Читать книгу Troll und Kopfgeldjäger - Anja Kuemski - Страница 5
Kapitel 3
Оглавление„Herr Hintertupfer?“
Alois schreckte aus dem Halbschlaf hoch, den ihm die starken Schmerzmittel bescherten, seit seine Gesichtsknochen vor ein paar Tagen in einer komplizierten OP wieder hergestellt worden waren. Er befand sich in einem Dauerzustand von Benommenheit, als ob sein Kopf mit Watte ausgestopft worden war. Die weibliche Stimme drang wie von sehr weit entfernt an sein Gehör, oder was davon noch übrig war.
„Wer will das wissen?“, fragte er unfreundlich.
„Mein Name ist Alina Ponti, ich komme von der Versicherung.“
Er spürte, wie jemand kurz seine rechte Hand berührte und schnaufte unzufrieden. Seine Augen, oder besser die Augenhöhlen, waren noch immer verbunden, die Ohren hatte man zunächst mit Hörgeräten ersetzt. Alois wusste, dass das alles kein Dauerzustand bleiben konnte. Er hatte keine zusätzliche Invaliditätsversicherung und er wollte auch nicht im Wohlfahrtsheim landen. Dann könnte er sich auch gleich vor den nächsten Zug werfen. Aber bei seinem Glück würde das Ding beim Aufprall gegen seinen massigen Körper entgleisen und er wäre gelähmt und wurde verklagt wegen Verkehrsbehinderung. Ob er wollte oder nicht, er musste mit der Versicherungstussi kooperieren.
„Was wollen Sie?“
„Es geht um Ihre fehlenden Sinnesorgane.“
„Kommen Sie zum Punkt.“
„Sie haben keine Transplant-Zusatzversicherung.“
„Ich weiß. Die sind so teuer, dass sich normale Leute das nicht leisten können, wie Ihnen ja wohl bestens bekannt sein dürfte.“
„Es gäbe eine Möglichkeit.“ Sie schien keinen Anstoß an seinem Ton zu nehmen. Sie war ein Versicherungs-Profi. Das nachfolgende Schweigen war sehr vielsagend. Alois wusste, dass Versicherungen niemals etwas zu verschenken hatten. Wenn sie ihm anboten, seine Augen und Ohren wieder herzustellen, dann kam das zu einem Preis. Und es gab keine Garantie, dass sie ihm alles so erklären würden, dass es verständlich war. Hatte er eine Wahl?
„Ich höre.“ Er lachte bitter auf.
„Die Firma Pharma-Tech entwickelt derzeit einen neuen Prototyp von Cyberware, der sich in der ersten Testphase befindet. Wie Sie wohl wissen, dürfen neue Technologien nur noch an Freiwilligen getestet werden. Da Sie ansonsten keinerlei Anspruch auf künstliche Sinnesorgane hätten, wäre dies eine Chance für Sie, die Sie ernsthaft in Erwägung ziehen sollten.“
Alois musste sich schwer zusammenreißen, um nicht sofort zuzustimmen. Ihm war alles recht, sofern nur die geringste Aussicht bestand, dass er wieder arbeiten konnte. Er wäre auch bereit gewesen, seine Seele dafür zu verkaufen, moralische Bedenken waren seine Sache nicht. Aber er musste natürlich seine Rolle spielen, auch wenn sie beide wussten, dass er sich im Grunde längst entschieden hatte.
„Wo ist der Haken?“
„Es gibt keinen, außer natürlich derjenigen Tatsache, dass das Produkt sich eben noch in der Frühphase des Praxistests befindet. Aber bisher konnten keine Ausfälle oder Nebenwirkungen festgestellt werden.“
„Wie viele laufen denn schon damit herum?“
„Die erste Testgruppe hat bereits den kompletten Durchlauf abgeschlossen.“
„Und?“
„Nun, die Hauptprobleme entstehen bei Missbrauch des Anwenders. Es gibt natürlich ein paar Dinge, die man beachten muss. Kontakt mit Wasser vor allem.“
„Das heißt, ich darf nicht mehr duschen?“
Sie lachte höflich auf. „Nein, das heißt, Sie müssen Ohrstöpsel tragen, um ein Eindringen von Wasser zu vermeiden. Ein paar Regentropfen oder Luftfeuchtigkeit sollten aber kein Problem sein.“
„Sollten.“
„Haben sich bisher nicht als problematisch erwiesen“, spezifizierte sie.
„Und die Augen?“
„Die neuartigen Linsen sind sehr robust. Der Clou ist, dass wir diese neuartige Cyberware direkt in Ihre neuronalen Strukturen einbinden können. Keine Verzögerung mehr durch langsame Datenverbindungen. Natürlich besteht auch weiterhin die Möglichkeit, die Implantate mit Ihrem eKomm und dem Homeserver zu synchronisieren.“
„Gibt es für Trolle spezielle Modelle?“
„Selbstverständlich gibt es die Modelle für die unterschiedlichen Rassen in der Größe angepasst. Allerdings muss ich darauf hinweisen, dass Ihre natürliche Fähigkeit, im Dunkeln zu sehen, mit dieser Technologie etwas anders funktioniert. Sie können komplett darauf verzichten, oder aber einem modifizierten Modell zustimmen, das mit einem Wärmesensor ausgestattet ist.“
„Ich will auch weiterhin im Dunkeln zurechtkommen. Ich nehme das modifizierte Ding.“
„Sehr gern. Dann könnten wir ja eigentlich gleich den Vertrag abschließen. Das ist die richtige Entscheidung, glauben Sie mir. Die Geräte werden live gewartet, aber Sie müssen nicht befürchten, dass man sich unangemeldet auf Ihr System schaltet. Alles, was die Kollegen tun, können Sie hören bzw. visuell auf der neuen Netzhaut mitverfolgen. Sie können auch jederzeit eine Niederlassung des Herstellers zur Wartung oder bei Problemen aufsuchen, oder Sie benutzen die Hotline und dann kommt man zu Ihnen, beziehungsweise, man loggt sich bei Bedarf in Ihr System ein. Das mag am Anfang etwas befremdlich sein. Nicht so sehr für das Gehör, es ist in etwa vergleichbar mit einem normalen Kopfhörer. Aber wenn die Cyberaugen live gewartet werden, dann haben Sie für den Moment nur eingeschränkte Kontrolle über Ihre Pupillen, daher sollten Sie das nicht tun, wenn Sie ein Fahrzeug führen, oder sich in einer Situation befinden, in der Sie auf Ihre Augen dringend angewiesen sind.“ Sie spulte das herunter als handele es sich um einen Einkaufszettel, der abgearbeitet werden müsse und nicht um seine Sinne.
„Wie oft schaltet sich da jemand ein?“
„Zu Beginn einmal am Tag, um zu sehen, ob Sie damit klarkommen, und es korrekt handhaben, später dann einmal pro Woche oder nach Bedarf.“
„Und ganz sicher nur, wenn ich zustimme?“
„Die Freischaltung zur Wartung erfolgt per visual control. Klingt zunächst merkwürdig, ist aber selbsterklärend, sie werden es schon sehen. Nichts passiert ohne Ihre Zustimmung. Sie haben es in der Hand, oder sollte ich sagen, im Auge.“ Sie lachte beinahe pflichtschuldig auf. Wahrscheinlich machte sie diesen Witz bei jedem neuen Probanden.
Alois war sich sicher, dass es Möglichkeiten gab, die visuelle Freigabe zu umgehen und ihn auf diese Weise heimlich zu kontrollieren, aber wenn die einmal dabei zugesehen hatten, wenn er im Puff war, dann machten die das kein zweites Mal. Das war kein Punkt, über den er sich allzu große Sorgen machte. Wenn sie die Welt durch seine Augen sehen wollten, waren sie selber Schuld.
„Wie lange geht der Test? Muss ich die Geräte danach wieder zurück geben?“ Er wollte sich nicht schon wieder so bald Operationen am Kopf aussetzen.
„Nein, die behalten Sie, es sei denn, Sie beenden die Testreihe frühzeitig oder verhalten sich nicht vertragskonform. Die Testphase geht über drei Monate, danach werden abschließende Einstellungen und Tests durchgeführt und die Geräte gehen endgültig in Ihren Besitz über, wenn Sie sich an den Vertrag gehalten haben. Falls nicht, wird man die Implantate dennoch nicht entfernen, es sei denn, Sie wünschen das. Statt dessen wird man sie Ihnen zum normalen Kaufpreis in Rechnung stellen.“
„Den Vertrag würde ich dann vorher gern gründlich durchlesen.“
„Ich habe ihn mitgebracht.“
„Es ist Ihnen aber aufgefallen, dass ich nichts sehen kann?“
„Ich könnte Ihnen den Vertrag vorlesen.“
„Sie halten mich für blöd, oder? Sie könnten sonst was vorlesen, egal ob es da steht, oder nicht.“ Er tastete auf dem Nachttisch nach seinem eKomm und schaltete es ein. „Linus Caesar Jagelowsky“, sagte er laut und deutlich. Er konnte selber kaum glauben, dass er den Kerl freiwillig anrief. Aber er hatte festgestellt, dass der Typ zwar nervig aber auch sehr ehrlich war. Und er war ein Cop, was die Versicherungstussi hoffentlich genügend einschüchtern würde, damit sie gar nicht erst versuchte, ihn über den Tisch zu ziehen.