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Kapitel 1

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Rauchschwaden umwehten das grau melierte Haupt des Mannes, der auf einer der steinernen Bänke saß. Das linke Bein ruhte bequem auf dem Knie des andern. Kein Muskel zuckte in den ausgezerrten, bärtigen Zügen.

Dort, zwischen rankenden blattlosen Dornenbüschen prunkten trotz der Kälte weißlich-rötliche Blüten. Er verlor sich in dem Anblick der Winter blühenden Pflanze, die niemandem außer ihm aufzufallen schien.

Terzios Kopf fuhr herum, nachdem die zu den Schlossgärten führende Tür mit quietschendem Geräusch geöffnet wurde. Eine Gestalt mit fuchsrotem Haar erschien, die den Garten heimlich zu durchqueren beabsichtigte. Müde erhob sich der Hüter. Mit weitausholenden Schritten trat er dem Ankömmling entgegen.

»Lutek?!«

Der Angesprochene würdigte dem Vater keines Blickes. Vielmehr wollte er den alten Mann unbeachtet stehen lassen. Kurzerhand stoppte er.

»Was willst du?«, fragte er.

»Ich möchte eines von dir erfahren! Warum?«

»Seit wann kümmert es dich?« Ein Anflug von Zorn lag in der Stimme Luteks.

Terzios schnaufte auf. Er wollte nicht streiten. Er hatte Fehler begangen, nachdem sie aufeinandertrafen, nicht die geringste Möglichkeit gefunden, darüber zusprechen. Gutmachen konnte er die verlorene Zeit nicht, das war ihm klar. Er besaß jedoch kein Herz aus Stein.

»Seitdem ich meinen Sohn wiederfand«, sagte der Graubart mit belegter Stimme.

Den Blick zuvor zu Boden gerichtet, fasste Lutek dem Gegenüberstehenden scharf ins Auge. »Es hatte dich bis zum heutigen Tage nicht interessiert.« Wut blitzte in den Seelenfenstern. »Wieso jetzt?«

»Um dich vor einer Dummheit zu bewahren. Ich möchte nicht, dass du den gleichen Fehler begehst, den ich mit deiner Mutter beging.«

»Ach? Du fragst nicht, warum ich mit dir bisher kein Wort gesprochen hatte? Ich sage es dir! Du interessierst mich nicht. Deshalb halte dich aus meinem Leben heraus.«

Lutek vermochte den aufwallenden nassen Glanz in seinen Augen nicht unterdrücken. Furcht und Traurigkeit hatte von ihm Besitz ergriffen. Abrupt wandte er sich ab, zögerte jedoch, seinen Weg fortzusetzen.

Mit fahrigen Bewegungen kramte er in einer der Taschen herum, bis er das Gesuchte herausfischte. »Hier Vater … gib es Celena. Sie wird es verstehen.«

Ohne eine Erklärung, legte er Terzios den Gegenstand in dessen Hand und ging. Der alte Hüter sah schweigend hinter seinem Sohn her, bis dieser aus den Augen entschwand. Schließlich fiel der Blick auf das kleine Ding in der Handfläche. Verwundert darüber runzelte er die Stirn.

* * *

Am Türpfosten lehnend, beobachtete Sebyll Celena, die auf einem Stuhl vornübergebeugt, ins Leere starrte. In Kummer und Trauer verfallen, saß sie bewegungslos inmitten der Bibliothek.

Nichts und Niemanden nahm sie wahr. Die Welt um sich herum empfand sie in diesem Moment öd und inhaltslos. Er war weg. Nicht einen Blick hatte er ihr gewürdigt. Nicht ein Wort des Abschieds kam von seinen Lippen. Umgedreht hatte er sich und ließ sie abseits stehen.

Hier wollte sie keinen Augenblick bleiben. Einfach fortgehen. Sich all dem Abwenden. Nie mehr zurückblicken. Wohin aber ohne Ziel, ohne Heimat? Wohin ohne jeglichen Willen in ihrem Herzen, indem der Funken sämtlicher Hoffnung in Einsamkeit, zu ersticken drohte.

Sie sollte den Ritt in die Finsternis der Zukunft antreten. Hinfort in fernliegende Gefilde, die ihr ebenso wenig Trost zu spenden vermochten. Fortgehen. Niemals wieder einen Fuß in dieses Land setzen.

Seufzend, den Anblick Celenas Trübsinn nicht ertragend, drehte sich Sebyll den Begleitern zu. Die Gefährten hatten sich in dem angrenzenden Raum versammelt, nachdem Lutek sich in aller Öffentlichkeit von Celena abgewandt hatte.

»Als verfügte sie über keinen Lebenswillen mehr«, flüsterte die Gryposfrau den anderen zu.

Thorgrim lugte aufgrund ihrer Worte in die Bibliothek hinein. Celena betrachtend, hoben und senkten sich die tiefroten, buschigen Augen. Er konnte das Leid, dass die Kriegerin empfand, nachempfinden. Vor nicht allzulanger Zeit hatte er genauso in den Ecken herumgehangen, nachdem sie aus Ithnamena zurückkehrten.

Sich knurrend umdrehend, ließ der Zwerg die zusammengeballte Faust auf die hölzerne Schreibplatte vor sich niederfahren.

Bedrohlich kippten die Kerzenhalter. Das Siegelwachs wollte dem Fußboden einen Besuch abstatten. Schreibfedern, deren Spitzen zeitlebens in Dunkelhaft dahin vegetierten, hüpften jubelnd heraus und ein mannshoher Stapel Kodizes drohte in sich zusammenzufallen.

Thorgrims kleine Knopfaugen blitzten aus dem haarbehangenen Gesicht hervor. »Wieso sitzen wir hier dümmlich auf unseren haarigen Hintern herum?«, dröhnte seine Stimme wutentbrannt auf.

Die anwesenden Frauen warfen dem Männchen konsternierte Blicke zu.

»Aye! Ich denke viel mehr an den Throneroberer dort drüben«, fügte er eilig hinzu.

Wie aus einem Trance erwachend, schaute der, als Throneroberer titulierte, von seiner Lektüre auf. »Verzeiht!«, murmelte Belothar, » … wie meinen?«

»Mitnichten, von euch rede ich, Schwertschmuser«, bellte der Zwerg. »Seid ihr euch sicher das ihr Eier besitzt oder warum verkriecht ihr euch brav in den Schoß der drolligen Bohnenstange neben euch?« Thorgrim deutete auf Deirdre, die sogleich an sich hinab sah.

»Bohnenstange?!«, äffte sie nach, während sie ihre Figur genauer in Augenschein nahm.

Obschon die Schimpftirade des Winzlings sie amüsierte, maß Sebyll die Magierin mit geringfügiger Begeisterung.

Belothar schien die Anzüglichkeiten des feuerrothaarigen kleinen Mannes überhört zu haben. Er schlug das symbolverzierte schwarzlederne Werk zu und tippte überlegend mit dem Zeigefinger auf den Einband.

»Ich suche nach Antworten«, erklärte er stattdessen. Mit runzelnder Stirn klappte er das Schriftwerk erneut auf. Eine bisher nicht bemerkte lose Seite stob ihm entgegen.

Thorgrims Augen rollten hin und her angesichts des sich abermals in den Folianten vertieften Königs. »Ich bin begeistert, er enthaart viel lieber seinen Hintern«, knurrte er.

Sebyll kicherte belustigt. »Zudem war mir nicht bewusst, dass er überdies lesen kann«, gluckste sie. Flugs kehrte sie Belothar den Rücken zu. Ungeachtet ihrer Heiterkeit jagte ihr der Anblick Celenas von Neuem einen Stich in die linke Brustgegend.

Auf den zotteligen Hund vor ihr stierend, kauerte die Kriegerin in sich versunken auf dem Stuhl. Ihre Schultern schlaff herabhängend, von jedweder Seele verlassen, ward ihr Blick voll schmerzlicher Einsamkeit. Sie so sehen zu müssen, zerriss Sebyll schier das Herz.

Niemand hatte voraussehen können, was sich dort draußen auf dem Tjostplatz zutragen würde. Von jetzt auf gleich löste sich alles, wofür Celena gekämpft hatte, in Nichtsgefallen auf.

Tränen hatte die trauernde Kriegerin bisher keine vergossen. Daran denkend sammelten sich in Sebylls Augen einige wässrige Tropfen. Die Gryposfrau biss sich auf die Lippe und senkte den Kopf. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie der jungen Tousard beistehen konnte.

Deren Hand streichelte unvermittelt das Haupt des Zotteltiers vor ihr, das sie aus waidwunden Kullern fragend anstarrte.

»Ergibt das für jemanden von euch einen Sinn?«, drang Belothars Stimme an Sebylls Ohr. Tief durchatmend richtete die Gryposfrau ihr Augenmerk wieder auf die Gruppe von Dauergrüblern in der Schreibstube.

»Nichts von all dem ergibt hier Sinn, Belothar«, ließ sie verlauten. Sie wurde des Pergaments gewahr, das der Thronerbe in der Hand hielt.

»Was haltet ihr da zwischen euren Fingern?«

Er zuckte mit den Schultern.

»Wenn ich das wüsste«, erwiderte der Gefragte.

Mit zwei Schritten zu Belothar hin, entriss sie ihm forsch das Blatt. Sie las was darauf stand und fluchte avalisische Obszönitäten heraus.

»Oh, das … schätze ich, hat der Knabe auf dem Thron durchaus hinter sich«, grinste Thorgrim, der die Worte verstanden hatte. »Bei euch beiden!«, fügte er zwinkernd hinzu.

Sowohl Deirdre als auch Sebyll hüstelten einvernehmlich über die Andeutung, währenddessen Belothars Gesichtsfarbe wechselte. »Thorgrim! Ihr seid … «

»Ach, ihr meint, ich irre mich und ihr zogt nicht beiden Weibsbildern die Beine auseinander?«

»Es langt!«, donnerte Belothar aufgebracht.

* * *

Weich fühlte sich das zottelige Haar des Hundes in Celenas Hand an. Die treuen braunen Augen fixierten sie, als erwartete das Tier eine Antwort. Es gab keine. Sie hatte nichts. Einzig ein Loch in ihrem Herzen, dass niemand zu füllen vermochte.

Nur der Fluch der Einsamkeit blieb ihr, denn er war fort. Dort draußen gab es nichts, wohin sie sich wenden konnte. Nichts war ihr geblieben, wofür es sich zu leben lohnte.

Neben dem mittelgroßen Hund erschien ihr verschwommen ein Gesicht, welches sich in ihr Blickfeld drängte. »Verfügt ihr über etwas, wofür es sich zu leben lohnt?«, fragte knarrend die dazugehörige Stimme.

Eine Hand schob sich unter ihre Augen und präsentierte ein darauf liegendes Kleinod. Mit zittrigen Fingern nahm es Celena von der Handfläche. Sie betrachtete, studierte es, verstand nicht sogleich, was es darstellen sollte.

»Sagt mir, was ihr vorhabt«, erkundigte sich ihr Gegenüber leise.

Verständnislos sah sie sich die Kugel an. Klein und braun, wie es war, löste es etwas in ihr aus. Du weißt nicht, was dich erwartet, hatte Lutek damals gesagt. Celenas Lippen bebten. Salzhaltiges Nass erfüllte ihre Augen und rann an ihrer Wange herab. Zögerlich öffnete sie ihren Mund.

Koste davon und es könnte zu spät sein, waren einst seine Worte.

Furcht ergriff ihr Herz. Sie schloss die Lider und legte die runde Süßigkeit auf ihre Zunge. Süßbitterer Geschmack breitete sich auf ihrem Gaumen aus. Hoffnung ist das, was wir haben. Dein Vertrauen, dein Glaube soll belohnt werden«, hatte er damals verlauten lassen.

Celena blinzelte. Um sie herum schien alles auf sie einzustürzen. Plötzlich leuchteten ihre Augen auf.

»Terzios?« Die Frage war überflüssig, denn das Antlitz des alten ergrauten Hüters zeigte sich weiterhin standhaft vor ihrem Blickfeld. Ebenso hörte sie mittlerweile klar und deutlich die hitzige Diskussion aus dem Nebenraum.

Der graubärtige Mann nickte bestätigend. »Was nun?«

Celena räusperte sich verlegen. Was hatte sie sich gedacht, sich mir nichts dir nichts der Fügung zu ergeben? Einmal schon hatte sie aufgegeben und sich ihrem Schicksal gefügt. Damals in jener schicksalsträchtigen Nacht, da Nacud sie mitnahm und ihr nichts mehr geblieben war. Auf wundersamerweise war er zu ihrem Retter geworden. Er bewahrte ihr Leben, nachdem sie glaubte, alles verloren zu haben. Als Gegenleistung verdammte er sie, indem er sie zwang, das verfluchte Blut zu trinken.

Bei diesen Gedanken schnürte ihr ein dicker Kloß nahezu die Luft ab. Man hatte jederzeit die Wahl, erinnerte sie sich an Wilnas Worte und Tacio fragte sie dereinst: Würde sie kämpfen, wenn es andere forderten oder gar sterben, befahl man ihr es? Celena schüttelte leicht den Kopf.

»Nein!«, murmelte sie vor sich hin.

»Möchtet ihr ihn zurückholen? Ist es das, was ihr wollt?« In Terzios müde Augen brannte ein undefiniertes Feuer. »Nun?«, fragte er zum wiederholten Mal.

Des ergrauten Mannes Hand packte sie am Arm, da sie versuchte, sich von ihrem unbequemen Sitzmöbel zu erheben. Die steifen Knochen schrien förmlich auf. Sie wankte.

»Ja!«, knurrte Celena entschlossen auf.

Ein grimmiges Lächeln zuckte um die Mundwinkel des Alten. »Das wollte ich hören! Das ist der wahre Geist.«

Mit unsicheren Schritten trat sie daraufhin in die Schreibstube. Ihr Blick wanderte zu der Decke hinauf, die von einer Zierleiste und geschnörkelten Ornamenten umrandet war. Funkelnde Sterne aus kristallenen Steinchen sahen auf sie hinab.

»Celena«, rief Belothar erstaunt aus. Er richtete sich derart ungestüm auf, dass der Stuhl, auf dem er zuvor saß, umfiel.

»Ich habe nicht vergessen, dass es ein Turnier zu gewinnen gilt«, leitete sie mit Entschlossenheit ihre Rede ein. Aufmüpfigkeit war ihr Markenzeichen. Auf Weisungen, selbst die des Vaters, hatte sie nie gehört. Hier wollte sie mit Sicherheit nicht damit beginnen. Sie hatte vor, Lutek zurückzuholen. Wer ihr helfen mochte, war herzlich eingeladen.

Eisern starrte Celena die Gefährten nieder. »Keine Ahnung, was ihr zu Tun gedenkt«, fuhr sie fort.

Da erschien wieder ihre auflodernde Starrsinnigkeit. Mit strafenden Blick auf die Sprecherin gerichtet, erahnte Belothar eventuelles Unheil. Er verkniff sich jeglichen Widerspruch.

Tief sog Celena die Luft ein. »Ich … «, ein zweiter Atemzug folgte.

»Ich werde ihn zurückholen«, gab sie ihr Vorhaben endgültig preis.

Die einzige Reaktion war das Aufseufzen des Jungkönigs. Kurz schloss er die Lider, um sie hernach mit einem gequälten Lächeln wieder zu öffnen. »Das kommt mir allzu bekannt vor«, gab er von sich.

Bevor Celena auszuführen vermochte, was ihr auf dem Herzen lag, legte Sebyll das Stück Pergament auf den Tisch.

Erkenntnis brach sich Bahn, nachdem Celena las was darauf stand. Es stieß regelrecht die Pforten ihres Verstandes auf. Mehr denn je wusste sie, dass sie ihr Vorhaben durchzuführen hatte, egal was Belothar diesbezüglich für Einwände erhob. Dieser jedoch tat ihr nicht den Gefallen, dagegen zu protestieren. Im Gegenteil.

»So sei es! Ich werde Lord Monearl bitten, einen Weg zu finden, das Turnier aufzuschieben. Eine Weiterführung der Wettkämpfe ohne meine Anwesenheit ist nicht durchführbar«, erklärte Belothar unerwarteterweise. Er blickte in die verdutzten Gesichter der kleinen Gesellschaft.

»Ha, wenn ihr mir nicht glaubt … es steht in den Regeln geschrieben. Dort heißt es, der Regent muss zu jeder Runde seinen Segen geben«, rechtfertigte er sich. »Ohne mich können sie das Gesetz nicht ändern. Ernsthaft, ihr könnt es jederzeit in den dicken Wälzern, genannt "Gesetze Hadaimans" nachlesen.«

Überrascht blinzelte Celena den König des Landes entgegen. »Du liest?«

»Erstaunlich, nicht wahr? Sogar schreiben kann ich«, gab Belothar bekannt.

»Wunderbar! Dafür kann ich etwas, was ihr nicht könnt«, brachte sich Deirdre ein. Sie strahlte regelrecht über alle vier Backen.

»Thorgrim, ich hätte eine Aufgabe für euch. Sucht die hiesigen Zwerge auf, die hier in Thelerm leben. Ich benötige ein Metall, das sich Lithargit nennt. Ihr Celena, setzt euch mit Isande in Verbindung. Sie hat im Bauch ihrer Karavelle, was für unser Vorhaben notwendig ist. Belothar, ihr … ach kommt mit mir mit. Ich habe eine wahnsinnig gute Idee«, feixte sie, ergriff des Königs Arm und zerrte den verdattert dreinschauenden mit sich.

Thorgrim wandte sich derweil räuspernd zu Celena um.

»Mir kam zu Ohren … « Forschend hefteten sich seine listigen Augen auf die Kriegerin. »Euer Rotschopf hat demzufolge mit Zwillingen das Lager geteilt?«

»Thorgrim!«, keifte Sebyll erbost. Wütend warf sie einen der metallbeschlagenen Folianten nach ihm. Schnell vermochte der Zwergenmann sich wegducken, bevor sein Kopf mit dem schweren Band Bekanntschaft machte.

»Was soll das?«, beschwerte er sich. »Man wird doch fragen dürfen. Außerdem … ich meine, ich kann das nachvollziehen«, raunte Thorgrim. »Wenn ich an meine erste Frau zurückdenke, die meinte mit einer gleichgeschlechtlichen zu kuscheln. Wie muss es bei zwei Weibern sein, die nicht auseinanderzuhalten sind?«

Bevor Celena darauf erwidern konnte, kam ihr die blondhaarige Gryposfrau zuvor. »Verdammt, kleiner Mann haltet endlich eure vorlaute zwergische Klappe«, knurrte sie wütend.

Ehe sie ihren Zorn aufbauschte, nahm die Kriegerin Sebyll zur Seite.

»Bleibt ruhig! Ich glaube, dass er sein Mitgefühl damit zum Ausdruck bringt. Es ist seine Art«, wisperte sie ihr zu.

Letztendlich war es geraten. Sie kannte den Zwerg, der seine Gefühle hinter einem harten Kern verbarg. Ihre Vermutung entsprach mit Sicherheit der Wahrheit und darüber hinaus begriff sie, was Thorgrim damit sagen wollte: Die Leere in einen abtöten, brachte auf lange Sicht nichts. Einzig ankämpfen war die Lösung.

* * *

Flammen knisterten in dem Kamin des großzügig gebauten Raumes, der mit Wandteppichen geschmückt war. Der schwere Wandschmuck bewegte sich leicht im Zug des offenstehenden milchigen Kristallfensters.

Auf einem klobigen Tisch lag all das, was in kürzester Zeit herangeschafft wurde.

Torran, über eine Zeichnung gebeugt, kratzte sich überlegend an den Kopf. So man seine rechte Hälfte des Antlitzes betrachtete, das von Narben zerstört war, war es, schwer zu erkennen, ob er abfällig das Gesicht verzog oder grinste. Er tippte auf das Pergament vor sich. »Das wollt ihr anfertigen?«, wandte er sich an Deirdre.

»Oh ja! Seid ihr jemals im Reich Arvelis gewesen?« Deirdre nahm den Vorrat an Lithargit in Augenschein und nickte befriedigend.

»Dort ist es für meinen Geschmack zu warm. Warum fragt ihr?«

»Diese Arveliser sind ein erfinderisches Volk. Der Adel bevorzugt kleine Armbrüste, die mit Kugeln statt Pfeilen abgeschossen werden. Daraufhin kam mir ein Gedanke.«

Torran hob eine Braue. »Ihr wollt nicht etwa eines dieser fürchterlichen Dinge bauen?«

»Ihr habt davon gehört? Nein, nicht Solche. Dass was ich meine, habe ich vor langer Zeit geschaffen.« Sie klopfte mit ihren Knöcheln auf ein Kästchen, das sie in der Hand hielt und öffnete es. Eingebettet auf Samtstoff lag ein unterarmlanges, vier fingerbreites Holzstück. Bei genauer Betrachtung war es durchgehend hohl. Die verbreiterte Spitze und das abgerundete Heft wurden durch ein blaugraues schweres Metall verstärkt.

Mit Neugier in den Augen besah sich Belothar das unscheinbar wirkende Holzteil. »Nach meinen Kenntnissen sieht eine Armbrust anders aus«, stellte er sarkastisch fest.

Um die Mundwinkel Deirdres zog sich ein schelmisches Lächeln.

»Völlig richtig! Es sind keine. In Arvelis heißen die Waffen Belesstra«, versicherte sie ihm. »Dies hier … ist weitaus effektiver und … feuriger.«

Das sprichwörtliche Licht funkte in Belothars Gedankengewölbe. »Ihr habt Feuerpulver? Jenes, dass die Nukaris bei ihren Eroberungen einzusetzen pflegten?« Skepsis breitete sich in dem mimikhaften Spiel seines Gesichtes aus. »Es wurde von solchen Donnerwaffen berichtet, die die Nukaris für ihre Überfälle benutzten.«

»Habt ihr vor ein Tor zu sprengen, oder einen Schädel in Mus zu verwandeln? Dafür sind sie sicherlich geeignet«, wandte Torran ein. »Ansonsten sind sie zu nichts anderes nutze. Funktioniert das Ding überhaupt?«

Weiterhin verschmitzt lächelnd, entnahm Deirdre das Handrohr der hölzernen Kiste. Mit dem Finger der linken Hand zog sie eine der Metallbügel, die jetzt erst sichtbar wurden, bis zum Anschlag zurück. Sie richtete das Rohr auf Belothar und betätigte den Abzug.

Der Anvisierte zuckte erschrocken zusammen, da ein klackendes Schnappen erklang.

»Seid ihr des Wahnsinns?«, fauchte er kreidebleich auf.

Deirdres Züge entglitten ihr abrupt. »Oh, ich fürchte, ihr müsst heute auf meine Anwesenheit in euren Gemächern verzichten«, flüsterte sie verhalten.

Verstehend was sie meinte, senkte der Jungkönig reumütig sein Haupt. »Verzeiht!«, sagte er nur.

Kurz darauf hellte sich ihr Gesicht ebenso schnell auf, wie ihr Lächeln zuvor verschwunden war. »Vergessen wir es. Es bleibt ohnehin keine Zeit für Bettgeflüster.« Ihre weißen Zähne blitzten auf. »Der Abend ist jung und wir haben viel zu erledigen.« Sie ergriff mit der linken freien Hand ein gleichschenkliges Instrument, das zwischen der Ansammlung ihrer Utensilien lag. Zielsicher warf sie es Belothar zu. »Das gilt auch für euch. Glaubt nicht, das ihr heute schlafen werdet. Ihr dürft mit Thorgrim zusammen, das gesammelte Metall schmelzen und in Form gießen.« Deirdre zwinkerte dem zähneknirschenden König zu.

»Ach! Solltet ihr zufällig beim Metallgießen so etwas wie ein Buch heraus erkennen, dann ist es das Zeichen dafür, das ihr einiges mehr zu lernen habt.«

Derweil sie das sagte, legte die Magierin die hölzerne Waffe zurück in die samtgepolsterte Kiste. Torran ließ es sich nicht nehmen und strich mit seinen kräftigen Fingern über das geschliffene Holz des Handrohrs. Auf der Stirn wölbten sich tiefe Furchen.

»Zweibeiner, welcher Herkunft sie sein mögen«, raunte er. »Ihre Erfindungen sind stets todbringend.«

* * *

Jeamy rümpfte angewidert die Nase, während sie und Celena sich durch die Tischzeilen des überfüllten Lusthauses schoben. Das Ziel, die hinterste Ecke, in der eine braun gebrannte Frau in aufreizender Kleidung mehreren Burschen eine Lektion in Sachen Benehmen erteilte.

Unwillkürlich fragte sich Celena, ob die Seefahrerin immerzu einen Streit anzettelte oder sogar bewusst zu Eskalationen kommen ließ.

Auf ihren Weg zu der Leichtbekleideten trat einer der angesäuselten Gäste an die Ältere der beiden heran. Er ignorierte die gerüstete Aufmachung ihrer Gestalt. »He du Kleine«, nuschelte er zu Jeamy hin. »Wie wäre es mit einer gemeinsamen unzüchtigen Rangelei?«

Ihre Faust krachte umgehend in sein breitgrinsendes Gesicht. Der Schlag erfolgte wuchtig. Jaulend, mit gebrochener Nase ging der Rüpel auf die Knie. Vom Schmerz tränengefüllte Augen sahen zur San-Hüterin auf.

Bevor der Bursche ein Wort sagen konnte, zog Jeamy unmissverständlich ihr Schwert. Sofort rappelte sich der Widerling auf und suchte das Weite.

Währenddessen hatte Isande ihren Unterricht beendet.

»Sieh an, sieh an! Wen haben wir denn da?«, lächelte sie Celena entgegen. »Und … was ist diesmal euer Begehren?«

Weshalb sie die auf der Lagerstatt sowohl im Kampf stürmische Marodeurin aufsuchte, fiel Celena momentan schwer, dies in Worte zu fassen. Kurz schwieg sie daher.

»Ihr habt etwas, das wir gebrauchen könnten«, gab sie nach einer Weile bekannt.

»Ah, ihr wollt etwas von mir. Gut! Dann zum Geschäftlichen ...«, schnitt Isande ihr das Wort ab. »Was bietet ihr mir? Die Aussicht auf eine weitere Nacht? Oder besser zwei Nächte. Wo ist eigentlich euer Geliebter?«

»Um ihn geht es«, mischte sich Jeamy ein. Sie sah es Celena an, das es ihr schwerfiel, die düstere Wahrheit auszusprechen. Ihre Miene verriet, dass sie keine Übereinkünfte diesbezüglich akzeptierte.

»Wenn das so ist«, ruderte Isande augenblicklich zurück, »sagen wir, ihr schuldet mir etwas.« Unmittelbar zog die Seefahrerin einen kleinen Dolch aus ihren Ärmel. Mit einem Schnitt ritzte sich ihre Handfläche an. Blitzschnell ergriff sie, ohne eine Zusage abzuwarten, die Hand Celenas. Mit festen Griff hielt Isande diese fest, während die Klinge brennend in deren Handballen einschnitt. Jeamys Augen weiteten sich vor Entsetzen.

Keinen Lidschlag später schlug Isande ein.

»Somit ist der Pakt mit Blut besiegelt«, verkündete die Freibeuterin.

* * *

Die mit Moos verwachsen Gemäuer waren weniger feucht als die Katakomben von Ithnamenas Schwarzfeste. Flackernde Fackeln spendeten zu dem Licht auch ein bisschen Wärme.

Celena blinzelte und besah sich das Ergebnis ihrer Übung. Sieben Schritt entfernt in ihrem Ziel, einen auf einem Pfosten aufgebockter stählerner Harnisch, klaffte ein kreisrunder, daumendicker Krater.

Ihre Hand juckte. Sie legte das Handrohr beiseite, um die Innenfläche zu begutachten. Isandes Schnitt verheilte langsamer. Die Abwesenheit des Geliebten schwächte den Heilungsprozess. Zudem kam ihr die Frage in den Sinn, warum man einen Pakt mangels Pergament und Schreibfeder stets mit Blut zu besiegeln gezwungen war. Dies war innerhalb kurzer Zeit zum zweiten Male geschehen. Ob sie es einhalten konnte, vermochte sie nicht sagen. Daher war ihr seltsam zumute, als kurz zuvor Jolana Korden sie um ein Gespräch unter vier Augen gebeten hatte. Bisher hatte sie dazu keinen Drang verspürt. Zuviel war passiert, als dass sie sich mit dem Anliegen der Korden zu beschäftigen genötigt sah.

»Ihr dürft die Augen nicht verschließen«, hörte sie Deirdres Worte zwischen ihren Gedanken heraus.

»Ich werde es mir merken«, murrte Celena, die sich an den Rauch und den Feuerblitz nicht gewöhnen wollte. »Ich bin ...«

»Beeindruckt? Ich muss zugeben, mit der Stoßkraft musste ich etwas experimentieren«, sagte die Zauberin stolz. »Hier, meine kleinen Freunde gaben mir die nötige Inspiration.«

Deirdre hielt eine der kleinen Kügelchen hoch und legte diese zu den handtellergroßen Geschossen, die ihnen im Kampf gegen die Derkoys gute Dienste geleistet hatten. »Magie in Verbindung von Elementen. Zu welche Wunder diese gemeinsam fähig sind.«

»Gefährlich ist es nicht?«, erkundigte sich Belothar räuspernd, dessen Kopf vorsichtig um eine Ecke lugte.

»Im Augenblick, ja«, entgegnet die Magierin amüsiert. »Celena lässt sich ohnehin mit dem laden viel Zeit.«

Der Wink mit dem Zaunpfahl setzte Celena kaum zu. Das hier waren keine Pfeile, die man an die Sehne eines Bogens anlegte. Diese Dinger mussten mit sogenannten Ladestöckchen, die ihr zugegebenermaßen des Öfteren entglitten, schussbereit hergerichtet werden. Eindeutig mühsamer, auch wenn solch ein Handrohr zweifellos einen Reiz besaß. Schwerter zog Celena vor allen anderen Waffen vor. Die Klingen lagen unverbindlich in der Hand und waren sofort bereit. Gegenteilig suchte man fluchend nach einem Pfeil oder Bolzen in einem leergeschossenen Köcher von den gegossenen Kugeln abgesehen.

»Du wolltest etwas sagen?«, fragte die Kriegerin ihren göttlichen Bruder, der es endlich gewagt hatte, seinen Körper aus der Ecke herauszuschälen. Indes versuchte sie mit dem Ladestock ihre eigene Zeit zu unterbieten.

»Wir haben herausfinden können, wo sich Malaine aufhält. Sie weilt während des gesamten Turniers in einem der Schöpferhäuser außerhalb Thelerms.«

Belothars Worte brachten Celena aus ihrer Konzentration heraus. Sie scheiterte kläglich daran, das Handrohr gewissenhaft und schnell zu laden. Stirnrunzelnd ließ sie davon ab.

»Schöpferhaus?« Begeisterung hörte sich anders an. Sich mit den Religiösen anzulegen gefiel ihr ganz und gar nicht. Dennoch hatte die Neuigkeit an ihrem Entschluss nichts geändert. »Ich werde hingehen!«

»Oh ja! Sicherlich! Ihr spaziert dort hin und fragt die Ehrwürdige, ob sie zufällig ein weibliches Pärchen, von Beruf Spione, beherbergt. Sie wird lächelnd nicken und uns freudig mit Wein empfangen«, brummte Belothar.

Leicht entnervt warf Celena ihm einen missfälligen Blick zu. »Wer hat von "Uns" gesprochen? Ich sagte, ich gehe!«

»Alleine?«, fragte entsetzt ihr Gegenüber.

»Sie hat Recht. Ihr als König dürft euch dort nicht sehen lassen. Ebenso die San-Hüter«, gab Jeamy von sich, die grübelnd abseits stand.

»Ihr wollt kneifen?«

»Wir reden von einem Überfall auf ein Glaubenshaus. Was glaubt ihr, würde passieren, wenn ihr oder der Orden bei ihnen auftauchen?«

»Ach! Erscheint Celena alleine, ist es nichts anderes«, widersprach Belothar.

Nickend studierte Jeamy eingehend den König. »Celena wird nicht ewig in Hadaiman bleiben können. Das ist euch bereits seit längerer Zeit klar.« Sie schritt auf Belothar zu. »Ihr hingegen habt ein Land zu regieren und ich ... ihr könnt euch denken, was mit unsereins geschieht.«

Die alte Hüterin schwieg kurz. »Da gibt es noch etwas! Ihr solltet eines über Malaine wissen: Sie ist kein Mensch. Nicht wie ihr denkt.«

»Einen Moment …«, hub Celena erschrocken an zu sprechen. »Ihr sagtet, das ich verschwinden muss?«

Nahezu bedrohlich schritt Jeamy auf sie zu. Ihre Augen leuchteten im Schein der Fackeln und ihr Tonfall war voller Bitterkeit. »Das was ich im Eisgebirge sagte, meinte ich ernst. Für die Schöpferhäuser, für den San-Hüter-Orden seid ihr der Feind. Solange wir ein gemeinsames Ziel haben, das da lautet Morco zur Strecke zu bringen, solange werde ich bei euch bleiben. Sobald wir es erreicht haben, müsst ihr gehen. Eure Anwesenheit bringt das Machtgefüge ins Wanken. Jeder Einzelne würde euch unerbittlich jagen. Mit diesem Turnier hat die Jagd bereits begonnen. Was wird als nächstes sein? Aufgebrachte Krieger der Verkünder? Das Schöpferhaus, das seine Macht zu schützen versucht? Ich vermag es nicht sagen. Es wird aus einem alleinigen Grund geschehen.«

»Ihr meint, weil ich auf die Suche ging?«

Jeamy lächelte. »Ja, weil ihr an euch etwas verändern wolltet.«

Celena nickte verstehend. Mit ihrer Suche nach dem Heilmittel hatte sie die Aufmerksamkeit der Mächtigen, auf sich zogen. So wie Morco, der darauf aus war, sie zu benutzen. Sowie Nacud und andere Hüter, die ihre Vernichtung wollten. Es stimmte, in Hadaiman würde sie keine Ruhe finden. Möglicherweise sogar in ganz Panera, überlegte sie.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, schickte sich Jeamy an das Gewölbe des Palastes zu verlassen. Noch bevor die Hüterin am Eingang angekommen war, fiel Celena deren Bemerkung über Malaine ein.

»Was soll Malaine sein, wenn kein Mensch?«

»Ein Nachkomme Karmastes«, antwortete die Gefragte knapp.

* * *

Sowohl Deirdre, als auch der bärbeißige Torran hatten sich in ihrer Arbeit selbst übertroffen. Es war ihnen in kurzer Zeit gelungen, vier von den tödlichen Faustrohren geschaffen zu haben.

Terzios rückte die Schärpe, in der zwei Handrohre steckten, zurecht. Celena hatte die anderen beiden an sich genommen. Das Sternenschwert und die zweite Klinge auf ihrem Rücken würden den Rest besorgen.

»Ihr wisst, wie man mit den Dingern umgeht?«, erfragte Terzios mit Furchen auf der Stirn.

»Deirdre erklärte es mir«, beantwortete Celena die Frage, wobei ihre Gedanken abschweiften. Unsicherheit überkam sie. »Terzios? Weshalb sollte ich … ?«

Der Graubart lächelte geheimnisvoll. »Weil ihr wie ich, an dasselbe glaubt.«

»Was da wäre?« Celenas Stimme zitterte leicht.

»Im Inneren wisst ihr es. Wir sind Lutek nicht derart egal, wie er uns glauben macht.«

Die Antwort konnte ihre Zweifel nicht abbauen. Ihr Verstand zauderte über das zu sprechen, was ihr Herz fühlte. Sie gab sich einen Ruck.

»Lutek … er …«

»Nicht jetzt! Wir können uns später unterhalten«, unterbrach er die Kriegerin und deutete auf eine Gestalt, die sich näherte.

Die Persönlichkeit enthüllte vor ihnen ihr Gesicht, indem sie ihre Kapuze zurückschlug. Jolana.

»Ihr habt für mich bislang keine Zeit gefunden«, fing sie sofort zu sprechen an. »Deshalb … Entschuldigt! Ihr seid in Eile? Nun, was ich zu sagen habe, dauert nicht lange.«

Welch Zufall, sinnierte Celena missfallend. Vermutlich hatte die Tochter Ithnamenas eine halbe Ewigkeit auf den Augenblick geharrt, nur um sie anzusprechen. Sie war nicht in Stimmung ihr Abkommen mit ihr in diesem Moment zu diskutieren.

»Jolana, es ist ein schlechter Zeitpunkt mich aufzusuchen.«

»Nur einen Moment, Soverani Tousard. Der Grund meines Hierseins ist der, das ich mich bei euch bedanken wollte.«

»Bedanken?« Erstaunt fragend riss Celena die Augen auf. »Ich verstehe nicht.«

»Die Heiler meines Onkels, der Soveran und Vogt von Ithnamena, Lord Schorsch Barthmor, stellten vor kurzem fest, das nichts von dem Gift in meinem Blut vorhanden ist. Selbst das ungeborene Kind ist gesund. Es ist mir unbegreiflich, wie oder was ihr getan habt, doch ich und das Kind sind geheilt. Ihr habt euer Versprechen gehalten.«

Mit einem von tiefer Verbundenheit erfülltem Lächeln streifte Jolana die Kapuze wieder über ihr Haupt. »Der Schöpfer allein weiß, wie ihr mich und mein Kind errettet habt. Ich danke euch vom ganzen Herzen dafür.«

Die Tochter Ithnamenas lächelte von Glück überströmt.»Das war es, weshalb ich euch sprechen wollte.«

Knapp nickte Jolana dem Alten an der Seite der Tousard zu und entschwand ebenso still und leise, wie sie gekommen war.

Celena kreuzte die Arme vor der Brust und neigte der Frau nachsehend, den Kopf leicht zur Seite. Das war einer dieser Momente, in denen jemand kundtat was ihn bewegte, sinnierte sie.

Terzios kratzte sich verwundert am Bart. Stumm musterte er Celena von oben bis unten. »Aber natürlich! Das muss es sein«, murmelte er mehr zu sich denn zu ihr. Seine Augen blieben einen kurzen Augenblick in der Höhe ihrer Brust hängen, bevor er seine Feststellung mit einem Kopfnicken bestätigte.

»Was genau wäre das?«, fragte Celena ihrerseits verwundert.

»Später! Lasst mich erst darüber nachdenken«, entschied der alte Hüter.«

»Oh ja … nehmt euch alle Zeit der Welt. Ich habe sie ohnehin«, murrte die Kriegerin. Ihr Gesicht glich in diesem Moment dem eines trotzigen Kindes. Es war zu köstlich und Terzios lachte unwillkürlich auf. Im nächsten Augenblick schlug seine spontane Heiterkeit ins Ernsthafte um.

»Wenn es euch misslingt, Lutek zurückzuholen … wohl kaum.« Er schob mit ernster Miene Celena in Richtung ihres Reittieres. »Die Zeit verrinnt! Ihr solltet euch eilen.«

»Terzios!« Celena ließ von den Steigbügel ab, an dem sie sich auf Feuerwind hinaufschwingen wollte. Sie drehte sich zu dem Alten um, der ihr einen missbilligenden, zur Eile drängenden Blick zuwarf.

»Eines fehlt in dem Text des Gedichtes. Nur eines!«, gab sie nachdenklich von sich. Terzios erwiderte nichts. Stattdessen versank er in Gedanken. Welchen Schluss Luteks Vater letztendlich ziehen würde, darauf wollte sie nicht warten. Intuitiv aber ahnte sie, was die poetischen Zeilen aussagten. Sie wusste in diesem Moment, dass der Graubart recht hatte und Eile geboten war. Mit Schwung wuchtete sich die Kriegerin in den Sattel.

Auf dem Rücken des mystischen Feuerrosses steigerte sie sich in Zorn. Ihre Hand ertastete das Amulett Morenas, welches um ihren Hals hing. Das Schmuckstück im Griff, schloss sie kurzweilig die Augen, bevor sie dem Pferd die Sporen gab.

»Sie wird keinen Erfolg haben«, ertönte eine Frauenstimme hinter Terzios. Der alte San-Hüter seufzte auf. Sein Blick wandte sich von den Toren ab und der Gestalt zu, die zu ihm gesprochen hatte.

Sebyll sah ihn erwartungsvoll entgegen. Mit Trotz in den Augen schüttelte Terzios den Kopf. »Nein«, meinte er in einem Ton, der einem Versuch gleichkam, jenem imaginären zänkischen Gesellen, der einem auf der Schulter saß, zu widersprechen. »Celena ist nicht alleine. Nicht, wenn sie Lutek erreichen kann. Die beiden müssen es einfach schaffen. Sie sind unsere letzte Hoffnung, Sebyll.«

»Das ist wahr. Ich muss unserem Zwergenfreund dahin gehend Recht geben. Wir sollten nicht untätig herumsitzen.«

»In der Tat. Das sollten wir nicht«, entgegnete Terzios flüsternd.

* * *

Das erste Schwert aus Stein besteht,

vom Himmel wurde herabgesenkt.

Die zweite Klinge sich aus Wasser bildet,

kristallen aus dem Nass gelenkt.

Aus Feuer geschmiedet ein Bogen entsteht,

verborgen zwischen List und Verrat.

Der hölzerne Stab die Luft beherrscht,

eigenhändig vom Vater gemacht.

Müde fuhr sich Belothar mit den Fingern durch sein blondes Haar, während er die Zeilen immer wieder durchlas. »Zwei waren gefunden, zwei blieben zu suchen«, murmelte er. Ihm war nicht wohl dabei. Es war ihm, als wolle jeden Augenblick die Hölle aufbrechen und das gesamte Land mit Verderbnis überschwemmen. Das Unwohlsein schlug in Wut über. Schlimmer, er brodelte vor Zorn über sich selbst, dass er sich hatte zurückhalten lassen. Celena alleine ziehen lassen, dies war mehr als eine Dummheit. Natürlich war sie mehr als einmal alleine aufgebrochen. Jedes Mal hatte sie einen hohen Preis dafür gezahlt.

Der Jungkönig schnaubte zornerfüllt auf.

Diese Alleingänge zu einer Gewohnheit werden zu lassen, missfiel ihm. Ihm war, als wollte der Schreiber ihres Schicksals keine bessere Idee ins Hirn einfahren.

»Nun, was ist, mein Freund? Können die Zeichen nicht entscheiden, sich richtig zusammenzufügen«, knurrte Thorgrim in die Stille hinein.

Die zurückgebliebenen standen um den Arbeitstisch Belothars herum und starrten auf das Schriftstück. Sie zuckten regelrecht zusammen, als die knarzende Stimme des Zwergs ertönte.

»Ich verstehe nicht, was mit diesen Zeilen gemeint ist«, antwortete Belothar kopfschüttelnd. »Ich weiß nur das wir ihr folgen sollten und …«

Er brach den Satz ab. Jeamys eisiger Blick, den er in diesem Moment einfing, gab ihm das Gefühl, mit bloßer Hand den höchsten Berg des Eisgebirges zu erklimmen. Er schüttelte sich. Ein nicht unbedingt erwärmender Gedanke.

»Eure Majestät. Wir werden nicht direkt agieren. Vor allem ihr nicht. Ich habe … sagen wir … ein Arrangement treffen können. Somit seid ihr aus dem Schneider, was die politischen Folgen betrifft«, sagte Jeamy mit fester Stimme.

Belothar starrte sie mit versteinernder Miene an, ohne ihr wirklich zuzuhören. Es war eine plötzliche Erkenntnis, die sich in seine Gehirnwindungen einbrannte.

»Das ist es! Ich Idiot!«, tadelte er sich.

Im Wechsel sahen sich die umstehenden Anwesenden fragend an. Ohne weitere Erklärung abzugeben, stapfte Belothar um ein im Weg stehendes, komplett überfülltes Regal, zu einer eisenbeschlagenen Truhe hin. Mit Wucht riss er den Deckel hoch, bückte sich und fing an zu wühlen.

Da schepperte ein eiserner Helm mit roter Verzierung zu Boden. Eine handgroße Stoffpuppe, die als sein Zwillingsbruder durchgehen würde, kullerte daneben. Nützliche oder unbrauchbare Dinge wurden ihren dunklen, angestammten Platz beraubt und fanden sich neben der metallenen Kopfbedeckung wieder.

»Was ein König alles sein eigen nennen kann?! Faszinierend«, merkte Torran abfällig an.

»Auch ein König hat seine Leidenschaft«, murmelte Augen verdrehend Belothar. Sebyll hingegen beugte sich neugierig über dessen Schulter.

»Was bei den Göttern sucht ihr genau?«, fragte sie, während sie den Inhalt der Truhe beäugte. Ohne Antwort grub Belothar tiefer.

Deirdre schüttelte über den an Tageslicht beförderten Plunder den Kopf.

»Vielleicht solltet ihr gleich in das monströse Holzteil hineinkriechen.«

»Das würde euch so passen«, knurrte Belothar und förderte mit triumphierenden Gehabe einen Bogen zu Tage. Die Waffe war unscheinbar. Ein bescheidener Recurvebogen, bestehend aus drei Teilen. Wissend nickend, wog der Jungkönig die Waffe wie einschätzend in der Hand. Alsdann packte er die beiden metallbeschlagenen Enden und zerbrach das handgefertigte Stück über seinem Knie entzwei.

Diese Idee bereute er augenblicklich. Jaulend hüpfte er mehrere Schritte durch das Arbeitszimmer, während Sebyll das Ergebnis der königlichen Gewalt begutachtete. »Eure Majestät ist mehr von Witz beseelt, als man meinen sollte«, bemerkte sie nebenbei.

»Na toll. Ich kann darüber nicht lachen«, schnauzte Belothar, indes er die Hand am schmerzenden Knie rieb.

»Aye. Wenn ihr euer Knie fertiggestreichelt habt, könnt ihr uns sicherlich erklären, was es mit dem Stöckchen auf sich hat«, röhrte Thorgrim in die aufkommende Stille hinein.

Belothar stockte in seinem Tun, sah missmutig den kleinen Zwerg an und umklammerte dabei sein gemartertes Körperteil. »Oh das …« Er blickte zu dem gewalttätig gebrochenen Bogen in Sebylls Händen. »Das ist Malaines Waffe. Zumindest dachten wir es bis heute.«

»Eine Fälschung?«

»Das Holz ist nicht das, was es sein sollte«, lachte Sebyll auf. »Hier!« Sie fuchtelte mit den zerbrochenen Teilen vor Thorgrims Augen herum.

»Es wurde eingefärbt. In der Tat eine gelungene Täuschung. Mir schwant etwas.« Ihr Gesicht verhärtete sich abrupt. »Beim Schöpfer, Lutek hatte es geahnt!«

Belothar bejahte die Feststellungen der Gryposfrau mit einem tiefen Aufseufzen, das eher dem malträtierten Knie galt. »So ist es, eine Fälschung. Ebenso wie Malaine bei unserer ersten Begegnung. Wie wir wissen war es ihre Zwillingsschwester. Genau das ist des Rätsels Lösung in dem einem Satz: Aus Feuer geschmiedet ein Bogen entsteht, verborgen zwischen List und Verrat.«

* * *

Einzig die Gedanken Celenas trieben das Ross zu größter Geschwindigkeit. Mit brachialer Gewalt sprintete das Tier durch die vom kalten Westwind geknickten Äste, die im Weg hingen. Sie brauchten nur kurze Zeit für die hinter ihnen liegende Strecke bis endlich, zwischen den Bäumen hindurch die Kriegerin ihr Ziel erblickte. In der Dunkelheit erhob sich der hohe Turm des Schöpferhauses als Silhouette in den Nachthimmel.

Das Pferd bäumte sich auf. Es spürte die aufkommende Furcht, die wie eine stählerne Klaue sich in seines Reiters Gedanken bis hin zum Herzen grub. Celena knirschte mit den Zähnen.

Ihre Hand ergriff augenblicklich den Anhänger, der an ihrem Hals baumelte. Sie schüttelte ihr Haupt. Dies war nicht der Moment zu verzagen, nicht jetzt. Bevor sie ihre Gedanken neu ordnen konnte, ertönte vor ihr eine schneidende Stimme, die sie zum Halt aufforderte.

Erst eine, dann drei weitere Gestalten sprangen hinter den Bäumen hervor. Überrascht zog Celena rabiat an den Zügeln Feuerwinds. Unwillig darüber versteifte das Reittier sofort alle vier Gliedmaßen und trat gleich darauf unruhig auf der Stelle.

»Wer … Was soll das? Wer seid ihr?«, gab Celena unwirsch von sich.

»Dasselbe wollte ich fragen«, erwiderte eine weibliche Stimme.

»Wir erwarteten …«

Die dazugehörige Gestalt schritt näher. »Ihr? Wie ist das möglich?«

Im Dunkel der Nacht war das Gesicht der Sprecherin schwer auszumachen, zumal sie aufgrund der Kälte eine fellbesetzte helle Kapuze ins Antlitz gezogen hatte. Celena erkannte sie dennoch.

»Isande?!«

»Ich verstehe nicht!«, hub die Freibeuterin an. »Ich war der Meinung …«

»Was versteht ihr nicht?«

»Das ihr in Gefahr seid!«

Celena begriff nicht. Ihr Gesichtsausdruck vermochte in diesem Moment, dem des begriffsstutzigen Königs in nichts nachstehen. Hätte sie gewusst, was die Wegelagerin meinte, hätte sie womöglich eine findige Antwort auf der Zunge gehabt. So jedoch sah sie stirnrunzelnd hinab.

»Wie ihr seht, bin ich nicht in Gefahr.«

Isande zog, ohne weiter darauf einzugehen, ihren wuchtig aussehenden, fremdartig gekrümmten Dolch und reichte diesen Celena hinauf. In die blank polierte Klinge blickend, gab sie das Spiegelbild der Reiterin preis. Für einen Augenblick sahen ihr kristallene Augen entgegen. Einen Blinzelschlag später leuchtete das satte Blau ihrer eigenen Seelenfenster entgegen. Jenes Blau, welches, so erzählte ihre Mutter, bei ihrer Geburt kein Blau, sondern ein sanftes Braun gewesen sei. Seit dem verwandelte sich der Ozean ihrer Augen ab und an in eben jenen Erdton. Diese anderen Augen im Spiegelbild – das waren nicht die ihren. Verstehend nickte Celena.

»Ich muss ihr also in dieser Gestalt begegnen, Morena«, wisperte sie.

»Ein wirklich interessantes Kunststück«, erstaunte sich Isande. »Ihr seid es, Tousard.«

»Nun … das … das war mir nicht bewusst«, grinste Celena verhalten.

»Was mich brennend interessiert, was ist der Grund eures Hierseins.«

»Eure alte Hüterfreundin hat wahrlich ausgefallene Methoden, jemanden um einen Gefallen zu bitten«, erklärte Isande ihr Erscheinen. »Während ihr … ach lassen wir das. Wir …« Sie deutete auf die drei Begleiter. Der eine ein wahrhaftiger Riese von einem Mensch namens Tharm. Der andere ein bartloser Zwerg mit dem ungewöhnlichen Namen Wollef und Breyton, eine hagere mürrische Gestalt in einer Uniformjacke. »Wir sind die Verstärkung.«

»Jeamy hat euch …«

»Nicht so wichtig. Wichtiger ist, ihr solltet den Rest des Weges auf euer Pferd verzichten. Wir sind nahe und es wäre nicht von Vorteil, lärmend anzurauschen.«

»Richtig! Nur ein Irrer würde ein Schöpferhaus voller gläubiger Krieger stürmen«, maulte der Hagere.

Vermächtnis der Sünder Trilogie

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