Читать книгу Die Eifel und die blinde Wut - Angelika Koch - Страница 5

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Habe ich das verdient? Ich weiß es nicht, vielleicht. Früher, viel früher, da hätte ich vielleicht geglaubt, dass ich es verdient habe. Jetzt finde ich in mir kein Bedauern. Wozu auch? In Filmen zieht in so einem Moment das ganze Leben an einem vorüber. Das ist natürlich Quatsch. Nichts zieht an mir vorüber. Ich bin nicht mehr der Jüngste und ich sehe schlecht. Sehr schlecht. Ich werde bald Hilfe brauchen. Wie ich das hasse!

Die Arme tun mir weh, die Knie, die Hüften, ich habe Durst. Ich mache mir gleich in die Hose. Es ist so schwer, nur durch die Nase zu atmen. Man muss in den Schmerz hineinatmen, habe ich mal gelernt, aber das funktioniert nicht. Wie lange sitze ich hier schon und bin auf diesem beschissenen Stuhl festgebunden? Stunden? Oder nur Minuten? Hier ist es dunkel … Ist es draußen noch hell? Am Anfang habe ich nichts gespürt, da hatte ich echte Angst. Wäre fast erstickt. Aber keine Zeit, um auf den Körper zu achten. Jetzt hocke ich hier allein. Und es ist so still. Ich muss noch auf dem Hof sein. Ich hätte es doch gemerkt, wenn der mich weggebracht hätte. Was war zuletzt? Was war noch mal zuletzt? Die Küsterin wollte kommen, das weiß ich noch. Eine Nervensäge. Ich habe ihr gesagt, dass ich keine Zeit habe. Immer will sie Spenden für Blumenschmuck für die Kapelle, jedes Mal. Habe mich breitschlagen lassen, aber sie ist dann doch nicht gekommen. Und dann? Dann bin ich raus, wollte zum Hochsitz neben dem alten Koben. Die Leiter muss repariert werden … Ja, genau, ich habe noch den Werkzeugkasten in den Schubkarren gepackt. Und dann? Irgendwas war da, ein Geräusch, ich glaube, ein Auto. Dann hört’s auf. Ich weiß nichts mehr. Ich weiß es nicht, verdammt, ich weiß es nicht mehr.

Wo hat der mich versteckt? Bleibt eigentlich nur der alte Eberkoben. Aber es stinkt nicht. Der Eber ist seit Ewigkeiten weg. Das geht heute alles künstlich, Sauen brauchen die Natur nicht, schon lange nicht mehr. Man muss mit der Zeit gehen. Hat aber auch nichts geholfen.

Wenn dieser Clown mich umbringen wollte, hätte er es schon getan. Klar, das hätte er. Der will mir nur einen Schrecken einjagen. Vielleicht ist er längst über alle Berge. Vielleicht findet mich bald jemand. Man wird mich vermissen … Ja, doch, irgendwer wird mich vermissen. Nicht so von Herzen. Aber merken, dass ich fehle. Dass mir irgendwas zugestoßen sein muss. Es kann nicht mehr lange dauern.

Allein dieser idiotische Aufzug. Knallorangerote Kluft, unförmig. Wie ein Müllmann. Ja, genau so. Und ein Motorradhelm auf. Ich glaube, ich kenne den. Sonst wäre es doch vollkommen überflüssig, sich so zu verkleiden. Ja, bestimmt, es ist jemand, der es mir heimzahlen will. Und jetzt traut er sich nicht weiter. Lässt mich hier schmoren. Oder kann es eine Frau sein? Keine Ahnung, hat ja keinen Mucks von sich gegeben. Ist bestimmt schon abgehauen. So einer ist das. So wie alle, erst den großen Zampano raushängen lassen und sich dann verpissen. Typisch.

Ich bin nicht so. Ich bin geradeaus. Wenn ich was anfange, dann bringe ich es auch zu Ende. Hat mir nicht nur Freunde eingebracht, klar. Aber geht es darum im Leben? Nein, natürlich nicht. Um Respekt geht es.

Ich höre nichts. Die Esel haben nicht Laut gegeben. Seltsam. Die schreien sonst immer, wenn jemand Fremdes kommt. Die Gäste finden das romantisch. Wandern mit Esel und Streichelzoo. Die halten das für Landleben. Was soll daran romantisch sein? Die spinnen doch alle. Wieso kommt die Kleine nicht und holt mich? Oder ist die auch … Ich kriege verdammt noch mal keinen Ton raus, dieses Gewimmer wird niemand hören. Hat keinen Sinn. Ich habe Durst.

Wer macht so was? Und warum? Meine Leute können es nicht sein, die scheiden von vornherein aus. Die haben doch alle was davon, dass ich den Laden auf Vordermann gebracht habe. Da ist keiner leer ausgegangen. Die müssen spuren, sicherlich, aber die wissen genau, wofür. Die haben das selbst so gewollt. Jeder von denen. Kommt mir bloß nicht und jammert! Hättet ja alles anders machen können und besser. Wenn ihr gekonnt hättet. Könnt ihr aber nicht. Oder? Alles Weicheier. Die würden das hier auch nicht zu Ende bringen. Nicht einmal anfangen würden die so was.

Kann sein, dass meine Alte mir so was an den Hals gewünscht hätte. Geguckt hat sie manchmal so. Aber den Mund gehalten. Respekt hatte die. Und die Kleine eigentlich auch. Die wusste ja, was sie getan hat damals. Die weiß genau, dass sie spuren muss. Bis heute weiß die das. Gut, sie ist mal abgehauen. Ist aber zurückgekommen. Und warum kommt man zurück, wenn man doch wegbleiben kann? Genau! Weil man weiß, wo sein Platz ist. Und wer man ist. Das habe ich ihr beigebracht. Will sie zwar nichts von wahrhaben, aber trotzdem.

Ich habe Angst. Quatsch. Habe ich nicht. Wenn die Kleine auch … Nein, bestimmt nicht, die ist clever. Habe ich ihr sogar geschrieben, noch vor Kurzem, als ich die Diagnose gekriegt hab. Wenn ich hier rauskomme, dann rede ich mit ihr darüber, versprochen. Über alles. Muss ja gar nicht warten bis nach meinem Tod, ich sag ihr das hier und jetzt. Versprochen. Man kann nur das weitergeben, was man selbst bekommen hat, weiß man doch. Sie wird das verstehen. Kennt mich doch, bin doch ihr Papa. War noch nie ein Mann schwülstiger Worte. Mir wurde beigebracht, das Maul zu halten, Sentimentalitäten bringen doch nichts. Die helfen mir auch jetzt nicht weiter. Wer macht so was?

Der Pole, dem würde ich das zutrauen. Als ich den vom Hof gejagt hab, da hat er mich verflucht. Richtig abergläubisches Zeug. Die sind da drüben auf eine Art katholisch, da schüttelt man nur den Kopf. So wie hier vor zig Jahrzehnten. Oder Jahrhunderten. Aber hier hat sich was bewegt. Ich habe was bewegt, klar. Das auch. Eigentlich kann ich stolz drauf sein. Bin ich auch. Aber der Pole? Lebt der überhaupt noch? Das ist lange her, der wird das vergessen haben. Es fällt einem doch nicht nach zig Jahren ein, dass man da gern mal wen … Quatsch.

Vielleicht ist es doch irgendein Irrer. Vielleicht kennt der mich gar nicht. Gibt ja so Sadisten, das Internet ist voll von dem Zeug. Ich lese das gar nicht. Irgendwer hat neulich gesagt, dass die es auf mich abgesehen haben. Hass-Posts und so was. Wegen dem Müll … immer noch. Hört das denn nie auf? Wie kann man sich in etwas so verbeißen? Alles Trottel! Deswegen diese orangene Montur? Quatsch. Hunde, die bellen, beißen nicht. Verdammt, dieses Klebeband … Ich muss stillhalten. Das geht gleich vorbei. Da kommt jemand.

Luft! Atmen! Ich wusste es doch, jetzt noch die Arme … Komm schon, beeil dich.

Was … was willst du?

Du?

Ich glaube es nicht. Du? Komm, wir vergessen das hier, versprochen. Ich vergesse alles, ich schwöre.

Nein, ich will das nicht. Du kannst mich nicht zwingen. Es reicht jetzt, hörst du!

Die Eifel und die blinde Wut

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