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Prolog
Universale Mystik

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Viele Menschen im Westen suchen heute nach etwas, das von wahrem, dauerhaftem Wert ist, etwas, das irgendwie verlorengegangen zu sein scheint und das wir im Außen nicht finden können. Es ist eine uns innewohnende Sehnsucht, die irgendwann erwacht und die Suche nach der Wahrheit bewusst beginnen lässt. Wahre Religiosität oder Spiritualität ist dieser innere Wunsch „heimzukommen“, die ewige Wanderschaft in der leidvollen Existenz zu beenden. Es ist der Weg, den die Mystiker aller Traditionen gegangen sind. Es ist ein Weg jenseits von religiösen Dogmen, Konzepten und Philosophien. Es ist der „experimentelle“ Weg der tiefen inneren Erfahrung.

Die Rishis, die großen Seher in Indien, und die erhabenen Weisen, aus deren Lehren die verschiedenen Religionen hervorgegangen sind, sowie die ihnen nachgefolgten Mystiker haben uns vorgelebt wie es geht und Wege aufgezeigt.

Wahre Religion ist in ihrer Essenz ein vollständiger Weg zur letztendlichen Wahrheit und Wirklichkeit. Aber dieser Weg kann nur zur Vollendung führen, wenn er im eigenen Inneren praktiziert und erfahren wird. Ohne diese lebendige Erfahrung bleibt er Theorie. Die großen Meister sagen, dass wir sämtliche heiligen Schriften studieren und sogar auswendig lernen können, dadurch aber nicht zur Befreiung finden, wenn wir nicht selber Meditation und Kontemplation praktizieren.

Heute finden viele westliche Menschen ihre Erfüllung in östlichen Weisheitslehren. Der Weg der Mystik wird gerade wiederentdeckt, auch durch den Austausch zwischen Ost und West. Und wenn wir genau schauen, erkennen wir, dass der buddhistische Weg ein solcher direkter, tiefgründiger, experimenteller Weg ist – vorausgesetzt, wir folgen einer Praxislinie und nicht dem philosophischen Überbau, der sich im Zeitraum von 2.000 Jahren entwickelt hat.

Das Besondere an der buddhistischen Lehre – wie an allen indischen Traditionen – ist, dass sie frei ist von dogmatischen Aussagen, dafür aber klar, logisch nachvollziehbar und erlebbar. Der Buddha hat seine Nachfolger immer dazu animiert, nicht blind zu glauben, was er sagt, sondern im Vertrauen auf seine Verwirklichung selbst zu praktizieren und so die Wahrheit im eigenen Inneren zu erfahren: Dann weißt du… Und das ist es, was uns letztendlich zur Befreiung, zum unvergänglichen Glück führt.

Eine weitere Besonderheit des Buddha-Dharma ist der nicht-dualistische Ansatz der religiösen und spirituellen Praxis, der über innere Reinigung, Transformations-Praktiken und die Vertiefungen, die Jhanas (Pali), zu einer tiefgreifenden Verwandlung führen kann. Diesen Weg der Erfahrung und inneren Transformation, aus der heraus dann die Aktivität in der Welt erfolgt, gibt es in jeder Religion und ist das Kennzeichen der Essenz der mystischen Traditionen. Nicht-Dualität bedeutet hier, dass es keine Zweiheit gibt, sondern dass der wahre Meister in uns selbst ist: der Buddha bzw. der Dharma in uns – im Sinne von letztendlicher Wahrheit, von Todlosigkeit, den wir freilegen müssen, indem die Kleshas, die Herzenstrübungen, beseitigt werden.

Der Buddha ist diesen Weg gegangen und hat ihn dann in der letztendlichen Befreiung des großen Loslassens, im Nirvana transzendiert. Denn er erkannte, dass mystische Erfahrungen wie die Jhanas den Weg zur Befreiung ebnen, aber noch nicht der letzte Schritt sind. Erst das große Loslassen, das Aufgeben jeglicher Anhaftung, öffnet das Tor zum Aufgehen im So-sein, in der Soheit, der Todlosigkeit, im Parinirvana.

Der christliche Mystiker würde sagen, das Loslassen öffnet das Tor zum endgültigen Aufgehen in Gott oder von Gott in dir. –

Gott, Nirvana, Leerheit sind in der christlichen und indischen Mystik Synonyme, die das auszudrücken versuchen, was jenseits der Worte und jenseits unseres menschlichen Verstandes liegt.

Der Buddha hat für Nirvana die Begriffe Merkmallosigkeit, Formlosigkeit, Todlosigkeit verwendet, aber auch Losgelöstheit und damit höchste Glückseligkeit, Frieden. Diese Bezeichnungen finden wir ebenso bei christlichen Mystikern und bei den Meistern des indischen Advaita, der Lehre der Nicht-Dualität. Dabei bedeutet hier Nicht-Dualität die Nicht-Unterscheidbarkeit von Gottheit, der absoluten unnennbaren Wirklichkeit (Brahman), und Selbst (Atman), einem Selbst, das im höchsten Verständnis Paramatman genannt wird, also über jede Vorstellung von einem Selbst hinausgehend. Auch jede Vorstellung von Gott oder Gottheit wird auf der höchsten Stufe transzendiert und führt damit zu Parabrahman.

Die Erkenntnis von der Leidhaftigkeit der Existenz ist die Grundlage jeder mystischen Tradition. Unter Leiden (Dukkha) versteht der Buddha alles, was für uns unbefriedigend, unzulänglich, leidhaft ist. Und damit ist jeder Moment des samsarischen Daseins von Dukkha begleitet, auch ein Moment schöner Erfahrung, da wir diesen nicht festhalten können – und damit ist jede Erfahrung von der letztendlichen Glückseligkeit des absoluten friedvollen Zustands der Befreiung weit entfernt.

Mystik setzt da an, wo der Verstand, also unser analytisches, intellektuelles Denken aufhört und wir seine Grenzen überschreiten – wenn tiefe Einsicht durch Schauen einsetzt. Wahrheit kann nur geschaut werden, wie die Weisen sagen. Der menschliche Verstand kann sie nicht fassen. Er ist ein Teil unseres Menschseins. Wir sind nicht von der Welt, wir sind in der Welt. Unser wahres Sein liegt jenseits davon. Dies zu erkennen ist Mystik. Und die Erkenntnis und Verwirklichung davon bedeutet Befreiung.

Letztendliche Wahrheit kann daran erkannt werden, dass Erfahrungen transzendiert werden und die Erkenntnisse übereinstimmen. Hier treffen sich die Verwirklichten aller Traditionen. Verwendete Worte, um das zu beschreiben, können unterschiedlich klingen, da sie verschiedenen religiösen Traditionen entstammen. Aber ihr Sinngehalt ist unverkennbar derselbe.

Meditation in Gemütsruhe und Kontemplation bereiten uns auf den tief spirituellen Teil des Buddha-Dharma vor, der uns über die Vertiefungen und klare Erkenntnis, die im Frühbuddhismus auch als erkennendes Schauen bezeichnet wird, zu mystischen Erfahrungen führen kann. Tiefes Verstehen durch innere Verwirklichung kann uns so zur Befreiung führen. Auf diese Weise gehen wir genau den Weg, durch den der Buddha selbst Befreiung erlangt hat, und wie er in den frühen Schriften des Palikanons überliefert ist.

Ohne konsequente Übung geht es aber nicht. Um ein Aufleuchten von transzendenter Erfahrung zu erleben, müssen wir regelmäßig praktizieren. Das Rezept des Buddha lautet: Ethisches Verhalten (Sila), meditative Konzentration (Samadhi) und Weisheit durch Erkenntnis (Prajna) zu entwickeln und nach und nach zur Vollendung zu bringen. Ein gezähmter, beruhigter, wacher, klarer Geist ist Voraussetzung, um die Fesseln, die uns an Samsara binden, durchzuschneiden.

Nachdem unser Geist also durch Meditation der Gemütsruhe (Samatha), Methoden des Geistestrainings und grundlegende Einsichts-Meditation (Vipassana) vorbereitet ist, beginnen wir mit der Kontemplation von Textpassagen, die uns immer näher an die letztendliche Wahrheit heranführen, wenn wir sie tief in uns aufnehmen und wirken lassen. Stille Meditation und Gemütsruhe sind dann die Basis für das Loslassen, von dem alle Meister und Mystiker sprechen. – Loslassen wovon? Der Buddha hat klar dargelegt, dass es letztendlich nicht um Loslassen von Dingen geht. Wir müssen vielmehr das Greifen und Festhalten in uns erkennen, diese Anhaftung an Objekten anschauen und durchschneiden. Diese Fessel des Anhaftens ist die Ursache für all unsere Verstrickungen. Durchschneiden heißt, dies zu erkennen und den Geist entspannen zu lernen, damit er das Greifen loslässt. In so einem Moment sind wir frei. Und in diesem Moment kann wahre Erkenntnis aufscheinen. Dies hat dann eine durchgreifende Wirkung auf unser ganzes Leben und unsere Beziehung zu anderen Menschen. Der Antrieb des Ego-Ich bricht weg, der Geist öffnet sich weit und wir sehen die Welt aus einer neuen Perspektive. Diesen Sichtwechsel nennen wir auf dem spirituellen Weg Transformation; alle guten Qualitäten, die in uns durch die Schleier von Verblendung, Anhaftung und Abneigung verdeckt waren, kommen zum Vorschein.

Um dieses „neue Sein“ zu stabilisieren, müssen wir weiter konsequent den Weg gehen und üben, denn unsere eingefahrenen Denk- und Verhaltensmuster sind tief in uns eingeprägt. Es gibt dafür viele erprobte Methoden in den kontemplativen Traditionen. Insbesondere die buddhistische Lehre ist reich damit ausgestattet wie ein Medizinschrank. Diese Medizin ist ein Nektar, der seine Wirkung durch Sehnsucht nach Befreiung, Vertrauen in die überlieferten Lehren verwirklichter Meister, Hingabe an die absolute Wirklichkeit und den daraus aufscheinenden Segen entfaltet.

In der Herausforderung des Alltags können wir uns von einem kurzen heiligen Text oder den heiligen Silben eines Mantras begleiten lassen, die den Geist schützen. In der christlichen Tradition kommt hier das Herzensgebet zum Tragen. Es geht um das ständige sich Erinnern an das Verbundensein mit der transzendenten Ebene, mit dem göttlichen Urgrund.

In der indischen Mystik spricht man von der Praxis des Bhakti-Yoga, der Hingabe, der Liebe zum göttlichen Absoluten, und von Jnana-Yoga, dem Weg der Erkenntnis, die durch erkennendes Schauen die uranfängliche Weisheit offenbart. Diese beiden sind wie Flügel. Sie tragen uns dem Licht der Befreiung entgegen.

Beim Üben des Weges dürfen wir aber nie vergessen, dass alle Methoden uns als Hilfsmittel dienen, als „Floß zum anderen Ufer“, wie der Buddha es ausgedrückt hat. Sie müssen zum rechten Zeitpunkt eingesetzt werden und zum rechten Zeitpunkt auch wieder losgelassen werden. Das gilt für alle Praktiken, auch wenn sie noch so heilsam sind. Letztendlich müssen wir alles loslassen, auch das ‚Ich‘, das sie anwendet, und jede Vorstellung von einem Ich oder Selbst. Nur so können wir die Welt transzendieren.

Mit Parallelen zur christlichen und indischen Mystik wollen wir diesen religiös-spirituell geprägten Aspekt des Buddha-Dharma betrachten und praktizieren.

Das Interesse an diesem mystischen Weg soll einer tiefen inneren Motivation entspringen, einer innigen Hinwendung zum Göttlichen Licht in uns oder, wie wir es buddhistisch ausdrücken, zum Buddha-Licht in uns, und der aus der Tiefe unseres Herzens entspringenden Sehnsucht nach der höchsten, transzendenten Wirklichkeit, in der Geburt und Tod überwunden sind.

Buddhanatur, das göttliche Licht, der Segen des Höchsten durchdringt Dich, lebt in Dir und durch Dich. Dieses Licht, dieses Höchste ist verbunden mit der Quelle des Wahren Seins, Soheit, Gott-an-sich.

Der Gott der Mystik ist die Leerheit, das Licht und die Liebe – jenseits der Worte, formlos, namenlos, merkmallos.

Das aber sind die Bezeichnungen, die der Buddha für Nirvana verwendet hat.

Gott im letztendlichen Sein ist Nirvana. Und, nach den Worten des Buddha, ist Nirvana die höchste Leerheit. Diese höchste Leerheit aber ist Todlosigkeit, das einzige letztendliche überweltliche Siddhi (vollkommene Verwirklichung, Befreiung).

Nirvana ist Frieden, Freisein von Leiden, Leerheit von Samsara, zeitlose Glückseligkeit, Todlosigkeit, Sein jenseits von Geburt und Tod, unsere letztendliche Heimat.

Die Tatsache, dass der Buddha dieses letztendliche Sein tatsächlich gelehrt hat, geht aus seinen Lehrreden im Palikanon hervor. Der Mönch der Waldtradition Ajahn Amaro schreibt dazu in seinem Buch „Kleines Boot, erhabener Berg“, dass es im Pali zwei verschiedene Verben mit der Bedeutung ‚sein‘ gibt. Das Verb ‚hoti‘ ist ‚sein‘ in Bezug zu allem „was bedingt ist und sich durch die Zeit bewegt“, beschreibt also die konventionelle Realität, die relative Wirklichkeit. „Das zweite Verb ‚atthi‘ bezieht sich auf die transzendenten Qualitäten des Seins. ‚Sein' bedeutet in diesem Fall keinen Werdeprozess, nicht die Welt der Zeit oder Identität. Es reflektiert das nicht Bedingte, die nicht manifeste Natur des Geistes.“ Und dann erklärt Ajahn Amaro, dass der Buddha genau dieses Wort ‚atthi‘ verwendet hat, wenn er vom Ungeborenen oder nicht Geborenen, von der zeitlosen, überweltlichen Seinsqualität jenseits von Geburt und Tod gesprochen hat, und nimmt Bezug zu den Worten des Buddha, die im Udana VIII, 1 bis 4 überliefert sind:

„Es gibt jenen Bereich, wo nicht Erde noch Wasser ist, nicht Feuer noch Luft, nicht unendliches Raumgebiet, noch unendliches Bewusstseinsgebiet, nicht das Gebiet der nicht Irgendetwasheit, noch das Gebiet der weder Wahrnehmung noch nicht Wahrnehmung, nicht diese Welt noch eine andere Welt, nicht Sonne und Mond.

Das nenne ich weder Kommen noch Gehen noch Stillstehen noch Vergehen noch Entstehen.

Ohne Stützpunkt, ohne Anfang, ohne Grundlage ist das; eben dies ist das Ende des Leidens.“

„Schwer zu sehen ist das Nicht-Ich, nicht leicht zu begreifen ist die Wahrheit; überwunden ist der Durst (das Anhaften) für den Wissenden; für den Schauenden ist nicht irgendetwas.“

„Es gibt ein nicht Geborenes, nicht Gewordenes, nicht Geschaffenes, nicht Gestaltetes. Wenn es dieses nicht Geborene, nicht Gewordene, nicht Geschaffene, nicht Gestaltete nicht gäbe, dann wäre ein Entrinnen aus dem Geborenen, Gewordenen, Geschaffenen, Gestalteten nicht zu erkennen.

Weil es aber ein nicht Geborenes, nicht Gewordenes, nicht Geschaffenes, nicht Gestaltetes gibt, darum lässt sich ein Entrinnen aus dem Geborenen, Gewordenen, Geschaffenen, Gestalteten erkennen.“

Dharma-Mystik

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