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Warum ist Mystik zur Vertiefung des Weges so wichtig?

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Durch meine Studien der verschiedenen buddhistischen Traditionen und durch meine Praxis beginne ich, den Dharma mehr und mehr jenseits der Traditionen zu sehen. Deshalb gibt mir die Mystik als nicht-dualistische universale Vertiefung der Sicht und Erfahrung eine ganz besondere Inspiration. Sie führt weg von einem verstandesmäßigen, konzeptuellen Verständnis und der mehr technischen Art und Weise der Praxismethoden, hin zu tiefer innerer Hingabe an das Absolute, die letztendliche Wirklichkeit, wie immer sie auch in den verschiedenen religiös-spirituellen mystischen Richtungen bezeichnet wird. Auf höchster Ebene gibt es keinen Unterschied, da es um reine Erfahrung und Verwirklichung geht, die mit Worten nicht mehr erreichbar ist – auf die Worte lediglich hinweisen wie Wegweiser, die uns führen aber selbst nicht das Ziel sind. „Der Finger, der auf den Mond zeigt, ist nicht der Mond.“

Zum Begriff des Absoluten aus buddhistischer Sicht finden wir eine hervorragende Darlegung von Georg Grimm in seinem Buch „Buddhistische Meditationen“ (S. 385). Er erklärt den Begriff „absolut“ in seiner ursprünglichen Bedeutung, in der er dem Pali-Wort „vimutto“ entspricht, was „losgelöst“ bedeutet, und zitiert dann aus den Lehrreden des Buddha: „Ein Vollendeter, losgelöst (vimutto) von der körperlichen Form, von der Empfindung, von der Wahrnehmung, von den Gemütstätigkeiten, vom (körperabhängigen) Bewusstsein, ist tief, unermesslich, unergründlich wie der Ozean.“ Weiter schreibt Georg Grimm dazu: „Demgemäß hat der Buddho als Endziel des von ihm gelehrten heiligen Wandels (brahmacaryam) proklamiert, dass man die Loslösung (vimukho) erreiche und so absolut (vimutto) werde.“

Nun zur Wirkung von Studium und Praxis auf der Grundlage verschiedener Ansichten und Konzepte: Wenn wir einer bestimmten Religion bzw. einem spirituellen Weg folgen, wird unser Geist von deren Konzepten und philosophischen Sichtweisen konditioniert, je mehr wir uns damit beschäftigen. Meditative Erfahrung ist dann keine echte Erfahrung, sondern eine Bestätigung dieser Konzepte, die der Geist auf sehr subtile Weise als Erfahrung vorgaukelt. In einer Retreat-Unterweisung sagte Chan-Meister Chi Chern, dass sich diese erlernten Konzepte wie ein subtiler Schleier zwischen uns und die echte spirituelle Erfahrung schieben können.

Noch mehr Konditionierung geschieht durch das Studium philosophischer Ansichten. Christliche Theologen verschiedener Traditionen streiten. Buddhistische Gelehrte verschiedener Traditionen streiten. Theorien und Philosophien können uns von der Erfahrung der Wahrheit weit weg bringen. Sie sind alles nur Versuche, das in Worte und Konzepte zu fassen, was sich nicht in solche hineinpressen lässt. Und Erfahrung, die durch solche Konzepte „bestätigt“ wird, ist letztendlich wertlos, denn sie geschieht innerhalb des dualistischen Geistes. So kann sie nicht zur Verwirklichung führen, da diese sogenannte Erfahrung lediglich eine Kreation des Geistes ist. Ja, es werden diese Vorstellungen erfahren und bestenfalls „verwirklicht“ – und damit ist es Täuschung.

Allein im Buddhismus gibt es verschiedene Sichtweisen davon, was verwirklicht wird bzw. werden sollte. In der Philosophie des tibetischen Buddhismus wird das höchste Ziel die Natur des Geistes, Buddhanatur und Buddhaschaft genannt. Schon der Begriff Buddhanatur wird in den verschiedenen Traditionen unterschiedlich definiert – von der Ansicht, es sei ein reines Konzept, ein provisorisches Hilfsmittel, bis dahin, dass die Buddhanatur ein wahres Selbst sei.

Im Zen und Chan hat Buddhanatur eine tiefere Bedeutung. Sie steht für das Absolute, das alles durchdringt. Zen-Meister Dogen geht sogar weiter und sagt: Alles ist Buddhanatur. Das ist tiefe Zen-buddhistische Mystik.

Das eigentliche Ziel ist nach späteren Mahayana-Philosophien, für viele Leben in der Welt zu bleiben, um Wesen aus Samsara zu befreien. Im tibetischen Buddhismus heißt es sogar, wir sollen in der Welt bleiben, das heißt, so lange wiedergeboren werden, bis alle Wesen befreit sind. Dieses Bodhisattva-Ideal ist später entstanden und in den Lehrreden des Buddha so nicht zu finden. Auch manche anderen späteren philosophischen Auslegungen von Begriffen wie zum Beispiel von Nirvana und Todlosigkeit haben zu einem Bedeutungs-Wechsel geführt, insbesondere, da in manchen Traditionen das Absolute negiert wird. Damit sind sichtbare Widersprüche zur frühbuddhistischen Lehre entstanden.

(Mehr dazu ist im Epilog ausgeführt.)

Nirvana, die Befreiung von Samsara, wie der Buddha sie gelehrt hat, ist frei von solchen Konzepten. Der Buddha war ein Mystiker. Er hat die letztendliche Wahrheit geschaut und verwirklicht. Seine Worte sind eindeutig: ES ist todlos, ungeboren, merkmallos, formlos, friedvoll, leer, höchste Glückseligkeit. Er nannte es Nirvana – Erlöschen von allem, was Anatta ist, d.h. Befreiung von dem, was entsteht und vergeht – anicca, dukkha, anatta: vergänglich, leidbringend und nicht-das-Selbst. Es bezieht sich auf alles, die Welt, den Körper, die Wahrnehmungen, die Empfindungen, Gemütsregungen, geistigen Erscheinungen – also auf jegliche Existenz. Deshalb ist die letzte subtilste Fessel, die uns bindet, das Greifen nach Existenz.

Die Begriffe, die diese Befreiung beschreiben, finden wir so bei Mystikern verschiedener Religionen, ob im Christentum, im Buddhismus oder im Advaita-Vedanta: Leerheit, Nicht-Dualität, Formlosigkeit, Merkmallosigkeit, Todlosigkeit.

Zwei Beispiele:

Meister Eckhart:

„Nur deiner reinen Natur gehe nach und der unbedürftigen Leerheit und suche keine andere Stätte. Gott wird, als diese unbedürftige Leerheit, selber deine Stätte sein.“

Aus den Psalmen der Mönche des Buddha:

„Zum Allerreinsten, zu dem Feinen, so schwer zu seh‘n: Dringe vor zu ihm, dem herrlichsten, dem unvergänglichen Zustand.“

Gott und Selbst haben in der Mystik eine ganz andere Bedeutung als in den sogenannten Volksreligionen und religiösen Institutionen. Sie stehen für die letztendliche Wirklichkeit, für das, was nicht Anatta (Nicht-Selbst) ist. So heißt es im Advaita: Gott und Selbst sind ‚nicht zwei‘. Sie sind untrennbare, unfassbare Leerheit. Das ist die Nicht-Dualität, jenseits von Einheit und Vielheit, die alle Begrifflichkeit übersteigt. Es ist die Verwirklichung von Atta (in Pali) bzw. Atman (in Sanskrit) als Anatta (Anatman) – frei von jeglicher Vorstellung eines Selbst und damit Befreiung vom Nicht-Selbst.

Da sind wir auch wieder bei der höchsten Lehre des Buddha.

Die Methoden, um den Geist für dieses Loslassen vorzubereiten, können sich unterscheiden. Der wahre Praktizierende erkennt aber, dass nicht die Methode verwirklicht werden muss, sondern dass diese in der Verwirklichung transzendiert wird. Das Floß, das uns zum anderen Ufer bringt, wird dann nicht mehr gebraucht. Wir werden es nicht ewig mit uns herum schleppen, wie der Buddha es ausgedrückt hat. Mystiker lassen Konzepte und Philosophien und letztendlich auch Methoden hinter sich. Mystiker gehen jenseits des Verstandes, des Intellekts, der für diese relative Welt ein nützliches Instrument ist, aber für das Erfahren der absoluten Wahrheit transzendiert werden muss. Letztendliche Wahrheit ist jenseits der Worte, jenseits des denkenden Geistes. Sie öffnet ihre Tore durch „erkennendes Schauen“ in der Abgeschiedenheit der inneren Stille.

Um echte Erfahrung zu vermitteln, werden Worte benutzt, die in den religiös-spirituellen Traditionen verschieden sein können. Sie sind wertvoll für Suchende und Praktizierende – wie Wegweiser, die in die richtige Richtung zeigen. Wenn sie aber wörtlich genommen oder analytisch zerredet oder philosophisch ausgedeutet werden, wird ihr tiefer Sinn verfehlt.

Mystiker brauchen nicht zu streiten. Sie verstehen sich auf der jenseitigen Ebene. Philosophen und Gelehrte führen Streitgespräche auf der diesseitigen Ebene und verfehlen dabei oft die jenseitige.

Wenn wir also den Weg wirklich gehen, sollten wir uns vor festen Konzepten hüten. Der Weg zur Wahrheit, zur Befreiung ist der Weg des Loslassens von Ansichten, Meinungen, Philosophien und deren Auslegung. Die Wahrheit ist in uns, das Unvergängliche, jenseits von Körper, Geist und Geistobjekten. Sie erscheint, wenn das Ego und das Ich-bin transzendiert werden und auch das subtilste Festhalten an einem Selbst als Nicht-Selbst erkannt wird und in der absoluten Wirklichkeit aufgeht.

Mit den Worten des Buddha: Es ist die Insel, das wahre Zuhause. Da es merkmallos, namenlos, jenseits aller Vorstellungen ist, gibt es auf dieser letztendlichen Ebene auch keine Vorstellung von Gott und Selbst. Ich, Gott und Welt erscheinen zusammen und verschwinden zusammen in der wahren Wirklichkeit, jenseits von Sein und Nicht-Sein, jenseits von Raum und Zeit.

Wahre Mystik ist experimentelles Schauen im beruhigten Geisteszustand. Kontemplation als nicht-analytisches Vipassana ist die Methode, die in die Tiefe unseres Seins hinein führt, um uns hinüber zu tragen in das, was wir absolute Wirklichkeit nennen. Ob sie dann Nirvana, Parabrahman, Nicht-Dualität, Gott (als nicht-personifizierter Gott der Mystiker) oder Leerheit genannt wird – es bezeichnet stets die Realität, die sich eröffnet, wenn „Körper und Geist abfallen“, wie Zen-Meister Dogen es ausgedrückt hat.

Wenn Begriffe nach einer solchen Erfahrung für uns wieder eine konzeptuelle Bedeutung bekommen, verlieren wir den Zugang zum Letztendlichen wieder. Wir fallen zurück in die Fänge des denkenden Geistes, in die Maya, die Illusion, die uns an Samsara bindet. Erst in der Verwirklichung, die unumstößliche Sicherheit gibt, sind wir wirklich frei. Wir wissen und sind immun gegen jegliche Beeinflussung.

Der Gott der Mystiker ist Nirvana als So-Sein, die letztendliche Leerheit, das Todlose – in allem gegenwärtig. In unserer Verblendung erkennen wir es nicht. Deshalb sind im Advaita-Vedanta Atman und Brahman – das Wahre Selbst und die höchste Gottheit – ununterscheidbar; Befreiung vom falschen Selbst ist Nirvana. Alles, was wir für ein Selbst halten, ist es nicht – es ist Anatta bzw. Anatman, Nicht-Selbst. „Neti, neti“, „dies ist es nicht und das ist es nicht“ – die von den Rishis in den Upanishaden überlieferte Jahrtausende alte Praxis, um Nicht-Selbst und Selbst klar zu unterscheiden, um Vergängliches vom Todlosen zu trennen.


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