Читать книгу Nina Johns - Annamaria Benedek - Страница 5

Martin

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Nach dem was passiert war, wurde Martin klar, dass er noch lange im Wald bleiben musste. Er konnte nicht mehr klar denken. Er war gefangen. Er war gefangen von seinen Gefühlen. Er schmeckte noch den Geschmack der weichen Haut auf seinen Lippen, roch den Geruch des unschuldigen Mädchens und das machte ihn verrückt. Seine Gefühle machten ihn blind. Eigentlich hatte er einen Plan, aber nun steuerte ihn nur noch sein Wille und er wollte nur noch dieses Mädchen. Er wollte noch einmal seine Haut berühren, es liebkosen und spüren. Es ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Es war viel zu süß, um nur einmal gekostet zu werden.

Während er zwischen den Bäumen umherging, bemerkte er, wie sich die Schatten der Bäume immer weiter über dem Waldboden erstreckten. Als wäre die Sonne viel weiter entfernt gewesen. Im Wald verging die Zeit wie im Flug. Für Martin jedoch blieb die Zeit stehen. Er irrte umher und tauchte tief in seine Erinnerungen ein. In jeder Sekunde erlebte er die Zeit, die er mit dem Mädchen verbracht hatte, wieder. Nur die Luft, die mittlerweile abgekühlt war, warnte ihn. Es war an der Zeit sich einen Ort zu suchen, an dem er die Nacht verbringen konnte.

Dicke Wolken türmten sich auf, wie strenge Richter, die gerade dabei waren, ihr Urteil zu verkünden. Seine Instinkte unterbrachen Martins Tagträumereien. Er befand sich wieder in der Realität und in seiner Realität stand zu diesem Zeitpunkt das Überleben an erster Stelle.

Bald war es stockdunkel und die Nacht brach herein. Martin hatte seine Suche fast schon aufgegeben, da entdeckte er plötzlich ein morsches Holzhäuschen. Es sah ziemlich verlassen aus, in den Fenstern war kein Glas und die Tür stand einen Spalt offen. Vermutlich war das Häuschen einst die Unterkunft eines Jägers gewesen, bevor es schließlich das Zeitliche segnete. Die Inneneinrichtung war alles andere als heimelig. Sie bestand aus einem alten Holztisch, zwei Schränken, einem kleinen Bett ohne Matratze und verfaulten Blättern, die sich auf dem Boden sammelten. Außerdem roch es miefig und modrig. Martin konnte das noch nicht sehen, es war ja mittlerweile Nacht und somit stockdunkel. Um sich umschauen zu können, musste er also eine Lichtquelle finden.

In seiner Hosentasche fand er ein Feuerzeug und er hoffte stark, dass irgendwo in dem Häuschen eine alte Kerze herumlag. Er suchte in jedem Schrank. Statt einer Kerze fand er eine Menge Altpapier und ein kleines Töpfchen. Er riss ein paar Stücke vom Papier ab und legte sie in dem Topf. Er wusste, dass er die Flamme nicht lange am Leben halten könnte, er musste also schnell sein. Er zündete die Papierstücke an und sah sich blitzschnell um. Er bemerkte, dass die Tür noch offen war, also schob er den Tisch dagegen. So wollte er sich während des Schlafens später sicherer fühlen. Kurz darauf erlosch die Flamme, es war wieder stockfinster und er konnte wieder nichts sehen. Bald gewöhnten sich seine Augen aber an die Dunkelheit. Er fand das Bett und legte sich auf die Holzlatten, die eigentlich als Untergrund für eine Matratze dienten. Dann schlief er.

Es musste noch sehr früh am Morgen gewesen sein, nur ein paar Sonnenstrahlen ließen sich erahnen, als plötzlich ein Ast auf das Häuschen fiel und Martin aufweckte. Draußen regnete es. Er war erleichtert, dass er die Nacht nicht im Freien verbringen musste. Er versuchte aufzustehen, denn sein Magen ätzte vor Hunger. Doch noch bevor er versuchen konnte seine Kräfte zu mobilisieren, wog ihn die Erschöpfung erneut in den Schlaf. Es machte ihn schwach, dass er nicht wusste, wie es weitergehen würde. Sein Körper war wie gelähmt, sein Hunger ließ nach. Er schlief weiter.

Seine graue Stoffhose, die zwar ein bisschen abgenutzt war aber im Großen und Ganzen doch sauber zu sein schien und sein weißes Hemd, das mittlerweile ein paar Flecken hatte, deuteten darauf hin, dass Martin vor ein paar Wochen noch unter normalen Umständen gelebt hatte. Seine langen Fingernägel und sein stoppeliger Bart ließen jedoch durchblicken, dass ihn etwas in seinem Leben vor einiger Zeit aus der Bahn geworfen hatte. Sein Aussehen erinnerte inzwischen an einen Schiffbrüchigen.

Bevor Martin die Nacht in einer alten Hütte mitten im Wald verbringen musste, hatte er ein recht bequemes Leben. Er lebte im geräumigen Haus seiner Eltern.

Für einen 36-jährigen Mann ist es normalerweise eher unangenehm noch bei seinen Eltern zu leben. Da Martins Eltern aber belesen und vermögend waren, hatten sie ständig etwas zu tun oder waren oft auf Reisen. Für Martin fühlte es sich also fast so an, als wohnte er alleine. Er hatte den ganzen Tag eigentlich nichts zu tun, deshalb ging er abends oft ins Casino. Er spielte gerne Poker, auch wenn er nicht immer gewann. Eines Abends spielte er mit seinen alten Freunden. Er hatte fast nichts mehr, was er setzten konnte, so wählte er als Einsatz für die nächste Runde das Haus seiner Eltern.

Er verlor.

Aber es war doch nur ein Spiel, oder?! Er hatte doch nicht alles verloren?! Der Mann, der zuvor noch vor Selbstbewusstsein gestrotzt hatte, wurde plötzlich ganz blass. Seine Freunde schauten ihn spöttisch lächelnd an. Die Verwirrtheit betäubte ihn und seine Angst leitete sein Handeln. Am gegenüberliegenden Ende des Pokertischs lag ein Zigarrenmesser. Es war ein kleines Werkzeug, aber ausreichend für Martins Plan. Mit einer schnellen Bewegung hatte er das Messer innerhalb eines Augenblicks in der Hand. Das Lächeln im Gesicht seiner Freunde verschwand. Voller Wucht rammte er das Zigarrenmesser zwei Mal hintereinander in den Hals des Mannes, der neben ihm gesessen hatte. Alle, die am Tisch saßen, erstarrten. Sie konnten sich nicht bewegen, sie konnten nur dabei zusehen, was ihr Freund anrichtete. Im nächsten Moment schlitze er einem weiteren Mitspieler die Halsschlagader auf. Zwei tote Körper fielen auf den Pokertisch. Die zwei übrig gebliebenen Männer standen hektisch auf und versuchten zu fliehen. Martin packte einen am Kragen und stach erneut zu. Der Mann sah mit an, wie das Blut seinen Körper verließ. Er wusste, dass es bald vorbei war. Der letzte Mann schaffte es aus dem Pokerraum. Er lief durch die Tür, durch den Flur, bis hin zur Straße. Der Schweiß lief ihm über das Gesicht und über den Rücken. Er lief und konnte an nichts anderes denken, als zu entkommen.

Im Pokerraum war es still geworden. Es war nur Martins hastige Atmung zu hören. Mit der Schere in der Hand stand er in der Mitte des Raumes. Er schaute umher, sah die drei toten Körper und begriff, dass seine Entscheidung, seine Tat, ihn nicht gerettet hatte. Ganz im Gegenteil. Er musste verschwinden.

Der Himmel war grau, die vielen Wolken ließen keine Sonnenstrahlen durch. Alles war noch nass vom Regen. Über Nacht hatte sich das kleine Bächlein mit Wasser gefüllt und rauschte nun viel unruhiger als noch am Vortag.

Von Ninas Regenmantel tropfte Regenwasser ab, als sie ankam. An jenem Tag schaute der Wald ganz anders aus, viel düsterer. Sie zog ihren Regenmantel aus, faltete ihn zusammen und legte ihn auf den Boden, genau an die Stelle, wo sie am Tag davor gesessen war. Sie setzte sich und wartete. Eigentlich wusste sie, dass es sinnlos war dort zu sitzen und darauf zu warten, dass sich das, was passiert war, wiederholte. Sie war sich sicher, dass ihr Angreifer an diesem Tag nicht mehr umher schlich. Doch es war still und Stille war genau das, was sie brauchte. Sie schloss ihre Augen und atmete die frische Luft ein und wieder aus. Aber nach einer Weile wurde ihr kalt. Ihr zarter Körper kühlte rasch ab. Doch sie wollte noch nicht gehen. Sie wollte nicht in den Alltag zurück. Allerdings wurde es immer windiger, also entschloss sie sich dazu aufzubrechen. Das bedeutete jedoch nicht, dass sie aufgegeben hatte. Sie konnte nämlich nur noch an den Fremden denken. Ihre Gedanken und ihre Neugier ließen sie nicht ruhen und sie wusste, dass sie nicht zur Ruhe kommen könnte, bis sie ihn gefunden hatte. Sie wollte den Mann finden und das um jeden Preis.

Martin wachte gegen zwölf Uhr mittags auf. Sein Hunger ließ ihn nicht mehr schlafen. Er stand auf und sah sich um. Viel mehr, als das was er am Vortag schon gesehen hatte, befand sich nicht in dem Häuschen. Lediglich ein paar staubige Töpfe kamen ihm neu vor. Generell war das Häuschen nichts als ein Haufen nutzloser Gegenstände und Müll. Wie er es bereits erwartet hatte, fand er in dem Häuschen auch nichts Essbares. Er dachte nicht lange nach, verließ seine Unterkunft und begab sich auf einen neuen Weg ohne Ziel.

Draußen war schlechtes Wetter. Sein dünnes, weißes Hemd konnte ihn nicht ausreichend vor der Kälte schützen und weil er den Wald nicht kannte, wusste er nicht, wo er sich gerade befand. Er entschied sich, zurück zum Bach zu gehen, wo er sich etwas besser orientieren konnte. Er war sich sicher, dass das Mädchen vom Vortag in der Nähe des Bachs wohnen musste. Er war sich sicher, dass er im Zuhause des Mädchens etwas zu essen finden würde, vielleicht sogar ein geheimes Versteck. Möglicherweise würde er dann auch ausfindig machen können, wo er sich befand und wohin er weiterziehen sollte.

Eine Stunde später war er am Bächlein, am Tatort, angekommen. Niemand hätte ahnen können, dass dieser unauffällige Platz am Bächlein ein Tatort war. Es gab keine verdächtigen Hinweise und keine Blutspuren. Er beschloss den Bach entlang zu gehen, doch gerade als er losmarschieren wollte, hörte er ein Geräusch. Jemand kam.

Er hätte nicht daran geglaubt, sein Opfer nach so kurzer Zeit wiederzusehen. Er versteckte sich hinter einem Busch und bewegte sich nicht. Er wartete und beobachtete, ob das Mädchen in Begleitung war, um jemandem den Tatort zu präsentieren, der ihn anschließend untersuchte oder ob es von Freunden oder ihren Eltern begleitet wurde, um ihnen den Ort des Geschehens zu zeigen. Tatsächlich war das Mädchen aber alleine. Es breitete seinen Regenmantel auf dem Boden neben dem Bach aus und setzte sich darauf. Es saß einfach da, genauso wie am Tag zuvor. Martin beobachtete es von hinten. Er bemühte sich sehr, kein Geräusch von sich zu geben. Er wollte nicht, dass das Mädchen ihn sah. Er wartete.

Er beobachtete das Mädchen wie es, in seine Gedanken vertieft, dasaß. Wie es seine Augen schloss und tief ein- und ausatmete. Es sah nicht ängstlich aus. Es strahlte eher Traurigkeit aus. Nach kurzer Zeit bemerkte Martin, dass dem Mädchen kalt geworden war. Es stand langsam auf, sah sich noch einmal um und ging los. Es ging sehr langsam, als wollten seine Füße den nassen Boden des Waldes nicht verlassen, als wollten seine Füße es nicht nach Hause bringen.

Martin zögerte nicht und folgte seinem Rehkitz leise und unbemerkt.

Nina zog ihre Kapuze ab und ihre Haare fielen auf ihren Rücken. Eine Strähne hing ihr ins Gesicht. Sie war nass von der feuchten Luft. Kleine Wassertröpfchen liefen über ihr Gesicht und ihren Hals entlang. Nina bekam Gänsehaut, aber trotz der Kälte konnte sie nicht schneller gehen. Ihre Sehnsucht lähmte ihren Körper.

Ihr Haus war nicht mehr weit entfernt. Ihr Zuhause, indem sie sich in ihrem warmen Zimmer, in ihrem warmen Bett in Tagträumen verlieren konnte. Ihr Zuhause, in dem sie sich sicher fühlte. Aber innerlich fühlte sie sich leer. Keine Emotionen, nur Leere in ihrer Seele. Mit einer Hand öffnete sie das hintere Gartentor, dann schlich sie langsam durch und schloss es anschließend wieder. Vor der Eingangstüre zog sie ihre Stiefel aus, und ging dann, ohne etwas zu sagen, in ihr Zimmer. Ihre Eltern blickten Nina besorgt hinterher. Sie glaubten, dass ihre Tochter mit ihrem ersten Liebeskummer zu kämpfen hatte.

-Ich werde später nach ihr sehen.-sagte Ninas Mutter zu Ninas Vater. Dann fuhren sie mit der Hausarbeit fort.

Nina Johns

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