Читать книгу Die Stadt ist der Dschungel - Anja Kwiatkowski - Страница 4

Kapitel 2

Оглавление

„Überfall auf die Staatsbank, alle verfügbaren Einheiten die nördlichen Brückenzufahrten abriegeln. Achtung, die Täter sind im Besitz automatischer Schnellfeuer-Waffen und machen davon Gebrauch“, schnarrte es aus dem eKomm. Linus Caesar Jagelowsky warf den Rest seines Sandwichs auf den Beifahrersitz, schaltete die Fahrautomatik aus und fuhr mit quietschenden Reifen los. In der grünen Emissionszone hatten nur wenige Fahrzeuge überhaupt eine Fahrerlaubnis, daher kam er sehr schnell voran. Und es würde den Kollegen hoffentlich auch die Verfolgung der Täter erleichtern. Er hupte ein paar Fußgänger von der Kreuzung und parkte mitten auf der Zufahrt zur östlichsten der drei zentralen Brücken, die über den Fluss in die Südstadt führten. Wenn die Bankräuber nach Süden wollten, wären diese Brücken der schnellste Weg. Aber Linus und seine Kollegen waren auch sehr schnell vor Ort gewesen, hoffentlich zu schnell für die Täter. Er stieg aus und entsicherte seine Waffe. Seine Schicht war beinahe schon zu Ende gewesen, er hatte geistig schon an einem Konzept für seine nächste Geschichte über den einsamen Troll-Kopfgeldjäger gearbeitet als der Einsatzbefehl kam. Banküberfälle waren eine Seltenheit geworden, die Sicherheitsmaßnahmen der Geldinstitute machten sich auf jeden Fall bezahlt und es gab nur noch wenig Bargeld. Möglicherweise hatten es die Diebe eher auf Gold oder deponierten Schmuck abgesehen. Wenn man bereit war, Tote in Kauf zu nehmen, dann konnte sich das durchaus lohnen. Die Täter in diesem aktuellen Fall schienen zumindest keinerlei Skrupel zu haben. Linus konnte in der Ferne die Sirenen der Kollegen hören, dann fielen Schüsse. Leute liefen schreiend in Deckung. Aber die Fahrzeuge näherten sich nicht seinem Standort. Über das eKomm kam die Aufforderung, auf jeden Fall die Position zu halten, eine andere Einheit war den Tätern auf den Fersen. Nervös sicherte er die Waffe wieder, er wollte auf keinen Fall aus Versehen einen unschuldigen Passanten verletzen. Viele Bürger reagierten hochgradig irrational, sobald sie jemanden mit einer Schusswaffe sahen und dann konnte es leicht zu Unfällen kommen.

Die Sirenen entfernten sich, aber es gab weiterhin keine Entwarnung. Linus entspannte sich ein wenig, behielt aber die Umgebung im Auge. Er hatte bisher wenig Anlass gehabt, seine Waffe zu benutzen, worüber er nicht böse war. Das hieß aber nicht, dass er Angst davor hatte. Er wusste, dass er jederzeit in die Situation kommen konnte, wo es auf Sekunden ankam, die über sein eigenes Überleben entscheiden konnten. Egal, was der Troll von ihm halten mochte, Linus wollte von seinen moralischen Wertvorstellungen nicht abrücken, auch wenn er zugeben musste, dass er sich wie ein Krimineller verhalten hatte, als es darum ging, Hiro Thrang ausfindig zu machen. Das hätte ihn eigentlich den Job kosten müssen. Er wusste nicht, was er mehr fürchtete: die Vorstellung, vor seinem Vorgesetzten zu stehen und ein Geständnis ablegen zu müssen, oder festzustellen, dass dieser Vorgesetzte nur müde mit den Schultern zuckte und ihn ermahnte, sich in Zukunft nicht erwischen zu lassen. Der gesamte Polizeiapparat war durch und durch korrupt, Linus wusste das, aber er versuchte wenigstens, ehrlich zu bleiben. Sein Schwachpunkt war ganz klar Alois Hintertupfer. Seit Alois vor ein paar Monaten Opfer einer Handgranate geworden war, hatte Linus einen Narren an dem mürrischen Troll gefressen. Anfangs war es reine Neugier gewesen und die Aussicht, mit den Erlebnissen des Kopfgeldjägers Geld zu verdienen. Aber inzwischen verbrachte er einen Großteil seiner Freizeit mit dem Troll, ohne dass er auch nur annehmen konnte, dieses Interesse beruhe auf Gegenseitigkeit. Alois war ein Eigenbrötler, und nachdem er nun zugegeben hatte, in der PML gedient zu haben, verstand er auch warum. Aber Linus ließ sich nicht so leicht abwimmeln, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Alois und er kamen gut miteinander aus, wenn auch auf einer Ebene, die für die meisten objektiven Beobachter nicht unbedingt erkennbar war. Sie stritten viel, aber niemals bösartig. Er wusste oder hoffte zumindest, dass Alois ihn auf seine besondere Art auch mochte, selbst wenn er sich eher die Zunge abbeißen würde, als das zuzugeben. Aber die Tatsache, dass er zwar ständig damit drohte, ihn endgültig rauszuschmeißen, es aber noch nie getan hatte, war für Linus Beweis genug. Sie gingen oft gemeinsam ein Bier trinken, und Alois ließ sich ohne großen Widerstand alte Geschichten aus der Nase ziehen. Bloß die Sache mit der PML, die hatte er ihm bisher verschwiegen. Umso größer war der Schock gewesen, als er es erzählte. Auf der Polizeischule hatte Linus Berichte von Veteranen gelesen, die damals in der kontrollierten Zone aktiv gewesen waren, und die Folgen des Terrors hautnah miterlebt hatten, jedoch nie in der Sperrzone selber gewesen waren. Wenn er sich vorstellte, dass der damals fast noch minderjährige Alois mittendrin steckte in dem Horror, dann wurde ihm schlecht. Das Auftauchen dieses Myrner hatte offensichtlich eine Flut an Erinnerungen ausgelöst, Alois war sehr unleidlich, seit sie dem ehemaligen Mitstreiter im Hafenkomplex begegnet waren.

Als über das eKomm der erweiterte Fahndungsaufruf kam, wusste Linus, dass dies nur bedeuten konnte, dass den Bankräubern die Flucht geglückt sein musste. Er folgte dem Befehl, in die Zentrale zurückzukehren und seinen Dienst für heute zu beenden. Aber er blieb noch eine Weile im Hauptquartier und begründete das mit dem Interesse an dem Ausgang der Fahndung. Allerdings machte er keinerlei Anstalten, der Suche online zu folgen. Stattdessen wollte er ein paar Erkundigungen über diesen Myrner einholen.

Die Stadt ist der Dschungel

Подняться наверх