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3. Nachrichten

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10:00 Uhr morgens, Freunde, und ich schwör euch, die Uhr wird heut schneller ticken als die Tropfen, die ihr der Erde schenken werdet im Angesicht einer Buddelei, die gestern Nacht hier im Säulengang stattgefunden hat. Unter der Eingangszypresse, 90 Zentimeter tief vergraben, konnte eine sogar für hiesige Verhältnisse beachtliche Medikamentenkammer sichergestellt werden, verschiedene Neuroleptika, Fluanxol, Promethazin, Proneurin, Protactyl, dieses und jenes Antidepressivum, Fluesco, Pronervon und das beliebte Psychopax, von dem ich persönlich abraten würde, Stichwort Ataxie, Glottisspasmen, Libidoverlust, Spaß beiseite, ich verwette mein letztes Aspirin drauf, dass jeder von euch gerne der glückliche Buddler gewesen wäre, der Schatz fiel aber einem jungen Assistenzarzt in die Hände. Die ca. 100-jährige Ava G. bekannte sich als Verwalterin dieses Fundus, unser bitter Erspartes, unsere letzte Sicherheit, unser Notgroschen. Jeder Inseldepp kann sich an Avas Versprechen erinnern.

„Nach endloser Disziplin und Sparsamkeit

Haben wir uns ein festliches Ende verdient.

Erst rauschend und dann sanft.”

Das Ende kommt, soviel ist sicher, in genau vier Stunden und acht Minuten, es wird bitterer sein als die Acetyl-Reste in deinem Zahnfleisch und schneller kommen, als du schlucken kannst. Die Zeit macht das, was du immer von ihr wolltest, sie rennt dir davon. Der Assistenzarzt ist zusammen mit dem gesamten Ärzteteam auf einen

„Wochenendtrip”

an die afrikanische Küste gereist. Wir schicken einen freundlichen Gruß von der Insel und wünschen viel Spaß. Wir haben alles verloren, unsere Ärzte, unsere Medizin, unsere Hoffnung auf ein sanftes Ende. Wir sind allein. Um uns rum fällt uns das Paradies in die Fresse, Orangen, Oliven, Oleander, wir können unsere Schmerzen lindern mit Thymian, unsere Nerven schonen mit Rosmarin, unsere Atmung mit Salbei regulieren. Aber lasst uns in diesen kostbaren Stunden nicht über alternative Heilmethoden diskutieren, lasst uns stattdessen unserer geliebten Ava G. einen epileptischen Anfall an den Hals wünschen, der sie zwingt, die letzten Momente ihrer Unsterblichkeit in den Armen von Gabriel zu verbringen, dem hübschesten Stalker der Insel, der nach vierzehn fast astreinen Aderlässen noch nicht mal einen Augenaufschlag von dieser Schabracke geerntet hat. Lasst uns realistisch sein, wer mit der Mittagsfähre nicht die Flucht ergriffen hat, wird mit der Insel untergehen, wer jetzt nicht liebt, wird es nie begreifen, wer jetzt nicht schreit, wird immer schweigen. Wer denkt, wir würden heute nicht senden, der ist nicht bei Trost.

Radio Rhapsodie

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