Читать книгу Engel und Teufel - Anna Katharine Green, Anna Katharine Green, Kristine Kathryn Rusch - Страница 12
10. Detektiv Knapp kommt an.
ОглавлениеIn einem kleinen Zimmer des Gerichtshofes saßen inzwischen drei Männer zusammen: Dr. Talbot, Mr. Fenton und ein Rechtsanwalt namens Harvey.
Es war der letztere, der sprach und von Mrs. Webb erzählte. Harvey war bekannt als ein überaus tüchtiger Anwalt, von tadellosem Ruf.
Wenn er sprach, sprach er gut, doch zog er es meist vor, zuzuhören. Er wusste Geheimnisse zu bewahren, wie kein anderer. Er war dreimal verheiratet gewesen; böse Zungen behaupteten, dass er so das Schweigen gelernt habe. Um seinen Tisch saßen noch heute dreizehn Kinder.
„Vor etwa fünfzehn Jahren“, erzählte Harvey, „kam Philemon zu mir und übergab mir eine Summe Geldes, die er für seine Frau angelegt wissen wollte. Er hatte das Geld bei einer kleinen Spekulation verdient und wollte es für seine Frau anlegen, ohne dass diese oder die Nachbarn etwas davon erführen. Ich fertigte die nötigen Papiere aus, die er voll Freude unterzeichnete und legte das Geld nach reiflicher Überlegung in einem Unternehmen in Boston an, das mir gut erschien. Es war dies der beste Zug, den ich je im Leben machte. Nach einem Jahre hatte sich das Kapital verdoppelt und nach fünf Jahren war es - mit den Zinsen - so angelaufen, dass wir - Philemon und ich - beschlossen, ihr zu sagen, wie reich sie sei und ihre Dispositionen zu erwarten, was mit dem Geld geschehen sollte. Ich hoffte, sie würde nun ihre Lebensweise ändern, die mir nicht im Einklang schien mit ihrem Einkommen und ihren geistigen Fähigkeiten; es ward mir indes bald klar, dass ich Agatha falsch beurteilte. Als sie hörte, wie reich sie war, schaute sie uns erst erschrocken an; dann warf sie sich in Philemons Arme und weinte bitterlich, während der arme Mensch so verwirrt dastand, als habe er ihr Nachricht von einem großen Verlust statt von seinem großen Gewinn gebracht. Sie dachte wohl an ihre toten Kinder und was sie nun für dieselben tun könnte, wären dieselben am Leben. Doch sie sprach nicht davon. Nachdem die erste Erregung vorüber, sagte sie zu Philemon: „Du wolltest mich glücklich machen, Philemon, und Du sollst Dich nicht getäuscht haben. Wir wollen das Geld benutzen, den Armen der Stadt zu helfen.“ Er sah auf ihr einfaches kardinalfarbenes Kalikokleid und sagte bescheiden: „Denkst Du nicht, wir sollten uns nun etwas besser kleiden und dass Du vielleicht ein seidenes Band an Deinem schönen Hals tragen könntest?“ Sie antwortete nicht, sondern schaute ihn nur an, mit einem Blicke, aus dem ihre ganze Seele sprach. „Agatha hat Recht“, sagte daraufhin Philemon zu mir, „wir brauchen keinen Luxus. Ich kann wirklich nicht begreifen, wie ich so was sagen konnte.“ Das war vor zehn Jahren und ihr Vermögen wuchs immer mehr an. Ich wusste damals nicht - und weiß es heute noch nicht - weshalb sie ihr Glück so geheim gehalten wissen wollte. Doch da es ihr ausdrücklicher Wunsch war, habe ich denselben natürlich respektiert. Das Geld, das offenbar die indirekte Ursache ihres Todes gewesen ist, waren die Zinsen, die ich ihr vorgestern überbracht hatte. Es waren eintausend Dollars in nagelneuen Scheinen, teils fünf, teils zehn, auch einige Zwanzig-Dollars-Scheine waren dabei und ich darf wohl behaupten, dass kein anderes neues Geld in solchem Betrage in der Stadt war.“
„Zeigen Sie allen Geschäftsleuten der Stadt an, genau aufzupassen, wer mit neuem Gelde bezahlt“, sagte Dr. Talbot zu Fenton.
„Neue zehn oder zwanzig Dollars-Noten zirkulieren hier nicht jeden Tag. Was nun ihr Testament betrifft, hast Du das auch aufgesetzt, Harvey?“
„Nein, ich wusste nicht einmal, dass sie ein solches gemacht hatte. Ich machte sie oft auf eine solche Notwendigkeit aufmerksam, doch hat sie es immer zu verschieben gewusst. Nun, scheint es, hat sie doch ein Testament gemacht und zwar in Boston. Sie dachte vermutlich, sie könnte ihrem alten Freunde nicht zu viele Geheimnisse anvertrauen.“
„Dann weißt Du nicht, wem sie ihr Geld hinterlassen hat?“
„So wenig als Du.“
Der Eintritt eines jungen Mannes, einen Zwicker auf der Nase, unterbrach das Gespräch. Sofort standen alle erwartungsvoll auf.
„Nun?“ fragte Dr. Talbot.
„Nichts Neues“, erwiderte der Angekommene. Die ältere Frau starb an Blutverlust, infolge einer Wunde, die ihr mittels eines kleinen, dreischneidigen Dolches beigebracht worden war, während die jüngere an Apoplexie starb, veranlasst durch einen plötzlichen großen Schrecken.“
„Gut. Ich freue mich, dass meine Annahme sich als richtig erwiesen hat. Blutverlust? Was? Demnach war der Tod kein plötzlicher?“
„Nein.“
„Sonderbar!“ sagten die beiden anderen.
„Sie lebte und rief doch nicht um Hilfe!“
„Wahrscheinlich hat niemand sie gehört“, warf der Arzt ein, der aus einer anderen Stadt war.
„Oder wenn jemand sie hörte, so war dies nur Philemon“, bemerkte der Polizist.
„Jedenfalls veranlasste ihn etwas, nach oben zu gehen.“
„Ich bin noch nicht so fest überzeugt, dass Philemon nicht der Mörder ist“, sagte der Untersuchungsrichter, „trotzdem das Geld nirgendwo im Hause gefunden ward. Wie anders lässt sich sonst seine Ruhe erklären, mit der er die Nachsicht ihres Todes anhörte? Hätte ein Fremder sie getötet, Agatha Webb hätte sich sicher gewehrt. Man merkt im Zimmer aber nichts von einem Kampfe.“
„Sie hätte sich jedenfalls auch gegen Philemon gewehrt, hätte sie die Kraft und die Möglichkeit besessen. Mir scheint, sie ward im Schlaf überfallen.“
„Ah. Und nicht am Tische stehend? Wie kamen dann die Blutstropfen dahin?“
„Vielleicht von den Fingern des Mörders.“
„Philemons Hände waren nicht blutig.“
„Nein, er wischte sie an seinem Ärmel ab.“
„Wenn er es war, der den Dolch gegen sie zückte, wo ist der Dolch? Er müsste doch irgendwo im Hause gefunden werden.“
„Vielleicht hat er ihn im Garten vergraben. Geisteskranke kommen oft auf merkwürdig verschlagene Gedanken.“
„Wenn Sie den Dolch innerhalb des Zaunes finden können, will ich Ihnen Recht geben. Einstweilen glaube ich nicht an Ihre Theorie. Meine Ansicht vielmehr ist -.“
„Würden Sie die Güte haben, mit Ihrer Ansicht zurückzuhalten, bis ich die meinige formuliert habe“, unterbrach den Sprecher eine Stimme von außen.
Alle wandten sich um. Unter der Türe stand ein Mann mit glattgestrichenen schwarzen Haaren und ausdruckslosen Zügen. Hinter ihm kam Abel, Schirm und Reisetasche in der Hand.
„Der Detektiv von Boston“, rief Abel.
Dr. Talbot begrüßte ihn.
„Knapp ist mein Name“, begann der Detektiv. „Ich habe bereits mein Abendessen eingenommen und bin bereit, meine Arbeit sofort zu beginnen. Ich habe die Zeitungen gelesen und bin über alles orientiert, was bis jetzt offiziell bekannt ist. Ich möchte nur noch die Tatsachen wissen, die seither festgestellt wurden - Tatsachen, verstehen Sie, keine Theorien. Ich lasse mich nie durch anderer Leute Theorien beeinflussen.“
Dr. Talbot, dem die Art und Weise dieses Mannes, seine Wichtigtuerei und Selbstüberhebung nicht zusagte, wies ihn an Mr. Fenton, der ihm alles mitteilte, was er und seine Leute bisher festgestellt hatten. Als er geendet, nahm Mr. Knapp seinen Hut und wandte sich der Türe zu.
„Ich werde zuerst nach dem Hause gehen und sehen, was ich selbst feststellen kann. Darf ich bitten, allein gehen zu dürfen?“ setzte er hinzu, als er Fenton sich erheben sah.
„Abel kann ja sehen, dass mir der Zutritt gestattet wird.“
„Zeigen Sie mir Ihre Ausweis-Papiere“, sagte der Untersuchungsrichter.
Dies geschah.
„Die scheinen in Ordnung zu sein und ich nehme an, Sie sind ein Mann, der sein Geschäft versteht. Sie können allein gehen, wenn Sie es vorziehen, bringen Sie aber Ihre Folgerungen, die Sie aus Ihrer Untersuchung ziehen, hierher, damit wir sie eventuell - korrigieren können.“
„Gewiss werde ich zurückkommen“, entgegnete Knapp ruhig.
Dann ging er, einen nichts weniger als guten Eindruck hinterlassend.
„Ich begreife Carson nicht“, rief der Anwalt, „dass er uns einen solchen Menschen herschickt! Konnte er nicht merken, dass der Fall eines Mannes von ungewöhnlicher Tüchtigkeit und Urteilskraft bedarf?“
„Oh, der Mann ist vielleicht sehr tüchtig; er hat nur solch unangenehmes Wesen. Ich kann derartige Fischnaturen nicht leiden.“
„Wer ist das?“ unterbrach er sich plötzlich, als er ein Klopfen an der Türe hörte.
„Ah, Loton! Was will der hier?“
Der Ankömmling fuhr bei Dr. Talbots Stimme merklich zusammen. Er war schwächlich, nervös und auf das Äußerste erregt.
„Ich bitte tausendmal um Entschuldigung“, begann er, „dass ich mir die Freiheit nehme, hierher zu kommen. Ich unterbreche eine Gesellschaft nicht gerne, doch ich habe Ihnen etwas zu sagen, das vielleicht wichtig für Sie ist, obwohl es nicht sehr bedeutend ist -.“
„Betrifft es den Mord?“ fragte der Untersuchungsrichter, wobei er seine Stimme dämpfte; er kannte Loton und wusste, dass er ihn freundlich behandeln müsse, sollte er nicht gänzlich verschüchtert werden.
„Den Mord? Bewahre mich der Himmel! Ich würde nie wagen, etwas über den Mord zu sagen! Es betrifft das Geld, welches - das heißt, es betrifft Geld im Allgemeinen. Es ist - es ist etwas merkwürdig und - die Sache ging mir schon den ganzen Tag im Kopf herum - soll ich es Ihnen erzählen, meine Herren? Es passierte gestern Abend, das heißt, spät in der Nacht, so spät, dass ich schon lange im Bette lag und bereits vier Stunden schnarchte, wie meine Frau sagt -.“
„Was für Geld? Neues Geld? Nagelneue Banknoten?“ fragte Fenton erregt.
Loton, der an der Straße, die nach dem Hügel führt, ein kleines Spezereigeschäft hat, trippelte nervös von einem Fuß auf den anderen und fuhr dann fort:
„Es war neues Geld - ich dachte gleich so, als ich es im Dunkeln anfasste - nagelneues Geld, meine Herren und zwar eine -. Doch das merkwürdigste kommt noch, ich hatte fest geschlafen und träumte von meiner Sally, als sie selber mich aufweckte und sagte, es klopfte Jemand an der Türe. „Geh hinaus“, flüsterte Sally und sieh, was der Mann will.“ Ich war zwar ärgerlich über diese Störung - ich träumte so schön von Sally - aber Pflicht ist Pflicht und so ging ich hinab - es war stockfinster. „Draußen klopfte es immer noch. „Was ist los?“ schrie ich. „Wer ist draußen und was wollen Sie?“ „Machen Sie auf!“ rief eine schwache zitternde Stimme, „ich will etwas zu Essen kaufen! Um Gottes Willen, machen Sie auf!“ „Die Stimme klang so kläglich - und ich öffnete die Türe. „Sie müssen recht hungrig sein“, begann ich, doch er ließ mich nicht ausreden. „Brot!“ keuchte er atemlos, wie ein Mann, der weit und schnell gelaufen ist, „geben Sie mir was zu essen, einerlei, was es ist! Schnell, nur schnell! Hier ist Geld!“ Dabei schob er mir eine Note in die Hand, die so steif war, dass sie knitterte. „Schnell, um Gottes Willen, schnell! Das Geld zahlt für alles! Ich komme am Morgen und hole mir, was ich herauszubekommen habe.“ „Wer sind Sie?“ rief ich. „Sind Sie der blinde Willy? Oder -?“ „Brot - Brot!“ war seine einzige Antwort. „Ich konnte dies Wimmern nach Brot nicht länger mit anhören, griff im Dunkeln nach einem Laib und gab ihm denselben. „Da!“ rief ich. „Jetzt sagen Sie mir, wer Sie sind, ober wie Sie heißen?“ „Er murmelte etwas Unverständliches - es mag wohl ein Dank gewesen sein - ging aus der Türe und lief schnell dem Hügel zu.“
„Und das Geld? Wie ist es mit dem Geld?“ fragte der Untersuchungsrichter.
„Kam er am Morgen für sein Geld?“
„Nein. Ich legte das Geld in der Nacht in den Zahltisch; ich dachte, es wäre eine Dollar-Note. Als ich aber heute Morgen nachschaute, war es ein Zwanziger, ja, meine Herren, ein nagelneuer Zwanziger!“
Der Untersuchungsrichter und der Polizist sahen sich erstaunt an.
„Wo ist das Geld? Haben Sie es mitgebracht?“ fragte der erstere.
„Ich habe es hier. Ich will niemanden Unrecht tun - doch als ich hörte, dass Mrs. Webb - Gott hab sie selig - letzte Nacht um Geldes Willen ermordet worden war, brannte mir die Note wie Feuer in der Tasche. Hier ist sie. Ich wollte, ich hätte die Türe nicht geöffnet und den alten Mann stehen lassen, bis es Morgen war.“
Es war wirklich eine nagelneue Note, die Dr. Talbot entgegen nahm.
„Weshalb nennen Sie den Kunden alt?“ fragte Fenton. „Ich dachte, es war so dunkel, dass Sie ihn nicht sehen konnten?“
„Nein, ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Trotzdem bin ich sicher, dass er alt war - es kann gar nicht anders möglich sein.“
„Das wird sich finden. Ist das alles, was Sie uns sagen können?“
Das war alles und so ward Loton entlassen. Etwa eine Stunde später kehrte Detektiv Knapp zurück.
„Nun?“ fragte der Untersuchungsrichter, als jener die Türe hinter sich geschlossen hatte:
„Was ist Ihre Ansicht über den Fall?“
„Einfacher Raubmord durch einen Mann mit einem langen weißen Bart.“