht im Zentrum dieses Buchs die Frage nach der praktischen Anwendung unserer Forschungsergebnisse: Wie lassen sich Konflikte und mentale Blockaden wieder auflösen, was ist nötig, um Gelassenheit und Handlungsfähigkeit im Alltag wiederzugewinnen?
Diese Frage hat uns und vor allem mich nicht mehr losgelassen, seit wir im Rahmen eines von der Verf. geleiteten DFG-Forschungsprojekts (Wagner, Barz et al., 1984) unvermutet darauf stießen, dass sich im beruflichen wie im privaten Alltag die Gedanken sehr viel öfter im Kreis drehen, als kognitive Theoretiker (z. B. Miller, Galanter & Pribram, 1960) damals vermutet hatten.
Unsere Ausgangshypothese damals war, dass dieses Endloskreisen die Folge subjektiver Imperative ist. Dies war das einzige Projekt, das ich kenne, bei dem wir uns regelmäßig vornahmen, über Organisatorisches zu sprechen, um dann doch wieder bei der Theorie zu landen. Die Theorie subjektiver Imperative ( Kap. 4) beruht auf der Annahme, dass akute Konflikte im Zusammenhang mit der – tatsächlichen oder antizipierten – Verletzung subjektiver Imperative entstehen. Parallel dazu beschäftige ich mich fast von Anfang an gleichzeitig mit der Frage der praktischen Auflösung solcher Konflikte ( Kap. 1, Kap. 5, Kap. 6) sowie mit der Entwicklung von Übungen des Konstatierenden Aufmerksamen Wahrnehmens ( Kap. 3).
Als es darum ging, Anfang der 1990er Jahre die Theorie Subjektiver Imperative zusammenfassend darzustellen, waren drei entscheidende Fragen zur Funktion solcher Imperative noch offen. Die erste Frage lautete: Wie entstehen solche Imperative? Als Mitglied des Graduiertenkollegs Kognitionswissenschaft der Universität Hamburg beschäftigte mich die Frage, wie solche subjektiven Imperative – etwas flapsig ausgedrückt – in die menschlichen kognitiven Prozesse hinein, während Computer ohne diese auskommen? Die zweite theoretisch ungeklärte Frage war, wie sich die Wirksamkeit einer nicht-wertenden, freischwebenden Aufmerksamkeit (KAW, Kap. 3) bei der Auflösung von Konflikten theoretisch erklären lässt. Und schließlich lag – dahinter oder auch darunter – als drittes die allgemeinere Frage nach der Wurzel innerer Unruhe: An welchem Punkt, mit welchem internen Prozess beginnt Nicht-Gelassenheit?
Das Ergebnis dieses Nachdenkens war schließlich die Entwicklung der Theorie der Mentalen Introferenz (TMI) durch die Verf., die als eine Psychotherapieschulen-übergreifendeTheorie der Entstehung von Gelassenheit und Konflikt (Wagner, 2019) seit dem Erscheinen der ersten Auflage dieses Buchs kontinuierlich weiterentwickelt wurde ( Kap. 2). Die grundlegende Annahme der TMI lautet, dass subjektive Imperative ebenso wie auch mentale Blockaden das Resultat des introferenten (wörtlich: »hineintragenden«) Eingreifens in die eigene epistemische Informationsverarbeitung sind – zum Beispiel, wenn wir uns selber etwas vormachen, schön gucken oder einbilden und gleichzeitig anderes ausblenden, ignorieren und hemmen.
»Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie«, pflegte der Doktorvater meines Doktorvaters, Kurt Lewin, zu sagen. Und nichts ist so praktisch bei der Entwicklung einer Theorie wie das ständige Testen der Ideen in der Praxis, d. h. bei der Auflösung realer Konflikte in Seminaren, Einzelberatungen und Forschungsprojekten. Schwierigkeiten bei der praktischen Anwendung machten es notwendig, die theoretischen Annahmen zu verändern; umgekehrt führten neue theoretische Gedanken zur Weiterentwicklung der Praxis. In dieser Zeit wurden weit über sechzig empirische Untersuchungen durchgeführt ( Kap. 1.3); dazu gehörten auch Projekte zur Anwendung von Introvision in Feldern, die bislang als schwer oder nicht (psychologisch) behandelbar gelten: so z. B. zur Verbesserung der Hörfähigkeit bei Alters- und Lärmschwerhörigkeit (Wagner, Buth et al., 2005), im Umgang mit Tinnitus (Buth, 2012), zum langfristigen Abbau chronischer Dauerverspannungen im Rücken (Guedes, 2011) und der Verringerung chronischer Kopfschmerzen und Migräne (Empl et al., 2017).
Viele diese Forschungsarbeiten liefen parallel zu anderen, teilweise ebenfalls sehr zeitintensiven Tätigkeiten der Verf – so z. B. als Vizepräsidentin der Universität Hamburg (1988–1990), als langjähriges Mitglied des Vorstands des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD), der Deutschen UNESCO-Kommission, des Ständigen Planungsausschusses der Hochschulrektorenkonferenz (WRK/HRK), als Rundfunkrätin der Deutschen Welle, als Vorstandsmitglied und Beiratsvorsitzende der Hamburger Volkshochschule, als Vorstand der Universitäts-Gesellschaft Hamburg, als Herausgeberin der Zeitschrift Gruppendynamik und Organisationsberatung, als Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, als Evaluationsgutachterin und den vielen übrigen Aufgaben einer Universitätsprofessorin.
Hinzu kam ein weiteres umfangreiches Forschungs- und Entwicklungsprojekt unter meiner Leitung zum Thema Mentoring: Die von der Verf. gegründete Arbeitsstelle »Expertinnen-Beratungsnetz/Mentoring« der Universität Hamburg (1989–2019, Wagner, 2009) war, soweit bekannt, die erste universitäre Arbeitsstelle, an der in großem Umfang sowohl Forschung als auch Praxis durchgeführt wurde. Insgesamt wurden in Hamburg über 8000 jüngere Frauen in Fragen des beruflichen Einsteigens, Aufsteigens und Umsteigens durch hochqualifizierte weibliche Führungskräfte als Mentorinnen beraten. Hinzu kommen fünf weitere Expertinnen-Beratungsnetze in der Bundesrepublik nach Hamburger Vorbild. In diesem Zusammenhang gilt mein herzlicher Dank all denjenigen, die es mir möglich gemacht haben, neben diesem Projekt auch das Forschungsprogramm mentale Selbstregulation weiter voranzutreiben, insbesondere den langjährigen hauptamtlichen Mitarbeiterinnen, Dipl. psych. Sabine Podolsky, PD Dr. Dorothea Ritter und Walburga Lübbers sowie Prof. Dr. Ellen Schulz, die die Arbeitsstelle zehn Jahre lang mit mir zusammen geleitet hat.
In diesem Buch wird der besseren Lesbarkeit halber (mit Ausnahme von Fallbeispielen) von »dem Klienten« und »der Beraterin« die Rede sein. Damit sind jeweils ausdrücklich männliche und weibliche Klienten und weibliche wie männliche Berater gemeint.
Angelika C. Wagner