Читать книгу Mein Gotland - Anne von Canal - Страница 10

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2 Es ist ein kontrastloser Tag. Versupptes Dunkelweiß.

Die Straßen sind mit einer unsichtbaren Eisschicht glasiert. Autos tasten sich über Kreuzungen und Kreisverkehre, und zwischen einem ausführlichen Bericht über das Verstricken von gotländischer Lammwolle (Schafe heißen hier Lämmer, und Lämmer heißen Lammkinder, und wer das nicht weiß, ist ein Bockskopf) ruft das Radio die fröhliche Empfehlung zu mir herein: Fahren Sie vorsichtig, dann kommen Sie sicher an!

Einmal durch den Kreisel gekommen, halte ich das Lenkrad fest auf Kurs. Der Toftavägen erspart mir ansonsten Kurven, geht stur geradeaus. Nicht weit, knapp drei Kilometer in südlicher Richtung aus Visby heraus, ist da schon die Visborgsslätt, ein großes Feld, und mitten drauf der Oscarssten, ein mächtiger grauer Stein von vier Kanonen bewacht. Dieses patriotische Monument der gotländischen Heimatwehr mutet in seiner Großspurigkeit seltsam amerikanisch an, hier mitten im Nirgendwo.

Ich biege im Schneckentempo links ab, die Reifen verlieren dennoch die Haftung. Das Feld kommt näher, und näher. Rumpelnd rutsche ich mit dem Heck vom Asphalt, bleibe stehen. Schaue.

Gleich hinter dem Feld beginnt der Wald.

An dessen Rand, am Ende der Allee, stand früher das Haus.

Dieses Haus.

Mit herrschaftlicher Auffahrt, einer Fahne auf dem Dach und Spitzengardinen in den Fenstern glänzte es so vortrefflich, als der Lagerverwalter des gotländischen Panzerregiments in den Zwanzigerjahren hier Hof hielt: Kinder in Matrosenanzug und Frauen mit Sonnenschirmen auf dem gepflegten Rasen, die feinen Herren auf der Veranda und das Truppenübungsgelände von P18 gleich nebenan.

Ab und zu vibriert der Waldboden. Es ist ein tiefes Grollen, das die Tassen leise zittern lässt, sodass sich im Kaffee feine Wellen kräuseln, und die Bäume schütteln kaum merklich ihre Zweige, gerade so viel, dass das Laub raschelt, als führe ein kleiner Wind hindurch, als erwachte die Erde. Dann dumpfer Kanonendonner. Ach, sie üben wieder Schießen, seufzt jemand, dann fährt man fort, die Sonne zu genießen und die gepflegte Konversation.

Viele Jahre war es ein gutes Haus, mit Ansehen und Bedeutung, doch beides starb mit dem letzten Verwalter, und bald dienten die Räume nunmehr zur Lagerung von Sachen, die niemand mehr brauchte. Das Haus selbst hätte man dort drinnen gelagert, wenn es nur ginge.

Langsam wurde es morsch.

Die Dachrinnen müde, die Fensterläden schief. Ein weißer Flieder wuchs ihm über den Kopf, streckte die Arme und Dolden zu den Fenstern herein wie ein Dieb, der heimlich Geschenke brachte – doch niemand freute sich daran.

1968 sollte es weg.

Für den Herbst waren die Bagger bestellt. Doch statt der Bagger kamen Anstreicher und Zimmerleute. Es kamen Lkws mit Filmequipment und Filmmenschen. Wie ein Bienenschwarm summten sie heran und herum und verwandelten das müde Gebäude in eine kunterbunte, anarchische Insel der Glückseligkeit. Es kamen ein Äffchen und ein Pferd, und im Garten wuchs ein Limonadenbaum. Und es kamen Kinder. Viele Kinder.

Die Allee ist noch da, unverkennbar. Die kahlen Winterbäume stehen in Reih und Glied, am Ende der Fahrspur ein schweres Tor, ein hoher Zaun, gut gesichert.

Ich suche einen Hinweis auf das Grundstück, auf dem die Villa stand. Reste eines Fundaments vielleicht? Oder möglicherweise ist der große Flieder noch da? Ein Stück Gartenzaun?

Irgendetwas muss doch zu finden sein von meinem einstigen Gedankenspielplatz, der Geburtsstätte meiner Vorstellung von Unbeschwertheit und Abenteuer.

Unschlüssig gehe ich hin und her, weiß nicht, wo ich suchen soll. Ein paar Schritte in ein irgendwie symmetrisch aussehendes Gebüsch, ich breche durchs Unterholz, finde jedoch nichts.

Eine Frau, die ihren Hund ausführt, geht vorbei, sieht skeptisch herüber, ich nicke und grüße freundlich. Als sie sich ein wenig später noch einmal umdreht, als hielte sie mich für eine Mörderin, die hier ihre Leichen vergräbt, winke ich ihr zu.

Wer will für ein paar Kronen und einen Haufen Süßigkeiten als Lohn lärmend durch die Straßen rennen? Sich bei einem Gartenfest mit Kuchen den Bauch vollschlagen und mit Torten werfen? Auf Bäume klettern und Geschenke abpflücken und auf tönernen Vogelpfeifen traurige Lieder spielen? In der Wiese liegen und heimlich wilde Erdbeeren auf einen Grashalm fädeln?

Als Regisseur Olle Hellbom und das Filmteam nach Visby kamen und kleine Statisten suchten, mussten die Kinder nicht lange überlegen, was sie in ihren Ferien anfangen wollten. Dabei sein war alles, sagt bis heute jeder, der dabei war.

Was hätte ich darum gegeben, ein Mal auf diesem Pferd zu reiten, in dem rauchenden Backofen Pfefferkuchen zu backen, über Tische und Bänke zu toben, an der Lampe zu schaukeln.

Eines dieser Kinder sein!

Nicht Pippi. Nein, niemals Pippi. Wer war schon so frech, stark und mutig? Vorlaut, das bekam ich noch hin, aber derart furchtlos? Nein, das war ich nie.

Natürlich beneidete ich die Piratentochter um ihre scheinbar endlosen Ressourcen von Süßigkeiten und Gold und ihre Souveränität, doch um deren Kehrseite beneidete ich sie nicht. In all der lauten Schrägheit nahm ich auch schon als Kind deutlich eine flächige, blasse Leerstelle wahr – eine unleugbare tiefe Verlassenheit, die große Ähnlichkeit hatte mit dem namenlosen Gefühl, das mich manchmal nachts unversehens überfiel und knebelte –, und das machte mir Angst. Im Licht der auf- und untergehenden Sonne war und blieb Pippi, das wusste ich, eine Insel. Frei, aber allein.

In mir wohnte vielmehr eine Bedenken tragende Annika, mit Socken in den Sandalen und farblich zur Hose passenden T-Shirts, die das verrückte Dasein, das Pippi kreierte, gerne teilte, aber abends lieber wieder ins sichere Zuhause ging und sich die Ohren wusch.

Die meisten anderen wollten Pippi sein. Behaupteten sie.

Traumtänzer, Hochstapler, Angeber! Niemand kann Pippi sein!

Niemand außer der kleinen Inger Nilsson, die als Neunjährige ganz freimütig und unbedarft einer Kunstfigur ihr Gesicht lieh und es niemals mehr zurückbekam. Ihr Lächeln, ihre Grübchen gehören einer anderen, seit über fünfzig Jahren schon. Ein Leben hinter einem entfremdeten Gesicht, wie muss das sein?

Ich bin es! Inger! Ich bin Inger, Inger, Inger Nilsson!, ruft sie allmorgendlich in den vom Duschen beschlagenen Spiegel, doch sobald sich der Nebel lichtet und das Spiegelbild langsam auftaucht, verhöhnt es sie, und die Welt straft sie Lügen, kaum dass sie das Haus verlässt, und erwidert erbarmungslos: Ich kenne keine Inger. Du bist Pippi. Wer sonst sollte denn Pippi sein? Du trägst doch ihr Gesicht!

Und Inger senkt den Kopf und wünscht sich ein neues Antlitz, eine neue Chance.

Doch von dieser späteren Verzweiflung wusste sie damals nichts, als sie das Casting gewann. Obwohl sie eher ängstlich und schüchtern war, ließ sie sich wieder und wieder von der aggressiven Meerkatze bepinkeln und kratzen; sie lernte reiten, zungenbrechende Worte und komplizierte Sätze und schwamm eine Weile zu Recht ganz oben auf der schäumenden Woge der Begeisterung und des Erfolgs, des noch unbekannten, lockenden Ruhms, der öffentlichen Liebe, die ihr – also Pippi – entgegengebracht wurde.

Ein Sommermärchen.

Kaum war die letzte Klappe gefallen, verließ das Filmteam die Insel ebenso plötzlich, wie es sie eingenommen hatte; das Rampenlicht, das ganz Visby – seine brave Stadtmauer, seine Gassen, seine Häuser, seine Menschen – kurios in Szene gesetzt hatte, erlosch, und alles war wieder nur Stein und Alltag.

Und das Haus an der Visborgsslätt? P18?

Grell geschminkt und äußerlich herausgeputzt, stand es am Waldrand und wusste nicht, wohin mit sich.

Die Frau mit dem Hund winkt mir nicht zurück, sie geht einfach weiter durch froststarren Laubwald, der vorgibt, sich an nichts mehr zu erinnern.

Hat sie denn noch nie nach Spuren ihrer Kindheit gesucht? Hat sie noch nie gedacht, sie könnte etwas aufspüren, das ihr einmal sehr wichtig war? Hat sie noch nie gehofft, im Nachhinein etwas von sich zu begreifen und sich selbst dadurch ein bisschen näherzukommen? Etwas, das ganz am Anfang in ihrem dicken Gedächtnisbuch steht – diese ersten Seiten, die, auch wenn sie nicht mehr so gut lesbar sind, entscheidend waren für die Richtung ihrer Geschichte.

Ich winke noch ein bisschen weiter. Nicht mehr ihr, sondern der Zeit, dem Haus. Wie die Kinder damals.

Sie winkten, oder sie standen einfach da; an der Hand ihrer Eltern, mit offenen Mündern, schauten zu, wie die Villa Villekulla sich langsam von der Erde hob; dieses kunterbunte Haus, in dem sie eben noch so viel Spaß hatten, es knackste und quietschte und krachte im Gebälk, als wollte es aufgeben und auseinanderbrechen, zu alt für Abenteuer. Zu müde. Doch es hielt, es schwebte, dreißig Zentimeter über dem Boden vielleicht. Wer bitte hatte so etwas je gesehen? Ein schwebendes Haus?

Applaus brandete auf, Hurra! Hurra!, als es sich in Bewegung setzte.

Es begann zu schneien, leise und tanzend, während das Unfassbare passierte: Das Haus zog um.

Im Schildkrötentempo verließ es seinen Grund, den Ort, an dem es jahrzehntelang gestanden hatte; die Leitungen wie Wurzeln gekappt, nichts hielt es mehr hier.

Der kluge Geschäftsmann Kronefalk hatte es nach Ende der Dreharbeiten gekauft und vor dem Abriss bewahrt; er hatte andere, größere Pläne.

Die Lkws und Raupen keuchten unter der Last, die sie schleppten, und alle Zuschauer liefen mit, begleiteten dieses seltsame Ungetüm; zwei Kilometer, drei Kilometer, dann war das Ziel, dann war die Zukunft, dann war der Vergnügungspark Kneippbyn erreicht, wo die Villa Villekulla von nun an zum Erlebnis für jedermann werden sollte. Alle, Groß und Klein, trallallalla, lad ich zu mir ein.

Ein Riesenkrake erhebt sich aus einem hochpeitschenden Meer, um Schiffe und Menschen zu verschlingen, gleich nebenan reißt eine Schlange ihr Maul so weit auf, dass ganze Achterbahnzüge in ihrem Schlund verschwinden könnten – doch nichts dergleichen passiert. Im Novemberlicht, wenn keine bunten Lampen blinken, keine Musik aus den Lautsprechern gellt und niemand da ist, der sich fressen lassen oder gruseln könnte, niemand außer mir und ein paar Bauarbeitern, dann bleiben die wildesten Tiere zahnlose Sperrholztiger.

Das Sommerland ist eingewintert.

Ich gehe durch die Stille der ruhenden Fahrgeschäfte und geschlossenen Attraktionen, und obwohl ich gerade das Morbide und Brüchige so mag, beschleicht mich ein trauriges Wurstelprater- und Reeperbahngefühl: Wie wenig Vergnügen den Dingen selbst anhaftet, wenn kein amüsierwilliger Gast da ist.

Ich bin zu früh.

Hüpfend bewege ich mich vor der Rezeption auf und ab, während ich auf Bobbo warte, den König über diese Insel der Kurzweil. Hüpfend überlege ich mir Antworten auf die üblichen Fragen nach meiner Arbeit, eine überzeugende Begründung für mein Ansinnen, mitten im Winter Pippis Haus besichtigen zu müssen. Hüpfend bemerke ich, halb verdeckt von einem hohen Zaun und einem Hamburgerrestaurant im Diner-Stil, die unverkennbare Dachformation von P18. Zweifel macht sich breit.

Bobbo fährt mit dem Auto vor, reicht mir aus dem Fenster eine warme Hand.

Mein Herz klopft bang, als er kurz darauf mit einem mächtigen Schlüsselbund das Tor öffnet. Er fragt mich nichts. Wahrscheinlich weiß er auch so, was ich hier suche.

Sommer. Wochen wie ein einziger endloser Tag, sirrend von dicken schwarzen Brummern und jener süßen Langeweile, die nichts anderes ist als die missverstandene Freiheit, nichts zu tun, unterbrochen allein vom täglichen Betteln ums Kinderferienprogramm, dem ein, höchstens zwei Mal in der Woche – mehr ist ungesund – gnädig nachgegeben wird: Ausnahmsweise. Aber nur ein Film, dann ist Schluss!

Ich knie auf dem beigefarbenen Teppichboden in unserem Wohnzimmer vor dem Fernsehapparat.

Magische Bilderwelt. Alles ist so echt, so nah, so wahrhaftig.

Die Mattscheibe ist noch schwarz (einen schemenhaften Moment lang sehe ich darin mein Spiegelbild von damals, offene Augen, weite Pupillen, und hinter mir das dunkelgrüne Cordsofa und dahinter den Durchgang ins Esszimmer und darin den Hund), da ertönt ein durchdringender, unverkennbarer Drehleierton. Vier Mal der gleiche, dann setzen gut gelaunte Streicher ein und kurz darauf die hohe Singstimme der kleinen Eva Mattes.

Zwei mal drei macht vier, widdewiddewidd, und drei macht neune.

Ich kann noch nicht rechnen, gehe ja noch nicht zur Schule, erst nach dem Sommer, aber ich will, ja, ich widdewiddewill es dringend lernen!

Ein rotzopfiges Mädchen, das ohne Sattel auf einem ziemlich großen Pferd an einer Stadtmauer entlangreitet, kommt ins Bild. Close-up auf ihr Gesicht. Sie blinzelt neugierig in die Sonne, während dicht neben ihrer Wange der Kopf einer kleinen Meerkatze auftaucht. Klappklapp, klappklapp, machen die Pferdehufe auf dem Kopfsteinpflaster, und alle auf den Straßen sehen ihr nach. Ich auch. Ich bin schon mittendrin.

Meine Knie brennen, so aufgeregt rutsche ich auf dem Teppich hin und her.

Geh nicht so dicht ran, mahnt meine Mutter im Vorbeigehen, und dann bleibt sie hinter mir stehen und schaut still eine Weile selbstvergessen mit.

Doch ich kann gar nicht dicht genug dran sitzen, will am liebsten hineinkriechen in die Flimmerkiste und mit all den Kindern spielen, die dort drinnen wohnen. Will ihnen zu Hilfe eilen und sie warnen, wenn Gefahr aus einem Hinterhalt droht, wenn ich Dinge sehe, die ihnen entgehen – warum hört mich auch niemand, wenn ich doch: Achtung, hinter dir!, rufe?

Wie ich das Fernsehen liebte.

Es brachte meine ausgeprägte Sucht nach Geschichten auf eine neue Ebene. Neben dem täglich Vorgelesenen und dem abendlich Erzählten, dessen Protagonisten ohnehin den Großteil meiner Gedankenwelt bevölkerten, setzten sich die bewegten Bilder, Stimmen und Erkennungsmelodien zu unwiderstehlichen Lebenswelten zusammen, die ich nicht immer von meiner eigenen unterscheiden konnte. Und wollte.

Ich baute in meinem Kopf Paläste, Burgen und Häuser der Erinnerung für sämtliche Fernsehhelden meiner Generation. Pippi, Michel, die rote Zora, Silas, Timm Thaler, Luzie und Pan Tau. Sichere Räume, in denen sich nichts veränderte, wo die Parameter, die Bedingungen und das Wetter verlässlich dieselben blieben. Genau wie ich und die Kinder auf dem Zelluloid.

Komm rein, sagt Bobbo und tritt vor mir durch die Tür im Zaun.

Da ist das Haus. Bekannt und fremd.

Blickt mir ruhig aus seinem eingezäunten Gehege entgegen, wie ein altes Tier im Zoo. Umringt von Zuschauertribüne, Restaurant und Piratenschiff steht es da und ist ganz das Gegenteil von anarchischer Freiheit.

Ich hätte es lieber drüben im Wald gefunden. Wild.

Bobbo schließt die Haustür auf.

Voilà, sagt er, und sein Tonfall meint nicht die Villa Villekulla, sondern alles andere. Voilà deine Erinnerung, voilà deine Illusionen, voilà der lang verlorene Teil von dir, voilà dein alter Traum. Voilà, da guckst du.

Das Kind macht große Augen, als es den Fuß über die Schwelle setzt. Ist bereit zu staunen, zu glauben.

Es ist alles da, wo es hingehört.

Auf der Hutablage liegt der große alte Taucherhelm, im bekannten Bett – die Füße auf dem Kissen, die Decke über den Kopf gezogen – Pippi. Im Halbdunkel gehe ich langsam durch die Räume. Esszimmerstühle, Schrank und Sofa, Lampe. Ich erkenne die Dinge genau wieder, lasse die Fingerspitzen vorsichtig über die Wände streichen, gebe dem Schaukelstuhl einen leichten Schubs und bemerke vor lauter Bestätigung den Durchzug in meinem Kopf nicht.

Eine Tür geht auf und eine andere fällt zu. Es ist alles zum ersten Mal da und gleichzeitig für immer weg.

Nicht eine Sekunde der Pippi-Langstrumpf-Filme wurde im Haus gedreht. Sämtliche Innenszenen sind Studioaufnahmen aus Stockholm.

Hier haben Inger, Maria und Pär nie getanzt, geklettert, gebacken.

Die Möbel und Gegenstände, die die Zimmer im Erdgeschoss bevölkern, sogar ein paar Originalutensilien vom Studioset, wurden nachträglich zusammengetragen und hier arrangiert. Mit unendlicher Mühe und Liebe zum Detail hat man versucht, etwas wiederherzustellen, was es nie wirklich gab. Die Kulisse einer Kulisse, die Illusion einer Illusion. So authentisch wie unmöglich.

Das Licht geht an. Deckenlampen, indirekte Beleuchtung, Strahler erhellen auf einen Schlag den Raum. Eine Tür knarrt laut. Schritte. Ich schaue mich um, aber Bobbo ist nicht mehr da. Dann Annikas flüsternde Stimme: Ush, vad hemskt. Uh, wie unheimlich, sollen wir da wirklich reingehen?, bevor in voller Lautstärke die bekannte Titelmelodie über mich hereinbricht. Aus allen Ecken singt es ungebremst fröhlich: Här kommer Pippi Långstrump!

Die Show läuft, Bobbo, der Zauberer, hat das Haus geweckt. Nur für mich. Der Atem steht mir wolkig vor dem Mund – vor Verwunderung, oder welches Gefühl es auch sein mag, das sich einen Weg bahnt. Ich staune wirklich, aber das Kind mit den großen runden Augen ist fort. Vielleicht hat es sich im Wald versteckt, an der Visborgsslätt und läuft völlig außer Puste die Allee entlang.

Ich bin jetzt Besucherin, nicht mehr Sucherin.

Stolz wie ein Vater zeigt Bobbo mir die Attraktion mit ihren Finessen, führt mich von Raum zu Raum und erklärt, wie hier im Sommer das Leben über Tisch und Bänke tobt. Ich nicke und nicke und weiß nicht, was ich sagen soll.

Unser Rundgang endet in einem Hinterzimmer, in dem die Theatergarderobe untergebracht ist. Wie ein Eingeständnis von Realität sitzen vor einem großen Spiegel drei leicht verrupfte Pippi-Perücken auf weißen, augenlosen Styroporköpfen. Der Anblick erleichtert mich.

Später bleiben wir noch einen Moment draußen stehen, betrachten das Haus, als wäre es eine Immobilie, die er mir gerade zum Verkauf angeboten hat.

Er sagt: So sieht es also aus.

Ich zögere.

Die Farben, sage ich. Dieses Gelb und Rosa, und das türkisfarbene Dach. War das schon immer so? Ich kann mich überhaupt nicht erinnern, dass das Haus solche grellen Farben hatte.

Er schaut mich an, lächelt und sagt: Tja, du hast wahrscheinlich Schwarz-Weiß geschaut.

Dass ich darauf nicht gekommen bin!

Ich schlage mir die Hand vor die Stirn.

Und behalte für mich, dass mein Schwarz-Weiß immer ziemlich bunt war.

Mein Gotland

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