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2. Kapitel

The grey winds, the cold winds are blowing

Where I go.

All Day I Hear The Noise Of Waters– James Joyce

Ace

»Ab ins Bett mir dir.« Violet stolpert fast mit mir, doch anstatt auf den Rand des Bettgestells zu krachen, landen wir sicher auf der Matratze. Meine Wange presst sich wieder in das schweißnasse Polster und ich wünschte, ich wäre das T-Shirt los, das mir auf der Haut klebt.

Mein Atem beruhigt sich nur langsam.

Violet klettert in dem winzigen Bett von einer Seite zu der anderen über mich und quetscht sich in den Spalt zwischen mir und der Wand. Aber ich brauche Luft.

Der Baumwollstoff zieht sich immer enger um meine Brust, macht es mir schwer, zu atmen. Ich kann nicht sprechen, und deshalb schließe ich einfach die Augen. Warte darauf, dass die Übelkeit vorbei geht.

Eine Woche.

In einer Woche soll ich vom Krebs geheilt sein, der in mir wuchert wie die Gedanken an Crys.

»Wie oft musstest du dich heute schon übergeben?« Violets Stimme ist angenehm zärtlich.

Ich lasse die Augen zu. »Es war das erste Mal.« Das vierte, um genau zu sein. Aber was bringt es, sie zu beunruhigen? Willem hat mich gewarnt, dass mir übel werden würde, und zwar oft. Dabei kann ich mich glücklich schätzen. Immerhin fallen mir keine Haare aus. Was früher nur mit monatelangen Bestrahlungen und Medikamententherapien möglich war, braucht jetzt nur mehr eine einzige Tablette, die irgendeine Zusammensetzung aus radioaktivem Zeug und anderen Wirkstoffen beinhaltet.

Eine Kapsel, die mich vom Krebs heilen kann.

Oder auch nicht.

Eine fünfzigprozentige Heilchance hat sich noch nie beschissener angehört.

»Woran denkst du?« In sanften Kreisen streichelt Violet über meine Brust.

»An dich.« Und an deine Schwester. An meine älteste Freundin. Die einzige, die ich je hatte.

Das Bett gibt ein wenig unter Violet nach, während sie sich vorlehnt, um mir einen Kuss auf die Wange zu hauchen. Sie lächelt dabei, ich kann es spüren.

Noch immer habe ich meine Lider nicht geöffnet. Das alles hier ist so wahnsinnig verkorkst. Die gesamte Situation ist ein verdammter Witz.

Der Schweiß auf meiner Haut kühlt langsam aus und mich fröstelt. Die Saltos, die mein Magen schlägt, werden allmählich zu trägen Purzelbäumen, bis er irgendwann erschöpft liegen bleibt.

Violet ist in den letzten Wochen meine Vertraute geworden. Wir schlafen im selben Bett. Wir halten uns in den Armen. Sie ist die Einzige, die außer Carter und Willem von meinem beschissenen Zustand weiß. Und ich mag sie. Sehr.

Aber ich mag auch Crys. Und bei jedem Anfall ist sie es, die mir durch den Kopf geht.

Ich vermisse sie. Den Takt ihrer Erinnerungen, die Tiefe ihrer Überlegungen. Sie haben mich zur Ruhe gebracht. Mehr als Violets Fürsorge es kann.

Denn auch, wenn ich Crys nie hatte – nie wirklich, zumindest – hat wenigstens dieser Teil von ihr allein mir gehört. Ihre Gedanken. Die Klarheit ihres Wesens. Die Version von ihr, die niemand je zu sehen gekriegt hat. Und nie jemand mehr zu sehen kriegt. Auch wenn sie zurückkommen sollte.

Cameron

Ich lasse das Messer nicht sinken. Nicht heute. Ich lerne aus meinen Fehlern. Zwar heilt die Narbe der letzten Stunden bereits, aber ich kann den Ärger noch in meinem Fleisch fühlen.

»Muss ich es noch einmal sagen?« Mein Knurren ist finster. »Die Waffe auf den Boden. Sofort.«

Der Typ hört nicht auf mich. Er starrt noch immer hinter mich, die braunen Augen entweder auf Neptune oder auf Helena gerichtet. Ich könnte ihm die Klinge mit einem einzigen Wurf in den Schädel jagen.

»Alter, tu, was er sagt, wenn du kein Messer in einem deiner Augen stecken haben willst.« Neptune räuspert sich, um das Kratzen aus seiner Stimme zu vertreiben. »Wär doch schade drum.«

Endlich sieht der Typ mich an. Abschätzig zieht er die linke Augenbraue in die Höhe, dann hält er die Pistole in die Höhe, eher er sie langsam auf den Boden liegt. Während er sich nach vorne beugt, blitzt etwas Silbernes an seinem Gürtel auf, beinahe von seinem Mantel verborgen.

»Was willst du?« Meine Schultern bleiben weiter angespannt, während er lässig die Arme verschränkt.

»Können wir das hier drinnen regeln oder muss ich im Flur stehenbleiben?« Seine Stimme ist nachlässig, beinahe genervt. »Sorry wegen der Tür.«

Neptune tritt neben mich. Seine Haltung spiegelt genau die des Fremden. »Sorry? Hat er echt sorry gesagt?«

Die Frage erntet nur Schulterzucken. »Hättet ihr mich reingelassen, wenn ich geklopft hätte?«

Ich wechsle einen kurzen Blick mit Neptune. Was zur Hölle will er hier?, hallt es in meinem Kopf wieder.

»War klar.« Ohne auf eine Erlaubnis zu warten, tritt der Kerl ein und schließt unsere Wohnungstüre, in der jetzt statt einem Schloss ein Loch klafft. Als wäre er hier zu Hause, schlüpft er aus seinem Mantel und wirft ihn über einen der Haken an der Wand.

Ich hatte recht. In seinem Gürtel stecken zwei scharfe Messer, die er mit einem entschuldigenden Grinsen in meine Richtung auf den Boden fallen lässt und dann mit der Ferse seiner dunklen Lederschuhe nach hinten zur Tür kickt.

»Seht ihr, unbewaffnet.« Er breitet kurz die Arme aus, ehe er sie wieder zu den Seiten fallen lässt.

»Oh, das würde ich nicht behaupten«, murmelt Neptune neben mir.

Ein Wunder, dass er dem Typen nicht gleich den schwarzen Rollkragenpullover vom Körper reißt.

»Was soll das?« Ich lecke mir über die Lippen. Was verdammt geht hier vor sich? Ist der Kerl vom Militär? Wenn ja, wäre er sicher nicht allein aufgekreuzt. Mit Scharfschützen, vielleicht? Blitzschnell werfe ich einen Blick über die Schulter. Die Fenster sind noch immer mit Zeitungspapier zugeklebt. Keine Chance also.

»Ich habe euch gesucht.« Er kratzt sich am Hinterkopf.

»Euch?« Neptune klingt beinahe enttäuscht.

»Ja, euch alle.« Sein Blick findet Helena, die sich mit verschränkten Armen neben mich gestellt hat. »Fast alle.«

Meine Faust verkrampft sich um das Messer. »Was willst du?« Irgendetwas an dieser Situation gefällt mir nicht.

»Können wir uns endlich setzen? Ich habe fast drei Tage nicht geschlafen.«

Was zur …?

Bevor ich überhaupt realisiere, was mein Körper gerade tut, schnellt mein Arm nach vorne und reißt den Kerl an der Schulter zurück gegen die Wand. Mein Unterarm kracht gegen seinen Hals.

Ich spüre, wie ich diesem Kerl die Luft aus dem Brustkorb drücke, als ich mich näher zu ihm lehne. »Scheiße, lass die Spielchen!« Mein Kiefer arbeitet.

»Nimm das Messer weg!«, mischt sich Neptune aus dem Hintergrund ein, aber sonst hält er sich zurück. Kluger Bursche.

»Du hast schon mal besser ausgesehen, Cam.«

»Woher kennst du meinen Namen?« Ich verlagere mein Gewicht weiter gegen seinen Hals. »Wer bist du?«

»Cam, hör auf, sofort!«

»Halt dich zurück, Helena«, herrsche ich sie über meine Schulter hinweg an, ohne den Blick abzuwenden.

»Ich bin Pack.« Der Typ atmet mühsam ein. »Hör mal, wir können uns prügeln.« Schon langsam kriegt sein Gesicht eine ungesunde Farbe, doch er wehrt sich nicht. »Oder wir reden über Crys. Aber nur, wenn du mir vorher nicht die Kehle eindrückst.«

***

Es fällt mir schwer, ruhig zu bleiben. Ihn nicht anzuschnauzen, damit er schneller sein verdammtes Glas Whiskey leertrinkt. Ich bin schon bei dem zweiten, und das Brennen in meiner Kehle, das so angenehm anders schmerzt als die Wut in mir, besänftigt einen Teil meiner Unruhe. Aber eben nur einen Teil davon. Der Rest ist dabei, unter den losen Fäden meiner Geduld mit einem Streichholz zu zündeln. Es ist nur eine Frage von Sekunden, bis das ganze Ding in Flammen aufgeht. Und ich gleich mit.

Helena wirft mir einen besorgten Blick zu, während sie sich und Neptune ein Glas Wasser einschenkt.

Ich habe als Einziger nicht am Esstisch platzgenommen, den Helena vorher von meinen Blutspritzern befreien musste, sondern lehne an der Küchenzeile. Schon nach ein paar Minuten tun meine Finger weh, weil ich sie so fest in die Kante des Holzes grabe. Wieso zur Hölle spricht Pack nicht? War sein Kommentar mit Crys nur ein Vorwand, damit ich ihn nicht auseinanderreiße?

»Hast du Informationen oder soll ich dich lieber gleich rauswerfen?« Eigentlich sollte das eben bedrohlich klingen, doch die Heiserkeit meiner Stimme verdirbt den Effekt. Die Nächte, die ich draußen auf der Straße verbringe, um dem Mädchen nachzujagen, das ich liebe, rauben mir die Nerven. Ich hätte dringend mal wieder einen Haarschnitt nötig. Und eine heiße Dusche. Aber wie soll ich mich verdammt nochmal entspannen, wenn ich nicht weiß, wo Crys ist? Oder was mit ihr geschehen ist? Und wieso mein Bruder plötzlich aufgetaucht ist? Liam … Riley? Mir dreht sich der Magen um.

»Gott, Pack, sag bitte, was du zu sagen hast, bevor er noch die Küche in Einzelteile zerlegt«, grummelt Helena mit einem Nicken zu meinen weißen Fingerknöcheln.

Ich lasse los und verschränke stattdessen die Arme vor meiner Brust.

Mit einem tiefen Atemzug setzt er das Glas an die Lippen und kippt sich den Rest des billigen Fusels hinunter, den Helena aus einem der hintersten Ecken des Küchenschranks gekramt hat.

»Es gibt zwei Versionen, wieso ich hier bin. Die offizielle und die nicht ganz so offizielle. Mit welcher soll ich anfangen?«

»Egal, was du tust, fang einfach an«, zischt ihn Helena mit zusammengekniffenen Augen an. So wie sie immer zwischen Neptune und Pack hin und her sieht, entgeht auch ihr nicht, dass ihr Schützling eindeutig Interesse an dem Eindringling hat.

»Ich bin hier, um Sebastian ausfindig zu machen. Seine Eltern haben mich engagiert.«

»Was?« Neptune reißt die Augen auf. »Mom? Dad? Sie haben-« Er bricht abrupt ab.

»Irgendwie musste ich euch doch finden. Die Hinweise, die ich hatte, waren nicht ausreichend, um euch zu lokalisieren. Bis deine Eltern dann mit deinem Anruf an die Öffentlichkeit gegangen sind.« Er nickt Neptune zu.

»Mit seinem Anruf?« Ich starre Neptune an. Mein Blick muss brennend heiß sein, denn der Ex-Rockstar windet sich in dem Stuhl wie ein Insekt unter einer Lupe.

»Hör mal …«, fängt er an, während er sich die Ärmel seines roten Pullovers über die Finger zieht und die Lippen zu einem winzigen Strich zusammenpresst.

»Ich habe ihm das Handy gegeben«, unterbricht Helena ihn.

War klar. Ich kann mich nicht davon abhalten, genervt aufzustöhnen. »Weiter.«

»Es war nicht sonderlich schwer, sie zu überreden, mich dafür zu bezahlen, dich zu holen und zu ihnen zu bringen.« Pack wirft Neptune einen kurzen Seitenblick zu. »Sie klammern sich an jeden Strohhalm, von dem sie denken, er ist nur die geringste Chance, dich ihnen zurück zu bringen.«

Sebastians Lippen öffnen sich einen Spalt. »Aber du bringst mich nicht zurück.«

Jetzt entfährt Pack ein bitteres Lächeln. »Scheiße, nein. Ist auch besser so für dich. Wir würden wahrscheinlich nicht mal bis zur Grenze kommen, bevor uns entweder eine Horde an Fans tottrampelt oder uns jemand vom Militär in die Finger kriegt. Nicht viele wissen, dass es Überlebende aus der Anstalt gibt. Aber die, die noch übrig sind, werden heiß gehandelt.«

Wieso redet Pack so lange um den heißen Brei? »Woher zur Hölle weißt du das alles?«

»Von meinem Vater. Er hat keine Ahnung, dass ich all diese Dinge erfahren habe.« Ein Grinsen erstreckt sich auf Packs stoppeligem Gesicht. »Bis jetzt. Ich will ausnutzen, dass er das Sicherheitsleck in seiner Datenbank noch nicht entdeckt hat.«

»Sag bloß, du bist der Sohn irgendeines Staatschefs. Einen Prinzen könnten wir auf unserer Seite gut gebrauchen.« Neptunes Murmeln ist kaum hörbar.

Pack verzieht die Lippen und schüttelt den Kopf. »Hast du noch Waffen bei dir?«, wendet er sich an mich.

Was soll dieses beschissene Herumgerede? »Möglich.«

»Du hast meinen Vater bereits getroffen.« Pack lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. »Ich bin ein O’Leary.«

»Was?«

Bevor ich nur einen Schritt tun kann, ist Neptune bei mir und packt mich am Kragen. »Beruhig dich! Hören wir uns doch erst mal an, was er zu sagen hat. Dann kannst du ihn umnieten, wenn du es noch immer willst.«

»Kann er nicht, weil ihr mich brauchen werdet. Aber wenn du dich abgeregt hast, kann ich erklären, wieso ich hier bin.«

Neptune drückt mich in einen Stuhl und ich lasse es geschehen. Es macht mich krank, nur in der Nähe dieser Familie zu sein.

Robert.

Vivien.

Alle spielen sie ihr durchtriebenes Spiel. Pack auch?

»Unter uns allen hier bin ich der, der ihn am meisten hasst, glaubt mir. Die Vergangenheit war nicht leicht. Er ist ein schrecklicher Mensch und ein noch schrecklicherer Vater. Zumindest für mich.« Der Hass, der sich plötzlich in Packs Augen spiegelt, lässt mich die Lider zusammenkneifen.

»Was ist passiert?«

»Dinge, die mich sein Leben zerstören lassen wollen. So wie er mein Leben zerstört hat. Mehr müsst ihr nicht wissen.«

»Wahnsinnig glaubwürdig.« Helena schürzt die Lippen. »Du könntest ein Spion sein. Oder irgendein Fußsoldat meines Vaters.«

»Ein Fußsoldat würde wohl kaum die Dinge wissen, die ich weiß.«

»Bis jetzt hast du uns noch nicht an deinem allumfassenden Wissen teilhaben lassen.« Mein Tonfall ist bitter. Irgendetwas stimmt mit dem Typen nicht. Vielleicht, weil er O’Leary so gar nicht ähnlich sieht. Er ist um einiges größer als sein Vater und hat auch dessen runde Gesichtsform nicht geerbt. Mit seinem Kurzhaarschnitt und dem strengen Kiefer erinnert er mich eher an Carter. Eher an einen … Soldaten. »Wo hast du gedient?«

Pack sieht nicht im mindesten überrascht aus. Doch das Verkrampfen seines Kiefers verrät mir, dass ich einen Nerv getroffen habe. »Überall, wo es richtig schlimm ist.« Er holt einmal tief Luft und sieht auf seine Finger, die er nun ineinander verschränkt auf die Tischplatte legt. »Wir sind wie Ungeziefer durch Erdgänge gekrochen, damit uns der Schädel nicht von irgendwelchen Kugeln weggeblasen wird. Ungeziefer, das anderes Ungeziefer tötet. Mehr waren wir nicht.« Nach ein paar weiteren Sekunden Stille hebt er den Kopf und blickt mir direkt in die Augen. »Aber nicht der Krieg hat mein Leben versaut, sondern mein Vater. Jetzt bin ich an der Reihe, ihm alles zu versauen.«

»Alles?«

»Seine Geschäfte.« Packs Blick verfinstert sich. »Tyler wird der nächste sein, der verkauft wird.« Er sagt das, als wäre es keine große Sache.

Ein Blinzeln vergeht, bevor ich realisiere, was er meint. Und trotzdem will ich es nicht wahrhaben. »Wen noch?« Meine Stimme ist belegt.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sich Helena und Neptune einen kurzen Blick zuwerfen. Jeder von uns weiß es. Aber keiner will es aussprechen.

Mein Herz schlägt gegen meine Rippen. Das kann nicht sein. Scheiße. Verdammt. Dieser Scheißkerl hat meine Freundin verkauft. Wahrscheinlich an irgendeinen Perversen.

Als Pack wieder spricht, gefriere ich abrupt auf der Stelle.

»Shinji.« Pack beginnt seine Aufzählung.

Ich schließe die Augen.

»Lynn.«

Mein Kiefer verkrampft sich. Noch ein wenig fester, und mir fliegt der ganze Kopf weg. Ich fürchte, dass noch ein Name folgt. Verdammt, ich bete nie, aber für einen kurzen Moment schicke ich ein Stoßgebet zum Himmel. Ich schließe die Augen. »An wen hat O’Leary sie verkauft?« Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Antwort hören will, aber ich muss.

»An deinen Vater.«

Colours of Life 3: Nebelschwarz

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