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Anfangen

Widiwidiwie sie mir gefällt ...

Oder: Konkreter wird’s später?


„Ich kauf’ mir was. Kaufen macht so viel Spaß.“

Herbert Grönemeyer im Lied „Kaufen“

„Ein kleiner Anfang ist auch ein Anfang.“

Sprichwort


Ich durchforste die Werbeprospekte nach günstigem Joghurt, ich hole Angebote für unsere neue Haustür ein, weil durch die alte jedes Grad Wärme einfach entflieht, ich habe einen Wunschzettel mit Dingen, über die ich mich freuen würde, und manchmal bummel ich auch einfach nur so aus Lust und Laune durch die Läden. Ich kauf mir was. Kaufen macht so viel Spaß – sang Grönemeyer und hatte recht.


Konsum hat Macht. Er ist ein gewaltiger Faktor im Wirtschaftsleben und beeinflusst Zahl und Art der Arbeitsplätze. Kunden entscheiden, was läuft und was nicht. Geben sie das Geld nur noch hier aus, macht dort eine andere Firma dicht. Unternehmen sind hochsensibel dafür, wohin sich unsere Werte verändern. Wer heute nicht darauf achtet, was die Käufer wollen, macht morgen kein Geschäft mehr. Das gilt für Trendfarben des Sommers genauso wie für ein erhöhtes ökologisches Bewusstsein. Selbst wer nur im Kleinen für nachhaltiges Wirtschaften einsteht, beeinflusst, wie wir insgesamt in der Gesellschaft die Dinge angehen. Der Konsument bestimmt mit, wohin die Reise geht.


Und der Konsument bin ich. Einer von 80 Millionen in Deutschland. Ob ich das T-Shirt bei Primark, im Weltladen oder auf dem Flohmarkt kaufe, entscheidet, bei wem die Kasse klingelt oder nicht. Und wenn wir alle derselben Meinung wären, wofür wir unser Portemonnaie öffnen wollen und wofür nicht mehr, würde viel passieren: Als keiner mehr Eier aus Legebatterien wollte, durften Hühner auf dem Boden scharren. Wenn mehr Leute Bio-Bananen kaufen, landen weniger Pestizide im Boden. Wenn wir fair gehandelten Orangensaft in den Einkaufskorb legen, dürfen die Kinder der Pflücker in die Schule gehen, weil von den zusätzlichen Erlösen neben der medizinischen Versorgung auch Lehrer bezahlt werden.


Darum also „bewusster Konsum“, dieses Schlagwort, das zu beschreiben versucht, dass ich nicht mehr bräsig jedes Hühnerfilet für 2,99 Euro kaufe, Kik & Co. meide, Wasser in Glasflaschen statt solchen aus Plastik nach Hause schleppe und mich auf die lange Suche nach einem gebrauchten Fahrrad begeben habe, statt für 199 Euro schnell eins im Baumarkt zu kaufen.


Denn ich weiß zu viel. So wie wir alle. Wir wissen von Kindern, die Teppiche knüpfen, Steine behauen und Kakaobohnen ernten müssen, statt in die Schule zu gehen. Wir wissen von Kühen, die in ihrem Leben nie das Tageslicht sehen, von Chemikalien in Baumwolle, Weintrauben und Kinderspielzeug, vom Hungerlohn pakistanischer Näherinnen, vom Müll auf dem Meeresboden und in riesigen Strudeln im Ozean. Wir wissen vielleicht nicht alles ganz konkret, aber dass da was im Busch ist, hat jeder zwischen sechseinhalb und 96 mitbekommen.


Ich weiß zu viel, um mich nicht zu fragen, welche Produkte dazu beitragen, dass Menschen arm oder krank oder ungebildet sind. Und umgekehrt: ob es Produkte gibt, die helfen, dass Menschen weniger arm und dafür gesünder und freier leben können und die Natur nicht so überbeansprucht wird, als könnten wir sie irgendwann einfach in die Reinigung oder zur Reparatur bringen.


Dabei ist das Thema komplexer, als mir lieb ist. Falsch deklarierte Bio-Eier muss ich als ärgerliche Betrügerei einzelner schwarzer Schafe in Kauf nehmen. Aber auch darüber hinaus ist nicht immer klar, was guter Konsum eigentlich ist. Nehme ich die Packung Bio-Eier aus dem Supermarkt – oder Eier aus Bodenhaltung eines Bauern in meiner Region? Hat die Jeans-Schneiderin in Bangladesch etwas davon, wenn ich nur noch in Deutschland genähte Kleidung kaufe? Sind deutsche Äpfel, die mehrere Monate im Kühlhaus gelagert wurden, ökologischer als mit dem Schiff transportierte Äpfel aus Neuseeland?


Das Gebot der Stunde heißt regional. Will heißen: Je näher in meiner Umgebung das Schwein aufgezogen und geschlachtet und der Brokkoli geerntet wurde, desto besser, weil auf jedem Kilometer Sprit verbraucht wird und Tiere unter Stress geraten. Andererseits ist selbst mir als geborenem Stadtkind, dessen einziges Grün die

Balkongeranien meiner Mama und eine Birke in der Straße waren, klar: Kaufe ich ihn im Mai, wurde mein norddeutscher Apfel so lange in energieintensiven Kühlhäusern gelagert, dass es ökologisch gesehen sinnvoller sein könnte, den Apfel aus Chile zu kaufen, der mit dem Schiff angeliefert wurde. Gar nicht zu reden davon, dass Erdbeeren im Winter natürlich gar nicht gehen – alle anderen Obstsorten aber schon. Oder? Immerhin habe ich weder im Februar Weintrauben an heimischen Reben noch überhaupt jemals Bananen an deutschen Stauden gesehen. Warum ist es trotzdem in Ordnung, sie zu kaufen, Erdbeeren aus Indien im Dezember aber nicht?


Gar nicht so einfach

Ich weiß zu viel, um nichts zu tun, und gleichzeitig lähmt mich die Fülle an Informationen in der globalisierten Produktion und mich befällt manchmal das Gefühl, erst an der Uni die passenden Seminare belegen zu müssen, bevor ich einwandfrei einkaufen gehen kann. Unser Konsumhandel ist so grenzüberschreitend, die Produktion so vielschrittig und damit so unüberschaubar, dass mir manchmal die Lust vergeht, die bestmögliche Variante zu suchen. Und eigentlich will ich ja gerade nicht, dass Konsum so einen großen Stellenwert in meinem Denken einnimmt. Es geht mir doch darum, dass mir das Haben-Wollen unwichtiger wird und ich mich auf meine Menschen und Aufgaben und das Leben einlassen kann. Und jetzt studiere ich plötzlich Bio-Siegel, grüble, welches T-Shirt ich mir kaufe und welches Fleisch.


Und das nervt manchmal – aber fühlt sich meistens richtig an. Denn irgendwann wurde mir klar: Es geht hier nicht nur um mich. Sondern um Menschen und andere Mitgeschöpfe und die Welt, wie ich sie mir wünsche. Wer sich keine Gedanken macht, trifft auch Entscheidungen – oder lässt andere die Entscheidungen treffen. Im Zweifelsfall die für mehr Profit.


Ich will mich selbst herausfordern, ich will weiterkommen. Und darum ist dieses Buch ein bisschen auch ein Selbstversuch: Ich werde großzügiger werden, eine Kauf-nix-Woche einlegen, die Frage nach dem Bio-Apfel aus Neuseeland für mich klären, die Massentierhaltung so gut wie möglich boykottieren und mehr selber machen. (Ich werde außerdem auf Pelze verzichten, keine Hühner­herzen essen und nie SUV fahren. Aber das ist mir auch schon bisher ganz gut geglückt.) Soweit das Vorhaben. Mal sehen, wohin genau die Reise geht.


Ich werde vermutlich weder Vegetarierin noch Veganerin oder Frutarierin1 und wohl auch nicht mein Auto abschaffen. Denn, das ist mir wichtig: Das Thema muss alltagstauglich bleiben. Der Gatte und ich arbeiten jeder mehr als dreißig Stunden in der Woche als Freiberufler mit nicht gerade üppigem Einkommen und wir haben zwei Sprösslinge, mit denen wir Zeit verbringen wollen. Die Gedanken und Veränderungen müssen irgendwie lebbar bleiben. Wir sind keine Idealisten und keine Perfektionisten, aber ich bin hochmotiviert, möglichst viel umzusetzen.


Was ich gar nicht will: mich von diesem komplexen Thema einschüchtern lassen. Etwas ist besser als nichts, hat mein Chef immer gesagt. Nächstes Jahr bin ich einen Schritt weiter. Lieber konkret etwas angepackt, als mich vom Perfektionismus bremsen lassen. So schnell springen mich kleine Gedankenäffchen an, die mir ins Ohr kreischen: „Wenn du jetzt anfängst, wird ein Riesenprojekt draus, das wird ein Fass ohne Boden – also lass es lieber gleich.“ Gern schwingt auch die Moralkeule über meinem Kopf: „Vollkommen fair werde ich nie leben können, dafür ist das System zu korrupt!“ Und das stimmt. Ist aber genauso eine Ausrede. Wer sagt, dass ich mir nicht einfach die Freiheit nehmen kann zu entscheiden, was gerade geht und was nicht, wozu ich bereit bin und wozu auch nicht? Nichts muss sofort, was zählt, ist der Anfang. Ich muss nicht gleich ideal leben, sondern ich will mich auf den Weg machen.


Steile Ideale und kleine Schritte auf dem Weg

Die Standardfrage lautet: Gibt es gutes Leben im falschen? Lohnt es, unseren Konsum zu verändern, oder müssten die Veränderungen viel grundlegender sein? Ich würde sagen: Ja und ja. Wenn wir anständiger konsumieren, setzen wir damit immer zugleich auch ein Zeichen, das die großen Konzerne zum Umdenken bringen soll. Wir pirschen uns heran, um zu erforschen, wie wir leben wollen. Wir probieren und fragen und zeigen guten Willen und ändern, was in unserer Macht steht. Aber das ist nicht das Ende der Geschichte. Es geht für mich um mehr, um die Liebe zu Menschen und die Achtung vor Gott, es geht darum, dass Not ein Gesicht bekommt. Ich will mich nicht freikaufen von einem schlechten Gewissen, weil es mir gut geht, sondern mich für Menschen woanders interessieren.


Letzten Endes geht es natürlich um steile Ideale: darum, Armut zu bekämpfen, die Schöpfung zu schützen, für Gerechtigkeit einzutreten. Aber weil diese Ziele wie riesige Gipfel vor mir aufragen, will ich herausfinden, was funktioniert. Ich bin überglücklich, dass Gott mir das Leben geschenkt hat, bin so dankbar, dass es mir gut geht und viele großartige Menschen um mich herum leben. Deshalb finde ich es nur fair, dafür zu sorgen, dass auch andere besser leben können.


Mit meinen winzigen Schritten verstehe ich mich als kleine Unterstützung all der Aktivisten und Vordenkerinnen und Tatkräftigen, die sich schon lange aufgemacht haben. Wie Marie Delaperrière in Kiel zum Beispiel. Im Februar 2014 eröffnete die Deutsch-Französin den ersten von inzwischen Dutzenden Unverpackt-Läden in Deutschland. Gemüse, Müsli, Drogerieartikel und andere Produkte lagern in großen Behältern, aus denen man sie sich in seine mitgebrachten Boxen und Gläser umfüllt. Einwegverpackungen werden so überflüssig. Auf einer Fahrt in den Norden legen wir bei ihr neugierig einen Zwischenstopp ein – leider so spontan, dass wir nichts zum Abfüllen dabei haben. Ich bin trotzdem begeistert und die Bio-Melone ist zum Glück von Natur aus gut verpackt und schmeckt köstlich. Die Unverpackt-Idee ist gut. Aber sie nur gut zu finden, wird diese Läden nicht über Wasser halten. Sie brauchen Kunden, die bereit sind, den Extraaufwand in Kauf zu nehmen, alles selbst abzufüllen und einzupacken und auf geschätzte Markenprodukte zu verzichten. Theoretische Zustimmung und Begeisterung für den kreativen und mutigen Einsatz der Ladengründerinnen hilft ihnen nicht. Sie brauchen Mitstreiter, die ihre Überzeugungen mittragen und umsetzen. Deshalb fiel es mir nicht schwer, Florian Giese und Anna Roschlaub zu unterstützen. Mit ihrem Laden „Onkel Emma“ wagen sie sich gerade an ein ähnliches Konzept in meinem Stadtteil. Über die Crowdfunding-Plattform Startnext sammelten sie letzte Woche Finanzen für ihre Ladeneinrichtung. 181 Unterstützer und ich haben ihnen quasi Geld vorgeschossen. Dafür habe ich einen Einkaufsgutschein bekommen, den ich im nächsten Frühjahr glücklich bei ihnen einlösen werde.


Zu den Überzeugten gehört auch Henning Beeken, der seine Rinder und Schweine ökologisch aufzieht und direkt auf seinem Hof wenige Kilometer von uns entfernt vermarktet. Oder Jörg Johannsen, der in meinem Stadtteil zwei Buchläden führt und sich wie viele Inhaber kleiner Läden für seine Umgebung und die Menschen auf eine Weise engagiert, wie es Amazon & Co. nicht tun. Oder meine Freundin Susanne Kröger, die in ihrem Hofcafé Kaffeetied mit ökologisch erzeugten Produkten backt, auch wenn das teurer ist. Als faire Konsumentin stehe ich nicht allein auf einsamem Posten, sondern werfe mein kleines Engagement in den großen Pool der vielen Aktivisten: Strateginnen bei Greenpeace, Aufklärern bei Foodwatch, Organisationen wie der Micha-Initiative oder auch gut gewillten Unternehmerinnen und mutigen Entrepreneurs. Sie alle brauchen Menschen, die sich interessieren, und ich brauche sie, damit ich an gute Produkte, Einkaufsmöglichkeiten und zuverlässige und unabhängige Informationen komme, die nicht von den Firmen beauftragt und erkauft sind. Solche Leute bündeln Kräfte, bringen Menschen zusammen und Themen aufs Tablett. Fairer Konsum ist eine kleine, aber handfeste Tat für Menschen, die nicht am Nordpol kämpfen können oder in die Politik wollen. Jeder tut seinen Teil, dieser ist meiner. Klein und nichtig, wenn ich allein bleibe.


Denn wenn niemand wissen will, wie Kaffeebauern und Arbeiterinnen leben,

wenn niemanden interessiert, ob Kinder in Indien die Steine unseres Dorfplatzes schlagen,

wenn niemand bereit ist, mehr Geld für Bio-Fleisch und faire Jeans zu zahlen,

wenn niemand mehr beim Buchhändler um die Ecke kauft,

wenn niemand aufhört, Geld in Waffenfabriken zu investieren,

dann arbeiten all die Aufklärerinnen, Aktivisten, sozialaktiven Politiker und Unternehmerinnen, die etwas zum Guten verändern wollen, umsonst.


Kürzlich stolperte ich wieder einmal über diese etwas hilflose Beteuerung, bewusster zu konsumieren, bedeute keinen Verzicht. In meinen Ohren klingt das seltsam. Ich merke, dass ich in ganz anderen Kategorien denke. Ein bewusster Lebensstil gehört zu dem guten Leben, das ich mir wünsche. Ein Leben aus Freiheit, ein einfaches, erdverbundenes, menschenfreundliches Leben in Schönheit und Großzügigkeit. Dieser Wunsch treibt mich an, er steckt in mir und ich glaube, dass Gott sich seine Welt und unser Leben so gedacht hat. Aber zu jedem Weg, den ich gehe, zu jeder Sehnsucht, der ich folge, zu jeder Entscheidung, die ich treffe, gehört auch, etwas aufzugeben. Immer. Die Frage ist nicht, ob ich auf etwas verzichte, sondern wo­rauf. Wer dem Auto immer den Vorrang gibt, weil für ihn Zugfahren der Verzicht auf die individuelle Zeitplanung bedeutet, muss damit leben, dass überall Autos fahren und parken und ihre Abgase in die Luft blasen. Und verzichtet damit auf freien Platz zum Spielen und Erholen, auf sichere Radwege, auf saubere Luft und häufigere Zugverbindungen. Weil wir im Westen 60 Kilo Fleisch und Wurst im Jahr essen, verzichten wir auf unbelastete Böden und sauberes Grundwasser und bald ziemlich sicher auf die Wirksamkeit von Antibiotika, weil durch den übermäßigen Einsatz in der Massentierhaltung die Keime resistenter werden.


Wir verzichten schon lange. Wir haben es oft nur vergessen. Weil wir es nicht anders kennen. Vielleicht ist das sogar der Punkt: Wir verzichten auf viel zu viel – oder demnächst unsere Kinder –, und dagegen möchte ich etwas tun. Im Vergleich zu früher verzichte ich inzwischen darauf, eilig in den Discounter springen und gedankenlos die abgepackte Industrieware in meinen Wagen werfen zu können. Stattdessen mache ich häufiger einen Abstecher zum Metzger und nehme mir hin und wieder Zeit, schön über den Markt zu bummeln und im Weltladen einzukaufen. Was sich nicht nach Verzicht anfühlt, sondern mich eher an den Kleinen Prinzen erinnert, dem die durststillenden Pillen suspekt waren: „Wenn ich Zeit hätte, würde ich ganz gemächlich zu einem Brunnen laufen.“ Eben.


Darum habe ich die Kapitel in diesem Buch nach den Sehnsüchten benannt, die mich voranziehen und anspornen. Am Anfang erzähle ich von der dreibeinigen Katze unserer Freunde und weshalb es mir so wichtig ist, frei zu denken. In den Kapiteln danach wird’s konkret: Es geht um die Frage nach Fisch und Fleisch, um Bio-Äpfel und faire Bananen, um frische Kaffeekirschen und gehäkelte Schildkröten in Pakistan, um Kreuzfahrtschiffe und Flüge nach Zürich, um meine Niederlagen in Sachen Großzügigkeit und um die Frage nach den großen Konzernen und den kleinen Geschäften.


Ich erzähle in diesem Buch von mir, weil ich selbst gerne lese, was andere nicht nur denken, sondern tun. Ich erzähle nicht, weil ich mich für ein besonders leuchtendes Vorbild halte. Jedes ethische Handeln ist angreifbar, das ist mir bewusst. Ich werde nie genug tun, werde immer an irgendeiner Stelle inkonsequent sein, werde manche Zusammenhänge nicht kennen oder falsch interpretieren. So sei es. Ich geh dann trotzdem mal los.

Ganz schön fairrückt

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