Читать книгу Colours of Life 3: Nebelschwarz - Anna Lane - Страница 7
Оглавление3. Kapitel
Young life is breathed
On the glass;
The world that was not
Comes to pass.
Ecce Puer– James Joyce
Cameron
Die Fingernägel in meinen Fäusten graben sich in das Fleisch meiner Handfläche. Es wird nicht mehr lange dauern, bis der Druck die Haut durchbricht. Hitze brennt in meinem Nacken, bahnt sich ihren Weg hinauf bis zu meinem Schädel.
Das kann nicht sein. Pack lügt. Was sollte mein Nichtsnutz von einem Vater damit zu tun haben? Er hat sich mein ganzes Leben von Liam, Riley und mir ferngehalten. Was sollte er also damit zu tun haben, außer …
»Das russische Militär.« Scheiße. Wie soll ich Crys in Russland jemals finden? Wie soll ich über die Grenze kommen, wenn Carter mir nicht hilft? »Scheiße!« Ich trete nach einem der Holzstühle am Küchentisch, der darauf quer durch den Raum fliegt.
Mit schwerem Atmen raufe ich mir die Haare.
Mit einem langen Seufzen streiche ich mir über das Gesicht. Meine Bartstoppeln kratzen an meinen Fingern. Diese ganze Situation nimmt Ausmaße an, die ich nicht für möglich gehalten hätte.
Pack fährt sich durch die kurzen blonden Haare. »Dein Vater-«
Ich schneide ihm das Wort ab. »Ich habe keinen Vater.«
Neptune schürzt den Mund. »Das ist wohl biologisch kaum möglich.«
Zum ersten Mal verirrt sich ein schwaches Lächeln auf Packs Lippen. »Glaub mir, du hast einen.«
»Ist er scharf? Männer in Uniform sehen immer gut aus.«
»Neptune«, warnt Helena.
»Man wird ja noch fragen dürfen.«
»Scharf, im Sinne von Oberer-Rang-Scharf.«
Neptune schlägt sich auf den Oberschenkel. »Wusst ichs doch.«
Je länger wir über diesen Versager reden, desto übler wird mir. »Wie weit oben?«, presse ich durch meine Zähne hervor.
»So weit oben, dass er die Befugnis hat, sechsstellige Beträge für deine Freundin auszugeben.«
Ich schließe die Augen. Seit Wochen habe ich nach irgendeiner Spur gesucht. Irgendeiner. Und jetzt fällt sie mir einfach so vor die Füße. Einfach so. »Wieso brauchst du uns für deinen persönlichen Rachefeldzug?« Ich blinzle.
»Ich beobachte euch schon, seit ihr aus der Anstalt geflüchtet seid. Jeder von euch hat etwas, das ich brauche. Das Geld von Neptunes Eltern hätten wir bereits abgehakt.« Sein Blick schweift zu Neptune. »Und dann wäre da noch das Requiem. Ich habe die Spur meines Rabenvaters verloren, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass euer netter kleiner Verein mehr weiß. Ich muss wissen, wo er sich aufhält.«
»Sie haben mich rausgeschmissen«, werfe ich ein, bevor Pack weiterreden kann.
»An dich habe ich nicht gedacht. Aber es geht um deine Freundin, also kannst du auch gleich mitkommen.« Er zuckt mit den Schultern. »Kanonenfutter kann nie schaden.«
Das entlockt mir tatsächlich ein Lächeln. »Tyler wird uns nicht helfen.« Eher würde er sich selbst ins Bein schießen.
»Wer braucht Tyler, wenn er die Tochter des Anführers haben kann?«
»Was? Nein.« Ich schüttle den Kopf. »Wir ziehen nicht noch mehr Leute in dieses Chaos.«
»Bin dabei!«, schaltet sich Helena ein und reckt trotzig das Kinn in die Höhe. »Hör auf, dich wie mein Vater aufzuführen, Cam. Die Rolle ist bereits schlecht besetzt.«
Ich atme einmal tief aus. Wir starren uns an.
Wir kennen uns schon lange. Lange genug, damit ich ihre Sturheit erkennen kann. Eine Sturheit, die nicht einfach so verschwinden wird. Und sie hat recht, ich bin nicht ihr Vater.
»Rache ist einfacher, wenn man allein ist«, sage ich an Pack gerichtet. »Du brauchst uns nicht, nicht wirklich. Du hättest eine Bank ausrauben können. Söldner anheuern.« Den Weg ohne fremde Emotionen gehen.
»Wenn der Kampf blutig wird, ist jeder Söldner weg. Mit seinem Geld. In diesen Zeiten kann man niemanden mehr vertrauen, außer denen, die nichts oder alles zu verlieren haben.«
»Du weißt, dass ich nicht aufgeben werde.« Vielleicht sind es doch Gefühle, die über Sieg oder Niederlage bestimmen können. Ich würde Crys kein zweites Mal zurücklassen.
Pack schüttelt den Kopf. »Wir beide sind uns ähnlicher, als du vielleicht glaubst. Oder wahrhaben willst.« Er greift nach dem Verbandskasten und kramt eine kleine Schere zum Zurechtschneiden von Verbandsmaterial heraus.
Noch ehe er sich die Klinge an seine Handfläche setzt und das Blut aus der Wunde quillt, weiß ich, was er da tut. »Meine Droge war ein Prototyp von deiner. Er hat sie mir verabreicht, als ich sechs war. Um zu sehen, wie sie wirkt.« Das Knirschen seiner Zähne ist im ganzen Raum hörbar. »Hat sie nicht, anfangs zumindest.« Er hebt die Hand und sieht zu, wie ein dunkelroter Tropfen Blut an seiner Haut in Richtung des Ärmels entlanggleitet. Und noch bevor sich das Rot in der schwarzen Baumwolle verfangen kann, ist die Wunde auf seiner Handfläche bereits nicht mehr als ein dünner roter Strich. »Doch das hat ihn nicht davon abgehalten, immer und immer wieder zu überprüfen, ob seine Erfindung endlich greift.« Die Faust schließt sich so fest um die sich bildende Narbe, dass jede Farbe aus seinen Fingern weicht.
Langsam, als würde es ihn ungeheure Überwindung kosten, greift er nach dem hochgeschlossenen Kragen seines schwarzen Pullovers und zieht ihn Stück für Stück nach unten, bis sein Hals frei liegt.
Ein Schwall Luft entfährt meinen Lungen. Mehr als ein Runterschlucken des Hasses in meinem Hals habe ich für die kreisrunden Narben nicht übrig, die sich von Packs Unterkiefer bis zum Ansatz seines Schlüsselbeines ziehen. Wer weiß, wie der Rest seines Körpers aussieht.
»Wer tut seinem Kind so etwas an?«, krächzt Neptune, und im selben Moment räuspert sich Helena. Wird ihr etwa klar, dass sie es mit Carter als Dad nicht so schlecht getroffen hat? Dass es immer noch schlimmer geht? Meistens jedenfalls?
»Jemand, der nie einen Bastard gewollt hat.« Er lässt den Stoff wieder los und verschränkt die Arme. Ein paar Sekunden dauert es noch, bis er uns wieder in die Augen sehen kann. »Robert stand am Anfang seiner Karriere, als meine Mutter von ihm schwanger wurde. Der Krieg hat sie arbeitslos gemacht und, naja«, er räuspert sich, »sie musste sich andere Arbeit suchen, um zu überleben. Robert hat sie aufgenommen. Er hat sie glauben lassen, dass er für sie und mich sorgen wird. Und das hat er. Aber der Preis dafür war hoch. Für Mom zu hoch.« Das Blut weicht aus seinen Lippen, so fest presst er sie aufeinander. »Er hat ihr dieselbe Droge wie mir verabreicht. Nur sie hat es nicht überlebt. Irgendwann hat Robert dann seine richtige Familie dazu geholt. Mit fünfzehn habe ich es nicht mehr ausgehalten. Seine Frau war eine Furie, die mir jeden Tag das Leben schwer gemacht hat und Vivien …« Er blickt zu mir. »Du kennst sie. Ich habe schon lange nicht mehr mit ihr geredet, aber sie war schon als Kind ein Miststück.«
»Hat sich nicht geändert. Und was jetzt? Ich muss Crys finden. Das hat oberste Priorität.« Was auch immer mein Vater mit ihr vorhat, von diesem Mann kommt nichts Gutes. Wenn er nur halbwegs anständig wäre, hätte er uns nicht direkt nach meiner Geburt sitzengelassen. »Auch wenn mir die Russen den Kopf abreißen werden. Ich muss zu ihr.«
»Sie ist in Irland, mit deinem Vater und dem Rest deiner Familie.«
Schlagartig richte ich mich auf. »Was?«
»Wenn ihr mir helft, meinen Vater ausfindig zu machen, werde ich euch sagen, wo sie sind.« Packs Augen funkeln. Er hat mich schon längst, und das weiß er.
»Meine Familie? Meine Mom ist im Krieg verschwunden. Liam hat gesagt, Riley ist tot.«
»Deine Mutter war all die Jahre in Russland bei deinem Vater. Riley wurde an der Front verletzt. Sie haben ihn zu sich geholt. Genau wie Liam, nachdem er seine Schulden bei meinem Vater beglichen hat.«
Mein Atem setzt aus. Wieso hat meine Mutter mich all die Jahre glauben lassen, dass ich sie nie wiedersehen würde? Scheiße, ich habe die ganze Zeit angenommen, sie sei tot. Dieser Scheißkerl hat sie sicher dazu gezwungen. Sie entführt oder sonst etwas. Und Riley? Wieso hat Liam geglaubt, er sei im Krieg gestorben? Und wie passt Crys in all das hinein?
Der Stuhl scharrt, als ich langsam aufstehe. »Ich brauche frische Luft. Spätestens in einer halben Stunde bin ich wieder da.«
»Und Pack? Kann er hierbleiben?« Hoffnung schimmert in Neptunes blauen Augen.
Ich ziehe die Augen hoch, während ich mir die Kapuze wieder über den Kopf ziehe. »Wehe, ihr lasst ihn gehen.«
***
Tyler lässt mich verdammt lange warten. Es ist bereits dunkel, als er aus der Tür des Trainingscenters auf die Straße steigt. Sein Haar ist kurz geschoren, doch der strenge Zug um seine Mundpartie hat sich nicht verändert.
Er geht ein paar Schritte auf die Straße, dann bleibt er stehen. »Du hast schon mal besser ausgesehen.«
»Genau wie deine Reaktionszeit. Bringen sie dir da drinnen gar nichts bei?« Ich drücke mich in meinem Schattenplatz von der Wand ab und gehe langsam ein paar Schritte auf ihn zu.
Unter seiner offenen, dunkelblauen Daunenjacke blitzt der Lauf einer Pistole hervor. Technisch bin ich zwar kein Freiwild, das auf der Liste des Requiems steht, doch zur Sicherheit wahre ich genügend Abstand. Immerhin waren wir niemals Freunde.
»Was willst du?« Endlich dreht er sich zu mir um. »Dein Posten ist schon vergeben.«
Das Lachen, das aus meiner Kehle dringt, ist rau. »Scheiße, glaub mir, ich will nicht mehr zurück.« Auf einen Schlag werde ich ernst. »Und du solltest auch dringend weg.«
»Und was? Auf der Straße herumhängen wie du, um nach einem Mädchen zu suchen, das es mir sowieso nie danken wird?« Während er die Riemen seiner Trainingstasche weiter oben auf seine Schulter zieht, schüttelt er mitleidig den Kopf. »Wie’s aussieht, hat dir der Wald den Verstand gekostet. Aber mich hat er zu meiner Bestimmung geführt. Das Requiem ist ein guter Platz. Aber eben nicht für jeden.«
»Dann erklärt das wohl auch, wieso sie dich loswerden wollen.« Das Erstaunen, das für einen kurzen Moment über Tylers Gesicht zieht, verschafft mir grimmige Befriedigung. »Du würdest wissen, wenn ich lügen würde.«
»Was meinst du damit?« Nach nur wenigen Augenblicken hat Tyler seine steinerne Miene wieder unter Kontrolle.
»Das Requiem hat vor, dich zu verkaufen.« Keine Ahnung, ob sie das auch mit mir vorhatten.
Die Eiseskälte in seinem Blick schneidet durch mich hindurch wie ein Messer. »Was redest du da, Walden? Woher hast du diese Informationen?«
»Deswegen bin ich hier. Ich brauche dich.« Diese Worte schmecken bitter auf meiner Zunge. »Oder vielmehr deine Gabe.« Seit dem Wald hat sich nichts zwischen Tyler und mir geändert. Ich kann es ihm nicht mal übel nehmen, dass er nun Anwärter auf meinen Platz im Requiem ist. Was soll ich sagen? Er hat hart trainiert. Er hat es sich verdient, das muss man ihm zugestehen.
»Nein.«
War ja klar. »Wenn ich dir sage, dass die Quelle Pack O’Leary ist?«
»Hör einfach auf, mich in deinen Scheiß mit rein zu ziehen. Ich komme selbst klar.« Er verschränkt die Arme.
Normalerweise würde ich ihn einfach stehenlassen. Ich muss wissen, ob er eine Ahnung hat, wo Crys steckt.
»Dann hat das viele Trainieren dir wohl einige Hirnzellen weggebrannt, anstatt neue Muskeln aufzubauen. Du läufst doch sonst auch nicht einfach so ins offene Messer.«
Tyler schließt die Distanz zwischen uns mit schnellen Schritten.
Meine Hand zuckt nach hinten zu dem Messer in meinem Hosenbund, das ich beim Verlassen der Wohnung mitgenommen habe. Nur wenige Zentimeter voneinander entfernt starren Tyler und ich uns in die Augen.
»Doch, das habe ich schon oft genug getan. Und zwar immer wieder für deine Freundin.« Sein heißer Atem trifft zusammen mit seinen gezischten Worten mein Gesicht.
»Ich habe nicht gesagt, dass es in dieser Sache um Crys geht.« Ich kneife die Augen zusammen.
Das entlockt Tyler einen bitteren Lacher. »Es geht immer um Crys. Du solltest dir mal zuhören. Dein gesamtes Universum kann sich nicht mehr um das Requiem drehen, deshalb dreht es sich jetzt um sie. Du tust mir leid. Denn du wirst nie wirklich wissen, was es heißt, frei von Besessenheit zu sein. Oder frei von einem Mädchen, das ihr Schicksal nicht anders verdient hat.«
Mit ein paar tiefen Atemzügen versuche ich mich zu beruhigen. Ich brauche Tyler, deshalb darf ich ihm keine reinhauen. »Glaubst du wirklich, dass ich derjenige bin, den man bedauern muss? Dabei bist du es doch, der keine Ahnung vom Leben hat. Crys kontrolliert mich. Gut. Jeder Gedanke an sie macht mich verrückt. Und verdammt, etwas Besseres könnte mir nicht passieren.« Ich schüttle den Kopf. »Aber das verstehst du wahrscheinlich nicht.«
Mit diesen Worten ramme ich die Hände in die Taschen meines dunklen Mantels und gehe. Ich brauche Tyler. Aber ich kann ihn nicht zwingen. Wahrscheinlich wird er nie begreifen, wie sehr die Liebe einen verändern kann. Aber Tyler liebt niemanden. Ich glaube, er liebt nicht einmal sich selbst. Und was will man mit einem Menschen, der nur Hass und Gleichgültigkeit empfindet?
Allein meine Schritte hallen in der menschenleeren Gasse wider. Crys. Ihre hellgrünen Augen blitzen in meiner Erinnerung auf. Ihr seltenes Lächeln. Wie immer, wenn ich an sie denke, verkrampft sich mein Magen.
»Scheiße, sie ist nicht mal hier, und trotzdem kriegt sie ihren Willen!«
Ich halte inne. Weder drehe ich mich um noch antworte ich. Stattdessen lasse ich Tyler zu mir kommen.
»Es geht immer um sie.«
Ich wende den Kopf zu ihm. »Ja. Aber das betrifft uns alle. Neptune, Ace, dich und mich. Und Shinji und Lynn. Und Crys.«
»Shinji und Lynn?« Tyler zieht eine Augenbraue in die Höhe.
»Wir waren viel zu lange Schafe. Es wird Zeit, dass wir endlich zu Wölfen werden.«
»Wir waren schon immer Wölfe.«
»Wieso haben wir uns dann einsperren lassen?« Erst jetzt wende ich mich ihm ganz zu. »Ich brauche deine Hilfe, und du wirst meine brauchen. Aber dafür musst du das Requiem aufgeben. Ich weiß, du wolltest unbedingt ein Teil davon sein, aber hierzubleiben bringt dich in Gefahr. Genau genommen, uns alle.«
»Scheiße, okay, ich helfe dir.« Er verdreht die Augen. »Den Rest werden wir noch sehen.«
Schon bevor wir die Richtung zu Helenas Wohnung einschlagen, sieht Tyler aus, als würde er seine Entscheidung bereits mächtig bereuen. Obwohl es nicht meine Aufgabe ist, ihn irgendwie zu beschützen, hallen Packs Worte immer und immer wieder in meinem Kopf wider. Hat das Requiem Geld so bitter nötig, dass es die ehemaligen Insassen der Anstalt verkaufen muss? Oder hat O’Leary wieder einmal seine Finger im Spiel?
Das heißt dann auch, dass ich mich endlich mit Ace auseinandersetzen muss. Verdammt. Die kühle Luft füllt beim Einatmen meine Lungen. Seit Crys weg ist, habe ich ihn nicht gesehen. Violet auch nicht. Von Helena weiß ich, dass es Ace nicht gut geht. Crys´ Verschwinden muss ihn ziemlich mitgenommen haben.
Tyler und ich wechseln den ganzen Weg zur Wohnung kein einziges Wort. Er fragt nicht, was wir tun, als wir die engen Stufen nach oben zur Tür steigen. Das Loch hat irgendjemand provisorisch mit Klebeband abgedichtet. Nach Packs Overkill-Aktion schuldet er Helena eindeutig ein neues Schloss.
Als wir eintreten, fällt das Grinsen sofort von Neptunes Gesicht. Obwohl er sich nicht mehr an Tyler erinnern kann, geht sein Körper sofort in Abwehrhaltung. Er wendet sich von Pack ab, der sich gerade im Wohnzimmer noch etwas Whiskey einschenkt. Helena ist nirgendwo zu sehen.
»Und wer bist du?« Tyler verschränkt die Arme.
»Pack O’Leary.«
»O’Learys Sohn?«
»Sein Bastard, um genau zu sein. Mein Vater legt Wert auf diese Feststellung.«
Das Zucken von Tylers linkem Auge verrät mir, dass er gerade seine Fähigkeit, Lügen zu erkennen, einsetzt. Seine Pupillen weiten sich kaum merklich. »Dann hätten wir das geklärt. Mein Name ist-«
»Tyler, ich weiß. Wie gefällt dir Alaska?« Pack hängt lässig den Arm über die Rückenlehne des Sofas, auf dem er mit Neptune sitzt. Sofort werden die Wangen des Ex-Rockstars leicht rosa, und er sieht auf seine Hände, die mit seinem Pullover spielen.
»Was redest du da?«, zischt Tyler.
»Das Requiem wird dich in die Eiseskälte schicken, um die Japaner in Anchorage zu unterstützen.«
Auf einen Schlag wird Tylers Gesicht ausdruckslos.
Pack sagt also die Wahrheit. Diese Gewissheit schwemmt Erleichterung durch mich. Crys. Ich kann sie zurückbekommen. Ich werde sie finden. Und dann hauen wir ab. Keine Ahnung wohin, Hauptsache wir sind zusammen.
Tyler lässt sich auf einen der Holzstühle fallen. »Erzähl uns alles.«
Neptune
»Endlich damit fertig, Pack mit den Augen auszuziehen?«
Bei Helenas schneidendem Ton würde ich am liebsten sofort wieder flüchten, doch stattdessen ziehe ich die Schlafzimmertür hinter mir zu und hülle den Raum damit in ein schummriges Halbdunkel.
Den Pullover hat sie achtlos auf den Boden geworfen, und obwohl es im Raum eiskalt ist, liegt sie nur in einem dunklen Trägertop und Leggins auf dem Bett. Manchmal haben wir gemeinsam in diesem Bett geschlafen, nebeneinander, ohne uns zu berühren. Ihre Anwesenheit tröstet mich. Genau wie jetzt. Ich bin hundemüde und fühle mich überfahren. Von all den Informationen, dem ganzen Scheiß, der gerade passiert.
»So war das nicht.«
Wir wissen beide, dass es genauso war. Aber was soll ich tun, einfach so zugeben, dass ich Pack verdammt anziehend finde? Dass ich die ganze Zeit, in der wir uns unterhalten habe, schweißnasse Hände hatte? Total eklig. Soweit ich weiß, habe ich nie schweißnasse Hände. Nicht mal, wenn ich auf der Bühne stehe. Hat sie Angst, dass ich unter ihrem Dach ein Techtelmechtel anfange?
»Ich …«, weiß nicht, was ich sagen soll.
Aber Helena kommt mir zuvor. »Ich bin in dich verliebt, Sebastian.«
Blinzeln.
Helena sieht mich an, wartet auf eine Reaktion.
Ist es angemessen, einfach schreiend aus dem Fenster zu springen? Oder ins Wohnzimmer abzuhauen? Eher nicht, denn immerhin schläft Pack heute Nacht dort.
»Ähhhhm.« Ich dachte, wir wären Freunde. Richtig gute Freunde, die sich einfach manchmal umarmen. Helena hat mir schon öfter den Arm getätschelt, aber nur, wenn mich mein Gedächtnisverlust runtergezogen hat. Oder?
»Ich bin kein Kerl. Das ist es, stimmt’s?« Beinahe befürchte ich, dass Helena eine Szene macht, doch ihre Stimme bleibt ruhig.
Was soll ich darauf antworten? Wenn ich ehrlich bin, war das Kopfkino mit Pack sehr aufregend. Scheiße, wie gerne würde ich seine vollen Lippen auf meinen spüren. Bei dem Gedanken von meinen Händen in seinem blonden Haar schießt mir Hitze in den Nacken. Oder meine Zähne an dieser messerscharfen Kieferpartie entlang gleiten lassen und dann-
Plötzlich springt sie auf. »Danke für die Porno-Privatvorstellung!« Sie schnappt sich den Pullover vom Boden und zerrt ihn sich über den Kopf. Das gezischte Arschloch dringt gedämpft unter dem Stoff hervor.
Was? Ich brauche etwas, um zu verstehen, was passiert ist. Fuck. Wieso kann ich diese verdammte Sache mit den Gedanken scheinbar nicht kontrollieren?
»Helena!«
»Keine Sorge, Sebastian, ich besorge euch die bescheuerten Dokumente!«
»Darum geht es doch gar nicht!« Klar geht es auch um das, aber ich will, dass wir uns wieder vertragen. Helena war für mich da, als mich jeder sonst verlassen hat. Sie hat sich bemüht, damit ich mich wieder erinnern kann, wenn auch erfolglos.
Doch sie ignoriert einfach meinen Versuch, sie zu beruhigen. Glitzern in ihren Augen etwa Tränen? Im Halbdunkel lässt sich das schwer erkennen. »Aber damit das klar ist, das mache ich nur, um meinem Vater eines auszuwischen.«