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Kapitel 1: 1923 – 1950

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Mama wurde am 21. Juni 1923 als 4. Tochter auf einem grossen Bauerngut im grenznahen Frankreich geboren. Eine Enttäuschung, vorallem für den Vater, der sich sehnlichst endlich einen Sohn und Hoferben gewünscht hatte.

Zwei Jahre nach der Geburt der kleinen Elisabeth starb der Vater an den Folgen eines Unfalls mit einem Pferdefuhrwerk. Oma kehrte daraufhin notgedrungen mit ihren vier Töchtern in die Schweiz zurück. Der Hof in Frankreich gehörte den Schwiegereltern und die fühlten sich weder für ihre Schwiegertochter noch für die vier Enkelinnen im Alter zwischen zwei und zwölf Jahren verantwortlich. Meine Oma fand mit ihren Mädchen auf dem Hof eines ihrer zehn Geschwister ein Dach über dem Kopf. Als Gegenleistung für die Wohnung im Stöckli und die Grundnahrungsmittel vom Hof halfen alle nach ihren Möglichkeiten in Feld und Stall mit.

Wie es in dieser Zeit oft vorkam, waren etliche Entbehrungen zu ertragen, insbesondere bei der Beschaffung von Kleidung und Schuhen für die wachsenden Töchter war meine Oma auf milde Gaben von der Familie und aus dem Bekanntenkreis angewiesen. Immerhin ging ihr grösster Wunsch, dass alle Töchter einen Beruf erlernen konnten, in Erfüllung.

Nach Abschluss der Ausbildungen heirateten Mamas ältere Schwestern eine um die andere. Dora die Älteste, hatte sich während ihrer Lehre bei der Post in den jungen Posthalter aus dem Emmental verliebt. Ella, die wie meine Mama die Schwesternschule besucht hatte, nahm einen Schulfreund zum Mann und wurde Bäuerin. Vreni, ehelichte nach Ihrer Verkäuferinnenlehre in Lausanne einen Postbeamten und liess sich am Genfersee nieder.

Meine Mama hatte jedoch Höheres im Sinn. Um keinen Preis wollte in dieselbe Falle wie ihre Schwestern tappen und schlussendlich am Herd enden. Nein, ihr schwebte eine Ehe mit "Aufstiegsmöglichkeiten" vor. Zu diesem Zweck hielt sie Ausschau nach einem Studierten. In ihrer Vorstellung führten Intellektuelle ein glamouröses Leben mit interessanten Bekannten, Parties, schönen Kleidern und natürlich Hauspersonal. Genau das was sie sich ersehnte.

Mein Papa wurde am 29. Dezember 1923 als drittes Kind in eine angesehene Basler Kaufmannsfamilie hineingeboren. Seine Eltern waren sehr konservativ und streng katholisch. So war Werdegang des kleinen Pius bereits bei seiner Geburt klar vorgegeben.

Liebevolle Zuwendung und menschliche Wärme waren nicht das zentrale Anliegen seiner Familie. Disziplin und Fleiss standen hingegen hoch im Kurs. Um diese Eigenschaften optimal auszubilden und eine perfekte Schuldbildung zu erlangen musste er mit 6 Jahren sein Elternhaus verlassen und in das Internat einer Klosterschule, wo er bis zur Matura blieb, übersiedeln. Die Ängste und die Einsamkeit, die restriktive Erziehung und tagtäglichen körperlichen Übergriffe während seiner Schulzeit, prägten den sensiblen Buben für sein ganzes weiteres Leben. Alles in ihm drängte ihn danach die Welt verstehen zu lernen und irgendwann befriedigende Antworten auf die seine offenen Fragen zu finden.

Erst während seiner Studentenzeit in Genf erhaschte er eine erste Ahnung von Freiheit. Wie es seine Eltern seit seiner Geburt für ihn vorgesehen hatten, schrieb er sich an der theologischen Fakultät ein und besuchte später das katholische Priesterseminar. Für meinen Papa stellten sich jedoch immer mehr Fragen von zentraler Wichtigkeit, die ihm der katholische Glauben auch nicht annähernd plausibel beantworten konnte.

Diese unbeantworteten Fragen liessen ihn das Theologie-Studium abbrechen. Seine Eltern waren vor den Kopf gestossen und versagten ihm jegliche weitere Unterstützung. Papa suchte und fand verschiedene Nebenbeschäftigungen und begann nun Philosophie und Germanistik zu studieren. Obwohl die Studienjahre wohl recht hart, von Geld- und Schlafmangel begleitet waren, verlebte er nach seinen eigenen Angaben eine glückliche und selbstbestimmte Zeit. Nach seinem Abschluss mit Bestnoten trat er eine aussichtsreiche Stelle in einem renommierten Verlag an.

Mama, ich hab Dich lieb

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