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Der langweilige Alltag der Nina Johns

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Die Sonnenstrahlen strahlten durch jedes Fenster und schienen in jeder Ecke der Kleinstadt, während Nina gelangweilt auf die Tafel starrte. Die alten Wände der Schule, die mit der Zeit ziemlich vollgekritzelt worden waren, hatten bereits jedes Gesicht der Gegend schon einmal gesehen. Das Backsteingebäude, sowie die Stille in den Gängen, während des Unterrichts, passten genau in das Bild einer gewöhnlichen Kleinstadt.

Es war also Unterricht. Die kleinen Räume der Schule waren voller fleißiger, gelangweilter und verträumter Kinder. Nina konnte sich nur kurze Zeit konzentrieren, obwohl der Lehrer stets bemüht war, motiviert und schwungvoll zu erklären. Ihre Gedanken folgten nicht dem Unterricht, aber auch nichts anderem. Sie dachte an die Mädchen der achten Klasse, von denen die Jungs in der Schule nicht aufhören konnten zu reden. Die Mädchen, die eigentlich schon Frauen waren. Selbstbewusster Gang, grazile Bewegungen, reife Ausstrahlung. Nina wollte genauso sein wie sie. Sie wollte genauso viel Aufmerksamkeit. Sie wollte genauso reif und selbstbewusst sein. In den Pausen versuchte einer nach dem anderen die Mädchen der achten Klasse anzuflirten. Ein paar versuchten es auf die nette, einige auf die freche Art. Für einen anerkennenden Blick der Absolventinnen hätten diese Jungs alles getan.

Nina wollte auch Absolventin sein. Sie spürte eine tiefe Sehnsucht nach Liebe, nach Leidenschaft, nach jemandem, mit dem sie die Welt vergessen konnte, mit dem sie ihre Welt teilen konnte. Aber ohne diesen Jemand hatte sie das Gefühl, sie wäre weniger Wert als diese Mädchen. Durch dieses Gefühl vergingen die Tage sehr langsam, sehr einsam. Sie war ungeduldig. Sie konnte den Tag, an dem junge Männer um sie konkurrierten, kaum erwarten. Jeden Tag stand sie mit der Hoffnung auf, endlich von einem Absolventen angesprochen zu werden. Was er sagen würde, wäre nicht wichtig. Einzig und allein die Tatsache, dass sie angesprochen wurde, würde ihr alles bedeuten. Sie würde sich endlich erwachsen fühlen, erwachsen genug, um den Großen aufzufallen.

Egal wie sehr sich Ninas Eltern bemühten, die Realität vor Nina fernzuhalten und ihr eine lange, glückliche Kindheit zu schenken, Nina gehörte zu jenen Teenagern, die wussten, dass der Sinn des Lebens nicht aus Herumlaufen auf dem Spielplatz, aus ständigem Lernen oder aus dem Gewinnen schulischer Preise bestand. Sie wusste, dass das Einzige, was wichtig war, das war, was sie fühlte. Eine Berührung, die ihre Knie weich werden ließen. Augen, die in ihre Seele blickten und ihr Herz in Flammen aufgehen ließen. Das war es, was im Leben zählte. Nina wartete sehnsüchtig auf ihr Leben als Erwachsene. Sie hatte sich immer vorgestellt, dass dieses Leben aus Freiheit und Liebe bestehen würde. Es machte sie wütend, dass ihre Mutter nie zugelassen hatte, dass Nina das tun konnte, was sie wirklich interessierte. Es machte sie wütend, dass sie nicht auf Partys von Älteren gehen durfte. Es machte sie wütend, dass sie außerhalb der Schule kaum Zeit mit ihren Freundinnen verbringen durfte. Ihre Eltern glaubten, der richtige Weg Nina zu beschützen sei es, sie in eine Schutzhülle zu stecken. Sie ahnten allerdings nicht, dass Ninas Neugier durch diese überfürsorgliche, beschützende Art immer großer wurde. Und dass sie ihre Neugier eines Tages überkommen würde.

Nina hasste ihre Schuluniform, weil sie all ihre Individualität vor der Welt versteckte. Auch ihre Sommersprossen mochte sie nicht besonders. Sie war nur mit ihren honigblonden Haaren zufrieden. Ihre Haare waren ihr Heiligtum. Als sie morgens aufwachte schaute sie nicht gern in den Spiegel, bevor sie sich die Haare gebürstet hatte. Sie bürstete stets sorgfältig jede einzelne Locke. Das gehörte zu ihrer Morgenroutine. Sie trug ihre Haare immer offen, sodass diese sanft ihre Schultern berührten. So muss sich wohl eine sinnliche Berührung an der Schulter anfühlen, die zärtliche Berührung eines Mannes, dachte sie sich.

Morgens fuhr Nina mit dem Schulbus zur Schule und nach der Schule holte ihr Vater sie ab. Nur am Freitag nicht, denn freitags ging sie zur Chorprobe. Sie liebte ihre Chorgruppe. Im Chor konnte sie sie selbst sein. Sie freute sich immer auf die Freitage, an denen sie und die anderen Chormitglieder vor neuen Herausforderungen standen. In der Chorgruppe konnte sie erwachsen sein und ihre eigenen Entscheidungen treffen. Sie glaubte, sie würde alles in ihrem Leben meistern können, wenn sie auch im Chor mit einer guten Leistung glänzte. Für sie war die Chorgruppe wie eine Vorbereitung auf das echte Leben.

Nach einer erfolgreichen Vorstellung organisierten die Chorleiter eine Feier. Die einzige Feier, auf die Nina gehen durfte. Obwohl sie jedes Chormitglied bereits gut kannte, reizte diese Feier sie, da sie dort die Möglichkeit hatte, sich mit den älteren Schülern ihrer Schule zu unterhalten. Allerdings traute sie sich nicht. Auch wenn diese Feiern eher unaufregend waren, blieb sie lieber im Hintergrund und beobachtete das Geschehen. Sie beobachtete, wie die Absolventen mit den Absolventinnen redeten, beobachtete, wie sie einander abenteuerliche Geschichten erzählten, wie sich ihre Finger beim Anstoßen der Gläser berührten. Sie beobachtete die sehnenden Blicke der Absolventen, die hoffnungsvollen Gesten und wie sie die Absolventinnen an der Hüfte oder der Schulter berührten. Zwischendurch streiften die Jungs den Mädchen einzelne Haarsträhnen aus dem Gesicht und blickten ihnen dabei tief in die Augen. Nina sah, wie die Mädchen deshalb weiche Knie bekamen. Zuerst verschlug es ihnen die Sprache, dann färbten sich ihre Wangen rot und anschließend lächelten sie ihr Gegenüber an. Sie mussten wohl fühlen, was sie zuvor noch nie gefühlt hatten. Ein intensives Gefühl, das zwei Menschen verbindet, manchmal auch ein Leben lang. Die Jungs, die sich für Nina interessierten, verstanden dieses Gefühl noch nicht. Genau das war auch der Grund, warum Nina ihr oberflächliches Interesse nicht erwidern konnte. Aber mitanzusehen, dass die älteren Jungs dieses intensive Gefühl verstanden und es genauso fühlen wollten, gab ihr Hoffnung. Dass die Zeit immer weiter verging, gab ihr Hoffnung. Das langsame Erwachsenwerden, gab ihr Hoffnung. Die Hoffnung, dass die langweiligen Alltage irgendwann vorbeigehen würden. Die Hoffnung, dass sie eines Tages jemanden finden würde, mit dem sie ihre Wünsche teilen und mit dem sie ihre Sehnsucht ausleben könne. Die Hoffnung, dass sie ihr wahres Ich früher oder später nicht mehr verbergen müsse. Aber eine Sache verstand sie nicht: Ihre Eltern. Sie verstand nicht, warum sie ihre Freiheit nicht ausschöpften. Sie verstand nicht, warum ihre Eltern ein gemeinsames Abendessen oder einen ruhigen Sonntagsspaziergang so sehr schätzten. Nina hatte fast Mitleid mit ihnen, wenn sie ihren alltäglichen Guten-Morgen-Kuss beobachte, der so ganz ohne Leidenschaft, ohne Liebe war. Nina hatte keine Ahnung, dass genau diese tägliche Ruhe, dieses Gleichgewicht, der Grundstein ihres sicheren Lebens und ihrer gesunden Entwicklung war. Diese Sicherheit war normal für sie, deshalb konnte sie sich schwer vorstellen, wie ein Leben ohne diese Sicherheit wäre. Sie protestierte also gegen dieses langweilige Leben, verbrachte den Tag lieber in ihrem Zimmer und suchte einen Weg, eine Möglichkeit daraus auszubrechen.

Nina Johns

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