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Anna Koppri

Tagebuch vom Kinderwünschen Mai 2014:
Spießrutenlauf im Kinderwagen-Paradies

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Schon seitdem ich ein kleines Mädchen war, erfüllt mich die große Sehnsucht, einmal Mutter zu sein. Wenn mich jemand fragte, was ich vor meinem Tod noch erleben möchte, sagte ich: „Mein eigenes Kind im Arm halten.“

Ich war schon immer fasziniert von dem Gedanken, dass ein Menschlein in mir heranwächst und ich als Frau die Möglichkeit habe, die Grenzerfahrung einer Geburt zu erleben. Ein Freund nannte mich manchmal „die Mutter ohne Kind“, weil ich scheinbar eine natürliche Mütterlichkeit ausstrahle, wenn ich mit Kindern zusammen bin.

Jetzt, mit Anfang dreißig, versuchen mein Mann und ich schon monatelang, schwanger zu werden. In unseren Flitterwochen haben wir noch überlegt, dass es doch schön wäre, wenn das Kind im Sommer Geburtstag habe, weshalb wir ein Jahr nach der Hochzeit im Herbst mit der Familienplanung beginnen wollten.

Doch langsam wird mir schmerzlich bewusst, dass ich diese vermeintliche Familienplanung alles andere als selbst in der Hand habe. Jeder Zyklus zieht sich schier endlos in die Länge, mir kommt es vor, als würde ich seit Jahren warten. Immer wieder diese Gefühlsachterbahn von Hoffen und Warten, meinen Körper ganz genau zu beobachten, jedes kleinste Zipperlein auf eine mögliche Schwangerschaft hin im Internet zu recherchieren, und dann, beim Einsetzen der Periode, falle ich in ein Loch. Ich muss die Hoffnung für diesen Monat loslassen – wieder 28 Tage, die sich vergeblich anfühlen. Mein Kinderwunsch bestimmt mittlerweile mein ganzes Denken, und innerlich definiere ich mich über den empfundenen Mangel.

Die Gesichter der glücklich wirkenden Mütter mit ihren stolz zur Schau gestellten Babykutschen, die mir täglich scharenweise begegnen – selbst schuld, wenn man im kinderreichsten Stadtteil Europas wohnt –, verziehen sich für mich zu gehässigen Fratzen. Wortlos scheinen sie mir zu verstehen zu geben: Ich habe es geschafft, ich bin Mutter. Und du, wer bist du?

Ja, wer bin ich eigentlich? Habe ich überhaupt eine Lebensberechtigung, ohne mich fortzupflanzen? Ist es nicht mein Auftrag, fruchtbar zu sein und mich zu vermehren? Bin ich eine richtige Frau, wenn mein Körper das nicht kann? So oder ähnlich setzen sich diese Gedankengespinste in mir fort, und ich muss mich jedes Mal zwingen, da auszusteigen.

Wenn ich Teenagermüttern oder müden, überforderten Frauen begegne, die ihre Kinder unsanft zum Bus zerren oder anschreien, denke ich: Warum die und nicht ich?

In meinem Freundeskreis sind gefühlt alle schwanger oder gerade Eltern geworden. Vor meinen eigenen Bemühungen konnte ich mich mit jeder von ihnen freuen. Jetzt fällt es mir immer schwerer, schwangere Freundinnen zu besuchen oder den Einladungen zu Babypartys nachzukommen.

August 2014: Endlich schwanger

Ein Jahr lang habe ich gewartet, gebangt, so sehr gehofft, täglich zig Mal an mein erwünschtes Kind gedacht und immer wieder die Enttäuschung heruntergeschluckt. Endlich die Erlösung: Eine zweite Linie auf dem Teststreifen. Ich bin schwanger! Anstatt Freudentänze aufzuführen, bin ich unsicher, ob alles gut geht und warte die erste Untersuchung bei der Frauenärztin ab.

Nachdem ich sehe, dass sich die Fruchthöhle gut in der Gebärmutter eingenistet hat, bin ich erleichtert und kann mich endlich freuen. Fortan schwebe ich einige Zentimeter über dem Boden. Mein Mann und ich malen uns die Zukunft zu dritt aus, streiten schon über Namen, er küsst meinen Bauch und schreibt liebe Zettel und SMS mit Botschaften wie: „Ich vermisse euch.“ Ich freue mich darauf, in ein paar Monaten aus dem Job als Sozialpädagogin auszusteigen und mich nur um meine kleine Familie kümmern zu dürfen.

Doch beim nächsten Arzttermin werde ich aus meinen Träumen gerissen: Ein kleiner Herzschlag ist zu sehen, doch der Embryo ist zu klein, hat sich zwei Wochen zu langsam entwickelt. Die kommende Zeit ist von Bangen, Hoffen und Beten geprägt. Nun habe ich alle paar Tage Termine bei der Frauenärztin und, obwohl das Kleine offensichtlich wächst, hellt sich ihre sorgenvolle Miene nicht auf. Das Ausstellen eines Mutterpasses verschiebt sie jedes Mal auf den nächsten Termin.

Sie schickt mich zur Feindiagnostik. Es müsse abgeklärt werden, ob der Embryo lebensfähig sei oder besser eine Ausschabung vorgenommen werden sollte. Ich bin entsetzt. Niemals würde ich ein kleines Wesen mit einem schlagenden Herzen töten. Ich finde, es steht allein Gott, der Leben schafft, zu, darüber zu entscheiden.

So fallen meine Gebete heute etwas anders aus. Verzweifelt, zitternd, ringend, löse ich die geballten Fäuste, mit denen ich die letzten Wochen versucht habe, das Kleine aus eigener Kraft festzuhalten und halte ihm meine leeren Hände hin: „Wenn das winzige Menschlein aus irgendeinem Grund nicht lebensfähig ist, lass es bitte schon jetzt sterben und erlöse mich von dieser furchtbaren Ungewissheit.“

Trotz der unerträglichen Situation durchströmt mich ein tiefer Frieden. Am nächsten Tag bei der Feindiagnostik sehe ich, wie schnell mein Gebet erhört wurde. Obwohl der Bildschirm riesig ist, ist kein Herzschlag mehr zu sehen. Weinend breche ich zusammen. Einen Zentimeter ist es erst groß, unser lang ersehntes Wunschkind, das nach wenigen Wochen zu einem Himmelskind geworden ist. Und schon beginnt mein Körper damit, es loszulassen, als habe er nur auf das Erlöschen des winzigen Herzchens gewartet. Meine Seele kommt bei diesem Tempo nicht hinterher.

Fabian und ich nehmen uns ein paar Tage frei. Trauern. Geben dem Menschlein einen Namen, schreiben Abschiedsbriefe, lassen es ganz bewusst los und trösten uns in der Hoffnung, es bei Gott gut aufgehoben zu wissen. Ein Schmetterling fliegt in unser Wohnzimmer und wir setzen ihn symbolisch wieder in die Freiheit. Das Leben hat sich verlangsamt. Wir machen ausgedehnte Spaziergänge, sitzen auf dem Sofa und reden, lassen den Tränen freien Lauf. Es sind die intensivsten Tage unserer gesamten bisherigen Beziehungszeit.

Zu Fabian sage ich: „Das Einzige, was mich jetzt wirklich trösten könnte, ist ein kleiner Hund!“

September 2014: Absaugung

Was für ein furchtbares Wort. Mein Computer will es mir gar nicht durchgehen lassen, macht immer Abstufung daraus und wenn ich ihn korrigiere, ist er beleidigt und unterstreicht es mit Rotstift. Meine Ärztin macht mir deutlich, dass ich einen operativen Eingriff benötige, weil es gefährlich sein könnte, wenn mein Körper nicht alles Gewebe, das in der Schwangerschaft aufgebaut wurde, abstößt. Sie will mir die Überreste meines verstorbenen Babys raussaugen.

Ich aber will das nicht, denn ich habe irgendwo gelesen, dass der Körper das auch alleine kann. Doch als mir selbst eine naturverbundene Freundin zu dem Eingriff rät, bestätige ich den Termin. „Freitag, 8 Uhr. Bitte nüchtern“, sagt meine Ärztin.

Ich fülle die Narkosefragebögen aus. In meinem ganzen Leben hatte ich noch keine Vollnarkose. Nachts schlafe ich unruhig, morgens packe ich ein Nachthemd in meinen Rucksack und mache mich auf den Weg zur ambulanten Klinik um die Ecke. Ich werde routiniert freundlich empfangen und soll das Nachthemd und eine OP-Haube anziehen.

Dann lege ich mich in einem großen Raum auf eine schmale Pritsche. Es gibt viele Pritschen in diesem Raum, die nur durch Vorhänge voneinander getrennt sind. Man gibt mir eine Ibuprofen 800, um die Schmerzen nach dem Aufwachen zu lindern und dann warte ich auf meinen Auftritt.

Ein paar Betten neben mir bekomme ich mit, dass eine Frau eine Abtreibung durchführen lassen will. Mir wird schlecht. Am liebsten möchte ich hingehen und ihr zuflüstern, dass sie ihre Sachen packen und verschwinden soll, solange es noch nicht zu spät ist. Sie kann dieses wundervolle Leben noch retten. Das Kind, dessen Herz nicht aufgehört hat zu schlagen. Stattdessen bleibe ich wie erstarrt liegen und beiße die Zähne zusammen.

Ich bin wütend auf meine Ärztin. Es fühlt sich wie Verrat an, dass dieselbe Frau, die gerade noch mit mir so mitfühlend über meinen Verlust gesprochen hat, jetzt gleich ein kerngesundes (davon gehe ich einfach mal aus) kleines Leben töten wird. Was nicht heißt, dass ich in Einzelfällen eine solche Entscheidung nicht auch verstehen kann.

Dann kommen sie mich holen. Ich werde in den OP geschoben und soll mich dort auf einen gynäkologischen Stuhl in Übergröße setzen. Der Raum sieht aus wie ein Badezimmer. Überall weiße Fliesen, helles Licht. Meine Ärztin begrüßt mich freundlich. Zwei Männer sind auch da. Der eine legt mir eine Infusion, der andere sagt irgendwas und hält mir dann eine Atemmaske vor Mund und Nase. Ich bekomme gerade noch mit, wie er mir sanft den Kopf streichelt. Nett – denke ich, dann bin ich weg.

Als ich aufwache, liege ich wieder in meinem Abteil auf der Pritsche. Ich habe tierische Schmerzen im Unterleib, und das grelle, künstliche Licht beißt mir in den Augen. Jemand kommt vorbei und fragt, wie es mir geht. Ich lasse mir gleich zwei oder drei Anti-Schmerz-Cocktails verabreichen, bis schließlich die Schmerzwogen zu tosen aufhören.

Irgendwie bekomme ich mit, dass Fabian gekommen ist, um mich abzuholen. Mein einziger Gedanke ist: Ich will hier weg! Jetzt sofort! Das gebe ich auch einem Pfleger zu verstehen, der mich erst noch hinhalten will, sich aber dann darauf einlässt, meinen Blutdruck zu messen. Ich soll mich vor ihn hinstellen und ihm zeigen, dass ich schon stabil bin. Ein paar Sekunden reichen ihm, mich in den Umkleideraum zu entlassen.

Benommen ziehe ich mich, so schnell ich kann, um und gehe in den Empfangsraum. Als mein Mann mich in den Arm nimmt, wird mir schwarz vor Augen. Irgendwer schimpft, bringt mich auf eine Bank, legt meine Beine hoch und ich bekomme einen Becher Zuckerwasser zu trinken. Die anderen Begleitpersonen schauen verstohlen zu mir rüber. Mir doch egal, denke ich. Hauptsache ich bin da raus. Als die Sterne vor meinen Augen verschwunden sind, ruft die Schwester ein Taxi – die kürzeste Taxifahrt meines Lebens.

Zu Hause falle ich sofort ins Bett und schlafe ein paar Stunden. Fabian hat mir einen hässlichen, aber liebenswerten kleinen Stoffhund gekauft. Ich nenne ihn Wauzi. Nette Geste, doch er kann mich natürlich nicht annähernd so trösten, wie ein lebendiger es getan hätte.

Wie es mir geht? Beschissen! Ich fühle mich, als wäre jemand in den absolut unbetretbaren Raum in meinem Inneren eingedrungen und hätte mir das Kostbarste gestohlen, das ich je besessen habe.

Zwei Tage später gehe ich einkaufen. Es fühlt sich an, als sei ich aus Glas und jeder könne genau sehen, was mit mir passiert ist. Ich halte die Blicke der anderen nicht aus, vermeide jeden Augenkontakt, ziehe meine Kapuze über den Kopf und sehe zu, dass ich nach Hause komme.

Das Angebot meiner Ärztin, mich für eine weitere Woche krankzuschreiben, war vielleicht doch ein ganz weiser Vorschlag. Ich gehe zu ihr und hole mir den gelben Schein ab.

Dann bekomme ich furchtbare Bauchschmerzen. Das Internet erklärt mir, dass das eine Magenschleimhautentzündung ist, die sich gern mal einstellt, wenn man zu viele Schmerzmittel auf nüchternen Magen bekommt. Auch die psychische Verfassung soll dabei eine Rolle spielen. Es tut beschissen weh. Jede kleinste Bewegung versetzt mir tausend Nadelstiche in den Bauch. Wenigstens passt jetzt meine körperliche Befindlichkeit zu meiner emotionalen.

Ein paar Wochen später lasse ich mir ein kleines Vögelchen in die Nähe meines Herzens tätowieren. Ich möchte, dass dieses Kindlein auch sichtbar immer ein Teil von mir bleibt, vielleicht einmal großer Bruder oder große Schwester sein darf.

Mein Blick auf schwangere Frauen hat sich verändert. Jetzt schaue ich sie an und denke: Wow, weißt du eigentlich, was für ein Wunder es ist, dass da ein Kind in dir wächst? Ich wünsche dir alles Gute.

9 Monate später: Eine neue Hoffnung

Bei uns beginnt wieder die Achterbahn des ewigen Bangens, Hoffens und Enttäuschtseins. Ich lese in Foren, verzichte auf Alkohol, probiere alle möglichen angeblich fruchtbarkeitssteigernden Mittelchen. Und dann, genau um den Termin herum, an dem unser Vögelchen geboren werden sollte, bin ich endlich wieder schwanger. Überglücklich und voller Zuversicht.

Ich habe gelesen, dass erste Schwangerschaften relativ häufig nicht bleiben. Na, dann sollte ja jetzt bei der zweiten nichts mehr schiefgehen, denke ich.

Doch schon eine Woche später werde ich jäh aus meinen Träumen gerissen. Unter Bauchkrämpfen, Blutungen und mit Schüttelfrost fahre ich mit meinem Mann in ein Krankenhaus. Der Arzt bestätigt die Schwangerschaft und macht uns bei der Menge an Blut, die ich bereits verloren habe, keine Hoffnung auf ein Fortbestehen. Nur noch sein Bericht bestätigt, dass da ein weiteres winziges Leben begonnen hatte, in mir zu wachsen.

Dieses Mal bin ich einfach nur wütend und frustriert. Schmeiße Gott meine Fragen vor die Füße – Antworten gibt es nicht.

Februar 2017: Unser Wunder

Ich kann es noch nicht fassen: Wer da so friedlich in meinem Arm liegt und schläft ist unser Sohn Antonin! Dreieinhalb Jahre nach Beginn unserer Kinderwunsch-Odyssee halte ich tatsächlich mein eigenes, kerngesundes Baby im Arm. Wir haben uns von einer Kinderwunschklinik untersuchen lassen, ohne konkrete Ergebnisse. Um eine Schwangerschaft zu begünstigen, habe ich mich dennoch mit Hormonen vollgepumpt, die in jedem Zyklus zuerst Symptome von Wechseljahren hervorriefen und später eine Schwangerschaft simuliert haben. Freunden, die für uns gebetet haben, habe ich gesagt, sie könnten damit aufhören, das würde sowieso nichts nützen. Und als ich schon lange nicht mehr daran glauben konnte, war sie doch wieder da: die zarte zweite Linie auf dem Test.

Die ersten Monate der Schwangerschaft waren schlimm. Nach den bisherigen Erfahrungen fühlte sich jeder Toilettengang an, als würde ich zu einer Beerdigung gehen. Wenn kein Blut auf dem Papier war, ein kleiner Triumph. Ein Segen, dass ich mir jeden Tag eine Thrombosespritze verabreichen durfte, weil mein Blut ein wenig zu dickflüssig ist und Studien zufolge dadurch das Risiko einer frühen Fehlgeburt gesenkt werden könne. Diese Nadel lullte mich in die Illusion, ich hätte irgendetwas in der Hand, ein kleines Herzchen in mir weiter am Schlagen zu erhalten. Aber die Angst wurde erst dann weniger, als ich die Bewegungen meines Kindes spüren konnte. Abends legte ich ein Musikinstrument auf meinen Bauch und spielte für ihn.

Jetzt ist er da. All die Monate voller Bangen, Verzweiflung, Trauer und Hoffnung haben mich innerlich wachsen lassen. Mein Gottesbild hat sich verändert. Gott ist für mich nicht mehr der nette Kumpel, der immer an meiner Seite ist und sich darum kümmert, meine Wünsche zu erfüllen. Er ist größer und faszinierender für mich geworden, näher und gleichzeitig weiter weg. Ich kann ihn nicht ergründen und fühle mich gleichzeitig in ihm gegründet.

Es fällt mir leichter als anderen Müttern, nicht zu jammern, wenn die Nächte kurz sind, ich an Freizeitaktivitäten meiner Freunde nicht teilnehmen kann, der Kleine ständig krank ist oder mal wieder die Wohnung verwüstet hat. Ich bin unglaublich stolz auf mein kleines, großes Wunder und fühle mich sehr wohl in der Mutterrolle. Es ist nicht selbstverständlich, diesen lebendigen Liebesbeweis Gottes im Arm halten zu dürfen. Das erfüllt mich mit Ehrfurcht und lässt den Wunsch in mir noch stärker werden, diese kleine, ganz eigene Persönlichkeit so zu begleiten, dass sie sich frei entfalten kann.

Gleichzeitig merke ich, wie herausfordernd es ist, ohne Pause für einen anderen Menschen verantwortlich zu sein, der vollkommen abhängig von mir ist. Alles, was ich in der Zeit, in der der Kinderwunsch die größte Kraft in meinem Leben war, ausgeblendet habe, fordert nun seinen Platz ein. Früher wollte ich immer viele Kinder haben, jetzt merke ich, dass ich als introvertierte, hochsensible Frau schon mit einem Kind an meine Grenzen komme.

Es ist viel schwieriger, mir Zeiten zum Alleinsein, Abschalten und Auftanken einzuräumen. Dennoch beschließen wir, dass es schön wäre, wenn unser Sohn ein Geschwisterchen bekommt, zumal er der geselligste in unserer kleinen Familie ist. Diesmal ist es viel einfacher zu warten. Ich habe gerade begonnen, meine neu gewonnene Unabhängigkeit nach einer langen, intensiven Stillzeit zu genießen, und bin froh über jeden Monat, in dem ich abends ausgehen und auch mal ein Glas Wein genießen kann.

April 2019: Ein Geschwisterchen?

Ich liege in der Sonne, eine Hand auf dem Bauch. Mir ist, als würde mir eine kleine Stimme zuflüstern: „Ich bin hier, mache es mir gerade bei dir gemütlich.“ Versonnen, dieses süße Geheimnis erahnend, warte ich, bis ein Test schließlich Gewissheit bringt. Ein paar Tage genieße ich den Zauber ganz allein. An seinem Geburtstag überrasche ich Fabian mit einer kleinen Schatztruhe, in der eine Perle und ein Zettelchen liegen, auf dem steht: „So groß ist Antonins Geschwisterchen jetzt.“

Die Freude ist groß, doch wenige Tage später habe ich auf einmal eine Eingebung: Es ist niemand mehr da. Ich dränge den Gedanken beiseite, doch auch die Frauenärztin kann bei der Untersuchung nur eine viel zu kleine Fruchthülle finden. Wieder einmal hat mir eine kleine Seele nur einen kurzen Besuch abgestattet, um sich schon bald erneut zu verabschieden.

Ich begreife das nicht, der Schmerz und die Ängste von damals erwachen wieder. Ich fühle mich leer und hilflos ausgeliefert, einem Körper, dem ich das Vertrauen kündige, jemals ohne medizinische Hilfe in der Lage zu sein, ein Kind in sich heranwachsen zu lassen. Trost finde ich in dem Gedanken, dass mein Schmerz nur ein winziger Teil ist von dem großen Weltschmerz und dem Schmerz Gottes über all das, was nicht seinen wunderbaren Plänen folgt.

In diesem Augenblick darf ich ein winziges Teilchen davon spüren, mittragen, fühle mich eingebettet in etwas Größeres. Ein Wunsch von damals, als ich noch nicht wusste, ob mich jemals ein Kind „Mama“ nennen wird, kommt an die Oberfläche. Ich möchte ein Buch schreiben für all die Menschen, die dieses Sehnen, Hoffen und Verzweifeln kennen und sich vielleicht damit alleine herumschlagen – deshalb reiche ich ein Exposé beim Verlag ein.

Mai bis August 2019: Achterbahnfahrt

„Können Sie mir bitte das Hormon verschreiben, das ich bei der Schwangerschaft mit meinem Sohn genommen habe. Ich spüre heute deutlich meinen Eisprung und habe aus Unbedachtheit nicht verhütet.“

Gynäkologe: „Frau Koppri, es kann gar nicht sein, dass Sie schon wieder einen Eisprung haben. Nach so einem Abgang dauert es einige Wochen, bis sich der Körper wieder in seinen normalen Rhythmus einfindet.“

Ich lasse mich abwimmeln. Eigentlich bin ich nur dort, weil geschaut werden soll, ob mein Körper ohne operativen Eingriff die letzte Schwangerschaft vollständig losgelassen hat. Der Arzt und ich wundern uns über eine hoch aufgebaute Schleimhaut im Ultraschall, die normalerweise nur bei einer Schwangerschaft zu sehen ist und in meiner Situation eigentlich gar nicht sein kann. Ich bin irritiert, warte aber das Blutergebnis ab.

Ein paar Tage später verkündet mir mein Arzt: „Alles ist draußen, Ihr Hormonwert ist wieder bei Null.“ Also mache ich mir keine großen Gedanken mehr um Schleimhaut und Eisprung. Natürlich bin ich noch ab und zu von Traurigkeit eingenebelt. Auch mein Körper spielt ein bisschen verrückt, als habe er die Schwangerschaft doch noch nicht ganz losgelassen.

Eine leise Ahnung schiebe ich deshalb in den nächsten Tagen beiseite und mache auch nicht sofort einen Test, als meine Tage ausbleiben. Der Doktor meinte ja, es könne ein paar Wochen dauern. Schließlich halte ich es nicht mehr aus und mache doch einen Test: Positiv!

Jetzt entwickle ich eine neue Strategie, sage mir: Ich lasse das einfach gar nicht richtig an mich ran, tue so, als wäre nichts, dann bin ich auch nicht so traurig, wenn nichts daraus wird. Nach dem Wochenende gehe ich dennoch die Treppe zum Gynäkologen hoch – ich will wenigstens alles tun, was in meiner Macht steht, und dieses Utrogest-Hormon einnehmen, das vielleicht bei meinem Sohn die Einnistung gefördert hat.

Auf der Treppe überwältigen mich meine Gefühle völlig. Ich breche in Tränen aus und kann nicht mehr aufhören zu weinen. Schnell gehe ich wieder runter, setze die Sonnenbrille auf und lenke mich ab. Als ich mich halbwegs gefangen habe, gehe ich die paar Schritte zur Arztpraxis zurück, mit demselben Ergebnis. Ich breche unkontrolliert in Tränen aus, habe eine Scheißangst, dass es wieder schiefgeht und ich schuld bin, weil ich diesem superschlauen Arzt das Rezept nicht rechtzeitig entlocken konnte.

Ich rufe eine gute Freundin an, die zufällig gerade in der Bahn sitzt und fünf Minuten später bei mir ist. Weinend berichte ich ihr von dem ganzen Drama, dass ich diese Praxis einfach nicht mehr betreten, diesem Arzt nicht in die Augen sehen kann. Schließlich gehen wir gemeinsam hin und sie unterbricht den Arzt, als er beginnt, mir einen Vortrag über Verhütung zu halten. Man müsse seinem Körper nach so einem Abgang doch erst mal eine Pause gönnen.

Dann will er einen Ultraschall machen, und es ist tatsächlich ein kleiner Fruchtsack zu sehen. Vielleicht ein bisschen zu klein, aber er versucht mich zu beschwichtigen: die Befruchtung könne ja auch ein paar Tage später stattgefunden haben. Ich finde das nicht sehr beruhigend, zumal ich mir ja sicher war, den Eisprung deutlich gespürt zu haben. Also wieder eine Woche des Bangens, bis zum nächsten Termin, an dem festgestellt werden soll, ob sich die Schwangerschaft gesund weiterentwickelt hat.

Aber auch dieser und der nächste Termin, ein paar Tage später, bringen mich nicht zur Ruhe. Das, was im Ultraschall zu sehen ist, ist immer ein paar Tage zu klein.

„Seien Sie mal zuversichtlich“, sagt der Arzt.

Klar, das versuche ich, mit aller mir zur Verfügung stehenden Kraft. Ich hoffe, ich bete, ich bange, und irgendwo ganz tief in mir ist ein unerklärlicher Friede, der mich trägt. Ein Friede, der über meine Vernunft hinausgeht. In dieser Zeit suche ich mir eine neue Gynäkologin, denn ich kann diese Praxis einfach nicht mehr ohne einen Gefühlscocktail, der mich innerlich überwältigt, betreten.

Vor dem ersten Termin bei der neuen Ärztin wird mir dennoch wie üblich schlecht, ich zittere und habe Schweißausbrüche. Sie ist toll, behandelt mich nicht wie ein Dummerchen, sondern auf Augenhöhe. Doch der Ultraschall lässt auch sie zögern, mir zu sagen, es sei alles in Ordnung. Der Embryo habe sich weiterentwickelt, er sei jedoch vom letzten bis zu diesem Ultraschall nicht genug gewachsen und fast eine Woche zu klein. Doch da sie den letzten Ultraschall nicht gemacht habe, wolle sie noch nichts Endgültiges sagen, sondern es sich in zwei Wochen nochmals ansehen. Zudem habe sie schon Kinder rumlaufen sehen, die es aus medizinischer Sicht eigentlich gar nicht hätte geben können.

Gedanken

Da ist ein kleines Wesen mit einem schlagenden Herzen in mir. Doch es ist zu klein. Werde ich es je kennenlernen? Jeden Tag, den es noch bleibt, kann ich es lieben, ihm Wärme geben, es betören zu wachsen. Wird es mich wieder verlassen, viel zu früh, genau wie seine drei Geschwister?

In Psalm 139,13ff (Schlachter 2000) heißt es: „Denn du hast meine Nieren gebildet; du hast mich gewoben im Schoß meiner Mutter. (…) Deine Augen sahen mich schon als ungeformten Keim, und in dein Buch waren geschrieben alle Tage, die noch werden sollten, als noch keiner von ihnen war.“

Gott, warum nur so wenige Tage? Ich verstehe das nicht, begreife nicht, wozu Leben entsteht, das nicht lebensfähig ist! Eine Laune der Natur, ein unvollkommener Körper, der nicht genug nähren kann, ein Arzt, der die falsche Entscheidung traf? Ich weiß es nicht, kann nur heulen und loslassen und festhalten und lieben und bangen und noch ein kleines bisschen hoffen – mit einer riesigen Angst, noch einmal zusammenzubrechen, wenn sich der Verlust mit unbarmherziger Gewissheit seinen Weg bahnt. Ich möchte trotzdem dankbar sein, für die Zeit, die dieses kostbare Geheimnis in mir wächst. Die Hoffnung stirbt zuletzt!

* * *

Mein Mann und ich beschließen, die Nachricht nicht für uns zu behalten, sondern engen Freunden und der Familie Bescheid zu geben, damit sie für eine gesunde Entwicklung – für ein Wunder – beten können. Ich bete auch, sicher zehnmal am Tag, doch von Herzen glauben kann ich nicht. Ich will an Wunder glauben, doch die medizinischen Gegebenheiten und meine vergangenen Erfahrungen halten meine Hoffnung klein, scheinen die Größe meines Gottes irgendwie auszuhebeln.

Ich bin froh, dass andere mehr Glauben haben, den sie mir in diesen Tagen leihen. Fast bin ich ein bisschen erleichtert, dass ich jetzt erst mal zur Ruhe kommen und mich nicht gleich nach ein paar Tagen schon wieder durch eine Ultraschalluntersuchung aus der Bahn werfen lassen muss.

Ein paar Tage vor dem nächsten Arzttermin

Mein Kindlein, heute ist es besonders schwer für mich zu ertragen, dass ich keinen Einfluss darauf nehmen kann, ob dein winziges Herz weiterschlägt. Ich bin müde, habe wenig Kraft, könnte immer nur schlafen. Ich möchte an einen guten Gott glauben, der mich umhüllt und alles in seiner Hand hat. Er lässt doch alles so wunderbar wachsen, warum nicht auch meine Kinder? Dich?

Ich stelle mir vor, wie es ist, wenn am Freitag dein Herzschlag nicht mehr zu sehen ist oder – was noch schlimmer wäre – du zwar lebst, aber mir keine Hoffnung auf eine gesunde Entwicklung gemacht werden kann. Wie erträgt man das Unerträgliche?

Ich möchte so gern glauben, dass alles gut wird und wir dich kennenlernen, dass der Gott, der Tote zum Leben erweckt, auch dir alles Nötige gibt, um zu gedeihen. Warum ist mein Glaube so winzig? Noch winziger als dein Herz!

Mein Leben geht weiter, zieht an mir vorbei wie durch einen Schleier. Die Tage rieseln durch meine Finger, ohne dass ich so richtig anwesend bin. Mit meinen Gedanken bin ich viel bei dir. Ich funktioniere einfach und bin so dankbar für deinen großen Bruder – das größte Wunder meines Lebens!

Oh Wunder

Dann ist der Termin da. Zittrig betrete ich mit meinem Mann die Praxis. Noch vor dem Ultraschall besprechen wir mit der Ärztin, dass ich im Fall eines Verlustes keinen Eingriff möchte und lasse mir die Vor- und Nachteile einer genetischen Untersuchung des Embryos darlegen. Wir beschließen, dass es uns keinen Gewinn bringen würde, zu wissen, dass wir Kinder mit einem genetischen Defekt zeugen können. Da wäre ich bei einer weiteren Schwangerschaft nur noch besorgter.

Schließlich der Ultraschall. Die Ärztin sucht und wird immer nervöser: Kein Herzschlag ist zu finden. Sie seufzt, will gerade zu tröstenden Worten ausholen und da auf einmal: Doch ein Herzschlag! Sie beginnt alles ganz genau zu untersuchen und zu messen, bis schließlich die erlösenden Worte kommen: „Es ist alles wunderbar und zeitgemäß entwickelt!“

Ich kann es kaum fassen, breche sofort in Tränen aus und schmeiße mich in die Arme meines Mannes. Ein Wunder! Das muss ein Wunder sein! Ich bin so überwältigt und dankbar und demütig ob meines geringen Glaubens.

Jetzt kann ich an dieses Kind glauben, den Gedanken zulassen, dass unser Sohn im nächsten Februar ein Geschwisterchen bekommen wird. Es ist unglaublich. Endlich komme ich zur Ruhe, funktioniere wieder normal, freue mich sogar, wenn mir übel ist und ich schlecht schlafe. Unser Kind ist gewachsen und hat aufgeholt, alles ist in Ordnung, es wird durchkommen!

Einige Wochen später ist es sogar größer als erwartet. Ich verstehe zwar nicht, warum wir durch diese furchtbaren ersten Wochen mussten, doch damit zeigt Gott jetzt wirklich Humor. Die Ärztin weiß mich zu beruhigen: „Nein, es ist nicht bedenklich, wenn das Kind ein bisschen größer ist als die Norm.“

Ein paar Tage danach erhalte ich Bescheid vom Verlag. Mein Exposé zu diesem Buch wurde angenommen. Wie wunderbar, dass ich damit wieder einmal erleben darf, dass Gott meine schwersten Erfahrungen in etwas Gutes verwandeln kann. Ich darf meine und die Geschichten anderer Paare weitergeben und hoffentlich viele Paare in ähnlichen Situationen begleiten und ermutigen.

Rückblick

In der Zeit des größten Bangens um dieses Kind erzählte mir eine Bekannte, dass sie schwanger ist und ihr Kind in dem Monat geboren werden soll, wie dasjenige, das ich gerade erst verloren hatte. Da ich mich noch fest im Griff der Angst befand, auch die aktuelle Schwangerschaft wieder zu verlieren, fühlte ich mich von der Nachricht wie vor den Kopf gestoßen. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, war wie gelähmt und reagierte irgendwie gar nicht. Angst schlich in meine Gedanken: Ich werde ihren Bauch wachsen sehen und denken, dass meiner gerade genauso dick sein sollte.

Nach der guten Nachricht, dass sich mein Kind doch gesund entwickelt hat, spreche ich sie darauf an und erkläre mich. Sie zeigt Verständnis und dann der Schock: Sie hat ihr Kind in der zwölften Woche verloren! Jetzt bin ich wieder sprachlos. Mein Kind darf leben und ihres musste wieder gehen?

Sie erzählt, dass sie es auf natürlichem Wege auf die Welt gebracht hat, von der schweren Zeit des Abschieds und dass sie das Kleine, das bereits einige Zentimeter groß war, auf einem Friedhof für Sternenkinder begraben haben. Puh, jetzt muss sie mit dem Wachsen meines Bauches und nicht ich mit dem ihren zurechtkommen. Das ist krass und ich begreife von neuem nicht, weshalb so etwas passiert.

* * *

Rückblickend kann ich sagen, dass es nicht gesund war, mich in den ersten Jahren so sehr von meinem Kinderwunsch einnehmen zu lassen, sodass ich mich schließlich nur noch über meinen gefühlten Mangel definiert habe. Doch was hätte ich tun können? Alle gut gemeinten Ratschläge von Außenstehenden haben sich in dieser Zeit nur wie Schläge angefühlt: „Du musst dich entspannen und versuchen loszulassen. Fahrt doch mal in den Urlaub, dann klappt es bestimmt. Bei anderen hat es noch viel länger gedauert. Man kann auch ohne Kinder glücklich leben …“

Mir hätte es sicher gut getan, mich therapeutisch oder seelsorgerlich begleiten zu lassen oder mir eine Gruppe Gleichgesinnter zu suchen. Meinen Kinderwunsch als einen Teil von mir einzuordnen, der seinen Platz und seine Berechtigung, jedoch nicht das Recht hat, so stark mein ganzes Leben und Wohlbefinden zu bestimmen. Deshalb wünsche ich jedem Paar, das sich noch auf dieser Reise befindet so sehr, dass sie die Kraft aufbringen, ihren Blick nicht alleine auf den Mangel, sondern auf die Fülle in ihrem Leben zu richten.

Wir - mit oder ohne Wunschkind

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