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Alexanders Vermächtnis

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Seit Johann Gustav Droysen, der 1833 die erste moderne Alexander-Geschichte verfasste, ist es üblich, das Vermächtnis des makedonischen Eroberers auf dem Feld der Kultur zu verorten. In Droysens Vision verfolgte Alexander bewusst und systematisch das Ziel, die Trennung zwischen Orient und Okzident zu überwinden:

Und wie an dem ersten Schöpfungstage Gott das Licht von der Finsterniß schied, und aus Abend und Morgen der erste Tag ward, so hat der erste Tag der Geschichte die Völker aus Abend und Morgen zum ersten Male geschieden zu ewiger Feindschaft und dem ewigen Verlangen der Versöhnung … |37|So begann sich Alexanders Heer in das Asiatische Leben hineinzuleben und sich mit denen, die das Vorurtheil von Jahrhunderten gehaßt, verachtet, rohe Barbaren genannt hatte, zu versöhnen und zu verschmelzen, es begann sich Morgen- und Abendland zu durchgähren und eine Zukunft vorzubereiten, in der beide sich selbst verlieren sollten.

Generationen von Historikern haben diese Ansicht modifiziert, die einen grundlegend, die anderen weniger radikal. Zwar kann es plausibel widerlegt werden, dass Alexander den Plan verfolgte, Ost und West zu vereinen, doch seine Eroberungen haben zweifelsohne den ersten Anstoß gegeben für den Assimilierungsprozess, der sich in den Jahrhunderten nach seinem Tod vollzog. Dem von ihm geschaffenen Reich fehlte ein solides Fundament, und so zerfiel es als administrative Einheit; die Eroberten blieben jedoch in einem Netzwerk politischer Beziehungen, ökonomischen Austauschs und kultureller Einflüsse miteinander verbunden. Auch wenn Alexander keinen direkten Nachfolger hinterlassen hatte, inspirierten seine Persönlichkeit und seine Leistungen ehrgeizige Männer aus seinem unmittelbaren Umfeld, die Diadochen, die um die Kontrolle über das Reich kämpften, und später hellenistische Könige sowie römische Feldherren und Kaiser. Der greifbare Einfluss Alexanders und sein direktes Vermächtnis liegen jedoch in den Maßnahmen und Vorbildern, nach denen der griechische Osten in den folgenden drei Jahrhunderten geformt wurde.

Wie Alexander als Soldat von seinen Leidenschaften und manchmal von irrationalem Verlangen getrieben wurde, so trieb ihn als Verwalter der Pragmatismus. Durch seinen makedonischen Hintergrund war er damit vertraut, über ein heterogenes Konglomerat von Untertanen und Verbündeten zu herrschen. In Makedonien waren unter den Untertanen seines Vaters die Makedonen, deren König er war; dazu Bürger griechischer Städte, die von ihm unterworfen oder gegründet worden waren und denen ein gewisses Maß an Autonomie zugestanden wurde; und Bürger der Städte des Thessalischen Bundes, den Philipp als Oberbeamter befehligte. Die Mitglieder des Hellenenbundes unterstanden nicht der Herrschaft des Königs, akzeptierten jedoch seine militärische Führerschaft. Dieses Konstrukt hatte sich während der 20-jährigen Herrschaft Philipps allmählich herausgebildet. Die Eroberungen Alexanders brachten eine weitaus komplexere Situation hervor.

Alexander hatte die griechischen Städte Kleinasiens befreit, die sich vermutlich dem Hellenenbund anschlossen. Er hatte mehrere Städte gegründet, auch wenn die von Plutarch genannte Anzahl (mehr als 70) zu Recht |38|angezweifelt wird. Deren Bürger waren zumeist griechische Söldner, die in den Traditionen der freien griechischen Städte erzogen worden waren, und doch befanden sich die neuen Städte auf Land, das vom König erobert worden war. Alexander hatte in Ägypten die Position des Pharaos übernommen und war dem Großkönig als Herrscher über eine Vielzahl ethnischer Gruppen und abhängiger regionaler Dynasten nachgefolgt. Dieses Reich zu regieren, war eine noch größere Herausforderung als die, mit der sich einst die Gründer des Achämenidenreichs, Kyros I. (ca. 550–530 v. Chr.) und Dareios I. (522–486 v. Chr.), konfrontiert sahen.

Alexander muss eingesehen haben, dass ihm das erfahrene Personal fehlte, das er benötigte, um einen reibungslosen Übergang von der Herrschaft der Achämeniden zu seiner eigenen zu schaffen und um störungsfrei Tribut einzusammeln und eine funktionierende Verwaltung sicherzustellen. Er musste auf lokale Verwaltungstraditionen zurückgreifen. Auch war die lokale Bevölkerung an einer schnellen und friedlichen Rückkehr zum Alltag interessiert. Dieser Wunsch äußerte sich etwa in dem enthusiastischen Empfang des Eroberers als neuem Monarchen in Babylon 331 v. Chr. Alexander reagierte umsichtig. Er zeigte Respekt gegenüber den traditionellen Göttern und beließ die Satrapen in ihrer jeweiligen Position, ernannte jedoch auch makedonische Militärführer in den Provinzen, um seine Herrschaft sicherzustellen. Im Dezember 331 v. Chr. saß er auf dem Thron des Großkönigs in Susa und übernahm externe Herrschaftsinsignien, wie Elemente der persischen Königskleidung, die jeder Grieche sofort als barbarisch identifiziert hätte. Er besuchte das Grab des Kyros in Pasargadai und bestattete Dareios auf dem königlichen Friedhof. Er versuchte, für die Begegnung zwischen Monarch und Untertanen ein persisches Ritual einzuführen, das proskynesis genannt wurde – eine Verbeugung oder ein Niederknien vor dem König, eine Geste, wie sie bei den Griechen der Verehrung von Göttern vorbehalten war; der Widerstand seiner Höflinge ließ ihn diesen Plan aufgeben. Seine Heirat mit Roxane, der Tochter eines lokalen Herrschers in Sogdien, ließ enge Verbindungen mit der einheimischen Aristokratie des Irans entstehen. Alexander erkannte Poros, einen der fähigsten Militärführer, gegen den er je gekämpft hatte, als Herrscher über die östlichsten Reichsgebiete an. Er gliederte 30.000 Iraner, die nach Art der Makedonen ausgebildet worden waren, in seine Armee ein und nahm die besten iranischen Reiter in die makedonischen Kavallerieeinheiten auf. Gegen Ende seiner Regierungszeit umgab sich Alexander mit persischen Leibwächtern. Er erkannte die Beziehungen von 10.000 Soldaten mit nicht-griechischen, größtenteils iranischen |39|Frauen als Ehen und ihre Kinder als rechtmäßig an. In einer Massenhochzeit in Susa heirateten 90 seiner engsten Gefährten iranische Frauen nach persischem Ritus; während dieser Hochzeit nahmen Alexander und seine engen Freunde Hephaistion und Krateros jeweils ein Mitglied der persischen Königsfamilie zur Frau.

Einige Historiker sahen in diesen Maßnahmen das Ergebnis einer großen Vision, andere eher das Bemühen darum, den Herausforderungen der Verwaltung eines riesigen Reiches zu begegnen, wozu die begrenzte Anzahl an makedonischen Adligen und die wenigen Männer aus griechischen Städten zahlenmäßig einfach nicht ausgereicht hätten. Letztere Annahme erscheint plausibler. Indem er Iraner in sein Heer und seine Verwaltung eingliederte, folgte Alexander in größerem Maßstab einer Maßnahme, die bereits sein Vater erprobt hatte, als er Mitglieder rivalisierender Stämme makedonischer Adliger in seinen Hofstaat aufnahm. Alexander scheint eher um eine Vergrößerung des Rekrutierungspools für seine Armee und Verwaltung bemüht gewesen zu sein als darum, ethnische Unterschiede in den eroberten Gebieten, die stets multikulturell gewesen waren, abzubauen.

Die Beharrlichkeit, mit der Alexander diese Politik gegen heftigen Widerstand verfolgte, ist bemerkenswert. Er liquidierte einige der Mitglieder seines innersten Kreises aufgrund von deren tatsächlicher oder angeblicher Beteiligung an Verschwörungen oder wegen ihrer offenen Kritik an ihm: Philotas, der Kommandant der Kavallerie, und sein Vater, der alte General Parmenion, wurden 330 v. Chr. hingerichtet; Kleitos, einer von Alexanders höchsten Befehlshabern, der dessen neuen, unmakedonischen Habitus heftig getadelt hatte, wurde 328 v. Chr. getötet; und Alexanders Geschichtsschreiber, Kallisthenes, der den Geist freier griechischer Bürger repräsentierte, wurde 327 v. Chr. hingerichtet, zusammen mit einigen königlichen Pagen, die von ihm unterwiesen worden waren. Der Kampf gegen eine solche Opposition lässt kaum daran zweifeln, dass Alexander einen Plan verfolgte und nicht bloß seinem Instinkt folgte oder aus einer Laune heraus handelte.

Alexander folgte dem einzigen Vorbild, das er kannte: einer personenbezogenen Monarchie, einer solchen also, bei der alles vom König abhing. Diejenigen, die ihm nahestanden, besetzten die höchsten militärischen und administrativen Posten. An der Spitze der Hierarchie standen die Männer, die den höchsten militärischen Rang innehatten. Unter diesen waren die engsten Freunde des Königs unter dem Ehrentitel „Leibwächter“ (somatophylakes) bekannt. Der Offizier mit dem höchsten Dienstgrad war der |40|chiliarchos, „Befehlshaber über tausend Männer“, eine Funktion, die der des achämenidischen Wesirs entsprach und vermutlich aus der iranischen Tradition übernommen worden war. Einige Mitglieder der iranischen Aristokratie wurden auch in den innersten Kreis der „Verwandten“ (syngeneis) aufgenommen, denen es gestattet war, den König zu küssen. Elitesoldaten dienten als hetairoi, Gefährten, in der agema, einer Elitetruppe innerhalb der Kavallerie, sowie als Soldaten in den Eliteeinheiten der Infanterie.

Alexanders Königsherrschaft wurzelte in drei unterschiedlichen monarchischen Traditionen – in der makedonischen, in der Achämenidendynastie und in der des pharaonischen Ägypten – sowie in seiner Funktion als hegemon des Hellenenbundes. Alexander kehrte nie nach Griechenland zurück, und keines der Gerüchte über seine letzten Pläne drehte sich um eine Rückkehr nach Makedonien. Das bedeutet allerdings nicht, dass er sich nicht um die Angelegenheiten in Griechenland und Makedonien kümmerte. Mit königlichen Briefen, Anordnungen (diagrammata) und durch Botschafter überbrachten Nachrichten machte er seinen Willen in den Städten bekannt, die formell seine Verbündeten und nicht Teil seines Herrschaftsgebiets waren. Diese Medien blieben bis zum Ende der hellenistischen Zeit wichtige Herrschaftsinstrumente.

Alexanders Entscheidungen formten die hellenistische Welt in äußerst konkreter Weise: Er bestimmte die geographischen Grenzen dieser Welt im Osten und definierte den Charakter monarchischer Herrschaft, die Beziehungen zwischen König und Stadt, die Urbanisierung sowie die Integration lokaler Bevölkerungsteile und Traditionen. Die 13 Jahre seiner Herrschaft sind einer jener Zeitabschnitte der Geschichte, in denen die Uhr schneller getickt zu haben scheint als gewöhnlich. Alexanders Feldzug begann als Antwort auf Bedürfnisse und Entwicklungen seiner Zeit und endete mit der Verfolgung persönlicher Wünsche. Das Ausmaß, in dem Alexander den Lauf der Geschichte veränderte, lässt sich nicht bemessen. Mit Sicherheit beschleunigte er den Fall des Perserreichs und das Entstehen eines Netzwerks von Regionen, das weitaus größer werden sollte, als es sich irgendeiner seiner Zeitgenossen je hätte vorstellen können. Der Widerstand gegen Alexander und die Tatsache, dass das Reich nach seinem Tod zerfiel, zeigen, dass der Makedone den Puls der Geschichte gewissermaßen in die Höhe getrieben hatte und dass seine Zeitgenossen das ebenso wenig begreifen konnten, wie sie in der Lage waren, mit ihm mitzuhalten.

Es ist unwahrscheinlich, dass Alexanders eigener Lehrer und der größte Geist seiner Zeit, Aristoteles, die Politik seines Schülers verstand oder guthieß. Abgesehen von dem Misstrauen gegenüber absoluter Monarchie |41|vonseiten eines Philosophen, der, geboren in einer griechischen polis, sich dazu entschieden hatte, in Athen zu leben und zu lehren, der Stadt, die sich als Musterbeispiel für Freiheit und Demokratie betrachtete, hatte Aristoteles auch klare Vorstellungen von der natürlichen Überlegenheit der Griechen über die Barbaren:

Es gibt auch noch eine andere Form der Monarchie, von der sich als Beispiele Königtümer bei einigen von den Barbaren finden. Ihnen allen ist eine Macht zu eigen, die jener von Tyrannen ähnlich ist, doch sind sie an Gesetze gebunden und erblich; denn da die Barbaren von Natur aus sklavischer sind als die Griechen, und die Asiaten als die Europäer, erdulden sie despotische Herrschaft ohne jeglichen Unmut.

Die Eingliederung von iranischen Soldaten in das makedonische Heer und die Mischehen zwischen Griechen und Nichtgriechen lassen sich kaum mit solchen Lehren in Einklang bringen. Ich frage mich, wie eine Stadt wie Alexandria, eine griechische polis, gepflanzt in ein Land mit theokratischen Traditionen, in dem die Präsenz königlicher Macht allgegenwärtig war, in Aristoteles’ Klassifizierungssystem der Verfassungen gepasst hätte. Der Philosoph starb kurz nach Alexander und hat somit noch einen Blick auf die Morgenröte einer neuen Welt erhaschen können. Was diese neue Welt bedeutete, bringt der Dichter Konstantinos Kavafis aus Alexandria (1863–1933) in seinem Gedicht „Im Jahr 200 v. Chr.“ großartig zum Ausdruck:

Und aus diesem wunderbaren panhellenischen Feldzug,

diesem siegreichen, diesem in jeder Hinsicht glänzenden,

diesem überall verherrlichten, diesem so gerühmten,

wie nie zuvor einer gerühmt worden war,

diesem unvergleichlichen, gingen wir hervor:

die neue hellenische Welt, die große.

Wir, die Alexandrier, die Antiochier,

die Seleukier und die zahllosen

anderen Griechen Ägyptens und Syriens

und die in Medien und die in Persien und all die anderen.

Mit unserer weitreichenden Oberhoheit,

mit unserer flexiblen Praxis der umsichtigen Anpassung.

Und unserer gemeinsamen Hellenischen Sprache,

die wir bis nach Baktrien trugen, bis zu den Indern.

Die Öffnung der Welt

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