Читать книгу Beginn eines Piratenlebens - Ann-Kathrin Speckmann - Страница 8
ОглавлениеKapitel 2
Anne ging auf ihr Elternhaus zu. Ihr Vater, William Cormac, hatte es in einem erbärmlichen Zustand für wenig Geld gekauft. Als seine Geschäfte erfolgreich wurden, ließ er es renovieren. Mittlerweile gab es sogar einige Anbauten, die es zum wertvollsten Gebäude in der Umgebung machten.
Als Anne näher kam, entdeckte sie ihre wartende Mutter vor der Haustür. Sie drehte eine Locke ihrer schulterlangen, dunkelblonden Haare um den Finger. Das war ein schlechtes Zeichen.
„William!“, rief Peg mit schriller Stimme. Wenige Sekunden später stürmte er durch die Tür. Einen Herzschlag lang sah sie Erleichterung in seinem Blick. Dann kniff er die Augen zusammen und ballte die Fäuste. Als Anne näher kam, entgleisten die Gesichtszüge ihrer Eltern beim Anblick des Kleides. Nach einer Schocksekunde rannte Peg auf sie zu.
„Wo warst du? Und warum bist du schon wieder abgehauen? Und wer, denkst du, hat deine Arbeit erledigt?“
„Das würde ich auch gern wissen“, ergänzte William von der Haustür aus. „Na los, beantworte unsere Fragen!“
Anne vergaß die zurechtgelegte Antwort.
„Ich …“ Der Mund ihrer Mutter zuckte ärgerlich. Sag etwas, sonst lassen sie dich gar nichts erklären!, warnte sie sich selbst im Gedanken.
„Es ist alles in Ordnung. Am Hafen …“, die keifende Stimme von Peg unterbrach sie.
„Warum warst du am Hafen? Und dann wahrscheinlich auch noch alleine! Wie … wie so ein … ein mittelloser, dummer Jüngling.“
„Ich wollte die neuen Schiffe sehen. Heute sind drei angekommen.“ Peg öffnete den Mund, aber Anne sprach schnell weiter. „Egal was du jetzt sagst: Mir hat es gefallen und deshalb bereue ich es auch nicht“, sagte sie trotzig. Sie hätte so gerne von ihren Abenteuern berichtet. Leider wusste sie, dass ihre Eltern nicht zuhören würden.
Peg schielte hilfesuchend zu Annes Vater. Doch der hatte genug von dem Streit und ließ die beiden Frauen allein. Peg stand da, als hätte er sie geschlagen. Einen Moment lang schaute sie William fassungslos hinterher, dann ließ sie ihren Frust an Anne aus: „Und was ist mit deinem Kleid passiert? Glaubst du, die gibt es umsonst?“ Mit zwei Fingern griff sie nach dem Stoff.
Ruckartig wich Anne der Berührung aus. Sie atmete tief ein, bevor sie erneut zu einer Erklärung ansetzte:
„Vor einer Stunde luden mich ein paar Matrosen ein, mit ihnen zu trinken. Als ich nein sagte, griff einer von ihnen an. Ich verteidigte mich nur. Danach kehrte ich nach Hause zurück.“ Annes Stimme bebte. Das Kleid war Peg natürlich wichtiger als ihre einzige Tochter.
„Und das soll ich dir glauben? Ich soll dir glauben, dass Männer auf dich zukommen und dich mal eben so verprügeln wollen? Du bist ohne Erlaubnis zum Hafen gegangen. Du hast die anderen provoziert. Lüg mich gefälligst nicht an!“ Peg wollte nicht schreien. Anne wusste, dass sie panische Angst vor einer schlechten Meinung ihrer Nachbarn hatte. Doch in diesem Moment fiel ihr die Zurückhaltung schwer. Die Stimme lag einige Oktaven höher als normal.
„Ich lüge nicht!“, presste Anne zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Benehme dich endlich wie ein wohlerzogenes Mädchen!“
Anne lachte freudlos auf.
„Bis vor fünf Jahren habt ihr das nicht von mir erwartet!“ Wehmütig dachte Anne an ihr Leben als Adam Cormac zurück. Peg hatte es zwar auch damals nicht gern gesehen, wenn sie mit den Jungen spielte, aber sie hatte nichts dagegen machen können. Niemand hatte gewusst, dass sie die Mutter von Anne war.
„Diese furchtbare Zeit ist vorbei!“
„Die beste Zeit meines Lebens“, antwortete Anne. „Du selbst hast mich als Junge erzogen. Also musst du auch damit klarkommen, dass ich wie ein Junge kämpfen und sprechen kann.“
Peg holte mit dem Fuß aus, als wolle sie Anne treten. Nach kurzem Zögern stampfte sie jedoch nur mit dem Fuß auf. Anne verkniff sich ein Grinsen über die Angst ihrer Mutter.
„Dieses Mädchen benimmt sich schlimmer, als jeder noch so schlecht erzogene Junge!“, sagte Peg zu sich selbst. „Die erledigen wenigstens ihre Aufgaben, bevor sie sich die Köpfe einschlagen. Sogar deine Brüder sind verantwortungsbewusster, als du! Und die sind über zehn Jahre jünger!“ Ihre Brüder waren verzogene Kleinkinder, aber Peg behandelte sie wie Engel. Seit Julians Geburt war Anne Peg nur noch ein Dorn im Auge. Auch ihr Vater verlor an jenem Tag das Interesse für seine Tochter. Niemand unterstützte oder verstand sie.
„Ausgerechnet du sprichst von Verantwortungsbewusstsein? Schon vergessen, wer du warst, als ich geboren wurde?“, schrie Anne. Ihre Mutter wurde unfair? Das konnte sie auch!
Peg holte hörbar Luft. Der Vorwurf traf sie schlimmer als ein Schlag in die Magengrube. Sie war sehr auf ihre Sittsamkeit und ihr Ansehen bedacht. Dass sie als Dienstmagd mit dem verheirateten Herrn des Hauses geschlafen und von ihm ein Kind bekommen hatte, empfand sie bis heute als großes Vergehen.
„Ich habe meine Pflichten immer erledigt. Das ist etwas, was du nicht behaupten kannst!“, erwiderte sie mit bebender Stimme.
„Dazu gehört also auch dem Hausherrn das Bett zu wärmen?“, fragte Anne mit einem freudlosen Lächeln auf den Lippen. Darauf wusste Peg keine Antwort mehr.
„Rein! Geh dich waschen!“
Sie wollte Anne packen, doch die wich ihr aus und ging ohne ein weiteres Wort an Peg vorbei.
„Ich verfluche den Tag, an dem der Schwindel aufgeflogen ist!“, rief Anne ihrer Mutter zu. Während sie in ihr Zimmer lief, dachte sie an ihr altes Leben. William arbeitete damals in Kinsale als erfolgreicher Anwalt. Er führte ein perfektes Leben, an dem nur ein Mangel haftete: Seine Ehe blieb kinderlos. Aus diesem Grund schickte er seine Dienstmagd Peg Brennan auch nicht weg, als diese ein Kind von ihm erwartete. Stattdessen überlegte er sich eine Geschichte, um Anne selbst erziehen zu können: Kurzerhand steckte er das Mädchen in Jungenkleider und nannte es Adam. Er gab den Jungen als Sohn eines entfernten Verwandten aus, der wollte, dass sein Kind zum Juristen erzogen wird. Außerdem vertraute er Peg seinen Neffen an, damit niemand beim Wickeln ihr wahres Geschlecht erkannte. Zehn wunderbare Jahre lang funktionierte der Schwindel. Aber dann kam das Geheimnis ans Licht, woraufhin Williams Frau ihren Mann verließ. Als ihm aufgrund des Skandals die Mandanten ausblieben, zog er mit Peg und Anne nach South Carolina in die Nähe des Hafens Charleston. Hier kaufte er Baumwollplantagen, mit denen er für sich und seine Familie eine neue Existenz aufbaute. Leider beinhaltete diese auch, dass Anne sich wie ein braves Mädchen verhalten sollte. Keiner begriff, wie sehr ihr das widerstrebte.
Wütend knallte Anne die Zimmertür zu. Noch während sie lief, zog sie sich das verdreckte Kleid über den Kopf. Dabei fiel ihr der Dolch runter. Sie hob ihn auf und drehte ihn in den Händen hin und her. Was sollte sie mit ihm machen? Sie konnte die Klinge nicht einfach liegen lassen oder sie gar an ihren Gürtel hängen. Peg würde ihr den Hals umdrehen. Sie musste sie verstecken. Schnell schob Anne sie zwischen den Bettpfosten und die Wand.
Sie hatte den Dolch gerade festgeklemmt, da kam die Magd Olivia mit einer flachen Schüssel und einem Krug herein. Anne schätzte Olivias Alter auf etwa achtzehn. Eigentlich hieß die Sklavin Malaika, aber Peg fürchtete sich davor, einen unchristlichen Namen auch nur auszusprechen. Deshalb war sie gleich nach ihrem Ankauf in Olivia umgetauft worden. Das war mittlerweile schon mehr als vier Jahre her. Damals war Anne begeistert von dem eigenartigen Mädchen gewesen und hatte sie kennenlernen wollen. Ihre Mutter dagegen hatte geschimpft und geflucht. Hatte die Sklaven durch ihre Hautfarbe von Gott gestraft gehalten. Hatte gemeint, sie alle würden sich mitschuldig machen und sich versündigen, wenn sie mit den Verfluchten Kontakt aufnähmen.
Diese Einstellung hatte sich allerdings sehr schnell geändert, als ihr klar wurde, wie viel Geld sie dank der billigen Arbeitskräfte sparte. Außerdem besaß in South Carolina jeder wohlhabende Mensch Sklaven, die auf den Plantagen und in den Häusern arbeiteten. Es war eine Möglichkeit, den eigenen Reichtum zu zeigen.
Peg gewöhnte sich schnell an die Dunkelhäutigen, die William nach und nach kaufte. Anne konzentrierte sich vor allem auf Olivia. Sie half ihr beim Englischlernen, damit sie ihre Geschichte berichten konnte. Allerdings war diese nicht sonderlich erpicht darauf, die Sprache zu lernen. Deshalb verstand sie nur langsam einzelne Worte. Anne empfand Mitleid für das Mädchen, aber sie begriff ihr Verhalten nicht. Als sie verschleppt worden war, hatte sie nichts tun können. Sie war ein Kind und nach der langen Fahrt auf einem Sklavenschiff völlig ausgehungert gewesen. Doch obwohl es ihr mittlerweile körperlich besser ging, startete sie nicht einen Fluchtversuch. Sie führte jeden Befehl widerstandslos aus und ertrug alles, was man ihr antat. Seien es harsche Kritik, laute Beschimpfung oder sogar Schläge. Ihr Blick blieb immer gleich leer und unbewegt.
„Willst du nicht auch einfach fortlaufen und alles hinter dir lassen, Olivia?“, fragte Anne. Olivia erstarrte. Dann schüttelte sie panisch den Kopf. Ihr Haarband löste sich und flog in eine Ecke.
„Warum nicht?“ Olivia sah ihr direkt in die Augen.
„Ich kann nirgendwo hin.“ Anne betrachtete die junge Frau. Ihre schwarze Haut verriet überall ihre Gefangenschaft. Die Menschen würden sie versklaven, egal wo sie hinging.
Olivias Blick wechselte zur gewohnten Gleichgültigkeit. Anne sah ihr gedankenverloren zu, wie sie einen kleinen Lappen und ein großes Laken aus einer Truhe am Rand des Raumes holte. Olivia legte beides auf die Kommode neben die bereits abgestellte Schüssel. Dann machte sie einen Knicks und fragte mit starkem Akzent, ob sie noch etwas tun könnte. Anne hielt ihr das Kleid hin und befahl ihr knapp: „Vernichte es!“
Olivia suchte der Tochter ihres Herrn wortlos frische Kleidung raus. Gleich darauf verschwand sie, um den Befehl auszuführen. Als die Magd gegangen war, spülte sich Anne zuerst den Mund aus. Obwohl der Biss bereits über eine Stunde zurücklag, klebte noch immer ein widerlicher Pelz auf ihrer Zunge.
Das Wasser erinnerte sie an ihren quälenden Durst. Sie freute sich darauf, ihn beim Abendessen endlich löschen zu können, auch wenn sie dabei zwangsläufig auf ihre zornigen Eltern treffen würde. Angestrengt dachte sie darüber nach, wie sie sie besänftigen konnte.
Anne verstand Pegs Angst. Sie hatte vor wenigen Jahren ein Land verlassen müssen, weil sie dort einen Skandal ausgelöst hatte. Das wollte sie nie wieder erleben. Und es stimmte ja auch, was sie sagte: Es gehört sich für ein Mädchen nicht, allein durch die Stadt zu streifen. Aber Peg musste doch begreifen, dass Anne ihre Freiheit vermisste. Sie sehnte sich nach dem Meer und ihrer Heimat. Und sie verstand nicht, warum sie die Meinung der Nachbarn über ihr Glück stellen sollte. Sie wollte nicht ständig auf ihre kleinen Brüder aufpassen oder eine gute Hausfrau werden.
William hat seinem Neffen Adam viel mehr Freiheiten gelassen. Natürlich hatte sie als Lehrling eines Anwalts auch Pflichten erfüllen müssen. Sie sollte damals Jurist werden. Doch sie hatte selber wählen dürfen, wie sie ihr Leben ansonsten gestaltete. Sie hätte mit dem Argument, sie wolle Erfahrungen sammeln, in ihrem jetzigen Alter auf Reisen gehen können. Als Mann war es kein Problem allein auf einem Schiff anzuheuern. Im Gegenteil: Es galt sogar als Zeichen von Reichtum und Weisheit. Doch über eine Frau mit den gleichen Zielen zerrissen sich alle das Maul.
Sie trat gegen die Kommode, welche krachend an die Wand stieß. Bevor sie weitere Möbelstücke malträtieren konnte, trat Olivia ein.
„Das Essen ist fertig.“
„Kann ich mich so zeigen?“, fragte Anne sie, weil sie nicht wusste, ob ihr Gesicht noch immer schmutzig war. Als die Magd nickte, ging Anne ins Speisezimmer.
Auf dem Tisch standen Schüsseln mit Fleisch, Brot und Gemüse. Anne interessierte jedoch nur der Wasserkrug. Sie streckte ihre Hand aus, aber ein Räuspern hinderte sie am Zugreifen. Peg durchbohrte sie mit ihrem warnenden Blick, während William sie ignorierte. Schnell setzte sich Anne auf ihren Platz. Peg saß ihr gegenüber und erklärte ihren beiden Söhnen, warum sie nicht mit Messern werfen durften.
William eröffnete unterdessen das Essen, woraufhin Anne ihren Becher füllte und ihn in einem Zug austrank. Peg schaute sie missbilligend an.
„Kannst du nicht ein kleines bisschen Manieren zeigen?“
Anne presste die Lippen zusammen. Heute wollte sie keinen weiteren Streit provozieren. Deshalb entschuldigte sie sich mit einem scheinbar demütig gesenkten Kopf. In Wahrheit verbarg sie jedoch nur ihr vor Wut rot verfärbtes Gesicht.
„Gib her!“, rief Julian und riss Tim Essen aus der Hand. Während Peg die beiden bändigte, stocherte Anne auf ihrem Teller herum.
„Was ist? Hast du keinen Hunger?“
Anne glaubte, einen Funken Sorge in den Augen ihres Vaters zu sehen. Sie war sich jedoch nicht sicher, denn Williams Interesse an ihr hatte im Laufe der Jahre immer mehr abgenommen. Als sie noch in Kinsale gewohnt hatten, war sein Kind sein ganzer Stolz gewesen. Deshalb hatte er viel Zeit mit ihr verbracht, wollte sie ausbilden und gab ihr alle Freiheiten, die man sich nur wünschen kann. Selbst für einen Jungen war es ihr sehr gut gegangen. Doch diese schönen Jahre waren vorbei, seitdem er sie als Mädchen wahrnahm und richtige Söhne hatte.
Sie sehnte sich danach, ihm all dies zu sagen, aber sie wusste genau, dass er es nicht verstehen würde.
Trotz ihrer traurigen Gedanken schaffte sie es, sich ein Lächeln abzuringen und halbherzige Begeisterung vorzuheucheln.
„Doch, es ist sehr lecker.“
Dabei schnitt sie sich ein großes Stück vom Braten ab und steckte es sich in den Mund. Sie widerstand dem Drang, es auszuspucken und an diesem Abend ohne Essen ins Bett zu gehen.
„Anne, schneide Tim sein Fleisch klein! Er schafft es nicht allein.“ Sie drehte sich mit zusammengebissenen Zähnen zu ihrem Bruder und half ihm. Er grinste sie an. Sie wollte das Messer hinwerfen. Sollte sich Peg doch selbst um ihre verzogene Brut kümmern. Es war immer das Gleiche: Julian hier, Tim da. Verärgert hielt sie ihre Gabel so fest, dass diese jeden Moment hätte zerbrechen müssen. Sie konnte es einfach nicht mehr hören. Sie liebte beide, so wie jeder seine Geschwister liebte. Aber ihre Mutter vergötterte sie.
Wäre auch ihr erstes Kind ein Junge gewesen, hätte Williams Frau nie rausgefunden, dass Anne ein Mädchen war. Und dann hätte sie auch nicht weitergeforscht und von der Affaire ihres Mannes erfahren. Zwar wären Peg und William in diesem Fall bis heute unverheiratet, aber dann wäre Pegs Ansehen nicht zerstört worden. Und sie wäre noch in ihrer Heimat, bei ihrer Familie. Anne verstand die Wut ihrer Mutter nicht. Es hatte sich alles zum Guten gewendet. Hier war Peg eine angesehene und wohlhabende Frau. Letzten Endes profitierten sie und William von dem geplatzten Schwindel. Nur Anne war zum Sündenbock der wenigen negativen Seiten geworden.
Ein Freudenschrei unterbrach ihren Gedankengang. Julian färbte seine Haare mithilfe der Bratensoße dunkelbraun. Und Peg saß daneben und erzählte etwas von der beeindruckenden Kreativität ihres Sohnes. Irgendetwas läuft hier vollkommen verkehrt!, dachte Anne, sagte aber nichts. Das hätte ihr nur einen weiteren Tadel eingebracht.
Stattdessen wandte sie sich wieder ihrem Teller zu, und aß lustlos einige Bissen. Nach einer gefühlten Ewigkeit wünschte William seiner Familie eine gute Nacht.
„Du räumst mit auf!“, befahl Peg, als Anne aufstand. Trotzdem ging sie direkt in ihre Kammer. Sie schloss die Tür hinter sich, um das Gezeter ihrer Mutter auszusperren. Dann nahm sie ihre Spange aus dem Haar und die abgebrochene Ecke aus ihrer Tasche. Fluchend ärgerte sich Anne über sich selbst. Das Schmuckstück war ein Geschenk ihres Vaters gewesen. Sie mochte es sehr gern. Sie drehte die Haarklemme und betrachtete den Schaden von allen Seiten. Jemand, der die Klemme zum ersten Mal sah, bemerkte die fehlende Ecke nicht. Aber Peg würde selbst ein kleiner Kratzer sofort auffallen. Wenn das passierte, würde Anne eine harte Strafe erwarten. Und außerdem müsste sich William anhören, dass er Anne nicht so teure Geschenke machen dürfe. Das würde den letzten Funken Vertrautheit zwischen Anne und ihrem Vater vernichten.
Gleich morgen musste sie jemanden finden, der die Reparatur vornehmen konnte. Der Plan hatte nur einen Haken: Sie würde keine Gelegenheit haben von zu Hause wegzukommen. Normalerweise verschwand sie immer heimlich, wenn ihre Mutter für ein paar Sekunden abgelenkt war, aber das würde wohl kaum möglich sein. Peg würde eher einen der Sklaven vom Feld abziehen und ihr als Wächter zur Seite stellen, als einen erneuten Ausflug zuzulassen. Dann eben übermorgen! Auf irgendeine Weise würde sie schon einen Weg finden. Bis dahin verbarg sie die Bruchstelle unter ihrem Haar.