Читать книгу Greta Garbööchen und Oma Liesl - zwei mit Herz und Verstand! - Anne Heesen - Страница 8

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‚Sich regen bringt Segen ‘ oder ‚Ohne Fleiß - kein Preis‘

Es war ein kalter Wintertag; sicher würde es am Nachmittag anfangen zu schneien. Trotzdem schnappte sich Greta ihr Fahrrad und fuhr los, dick in eine warme Winterjacke verpackt. Durch eine bunte Wollmütze, die sie sich noch rasch über ihre kurzen, dunkelbraunen Haare gestülpt hatte, sowie durch einen langen Schal und gefütterte Fäustlinge an ihren Händen geschützt, konnte der scharfe Wind ihr wenig anhaben. Sie trat kräftig in die Pedale und schon bald wurde ihr warm.

Wenn die Erwachsenen nach der 9-jährigen Greta gefragt wurden, antworteten die meisten: „Sie ist ein freches und vorlautes Mädchen!“ Greta selbst vertrat in keiner Weise diese Ansicht. Im Gegenteil: Sie fand sich genau richtig!

Vor allen Dingen war sie weniger zickig und wehleidig als manch andere Mädchen in ihrem Alter. Sie grinste bei diesem Gedanken, während ihr der kalte Wind um die triefende Nase fegte.

Einige Zeit später erreichte Greta ihr Ziel, ein kleines Fachwerkhaus mit einem hübsch gestalteten Vorgarten. Sie öffnete das leicht quietschende Gartentor, stellte ihr Fahrrad ab, ging den geschwungenen Weg bis zum überdachten Eingang und klingelte ungeduldig an der Haustür ihrer Großmutter.

Es gab einen Menschen in Gretas Leben, den sie von ganzem Herzen liebte; und von dem sie glaubte, dass es die einzige Person auf der Welt sei, die sie vorbehaltlos akzeptierte: Ihre Oma Liesl!

Oma Liesl krittelte so gut wie nie an ihr herum, sagte nicht andauernd „tu dies – tu das“, nahm sich immer Zeit für sie und hörte bei jedem ihrer Probleme geduldig und mit großer Anteilnahme zu.

Ja – für Greta war ihre Oma Liesl ein ganz besonderer Mensch!

„Immer hereinspaziert, junges Fräulein! Ein leckerer, warmer Kakao zum Aufwärmen steht schon für dich bereit.“

Freundlich lächelnd öffnete eine betagte Dame die Haustür. Greta flitzte rasch an ihr vorbei, zog ihre dicken Schuhe und die verschwitzte Winterkleidung aus und umarmte dann stürmisch ihre Großmutter.

Oma Liesl war klein, allenfalls zwei Köpfe größer als Greta und ein wenig rundlich um die Hüften. Die weißen Haare auf ihrem Kopf waren zu einem kleinen Knoten, einem Dutt hochgebunden. Der wackelte bei jeder heftigen Bewegung von Oma Liesl, was Greta immer belustigte. Durch die runden Brillengläser auf ihrer Knollennase blitzten zwei kleine, wache und durchdringende Augen.

„Gut, dass du vor deinem Besuch angerufen hast“, bekräftigte Oma Liesl. „Ich wollte mich schon mit einer Freundin zu einem Spaziergang verabreden. Allerdings: Wenn ich das Wetter draußen sehe und dann dich anschaue, bin ich froh, dass du gekommen bist!“, lachte die Großmutter gutmütig und rollte mit ihren Augen.

Oma Liesl lachte gerne! Das bewiesen die vielen kleinen Lachfalten um ihre Augen und die tiefen Grübchen in ihrem runzligen Gesicht. Für ihr hohes Alter, nämlich gigantöse zehn Mal so alt wie ihre Enkelin, fühlte sie sich ausgesprochen rüstig und mobil.

„Gigantös“ war eines von Gretas Lieblingswörtern. Sie liebte den Buchstaben ö, weil er in ihrem Nachnamen zwei Mal vorkam. Darüber hinaus konnte sie jedes Wort mit ö nach Lust und Laune herrlich in die Länge ziehen. Und das kam bei Greta öfter vor!

Die Erwachsenen hingegen schüttelten verständnislos den Kopf über so viel Unsinn und meinten, das Wort „gigantös“ gäbe es nicht. Gab es aber wohl: Denn da Greta es erfunden hatte, existierte das Wort für sie auch – basta!

„Na, was gibt es Neues zu berichten?“

Oma Liesls Frage rüttelte Greta aus ihren Gedanken auf. Beide hatten es sich auf dem Wohnzimmersofa bequem gemacht, eingehüllt in eine herrlich weiche Decke. Vor dem Sofa stand ein kleiner Fußhocker, auf den die Großmutter gerne ihre Füße ablegte. Genussvoll löffelten sie den wunderbar duftenden warmen Kakao mit einem Krönchen Schlagsahne obendrauf.

Greta liebte diese gemeinsamen Augenblicke mit ihrer Oma Liesl. Sie kuschelte sich enger an den rundlichen Körper der alten Dame und überlegte, wie und wo sie am besten anfangen sollte. Es fiel Greta generell schwer, sofort eine passende Antwort auf eine Frage zu finden.

Für dieses Problem fehlte vielen Erwachsenen das Verständnis, grollte Greta. Entweder waren sie zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt oder nahmen sich keine Zeit, auf eine passende Antwort von ihr zu warten.

„Die Erwachsenen sagen immer, ich wäre faul!“, nörgelte Greta nach einiger Zeit. Mit ihrem Zeigefinger drehte sie sich eine dünne Wurst in ihre kurzen Haare. Das machte Greta immer, wenn sie unsicher war. Sie verzog das Gesicht und rümpfte ihre kleine Stupsnase, sodass die vielen Sommersprossen in ihrem Gesicht lustig auf und nieder tanzten.

„Ach ja? Wie kommen die Erwachsenen denn darauf? Wenn du faul wärst, hättest du dich bei diesem Wetter keinesfalls auf den Weg zu mir gemacht.“ Die alte Dame schüttelte verständnislos den Kopf. „Was meinst du denn selbst? Findest du dich faul?“

„Nööö!“ Greta dehnte das ö entrüstetet, gleichwohl mit einigem Vergnügen. „Die Erwachsenen sind selbst faul und machen es sich gerne bequem“, kritisierte sie mit einem scharfen Tonfall.

„Sie sprechen zwar davon, was sie alles tun und erledigen wollen; aber dann verschieben sie entweder ihre Angelegenheiten auf später oder lassen die Dinge einfach laufen, bis sie sich von selbst erledigt haben!“, ereiferte sich Greta und klopfte vehement auf das Kissen neben sich.

Es staubte ein bisschen und Oma Liesl musste leicht hüsteln.

„Tja, mein Kind, da muss ich dir zustimmen!“ Die Großmutter stellte ihren Becher auf den Tisch neben sich. „Der innere Schweinehund steckt leider in uns allen und meldet sich viel zu oft. Es bedarf einer starken inneren Überzeugung und eines überaus motivierenden Ziels, um diesen gemeinen und hinterlistigen Kerl erfolgreich zu überwinden!“

Von diesem Tier hatte Greta die Erwachsenen schon häufig reden gehört. War dieser Hund gefährlich? Und beherbergte sie ebenfalls diesen Schweinehund in sich?

Beide schwiegen eine Weile; jede schien in ihre eigene Gedankenwelt versunken zu sein. Nur die alte Standuhr im Wohnzimmer tickte leise im Sekundentakt vor sich hin.

Plötzlich richtete sich Oma Liesl kerzengerade auf, nahm ihre Brille von der Nase und sagte: „Weißt du, was mir gerade in den Sinn kommt? ‚Sich regen bringt Segen‘!“

Dann verstummte sie wieder.

Greta atmete heftig ein, hielt kurz die Luft an – und atmete kopfschüttelnd wieder aus. Gigantös, einfach gi-gan-töös, konstatierte sie.

Jedes Mal, wenn sie eine scheinbar unlösbare Frage oder ein kniffliges Problem quälte und sich damit an ihre Großmutter wandte, hielt Oma Liesl dazu passende Sätze bereit.

Die Großmutter nannte sie „Sprichwörter“ und „Lebensweisheiten“. Greta liebte diese Sprüche, denn anschließend erzählte Oma Liesl meist spannende und interessante Geschichten dazu.

Da sie alles Neue interessierte, so wollte sie natürlich auch jetzt wissen, was es mit diesem Spruch auf sich hatte.

„Was bedeutet der Satz ‚Sich regen bringt Segen‘?“ Greta richtete ihren Blick erwartungsvoll auf die Großmutter. Anstatt jedoch sofort zu antworten, schaute Oma Liesl ihre Enkelin nachdenklich an.

„Hm…du magst gerne Kuchen, stimmt´s?“

„Ja klar!“, antwortete Greta irritiert. Was sollte diese Frage? Hatte sie nicht zuerst gefragt? Oder hörte ihre Großmutter neuerdings schlecht?

Schon wollte sie aufbrausen, da legte die alte Dame besänftigend ihre Hand auf Gretas Arm. „Warte ab und pass´ auf. Du erhältst von mir zwei Antworten auf deine Frage!“ Oma Liesl schmunzelte vergnügt. Sie hatte einen Plan.

„Schließe einmal deine Augen! – Hör´ auf zu schummeln! – Erstens: Wie hast du dich gefühlt, als du mit deinem Fahrrad vor meinem Haus ankamst?“

„Ausgezeichnet!“, erwiderte Greta fröhlich. „Gut durchgepustet und sogar viel besser gelaunt als vorher.“

Greta wurde immer neugieriger und es fiel ihr schwer, die Augen geschlossen zu halten. Was hatte Oma Liesl vor?

Die alte Dame klatschte in die Hände. „Sehr gut!“, sagte sie, „das ist meine erste Antwort. Du hast dich geregt und in Bewegung gesetzt, um mich zu besuchen. Am Ende war es ein Segen für dich, in bester Laune einen leckeren warmen Kakao getrunken zu haben. Stimmt´s?“

Greta nickte und Oma Liesl fuhr fort. „Halte deine Augen weiterhin geschlossen und stelle dir nun deinen Lieblingskuchen vor.“

Na, das war einfach für Greta. Sie liebte fast jeden Kuchen, am meisten aber Marmorkuchen. Und der von Oma Liesl war einfach köstlich, keiner backte ihn besser!

„Möchtest du denn jetzt gerne ein Stück Marmorkuchen essen?“, fragte die Großmutter. Ihre Augen blitzten und um ihre Mundwinkel zuckte es.

„Au ja, wundervoll! Du hast einen Marmorkuchen gebacken, liebste Oma?“ Greta riss die Augen auf und strahlte. Bei dem Gedanken an ein großes Stück mit viel Schokolade obendrauf lief Greta schon das Wasser im Mund zusammen.

„Nein, ich habe keinen Marmorkuchen gebacken“, erwiderte die Oma achselzuckend. „Mein liebes Kind, ich muss dich leider enttäuschen!“ Mit diesen Worten lehnte sie sich entspannt zurück.

Wie bitte? Was hatte sie da gehört? Greta schaute ihre Großmutter erst überrascht, dann verärgert an; außerdem war sie zutiefst enttäuscht. Da lockte Oma Liesl sie mit einer herrlichen Versprechung – und dann kam diese gänzlich unerwartete Antwort!

„Das ist gemein!“, brach es aus Greta heraus. „Ich habe mich schon so auf ein leckeres Stück Kuchen von dir gefreut.“

Kleine Krokodilstränen traten ihr in die Augen und die Unterlippe schob sich verdächtig weit nach vorne; fast immer ein sichtbares Zeichen dafür, dass Greta schmollte.

Oma Liesl ließ sich von dem Gefühlsausbruch ihrer Enkelin wenig beeindrucken. „Bleib´ gelassen, mein Kind“, erwiderte sie ruhig und drehte sich mit einem bedeutungsvollen Blick zu Greta hin. „Das ist meine zweite Antwort auf deine Frage!“

Bevor Greta erneut aufbrausen konnte, sprach ihre Großmutter schnell weiter.

„Schau, mein Liebes: Der Wortgebrauch ‚sich regen‘ ist schon älter und bedeutet: Wenn man etwas bekommen oder selbst gesteckte Ziele erreichen möchte, muss man dafür aktiv werden und sich bewegen, also regen. Und auch wenn uns das oft lieber wäre: In den meisten Fällen wird niemand anderes mir die Arbeit für mein Vorhaben abnehmen! – Verstehst du das?“, hakte die Großmutter nach.

Greta nickte wiederum. Sie hatte sich jetzt wieder besonnen und hörte aufmerksam zu.

„Fein!“ Oma Liesl strich sich eine unsichtbare Fluse von ihrem Kleid und fuhr dann fort.

„Mit den Worten ‚bringt Segen‘ ist folglich das Ergebnis gemeint, welches ich durch meine eigenen Bemühungen erreiche. Bestes Beispiel dafür ist der Sport. Geht es ums Gewinnen, heißt es doch auch: ‚Ohne Fleiß – kein Preis‘!“

Oma Liesl atmete tief durch. Sie musste nach den vielen Worten erst einmal verschnaufen.

Greta dachte unwillkürlich an ihre Schule und überlegte. Im Grunde genommen ging sie gerne dorthin, um neue und interessante Dinge zu lernen. Und obwohl sie viel forderten, waren ihre Lehrer im Großen und Ganzen ebenfalls in Ordnung.

Klar, die Pausen waren für sie immer eine willkommene Unterbrechung des Unterrichts. Auf dem Schulhof spielen und herumtoben zu können, fühlte sich auf jeden Fall wesentlich besser an als das lange Stillsitzen im Klassenraum.

Das Unangenehme an der Schule, fand Greta, waren einzig und allein die überaus lästigen Hausaufgaben! Wie viel Zeit dafür jeden Tag drauf ging; und was könnte man stattdessen nicht alles in seiner Freizeit an lustigen und spannenden Abenteuern erleben.

Aber jetzt, so hatte sie aus den Worten von Oma Liesl herausgehört, kam der springende Punkt: ‚Ohne Fleiß – kein Preis‘!

Das bedeutete ja dann – und bei dieser Schlussfolgerung bogen sich Gretas Mundwinkel ein wenig weiter nach unten –, dass sie sich zwecks guter Schulnoten fleißiger um ihre Hausaufgaben kümmern sollte!

Tiefe Sorgenfalten bildeten sich auf Gretas Stirn und sie seufzte genervt.

„Nun, meine Liebe?“ Oma Liesls gut gelaunte Stimme verscheuchte Gretas düstere Gedanken. „Was schließen wir aus den vielen klugen Worten? – Richtig! Erstens stehen wir jetzt geschwind auf und bringen unsere Arme und Beine in Bewegung. Das macht uns frisch und munter; gleichzeitig kommen wir auf andere Gedanken.“

Flugs schlug Oma Liesl die Decke beiseite, nahm ihren Fuß vom Hocker, drückte sich von der Couch hoch und schaute die überraschte Greta amüsiert an.

„Na los, worauf wartest du? Zack, zack!“ Mit einer energischen Handbewegung zeigte die Großmutter in Richtung Küche.

„Und zweitens: Wir backen jetzt sofort selbst unseren Preis – einen leckeren Marmorkuchen! Ich sehe hier nämlich niemanden, der uns diese Arbeit abnimmt.“

Greta grinste und sprang erleichtert auf. Oma Liesl hatte vollkommen recht und die ganze Angelegenheit auf den Punkt gebracht. Arm in Arm, lachend und voller Vorfreude auf einen schmackhaften Kuchen machten sich die beiden an die Arbeit.

Für so einen Preis, dachte Greta, war sie gerne fleißig!

Greta Garbööchen und Oma Liesl - zwei mit Herz und Verstand!

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