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PROLOG

Ein verregneter Spätsommertag in der Gegenwart: ein schäbiger, dunkler Hinterhof in einer schlecht beleuchteten Seitengasse befindet sich am Rande einer großen Stadt. Es ist kalt, nass und riecht etwas muffig. Wenn sich komische Gestalten hier herumtreiben, ist es zeitweise auch richtig gruselig.

Hier in dieser seltsamen Umgebung lebt der Mäuserich Destineaux. Manche nennen es wohl eher 'hausen'. Auf der untersten Stufe einer Kellertreppe liegt ein altes, beflecktes Handtuch – nicht größer als ein Fußabtreter. Dieses dient ihm als Schlafplatz. Als Nahrung findet der Mäuserich hier mal ein Stückchen Käse und dort mal ein Stückchen Brot. Doch diese Nahrungsstückchen sind meistens schon mit einer hauchdünnen, manchmal auch fingerdicken Schimmelschicht überzogen. Ja, richtig! Es kann nicht immer Gourmetküche sein. Wenn der Hunger allzu groß wird, frisst Destineaux eben auch Küchenabfälle. Ob er will oder nicht.

Viel hat Destineaux bisher nicht von seinem Leben gehabt. Seine Eltern kennt er nicht. Vor einem Treppenabsatz in eben jener dunklen Seitengasse wurde Destineaux als Mäusebaby abgelegt. Er wurde seinem Schicksal und sich selbst überlassen. Freunde…? Freunde sind auch so eine Sache. Wer möchte sich schon mit einem grauen, struppigen Nager mit viel zu großen Ohren abgeben?

An einem anderen Tag in einem wohlhabenden Viertel der Stadt: ein schönes, gepflegtes Grundstück befindet sich hier. Umgeben ist es von einem kniehohen, weißen Holzgartenzaun. Ein hellblau getünchtes Haus mit großen Fenstern und einer Eingangstür aus Marmor steht majestätisch in der Mitte. Dazu gehört ein Garten mit großen und kleinen wundervoll begrünten Bäumen und Büschen. Herrlich! Diese niedlichen Blümchen zum Anknabbern, diese saftig-grüne Wiese zum Herumtollen, der schöne große Sandkasten zum Buddeln. Alles steht frei zur Verfügung. Welch' ein Glück!

Pollagia, eine buntgefleckte Katze mit weichem Fell, grün-schimmernden Augen und stolzgeschwellter Brust nennt dies ihr Eigen. Nicht so ganz. Es ist das Eigentum der wohlhabenden Familie, bei der Pollagia wohnt. Und das Beste daran: es gibt hier ein Leckerlie für sie, da ein liebes Wort oder eine Schmuseeinheit.

Was kann es Schöneres geben in einem Katzenleben?

Doch seit ein paar Tagen ist etwas anders. Pollagia kann es spüren und… sehen. Es herrscht ein Durcheinander und ein Gewusel im Haus. Große und kleine Kisten werden von den Familienmitgliedern gepackt. Möbel werden mit weißen Tüchern zugedeckt… wohl um sie vor Staub zu schützen, denkt Pollagia. Als die Katzendame heute von einem ihrer Ausflüge nach Hause kommt, sieht sie es. Ein großes Auto mit einer riesigen Ladefläche steht wartend vor dem Grundstück. Das ist doch nicht etwa ein Umzugswagen? Doch genauso ist es! Jetzt weiß Pollagia, was es mit all der Aufregung in den letzten Tagen auf sich hat. Pollagia's Familie zieht um. Von dem gepflegten Viertel in ein noch reizenderes Zuhause vermutet sie. "…und ich ziehe mit um!" denkt sich Pollagia und maunzt vor Freude. "Dann gehe ich mich mal von meinen Freunden verabschieden."

Pollagia marschiert fröhlich los. Ein alter Hase wohnt nebenan. Ein Eichhörnchen wohnt noch ein paar Häuser weiter… jedes Tier wünscht Pollagia eine gute Reise und viel Glück in der neuen Nachbarschaft.

Als Pollagia ein bisschen wehmütig nach Hause zurückkehrt, ist es spät und dunkel geworden. Die Straßenlampen leuchten schon. Sie blickt auf die Straße und wundert sich. "Wo ist der Umzugswagen und wo ist meine Familie?" Durch die sich in der Eingangstür befindliche Katzenklappe huscht Pollagia ins Haus aber: es ist Keiner mehr da.

"Sie haben mich vergessen!" denkt sie traurig. "Ich werde warten. Sie holen mich bestimmt noch ab." Im Hausflur liegt noch ihre flauschige Katzendecke. Darauf rollt sich Pollagia zusammen und schläft nachdenklich ein. Was Pollagia nicht ahnt: Keiner wird kommen und sie holen.

Die Uhrenträgerin

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