Читать книгу Mama, ich hab Dich lieb - AnnaHofmann - Страница 5

Kapitel 3: 1958 - 1971

Оглавление

Anfang 1958 hielt mein Papa das Zusammenleben mit meiner Mama kaum noch aus.

Mama widersetzte sich vehement einer psychotherapeutischen Begleitung. Als ausgebildete Psychiatrieschwester war sie davon überzeugt, dass nur psychisch kranke und labile Menschen in Therapie gingen.

Dass der kaum verarbeitete Schmerz über das verlorene Kind wachsende emotionale Kälte auslöste und ihre schneidenden Bemerkungen sowie die ständige Forderung nach Mitleid das Familienklima vergifteten, war ihr eher nicht bewusst. Für sie war ganz klar Papa an ihrer Unzufriedenheit Schuld, weil er sich zu wenig um sie kümmerte.

Papa tat sein Bestes um seiner Frau aus ihren trüben Stimmungen herauszuhelfen und bemühte all seine Kreativität um Mama zu erreichen nur um sich dann doch eingestehen zu müssen, dass er mit seinem Latein am Ende war. Egal wie er es anging, Alles was er versuchte schien falsch zu sein oder provozierte nur neue Wutausbrüche und ein noch tieferes Absinken in dunkle Stimmungen.

So kam es wie es kommen musste. Papa sah keinen andern Ausweg, als die Scheidung. Seinen Sohn wollte er zu sich nehmen und da es seiner Frau sowieso zunehmend schwerfiel sich angemessen um das Kind zu kümmern, war er sich recht sicher, dass sie über diese Lösung froh sein würde.

Doch weit gefehlt. Beim Gespräch über Papas Scheidungspläne entwickelte meine Mutter ungeahnte Kräfte zur Rettung der Ehe. Einerseits drohte sie Papa damit, ihm Stéphane nie und nimmer zu überlassen. Andererseits bemühte sie sich sehr engagiert um ihren Noch-Ehemann, mit dem Ziel, ihn umzustimmen. Mama kochte seine Lieblingsspeisen zog sich adrett an und nahm auf einmal wieder Anteil an seinem Alltag. Papa ergriff diesen Strohhalm mit gemischten Gefühlen und im Sommer 1958 war Mama erneut schwanger. Statt sich freudig auf den neuen Erdenbürger einzustellen, fiel sie sogleich wieder in die so belastende trübsinnige Stimmung. Es war als sei ein Schalter umgestellt worden und die alten Ängste mit neuer Wucht über sie hereingebrochen.

Papa war am Boden zerstört. Das erneute Absinken seiner Frau in die Welt der negativen Gefühle, die aus der Luft gegriffenen Vorwürfe, Unterstellungen und das absolute Desinteresse am Befinden von Sohn und Ehemann, liessen ihn seine Scheidungspläne wieder aufnehmen, wohlwissend, dass er mit diesem Schritt bei der gesamten Familie in Ungnade fallen würde.

Nach einem heftigen Streit verliess er die eheliche Wohnung und mietete für sich vorerst ein Zimmer. Erst wenn er das Sorgerecht für Stéphane erhielt, würde er sich eine kleine Wohnung nehmen. Selbstverständlich versorgte er Sohn und Ehefrau finanziell ausreichend, was ihm einigermassen leichtfiel, da er gut verdiente.

Im März 1959 erblickte ich nach knapp acht Monaten Schwangerschaft das Licht der Welt. Ich war untergewichtig, schwächlich und schrie nie, es schien als ob mir die Kraft zu Leben fehlte. Obwohl es eine leichte Entbindung gewesen war, fühlte sich meine Mutter kraftlos und erholte sich nur langsam.

Mama hatte so sehr gehofft, dass Papa nach meiner Geburt in die eheliche Wohnung zurückkehren würde, doch zeigte er keine Reaktion und liess weder von sich hören noch sehen, was Mama in Schmerz und Verzweiflung erstarren liess. Ihr Plan war nicht aufgegangen.

Angesichts ihres Zustandes verbrachte sie die nächsten Wochen noch mir zusammen im Berner Frauenspital, so war unser beider Pflege gewährleistet. Mein vierjähriger Bruder verbrachte diese Zeit in einem Kinderheim, dem ersten in einer langen Reihe von Einrichtungen.

Wieder Zuhause brauchte Mama weiterhin Hilfe bei der Betreuung von uns Kindern und nahm sich erneut für einige Monate eine Kinderfrau, die bei uns wohnte. Während dieser Zeit ging dann auch die Scheidung über die Bühne. Mama hatte schlussendlich eingewilligt, denn Papa hatte alle Schuld auf sich genommen und für Frau und Kinder grosszügige Unterhaltszahlungen angeboten.

Mein Bruder und ich waren oft krank. Unsere Mama war unglücklich und oft nicht in der Lage sich um uns zu kümmern, so dass wir mehr Zeit mit der Kinderfrau, bei Verwandten, später in Kinderheimen oder Pflegefamilien verbrachten als mit ihr. Als ich etwa drei Jahre alt war wurde beim nun 7-jährigen Stéphane, die Diagnose „Mucoviscidose“ gestellt, was Anfang der 1960iger-Jahre einem sich rasch vollziehenden Todesurteil gleich kam. Diese Nachricht zog Mama endgültig den Boden unter den Füssen weg. Ihre sorgsam und wohlüberlegt aufgebaute Welt war eins ums andere wie ein Kartenhaus in sich zusammen gefallen und es schien kein Ende zu nehmen. Die verzweifelte Frage nach dem Warum blieb unbeantwortet. Ein Nervenzusammenbruch folgte dem nächsten. Den frühen Tod ihres Erstgeborenen konnte sie, von Gott und der Welt verlassen, nachwievor nicht verarbeiten und die unheilbare Krankheit ihres zweiten Sohnes liess sie wiederum ihre ganze Hilflosigkeit und Ohnmacht dem Schicksal gegenüber spüren. Die Zusammenbrüche wurden häufiger, Mama hatte immer weniger Kraft, sich um uns zu kümmern. Stéphane und ich wurden jeweils von einer Mitarbeiterin der Fürsorge getrennt bei einer Pflegefamilie oder in einem Heim untergebracht. Da ich ein pflegeleichtes Kind war, durfte ich aber im Gegensatz zu Stéphane auch oft zu meiner Oma oder zu einer Tante. Mein Bruder reagierte auf die aus heiterem Himmel erfolgenden Fremdplatzierungen mit auffällig zerstörerischem Verhalten. Er begann, sich selbst zu verletzen, plagte andere Kinder und legte wiederholt Feuer.

Wenn Mama sich besser fühlte, gab sie sich intensiv mit uns ab. Manchmal ging es ihr so gut, dass ihr intelligenter Humor und Wortwitz zum Vorschein kam. Diese kurzen Momente gehören zu den glücklichsten in meiner Erinnerung. Während den Phasen zuhause bekamen Stéphane und ich Klavier- und Gitarrenunterricht und lehrte uns schon sehr früh das Alphabet und die Grundrechenarten. So begann ich bereits mit 4 Jahren zu lesen, zu schreiben und einfache Rechnungen zu lösen. Leider kam mir dies später in der Schule nicht zu gute. Ich langweilte mich und hatte während den ersten beiden Schuljahren schlechte Noten, weil ich während des Unterrichts oft in meiner eigenen Gedankenwelt versank statt aufzupassen.

Auch wenn ich Mama nicht gerne alleine liess, genoss ich die Aufenthalte bei meiner Oma in vollen Zügen. Manchmal besuchten wir für einige Tage meine Tanten, die ganz unterschiedlich lebten. Vreni, meine Lieblingstante wohnte mit ihrem Mann immer noch in Lausanne, nur wenige Minuten von den Ufern des Genfersees entfernt. Bei Tante Vreni und Onkel Marcel war immer etwas los. Sie besassen neben der schönen Stadtwohnung auch einen riesigen Wohnwagen mitten in den Rebbergen in der Nähe von Lausanne. Hier machten Oma und ich wie zuhause auch lange Spaziergänge und sie lehrte mich unterwegs die verschiedenen Vogel-, Insekten- und Pflanzenarten unterscheiden und benennen. Später besuchte ich Tante Vreni auch alleine. Mama brachte mich in Bern zum Zug und Tante Vreni holte mich in Lausanne ab.

Von da an musste ich sehr auf der Hut sein vor Onkel Marcel. Er nahm jede Gelegenheit wahr um mich zu betatschen. Das ging soweit, dass er sich zu mir ins Bett legte, wenn ich schon schlief und seine Hand in meine Unterhose schieben wollte. Ich schrie ihn dann jeweils an und sprang aus dem Bett. Natürlich erzählte ich meiner Tante und Mama alles. Aber die beiden glaubten mir nicht. Onkel Marcel erklärte seiner Frau, ich hätte schlecht geträumt und deshalb geschrien.

Fast dasselbe Szenario erlebte ich in den Ferien bei meiner Gotte ab. Ihre Familie war sehr religiös und ihr Mann drohte mir mit dem Teufel, falls ich etwas erzählen würde. Doch das beeindruckte mich wenig. Ich fühlte so genau, dass das was er tat nicht richtig war und erzählte Mama von seinen ekelhaften Annäherungen. Sie ging zwar nicht direkt darauf ein, doch musste ich von nun an nicht mehr ohne Oma dorthin in die Ferien.

Bei meiner ältesten Tante, der Frau des Posthalters in einem Emmentaler Bauerndorf, fühlte ich mich überhaupt nicht wohl. Die Stimmung war derart düster und streng, als wären Fröhlichkeit und Lachen etwas Unanständiges.

Hingegen bei Mamas jüngster Schwester fand ich es paradiesisch schön. Tante Ella war ebenso wie Ernst, ihr Mann unheimlich sanft und lieb. Beide trugen wann immer sie mich ansahen ein Lächeln im Gesicht. Sie arbeiteten hart auf ihrem mittelgrossen Bauernhof und schienen mit ihrem Leben völlig im Einklang zu sein. Wie Oma wusste Tante Ella viele schöne Geschichten zu erzählen und ich durfte sie überall hin begleiten. Es gab Kühe, Pferde, Schweine, Hühner, Enten, einen Hund und viele Katzen. Tante Ella blieb nicht verborgen, dass ich einen guten Draht zu den verschiedenen Tieren hatte. Sie freute sich mit mir an meinen kleinen Dressur-erfolgen bei Pferden, Hunden und sogar bei den Sauen. Hier waren Oma und ich wirklich glücklich. Wir konnten Tante Ella und Onkel Ernst etwas entlasten und den ganzen Tag in der Natur verbringen.

Seit einiger Zeit wich ich aus unerfindlichen Gründen jeder Begegnung mit Männern aus, doch vor Onkel Ernst hatte ich keine Angst. Er war immer ausgeglichen und freundlich und hatte die Gabe sich spontan eine witzige oder fröhliche Geschichte für mich ausdenken zu können.

Später fragte ich mich ab und zu, ob eventuell schon in meiner sehr frühen Kindheit etwas Ungutes geschehen war, etwas was ich zur Sicherheit verdrängt hatte.

Stéphanes Verhalten wurde immer destruktiver, einzig bei Papa, der immer noch um das Sorgerecht für seinen Sohn kämpfte, schien er sich wie ein normaler Junge zu verhalten. Diese regelmässigen Besuchswochenenden waren bis jetzt das einzige Zugeständnis, dass er hatte erhalten können. Stéphane lebte nun wochentags ausschliesslich in einem Kinderheim und Mama war froh, nicht jedes Wochenende mit dem immer schwieriger werdenden Sohn verbringen zu müssen. Ich selber lernte meinen Papa erst mit ca. 18 Jahren kennen. Er erklärte mir später, dass er damals nicht darauf beharrt habe auch mich mitnehmen zu können, weil er mich nicht habe verwirren wollen. Immer noch herrschte Unfrieden oder sogar Hass zwischen unseren Eltern, jedenfalls von Mamas Seite her. Sie liess kein gutes Haar an Papa, was besonders für Stéphane, aber auch für mich ziemlich belastend war.

Mit 6 Jahren Zeit entwickelte sich bei mir eine ausgeprägte Angst vor dem Klingeln des Telefons. Mitte der 1960iger Jahre verfügte noch nicht jeder Haushalt über ein eigenes Telefon und Telefongespräche waren um ein Vielfaches teurer als heute. Demensprechend selten wurden Telefonate geführt. Seit Beginn von Etiennes Heimkarriere klingelte unser Telefon häufiger. Jedes Mal ging es um eine unangenehme Nachricht. Entweder hatte er wieder etwas angestellt oder – noch schlimmer – es ging ihm gesundheitlich schlechter, so dass er ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.

Mit der Zeit löste das Klingeln unseres Telefonapparates in mir Panik aus, die ich jedoch zu verstecken suchte. Bei Mama lief wohl eine ähnliche Reaktion ab, denn ihre Gemütsverfassung stand oder fiel mit der empfangenen Nachricht und sehr oft kam es vor, dass sie nach einem Gespräch zusammenbrach und ärztliche Behandlung benötigt. Mich stürzten ihre Zusammenbrüche in jedes Mal in tiefe Angst, Mama hätte ja sterben können. Dass ich in der Regel ohne erklärende oder tröstende Worte in einer mir fremden Familie untergebracht wurde, verstärkte meine Angst noch.

Mama wurde durch diese anhaltend schwere Zeit zunehmend bitter und sarkastisch. Es zeichnete sich schon da ab, dass sie das Geschehene nie würde verarbeiten können. Sie begann sich als Kompensation noch mehr auf materielle Werte zu kompensieren. Sie erhoffte sich wohl durch real greifbare Dinge die Berechenbarkeit und Stabilität, die ihr das Leben bis jetzt verweigert hatte.

Als ich eingeschult wurde, begann Mama wieder teilzeitlich zu arbeiten. Zuerst in ihrem ursprünglichen Beruf als Psychiatrieschwester. Später wechselte sie in die Buchhaltungsabteilung des Inselspitals. So hatte sie eine regelmässige Arbeitszeit und mehr Geld zur Verfügung. Mama machte die Führerprüfung, kaufte ein Auto und wir machten mit unserem fahrbaren Untersatz Ausflüge oder fuhren in die Ferien ins nahe Berner Oberland oder in den Jura. Manchmal nahmen wir Oma mit, diese Ferien habe ich in ganz besonders guter Erinnerung.

Mamas Nervenzusammenbrüche wurden etwas seltener, doch noch immer lebte ich in einer unbeständigen, von Angst und Verzweiflung geprägten Atmosphäre. Zudem hatte ich mit 8 Jahren entdeckt, dass meine Mama manchmal nicht die Wahrheit sprach. Das war ein enormer Schock für mich. Es war wirklich, als würde der Boden unter meinen Füssen weg gezogen. Alles woran ich geglaubt hatte, war plötzlich in Frage gestellt worden. Diese einschneidende Erkenntnis hing von nun an wie ein Damoklesschwert über mir. Auf einmal sah ich auch Mamas Stimmungs-schwankungen in einem andern Licht und reagierte mit Angst, wenn sie sich mir gegenüber unfreundlich und verletzend verhielt. Sie war wie eh und je unausgeglichen, von einem Moment auf den andern konnte sich ein einigermassen positiver Gemütszustand ins totale Gegenteil kehren. Ihre dunklen Stimmungen hielten dann meist einige Tage vor. Früher hatte ich diese Phasen etwas gelassener hingenommen, wohl wissend, dass sie irgendwann wieder bester Laune sein würde. Die darauf folgenden Phasen in welchen Mama richtig lieb, witzig und charmant war, liessen mich immer wieder aufatmen und wogeb die dunklen Zeiten für mich auf.

Trotz all dem entwickelte ich mich zu einem sanften, freundlichen Mädchen, das sein Bestes versuchte, die Mutter bei Laune zu halten, von ihrem Schmerz abzulenken und ihr auf irgendeine Weise Erleichterung zu verschaffen. Was mir gewiss auch hin und wieder gelang. Trotz meines offensichtlichen Wohlverhaltens zog sie mir meinen Bruder sehr offensichtlich vor, was ich jedoch einfach zu akzeptieren schien. Wahrscheinlich hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie mit Stéphane überhaupt nicht mehr zurecht kam. Er lebte ja nun schone eine Weile ausschliesslich in Heimen. Da er mit der Zeit eine deutlich kriminelle Energie entwickelte, musste er die Institution oft wechseln und landete schlussendlich in einem Heim für Schwererziehbare. Seine Heimkarriere wurde durch unregelmässige, längere Spitalaufenthalte unterbrochen. Zu uns nach Hause durfte er nur noch selten kommen. So waren wir zwar Geschwister, empfanden uns jedoch eher als Fremde.

Wenn eines der seltenen Besuchswochenende anstand, bereitete Mama alles akribisch vor. Stéphane bekam mein Bett, meinen Stuhl am kleinen Küchentisch und ihre ganze Aufmerksamkeit. Während dieser Wochenenden war es als würde ich eine Tarnkappe tragen und wäre für Mama nicht sichtbar. Stéphane hingegen nutzte jede Gelegenheit um mich irgendwie zu ärgern oder gar zu plagen. Je älter er wurde, desto ausgeklügelter wurden auch seine Ideen, mich zu ärgern. Ich war ziemlich naiv und machte alles mit. Einmal setzte er mich sogar unter Strom indem er mich bat zwei Drähte zu halten, ein anderes Mal versuchte er mir einer Spritze Wasser in die Stirn zu injizieren. Mama nahm diese Vorfälle gelassen.

Bis zu meinem 11. Lebensjahr bleib ich ein liebes, pflichtbewusstes und angepasstes Mädchen, das kein Eigenleben führte, sondern sich ganz und gar an den Wünschen und Befindlichkeiten der Mutter orientierte.

Diese Haltung bei zu behalten gestaltete sich für mich, vermutlich durch die schleichend einsetzende Pubertät, zunehmend schwierig. Immer öfter tauchten widersprüchliche Gefühle auf. Einerseits wollte ich sehr gerne weiterhin die brave Tochter sein, andererseits hatte ich immer öfter das unangenehme Gefühl, mich zur Wehr setzen zu müssen. Mama hatte sich angewöhnt, mich sehr kritisch zu betrachten. Es war für mich oft unmöglich herauszufinden, wie ich mich verhalten sollte. Und wenn Mama gerade nichts an meinem Verhalten zu kritisieren hatte, konzentrierte sie sich auf meine vermeintlichen körperlichen Mängel, derer sie unzählige feststellte.

Als Ausweg flüchtete ich mich in Tagträume. Meine Traumwelt half mir meine wachsende Unsicherheit dem Leben gegenüber zu übertünchen. So gerieten auch meine alten Ängste um Mama, vor schlimmen Heim- oder Pflegefamilienplätzen und pädophilen Übergriffen immer mehr in den Hintergrund. Ich konnte mir in Gedanken eine Welt und ein Leben kreieren, wie ich es mir wünschte und dort wann immer ich wollte Zeit verbringen.

Daneben war ich nachwievor in den Ferien bei Oma, die in einem kleinen Bauerndorf wohnte, am Glücklichsten. Hier fühlte ich mich wie im Paradies und träumte beim Einschlafen innigst von einem Bauernhof und einem Pferd und einem Leben so wie es Omas Nachbarn, ein älteres Ehepaar, mit ihrem Knecht führten. Sie waren offensichtlich zufrieden mich sich und der Welt, gingen sehr liebevoll mit ihren Kühen, Pferden, Schweinen, dem Hund, den vielen Katzen und Hühnern um und kamen immer noch ohne Traktor und Melkmaschine aus. Die Schweine und Hühner durften tagsüber frei herum laufen und hatten sogar Zutritt zur alten Küche, die nur mit einem einfachen Büffet, einem riesigen Tisch und einem alten „Füüröfeli“ ausgestattet war. In der Hutte über der Feuerstelle wurden Würste und „Hammen“ geräucht. Auf dem Holzherd kochte Bäuerin Greti, die selber keine Kinder hatte bekommen können, oft Nidletäfeli oder andere feine Sachen extra für mich.

Hier empfand ich die Welt bis in die kleinesten Poren als rundum in Ordnung. Die meiste Zeit konnte ich tun und lassen was ich wollte, durfte bei der Arbeit helfen, wurde gelobt und durfte sogar hin und wieder auf einem der Pferde reiten. Keiner störte sich hier an meiner grossen Nase, meinen Pferdezähnen und den vorwitzig abstehenden Ohren, es war als wären meine diversen Schönheitsfehler gar nicht vorhanden.

Mama, ich hab Dich lieb

Подняться наверх