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ОглавлениеMichel, Momme, Mads und Manni
Manni, Mads, Michel und Momme hockten auf dem First der Alten Vogtei und hielten die Schnäbel in den Wind. Trotz ihrer Verschiedenheit waren sie seit Kükentagen beste Kumpels und wenn irgendwo in Travemünde was los war – sie waren dabei. Und wenn nichts los war, machten sie was los.
Die vier waren berüchtigt für ihren Hang zum Rabaukentum, aber wirklich beikommen konnte man ihnen nicht, denn dazu waren sie einfach zu schlau. Jeder von ihnen hatte so seine Stärken und dass alle vier einer anderen Möwenart angehörte, war von Vorteil – auch und gerade beim Unsinn verzapfen.
Als Mantelmöwe war Momme der Größte der Bande, aber leider nicht der Schlaueste. Das war ohne Zweifel Mads, die Lachmöwe. Mit großer Lust am Schabernack dachte er sich immer wieder neue Späße aus, die auf Kosten anderer Vögel – insbesondere der Touristen, gingen. Gelangen sie und die ahnungslosen Opfer fielen auf seine Tricks herein, kommentierte er das mit dem kreischenden Lachen, das seiner Art so eigen ist. Das war so ansteckend, dass die anderen Drei mitlachten. Nicht immer verstand Momme, was da wieder so witzig sein sollte, aber das mussten die anderen ja nicht merken und so schrie er, was seine breite Brust hergab und wollte sich ausschütten vor Lachen.
Michel fand ohnehin alles lächerlich, was Touristen so tun und lachte schon über deren bloßen Anblick. Wie konnte man nur so rumlaufen? Als Silbermöwe kam er aus gutem Hause und eigentlich, so fand er, gehörte er eher nach Timmendorfer Strand, das nur sechs Kilometer weiter nördlich lag, jedoch ein ganz anderes Niveau hatte. Dort hielt man auf sich und war sich der Erhabenheit einer Premium-Destination bewusst. Aber Michel war nun mal in Travemünde geboren und außerdem war er nicht sonderlich gut bei Kasse, was ein Leben in Timmendorf erheblich erschwert hätte. Sein leichter Silberblick wäre in Timmendorf kein Problem, denn hier trug man Sonnenbrille. Immer. Dennoch hatte er was Distinguiertes an sich und legte Wert auf ein gepflegtes Federkleid und saubere Füße.
Manni zeichnete sich durch seine Flugkünste aus und machte seinem Namen als Sturmmöwe alle Ehre. Er liebte es, den behäbigen, dicken Enten aus Bottrop im Sturzflug das Fischbrötchen aus dem Schnabel zu reißen und damit in wilden Schleifen über den Fährvorplatz rauf auf den Turm der Sankt Lorenz Kirche zu zischen. Von dort konnte er nicht nur selbst den verdatterten Blick der Bestohlenen genießen, sondern die armen Opfer dieser Dreistigkeit konnten umgekehrt von unten beobachten, wie er genüsslich den Fisch zwischen den Brötchenhälften herauszog und im Ganzen herunterwürgte. Das Brötchen ließ er fallen, er war ja nicht so. Enten bevorzugten bei einem Fischbrötchen ohnehin immer das Brot.
Manchmal teilte Manni seine Beute mit den anderen Dreien, aber nur wenn er satt war. Ansonsten sahen sie ihm oft zu und bewerteten seine Raubzüge dann mit einem ausgeklügelten Punktesystem. Darin flossen zum Beispiel die Wehrhaftigkeit des Opfers mit ein oder die Position der Fischbrötchenbude. Es gab Buden, die auf seine Angriffe vorbereitet waren und Vorkehrungen wie die Montage extra langer Vordächer getroffen hatten. Die mussten in einem sehr flachen Winkel angeflogen werden und auch das Durchstarten mit dem schweren Brötchen im Schnabel war anspruchsvoller. Enten zu beklauen, gab wenig Punkte, weil die viel zu langsam waren. Interessanter waren da schon Kormorane oder Schwäne. Besonders Erstere waren ein Fall für Gemeinschaftsraubzüge. Während Michel als Erstkontakt provozierend vor dem Opfer auf und ab flanierte, flatterte Mads kichernd über dem Kopf des Kormorans. Das irritierte den armen Vogel meistens so, dass er das Fischbrötchen losließ und den Kopf hob. Entweder konnte Michel dann seitlich zugreifen oder Manni schnappte sich den Happen im Vorbeiflug. Nur sehr selten musste Momme eingreifen und wenn, dann am ehesten bei den Schwänen. Erfolgreich waren sie so gut wie immer.
Mit vollgeschlagenen Bäuchen saßen sie dann meistens auf dem Dach des ehemaligen Hein Mück. Das war mal die älteste Kneipe in Travemünde, aber jetzt war das alte Haus so baufällig, dass sich die Renovierung nicht mehr lohnte. Für die Möwen-Gang war es jedoch gut genug und Tradition war Tradition. Schon ihre Väter und Großväter hatten auf dem Hein Mück gesessen und solange die Hütte stand, wollten auch sie dort sitzen. Das Dach hatte Dellen, in denen sich der Ostseeregen sammelte und man konnte sich dort schön einen zwitschern. Bis zum Sonnenuntergang saßen sie oft dort und brüteten neue Pläne aus, wie sie Travemünde unsicher machen konnten.
Die Nacht verbrachten sie getrennt voneinander auf verschiedenen Pollern an der Promenade, nur Momme musste nach Hause, ins Nest. Er wohnte noch bei seiner Mutter, die immer ein Auge auf ihn hatte. „Adlerauge, sei wachsam“, sagte sie immer, obwohl sie doch eine Mantelmöwe war. Sie kannte ihren Jungen und hatte ihn immer noch unter ihren Fittichen, obwohl Momme mit seinen fünf Jahren noch nicht mal mehr das bräunliche Jungvogelgefieder und den dunklen Schnabel hatte. Er hätte gern längst seinen eigenen Poller bezogen, aber er wusste, dass seine Mutter ihn nicht loslassen konnte. Sein Bruder Uwe war vor fast einem Jahr bei der großen Sturmflut über der Lübecker Bucht verschollen. Mommes Mutter war nie darüber hinweggekommen und hoffte immer noch, dass Uwe eines Tages wieder heimkam.
Es war ja nicht so, dass Momme die Annehmlichkeiten mütterlicher Fürsorge nicht zu schätzen wusste, aber er kam so langsam in das Alter, in dem andere Möwen zumindest eine Saisonehe eingingen, die in nicht seltenen Fällen auch länger Bestand hatte. Momme sah diesbezüglich für sich keine Chance. Möwenmädchen mochten keine Männer, die noch bei Mama wohnten.