Читать книгу Tod an der Wallmauer - Anna-Lena Hees - Страница 9

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Kapitel 3

Kommissar Ottfried und seine Kollegen Hermann und Sabrina fuhren auf der B53 entlang Richtung Pfalzel. Der Tag war gekommen, an dem sie zur Rechtsmedizin Homburg unterwegs waren. Zunächst aber holten sie Julia Berg ab, die den Toten identifizieren sollte.

»Frau Berg hofft sicher sehr, dass es nicht ihr Freund ist, der tot aufgefunden wurde«, bemerkte Sabrina und schaute dabei ein wenig verträumt aus dem Fenster.

»Er ist es aber, Frau Berg wird es schmerzlich akzeptieren müssen. Für die junge Frau tut es mir leid, dass sie dieses schreckliche Ereignis erleben muss. Niemand wünscht sich, dass der Partner verschwindet und dann nie wieder zurückkehrt. Ich weiß, wie das ist«, gab Hermann zurück.

»Du hast Recht, Hermann. Sie tut mir auch leid! Ihre Reaktion gestern ... die kann ich nicht vergessen. Sie dachte, der Kommissar macht bloß Scherze.«

»Um Scherze zu machen, brauche ich ja aber nicht zu den Leuten zu gehen. Und überhaupt, darüber macht man auch keine Scherze. Mit dem Tod ist nicht zu spaßen«, sagte da der Kommissar, der am Lenkrad saß und das Auto aus Richtung Bahndamm kommend in den Pfalzeler Ortskern bewegte.

Dann ging es hinauf ins Neubaugebiet. Julia Berg wohnte in der Eltzstraße, unweit eines Supermarktes entfernt. Um die Ecke lag die Sirckstraße, in der Kommissar Ottfried den Wagen anschließend parkte. Die zwei Männer und Sabrina stiegen aus und gingen zu dem Haus, in dem Julia wohnte. Sabrina klingelte.

Ein paar Sekunden später ging die Tür auf, und Julia stand im Türrahmen. »Hallo«, sagte sie leise und versuchte, den Blicken der Polizisten auszuweichen.

»Sie sind bereit, Frau Berg?«, fragte Ottfried vorsichtig. Julia nickte langsam. Ihr ganzer Körper war von einer Gänsehaut übersät, sie selber ziemlich angespannt. Noch immer hoffte sie, dass der Tote, den sie in den kommenden Stunden identifizieren sollte, nicht Tom war, obwohl der Kommissar ihr das schon am Vortag versichert hatte. Immerhin hatte er den toten Tom gesehen. Julia selber hatte die Zeit damit verbracht, ahnungslos in den Tag hineinzuleben, war aber beinahe umgekommen vor Sorge. Nun hatte sie diese bitteren Neuigkeiten hören müssen, und noch immer schien es ihr sehr unglaubhaft, dass Tom nie wieder zu ihr zurückkam.

»Dann holen Sie bitte Ihre Sachen und kommen Sie. Unser Auto steht direkt um die Ecke in der Sirckstraße«, sagte Ottfried und nickte Julia bestätigend zu. Die junge Frau holte ihre Tasche aus dem Wohnzimmer, zog sich einen leichten Mantel über und folgte den Polizisten zum Auto. Dabei merkte sie, dass ihr jeder Schritt zusehends schwerer fiel. Sie war froh, als sie im Auto saß.

Etwas mehr als eine Stunde waren Kommissar Ottfried und seine Kollegen zusammen mit Julia unterwegs. Dann endlich kamen sie an der Universitätsklinik in Homburg an, zu der auch das rechtsmedizinische Institut gehörte.

Ottfried parkte den Wagen in der Nähe. Den Rest des Weges legten die Vier zu Fuß zurück. Wenige Minuten später standen sie vor dem Gebäude, in dem die Rechtsmedizin untergebracht war. Julia Berg zitterte am ganzen Leib. Sie wusste, dass es nicht mehr lange dauerte und sie den Toten ansehen musste.

»Frau Berg, folgen Sie uns doch bitte. Wir werden zunächst den zuständigen Rechtsmediziner aufsuchen, bevor wir zu den Sektionssälen gehen«, sagte Kommissar Ottfried und ging voraus. Sabrina und Hermann folgten ihm; Julia bildete das Schlusslicht.

Wenig später trafen sie auf den Gerichtsmediziner, bei dem Kommissar Ottfried für diesen Tag den Termin vereinbart hatte. Dieser wusste durch ein weiteres Telefonat, dass die Polizisten eine Angehörige des Verstorbenen mitbringen würden und Julia die Leiche identifizieren sollte. »Schön, dass Sie da sind. Die Leiche wurde doch noch nicht obduziert, es ist aber, wenn ich mich nicht irre, für morgen Mittag vorgesehen. Zumindest wurde schon eine äußere Leichenschau vorgenommen. Morgen, vor der eigentlichen Obduktion, folgt eine weitere. Nun ja, dann würde ich sagen ... Folgen Sie mir einfach!« Der Gerichtsmediziner Herr Mayer lächelte freundlich und ging voraus. Kommissar Ottfried und Hermann folgten ihm sofort. Sabrina kümmerte sich vorerst noch um Julia, die wegen ihrer kräftig zitternden Knie kaum einen Schritt weitergehen konnte. »Frau Berg, werden Sie ruhig. Sie haben es ja gleich geschafft, und ich schwöre Ihnen, dass Sie den Toten auch gar nicht lange ansehen müssen. Ein kurzer Blick genügt schon, um uns zu bestätigen, dass es sich bei der Leiche wirklich um Tom Krausmann handelt. In Ordnung?«

»Ja, ja. Ich ... Ach, weiß auch nicht. Ich habe noch nie einen Toten gesehen, und das mit Tom ... Das ist alles zu viel«, stammelte Julia. Dann fügte sie hinzu: »Ich habe die ganze Zeit gehofft, dass es sich um einen Irrtum handelt und der Tote ein Doppelgänger meines Freundes ist. Ich könnte wirklich nicht sagen, warum er ... ja, wie ist er überhaupt gestorben? Wurde er umgebracht? Oder sogar ... Selbstmord? Aber da wüsste ich nicht, wieso er das tun sollte. Das passt nicht zu ihm! Bitte, dass er es nicht ist!«

»Ich verstehe Sie ja schon, Frau Berg. Es ist keine schöne Situation, aber da müssen wir alle jetzt durch. Sie möchten doch sicher auch Gewissheit haben, oder?« Sabrina fuhr Julia beruhigend über die Schulter. Dass die Polizistin so einfühlsam war, gab Julia neue Kraft. Sie fühlte sich wieder bereit, die letzten Meter zum Sektionssaal hinter sich zu bringen. Dort angekommen, sollte sie zunächst draußen warten. Kommissar Ottfried und seine Kollegen gingen zuerst hinein, um bei dem Toten die Fingerabdrücke zu nehmen.

»Ich habe nach Absprache mit dem Chef einen Kollegen gebeten, die Leiche schon mal aus dem Kühlfach zu holen. So geht nicht zu viel Zeit verloren, und Sie können direkt mit der Arbeit beginnen«, sagte der Gerichtsmediziner zum Kommissar gewandt und schob die große Schiebetür auf. Julia blieb einige Meter davon entfernt stehen und schaute zu, wie das Gefolge den Saal betrat.

Herr Mayer trat zu einer Liege, über der ein langes Tuch in Türkis lag. Darunter sah man die schemenhaften Umrisse einer Menschenleiche. Ganz langsam zog der Mediziner das Tuch herunter, bis der komplette Oberkörper des Toten sichtbar war.

Ottfried erkannte die Leiche sofort. »Unser Herr Krausmann. Nun dann, Sabrina, Hermann? Ran an die Arbeit!«

»Sofort, Herr Kommissar.« Hermann nickte und kramte aus seiner Jackentasche die nötigen Utensilien hervor. Er hatte ein Stempelkissen und ein Blatt Papier eingepackt. Ohne zu zögern, aber dennoch langsam öffnete er den Deckel. Dann nahm er die Hand des Toten, griff seinen Zeigefinger und drückte ihn fest ins Kissen. Der Finger des Toten war nun blau eingefärbt. Jetzt konnte das Papier zum Einsatz kommen. Hermann legte das Stempelkissen ab, damit er das Papier besser halten konnte. Dieses hielt er an den farbigen Finger der Leiche und drückte den Finger dabei fest auf die Papierfläche. Dann war es geschafft. Der Fingerabdruck war genommen. Ein wenig erleichtert atmeten die Polizisten durch.

»Das Papier sollten wir nun so verstauen, dass der Fingerabdruck nicht verschmiert«, sagte Sabrina nun. Ottfried nickte und reichte seinem Kollegen Hermann eine kleine Plastiktüte. »Hier können Sie das Papier reinlegen. Dann wird nichts drankommen.«

»Dankeschön.« Hermann lächelte und stopfe das Papier in die Tüte. Dann schaute er erwartungsvoll in die Runde. »Sollten wir nicht jetzt Frau Berg hereinbitten, damit sie die Leiche identifizieren kann?«, fragte er.

»Ja, ich werde Sie gleich holen.« Sabrina nickte und näherte sich der Tür. Zuvor hörte sie noch, wie der Gerichtsmediziner nachfragte, ob Frau Berg die Angehörige des Toten sei. Der Kommissar und Hermann bejahten diese Frage mit einem knappen Nicken.

Sabrina trat auf den Flur hinaus und sah Julia, die sich inzwischen vor Angst auf den Boden gekauert hatte. »Frau Berg? Wir sind soweit fertig. Nun können Sie hereingehen und die Leiche anschauen. Ist alles in Ordnung?«

Julia schaute auf. »Ja, ich habe nur wahnsinnige Angst. Irgendwie wird mir gerade bewusst, dass ich Tom nie wiedersehe. Ich kann diesen Schmerz nicht verkraften.«

»Es wird schon. Kommen Sie. Ich helfe Ihnen auf die Beine.« Sabrina trat an Julia heran und zog sie vorsichtig auf die noch zitternden Beine. Sie nahm die junge Frau kurz in den Arm, um ihr noch ein wenig Mut zuzusprechen, dann führte sie Julia langsam in den Sektionssaal. Julia sah die Leiche schon aus einiger Entfernung und konnte nicht anders, als los zu weinen.

»Können Sie sagen, wer die Leiche ist?«, fragte Kommissar Ottfried, als Sabrina mit der weinenden Frau näherkam.

Julia schaute auf den Toten und riss die Augen dabei weit auf. Nun musste sie akzeptieren, dass ihr Partner Tom Krausmann von ihr gegangen war. Leise sagte sie: »Er ist es. Das ist Tom. Mein Tom!«

»Gut, danke, Frau Berg. Mehr möchten wir nun auch nicht wissen.« Ottfried klopfte Julia auf die Schulter. Er konnte sie gut verstehen.

»Wie kann das alles nur sein?«, fragte Julia noch, dann geriet sie auf einmal ins Schwanken und stürzte zu Boden. Der Kommissar hatte Mühe, sie aufzufangen. »Frau Berg, alles in Ordnung? Kommen Sie zu sich!«, rief er.

Julia hatte die Augen geschlossen und regte sich zunächst nicht. Sie war im Gesicht ganz blass.

»Ruft jemand bitte einen Notarzt! Die Frau sollte dringend behandelt werden!« Sabrina schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

Zum Glück hatte Hermann sein Handy mitgenommen. Er eilte aus dem Saal. Als er draußen stand, alarmierte er den Rettungsdienst.

»Es kommt gleich jemand!«, rief er dann in den Saal und ging kurz wieder hinein. »Der Anblick des Toten und die Erkenntnis, dass es sich hier tatsächlich um den Partner handelt, waren wohl zu viel für die gute Frau. Hoffentlich geht es ihr bald wieder besser.«

»Mach dir keinen Kopf, Hermann. Sie hatte von Anfang an solche Angst. Die ganze Zeit hatte sie gebetet, dass es nicht ihr Freund ist, der hier liegt«, gab Sabrina zurück und betrachtete Julia ganz besorgt.

Wenige Minuten später kamen zwei Notärzte in den Sektionssaal gestürmt und untersuchten Julia sofort. Nach einem ersten Verdacht packten sie die Frau auf die Trage und nahmen sie mit ins Krankenhaus.

»Wo bin ich?« Julia schaute sich um. Die Umgebung war ihr fremd. Sie selber hatte die Orientierung verloren.

»Frau Berg? Sie sind im Krankenhaus. Wie geht es Ihnen jetzt?« Eine Krankenschwester stand an Julias Krankenbett, dahinter Sabrina. Die Polizistin war sichtlich erleichtert, dass Julia wieder zu sich kam.

»Im Krankenhaus? Aber warum denn, was ist passiert?«

»Sie sind im Sektionssaal zusammengebrochen«, erklärte Sabrina nun und trat ein Stück näher ans Krankenbett heran. »Als Sie Ihren Freund gesehen haben ... ich nehme an, dass das ein wenig zu viel für Sie war. Geht es Ihnen denn jetzt besser?«

Julia nickte ganz leicht. Sie wusste nicht so ganz, wie es ihr gerade ging. Dass sie im Krankenhaus lag, verwirrte sie. Den Schwächeanfall konnte sie sich nicht erklären, glaubte aber, dass die Polizistin recht hatte.

»Frau Berg, wir behalten Sie 24 Stunden zur Beobachtung hier. Gibt es jemanden, dem wir Bescheid sagen können?«, sagte die Krankenschwester nun zu der jungen Frau. Julia musste eine Weile überlegen. »Meine Schwester«, sagte sie dann und diktierte der Krankenschwester die Handynummer.

»Gut, erlauben Sie mir, Ihre Schwester zu kontaktieren?«

»Ja, gerne.«

»Ich kümmere mich darum.« Mit diesen Worten verschwand die Krankenschwester aus dem Zimmer und ließ Julia mit Sabrina allein.

»Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«, fragte die Polizistin vorsichtig.

»Wenn es nicht allzu viele sind«, gab Julia zurück und ließ die Augen an der Decke kreisen.

»Nein, nein. Da müssen Sie sich keine Gedanken machen. Es geht mir nur darum, dass die Kripo den Todesfall Ihres Partners aufklären muss. In dem Kontext ist es wichtig, einige Fragen an die Angehörigen zu stellen. Fühlen Sie sich denn jetzt schon in der Lage, diese Fragen zu beantworten?« Sabrina musterte Julia gründlich, als wollte sie herausfinden, was Julia gerade dachte.

Die nickte nur und wartete die Fragen der Polizistin ab.

»Okay, dann ... Meine erste Frage wäre ... Ist Ihnen in der letzten Zeit etwas Merkwürdiges an Ihrem Freund aufgefallen? Also, hat er sich irgendwie anders verhalten oder so?«

»Nicht, dass ich wüsste. Er war ganz normal drauf. So wie immer eigentlich.« Julia zuckte die Schultern.

»Gut, er war also nicht anders, vom Charakter her, meine ich. War er in den letzten Tagen vor seinem Tod mal öfter von zu Hause weg?«, fragte Sabrina weiter, kassierte dafür aber auch nur Kopfschütteln.

Auch die weiteren Fragen konnte Julia nicht gut beantworten. Sie hatte von der ganzen Sache nichts mitbekommen.

»Ich weiß nur, dass er am Tag vor seinem Tod morgens ... Nein, das ist falsch! Er war zu Hause, hatte Brötchen geholt. Wir haben gefrühstückt. Danach bin ich zur Arbeit gefahren. Als ich nach Feierabend zurückkam, war er nicht mehr da. Er kam auch die ganze Nacht nicht. Am nächsten Tag habe ich ihn dann bei der Polizei als vermisst gemeldet. Mehr weiß ich nicht. Es tut mir leid!« Julia senkte den Blick. Die Gedanken an den Tod ihres Freundes trieben ihr wieder die Tränen in die Augen. Die Trauer war groß.

Sabrina strich Julia sanft die Haare aus dem Gesicht und reichte ihr ein Taschentuch, um die Tränen abzuwischen. »Es wird alles wieder gut«, sagte sie in beruhigendem Ton.

Kurz darauf kam die Krankenschwester wieder herein, gefolgt von einem Herrn mittleren Alters, der ein weißes Hemd und eine schwarze Hose trug. »Das ist Doktor Bahr, er ist Seelsorger bei uns in der Klinik. Ich habe ihn Ihnen mitgebracht, Frau Berg. Ich denke, dass Sie die Seelsorge sehr gut gebrauchen können, nachdem Sie in der Gerichtsmedizin schon bewusstlos zusammengebrochen sind. Sie werden sehen, ein Gespräch mit Herrn Bahr, und es geht Ihnen schon wieder viel besser.« Die Krankenschwester lächelte.

»Und das soll mir was bringen?« Julia war skeptisch. Schon jetzt den Seelsorger an der Seite zu haben, war nicht gerade das, was sie sich vorgestellt hatte. Viel lieber wollte sie ihre Ruhe haben. Über den Tod ihres Freundes konnte sie auch mit ihrer Familie reden, allerdings wollte sie das auch erst später tun, nachdem sie sich von dem Schock erholt und das Krankenhaus wieder verlassen hatte. Von der Krankenschwester erwartete sie keine Antwort mehr.

Tod an der Wallmauer

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