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2. Am See
ОглавлениеDer Tag war genauso, wie Patte ihn bestellt hatte. Die Sonne leuchtete. Der Pfefferminzsee glänzte. Nina war da.
Alles, was ihn überforderte, war der Berg an Essbarem, den Ninas Mutter eingepackt hatte.
„Wir lange bleiben wir?“, fragte er, während Nina Orangenkuchen, Bananen, gekochte Eier, Äpfel, Wurstbrote, Blätterteigtaschen, Schokokekse und Getränkedosen auf einer Decke arrangierte.
Nina dachte nach. „Ungefähr … drei bis zehn Jahre?“
Flip starrte auf die Futterlandschaft. „Ist doch toll!“
„Schon klar.“ Nina sah zu, wie Flip gierig ein Wurstbrot grapschte. „Du siehst total verhungert aus.“
Flip quittierte die Bemerkung mit einem Grinsen.
Patte zog seine Schuhe aus, legte sich ins samtige Gras und atmete tief durch. Diese Pfingstferien waren die schönsten, die es jemals gegeben hatte.
Nach der Sache mit dem Holzmannhaus in den vergangenen Sommerferien hatte es nicht ausgesehen, als würde Nina jemals aus ihrem Schneckenhaus kriechen. Jeden Anruf, jeden Besuch hatte sie abgelehnt. Sie lebte allein in einer schalldichten Kapsel, in der nur ein altes Haus existierte und das, was sie dort erlebt hatte.
Patte war irgendwann zum Schluss gekommen, dass das Kniegefühl mit Nina für immer vorbei war.
Doch kurz vor den Pfingstferien war Nina vor Pattes Tür gestanden. Einfach so. Und dann hatten sie so viel unternommen wie noch nie. Am See chillen, Eis essen, Filme schauen, Musik hören, Blödsinn machen. Alles mit Nina.
Patte wusste nicht, welche Sonne Nina aufgetaut hatte. Er mochte sein Glück kaum glauben.
„Auch eins?“
Patte blinzelte. Nina hielt ein quadratisches Kuchenstück auf ihrer Hand. Orangen- und Honigduft stieg in Pattes Nase.
„Klar doch“, sagte Patte, obwohl er keinen Hunger hatte. Als er den Kuchen nahm, berührte er Ninas Hand. Da war es wieder, das Kribbeln auf der Haut und im Bauch.
Das Kribbeln machte Patte verlegen. Er schob das ganze Kuchenstück in den Mund, kaute, würgte, sprang auf und hustete wie ein Wilder.
Nina lachte. „Alles okay?“
„Ja, ja.“ Patte räusperte sich den Hals wund.
„Wie war’s denn so in Bamberg?“, krächzte er, als er wieder reden konnte.
„Totaaaaaaal schön!“ Nina glühte vor Begeisterung.
„Und was hast du gemacht?“, wollte Flip wissen.
„Meinen Vater besucht. Das weißt du doch.“
„Ja, schon klar.“ Flip biss in einen Keks. „Ich meine … was hast du so alles unternommen?“
„Ach so.“ Nina lachte ihr melodiöses Glucksen. „Wir waren im Hochseilgarten und beim Klettern und …“
„Echt? Cool!“ Patte war ein bisschen neidisch. Er hätte auch gerne einen Vater gehabt, mit dem er in der Gegend herumklettern konnte. Dumm, dass er nicht wusste, wer sein Vater war. Dümmer, dass seine Mutter es auch nicht wusste.
Flip hatte kugelrunde Augen. „Ist das gefährlich im Hochseilgarten?“
„Nö, gar nicht!“ Ninas Augen leuchteten. „Es macht irre Spaß! Wir müssen unbedingt mal zusammen hin!“
Die Idee gefiel Patte. „Bin dabei!“
Flip sah skeptisch drein. „Ich weiß nicht.“
„Du nicht. Schon klar“, sagte Patte spöttisch.
„Was habt Ihr noch vor in den Ferien?“, fragte Nina.
„Abhängen!“
„Okay“, lachte Nina. „Und sonst?“
„Lagerfeuer. Würstchen braten.“
„Klingt gut!“
„Zum Holzmannhaus fahren und mal nachschauen!“
„Oh.“ Ninas Lachen verschwand.
„Was willst du da nachschauen? Das ist doch schon abgerissen.“ Flip wusste es besser. Wieder einmal.
„Oh“, wiederholte Nina.
Patte schwieg betreten. Er wusste, dass es für Nina schönere Dinge gab, als an diese Sache erinnert zu werden. Er hätte sich ohrfeigen können, weil er wieder mal schneller gequatscht als gedacht hatte.
Das Schweigen wurde unterbrochen von Rascheln im Schilf, begleitet von Schritten. Wer konnte das sein? Patte reckte den Hals und erschrak. Es war Sophia, die mit glühenden Wangen durchs Gestrüpp stapfte.
„Philipp!“, rief sie.
Flip zuckte zusammen
„Deine Mutter hat mir gesagt, dass Ihr hier seid!“
Sophia kam näher. „Warum seid Ihr ohne mich abgehauen?“
Flip sah Patte vorwurfsvoll an. „Hab ich’s nicht gesagt?“
„Wer ist das denn?“, flüsterte Nina. Sie sah neugierig das Mädchen an, das in Glitzertop und hautengen Jeans am Ufer entlang balancierte.
Sophia hatte sie gehört. „Ich bin Sophia! Die Cousine von Flip! Aus Nürnberg!“
„Und seit Sonntag zu Besuch“, seufzte Flip. „Leider.“
„Zum Glück darf ich morgen heim!“ Sophia sah Nina geringschätzig an. „Und wer bist du?“
„Janina Holme. Die Freundin von Patte. Aus Reunach.“
Hitze schoss in Pattes Kopf. Sein Herz wummerte.
„Aha.“ Sophia zeigte auf die Decke. „Und was ist das?“
„Was zum Essen“, lachte Nina.
„Ihr esst auf dem Boden?“ Sophia rümpfte die Nase, inspizierte das Seebuffet aber sehr genau.
„Also … na ja.“ Sophia drehte sich um die eigene Achse.
„So schön ist es hier gar nicht!“
„Ich bin gerne hier.“
„Ich auch!“, rief Nina. „Oder, Patte?“
„Hm. Ähm …“ Patte konnte nichts sagen. Das Herzgewummer störte sein Sprachzentrum.
Freundin, hatte Nina gesagt.
Sophia stellte sich breitbeinig hin. „Nina! Weißt du schon, dass meine Schuhe gestohlen wurden?“
Flip schnaufte. „Geht das schon wieder los.“
Nina blinzelte in die Sonne. „Nein. Weiß ich nicht.“
„Ja! Echt schlimm! Super rosa Lederschuhe! Mit super Fransen!“
„Kotzwürg“, murmelte Flip.
Nina sah Sophia amüsiert an. „Aha. Echt?“
„Voll geile Teile! Und jetzt sind sie weg!“
„Einer ist weg“, verbesserte Flip.
Sophia sah ihn böse an. „Den hat jemand aus der Straße geklaut! Das weiß ich genau!“
Nina lachte laut. „Wer will denn freiwillig rosa Fransenschuhe haben?“
Sophias Gesicht wurde dunkelrot. „Ihr habt echt null Ahnung!“ Sie warf einen ungeduldigen Blick auf den See.
„Echt scheiße hier!“, schrie sie und stapfte davon.
„Was war das für ein Auftritt?“, lachte Nina, nachdem Sophia verschwunden war.
„Keine Ahnung.“ Patte wusste nur, dass sein perfekter Seetag hinüber war.
„Rosa Fransenschuhe!“ Nina schüttelte sich vor Lachen.
Auch wenn Patte Sophia hasste, freute er sich insgeheim. Ihr Auftritt hatte Nina vom Holzmannhaus abgelenkt.
Patte öffnete eine Limodose. Als er einen großen Schluck trinken wollte, hörte er von weitem Sophias Stimme.
„Philipp!“, schrie sie von irgendwo. „Komm schnell!“
Flip zuckte zusammen.
„Was ist jetzt los?“, fragte Nina.
„Nichts.“ Patte trank hastig die Limo leer. „Die schreit pausenlos.“
„Philiiiiiiiiiiiiiiiipp!“
Flip stand auf. „Ich weiß nicht …“
„Da ist nichts!“
„Aaaaaaaaaahhhhhhhhhhhhhhhhh!“
„Das klingt aber nicht nach Nichts.“ Nina blickte unsicher über den See.
„Finde ich auch!“ Flip zog seine Schuhe an. „Ich muss nachschauen.“
„Ich komme mit!“, rief Nina.
„Oh nee.“ Patte schlug beide Hände an die Stirn.
„Und wenn was passiert ist?“
„Da ist nichts!“
„Hilfeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeeee!“
„Bist du sicher?“, fragte Nina.
Patte seufzte. Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als mitzugehen und nachzusehen.