Читать книгу Urlaub - jetzt komm ich! - Anne Wunderlich - Страница 8
1. Tag – Flugzeug
ОглавлениеNachdem sich das Flugzeug auf seiner Route und der benötigten Flughöhe befand, kamen die Flugbegleiterinnen bereits kurze Zeit später mit dem Getränkewagen durch. Eine von vorne, Eine von hinten, so dass sie sich in der Mitte trafen. Doch so einfach, wie sich das die Stewardessen vorstellten, gestaltete es sich nicht. Nicht auf diesem Flug. Der etwas füllige Mann in meiner Sitzreihe, am Gang platziert, stellte für die beiden eine Herausforderung dar. Auf den schon eng bemessenen Raum quetschen sich die Bedienungen mit ihren Wagen durch und nun kam ihre Getränkeausgabe zum Stocken. Der adipöse Mann, ich nenne ihn der Einfachheit halber Hans, bemerkte die Misere und lehnte sich zu dem jüngeren Mann neben mir. Dieser wiederum, ich gebe ihm den Namen Robert, folgte Hans und lehnte sich aus Platzgründen zu mir. Und was war mit mir? Ich wurde an mein Fenster gepresst und war froh, dass sich dieses nicht öffnen ließ. Dennoch fühlte ich mich wie eine Ölsardine. Wäre die Innenwand des Flugzeuges aus leichtem, biegsamem Material gewesen, hätte ich mich mit meiner Silhouette für immer darin verewigt. Kuschelalarm! Zum Glück trug Robert ausreichend Parfüm, anstatt eines penetranten Schweißgeruchs. Nicht auszudenken, wie es ihm ginge mit Hans an seiner Seite beziehungsweise auf seiner Seite.
Das war jedoch die einzige Variante, den Stau an unserer Sitzreihe zu vermeiden und falsche Aufmerksamkeit auf uns zu lenken.
Gleiches Szenario, nur einige Minuten später und diesmal fiel die Beköstigung in fester Form aus. Die Ausgabe des leckeren Essens nahte. Richtig gelesen, zu diesem Zeitpunkt gab es auf Flugstrecken noch etwas zu Essen, welches im Flugpreis inbegriffen war und lecker ist schließlich eine Frage des Geschmacks. Wenn man Hunger hat und es nichts anderes gibt, wird auf einmal ein trockenes, geschmackloses Brötchen zur Delikatesse.
Das Platzproblem wollten die Stewardessen beim Einsammeln der leeren Tabletts sowie der Getränkebecher umgehen und ließen uns einfach außen vor. Die Eine kehrte vor unserer Sitzreihe um, die Andere stoppte hinter uns. Wir drei wurden gekonnt ignoriert. Robert und ich sahen uns fragend und skeptisch an. Als ob die Dame in Uniform unsere Mimik deuten konnte, kam sie doch noch auf uns zu und sammelte die Tabletts ein. Wie eine Kellnerin im Restaurant trug sie diese vor zu dem Servierwagen. „Geht doch“, dachte ich. Das Problem war gelöst. Warum nicht gleich so. Ich gehe fest davon aus, dass für Hans die Konstellation bestimmt auch unangenehm war. Er konnte nichts für seine Körperfülle, er war krank und durch die Einnahme diverser Tabletten so korpulent. Er hatte sich sein Schicksal und somit sein Gewicht nicht ausgesucht. Ausreichender Vorurteilen sei Dank, erntete er genügend abwertende und fragende Blicke, die ihn förmlich anschrien: „Wie kannst du nur so viel essen, um so fett zu sein!?“
Ich bin der Meinung, im Grundsatz ist jeder Mensch gleich. Warum der eine so aussieht und der andere anders oder warum sich manche in diversen Situationen so verhalten, wie sie es eben tun, ist in erster Linie zu erfragen, bevor gewertet wird!
In unserer Singlesitzreihe kehrte einfach keine Ruhe ein. In dem Moment, in dem andere Passagiere sich die Kopfhörer aufsetzten, um Musik zu hören oder sich ein Buch zur Hand nahmen, um zu Lesen, wurde es Robert plötzlich schlecht. Er wurde ganz blass im Gesicht, hielt eine Hand auf seinen Bauch und mit der Anderen den Mund. Ich blickte nervös zu ihm rüber. „Soll ich Ihnen die Kotztüte reichen?“, bot ich ihm meine Hilfe an. Mir ist bewusst, dass dies nicht die beste Ausdrucksweise war. Ich hätte auch zu Robert sagen können: „Soll ich Ihnen die braune Papiertüte aus der Sitztasche des Vordermanns reichen, falls sich Ihr Gemüts- und Gesundheitszustand verändert und Sie ein Gefühl der Übelkeit überkommt, welchem Sie nachgehen müssen?“. Diese Variante dauerte eindeutig zu lange. Bis ich die Frage beendet hätte, hätte Robert vermutlich schon auf seinen Schoss gebrochen.
Er nickte. Ich handelte zügig. Somit zog ich aus der Tasche des Sitzes meines Vordermannes die braune Papiertüte und reichte sie meinem Nebenan. Zügig presste er sie auf seinen Mund und Nase und atmete in sie tief ein und wieder aus. Hans konnte die Situation logischerweise nicht übersehen, so nah, wie wir beieinandersaßen und erhob sich freundlicher Weise. Gut, es war mehr ein hochwuchten und herausquälen, aber immerhin. Nun war der Weg frei. Der junge Mann konnte von seinem Sitz aufstehen und schnurstracks zur Toilette eilen.
Wenn Hans einmal stand, nutzte ich ebenfalls die Gelegenheit und erhob mich. Somit ersparten wir uns einmal mehr das Hochjagen des Schwergewichts.
Vor Abflug kam meinem Toilettengang das Boarding in die Quere und mittlerweile drückte mein Hosenbund gewaltig auf meine nunmehr noch vollere Blase. Wenn ich es mir recht überlege, wählte ich keinen guten Zeitpunkt zum Austreten. Ich konnte nur erahnen, was Robert gerade in der Toilette machen würde und welche Gerüche seine Übelkeit mit sich brachten. Und als nächstes sollte ich nun den kleinen Raum ohne Fenster und ohne Raumspray betreten? Keine gute Idee, aber meine Blase sagte mir etwas anderes. Ich kam nicht drum herum. Bis der junge Mann die Tür öffnete, konnte ich mich seelisch und moralisch auf das Bevorstehende vorbereiten, was mich gleich erwarten würde. Warum hatte ich ihn nur vorgelassen? Ich hätte ja schon viel eher auf die Idee kommen können! Aber nein, da muss ich erst warten, bis es meinem Sitznachbar schlecht wird und dann ihm auch noch den Vortritt lassen! Augen zu und durch oder besser gesagt, tief Luft holen, eintreten und solange nicht mehr atmen, bis ich wieder auf dem Gang des Flugzeuges stand. Ja, das war eine gute Strategie. Nun musste ich nur noch geduldig warten, bis Robert die Örtlichkeiten verließ.
Von hier eröffnete sich eine ganz andere Perspektive des Flugzeuginnenraums und ich fühlte mich für einen kurzen Augenblick als Flugbegleiterin. Regelrecht wichtig, denn nicht nur ich erspähte alles und jeden, auch die Mitfliegenden nahmen mich ins Visier. Erwartungsvolle Aufmerksamkeit sprang mir entgegen. Was war nur mit ihnen los? Was habe ich getan, dass mich Einige so seltsam ansahen? Haben alle denn nichts Besseres zu tun? Kommt gerade nichts Interessantes im Fernsehen? Auch die Bordzeitung kann gelesen werden! Aber nein, anstatt unsere Flugroute auf dem Bildschirm zu verfolgen, verfolgten die Blicke der Passagiere mich. Verschämt schauten die Neugierigen zu Boden oder aus dem Fenster, als sich die entsprechenden Blicke trafen. Gut so, warum nicht gleich so!
Die Situation wurde von dem Klacken des Türschlosses der Bordtoilette unterbrochen. Der junge Mann kam kreidebleich heraus und schlich zurück zu seinem Sitzplatz. Nun war ich an der Reihe. Mittlerweile von Bauchkrämpfen geplagt, wünschte ich mir dennoch so sehr wie noch nie, nicht urinieren zu müssen. „Luft anhalten und durch“, sprach ich mir selbst zu und verrichtete schnellstmöglich mein Geschäft.
Dabei überlegte ich folgendes: Es ist immer wieder komisch, wenn man die vermeidliche Spülung eines Zugs oder Flugzeugs betätigt. Ein kalter Luftzug durchströmt den kleinen Raum. Kurz durchatmen. Seit Klein auf stellt sich für mich die Frage: „Wo geht das nun hin?“. Was machen diejenigen, die „es trifft“, im wahrsten Sinne des Wortes? Ein widerlicher und absurder Gedanke. Das soll gerade nicht mein Problem sein, ich bin ja hier oben. Noch einmal Glück gehabt. Daher empfiehlt sich beim Kaffeetrinken auf der Terrasse immer einen Sonnenschirm aufgespannt zu haben! Liebe Leser und Leserinnen, denken Sie beim nächsten Mal an mich, wenn Sie die Gabel in ein leckeres Stück Erdbeerkuchen spießen und sich über Ihnen ein Flugzeug hoch am Himmel befindet.
Zurück an meinem Platz konnte nun endlich Ruhe einkehren. Dabei schoss es mir plötzlich. Jetzt wurde mir bewusst, warum Robert und ich permanent beobachtet wurden. Unter Garantie dachten einige, dass der jüngere Mann neben mir, dem es so schlecht wurde und erneut seine Kotztüte in der Hand hielt, mein Freund sei und das ich bestimmt vor Sorge mit ihm Richtung Toilette gegangen war. Ja, so wird es sein. Tja, so ist das, wenn man als vermeidlicher Single verreist. Da wird einem gleich ein Partner zugewiesen. So schnell hatte ich noch nie einen Freund. Und so unbewusst, vor allem.
Die Landung in Tunesien gestaltete sich sehr turbulent. Es rüttelte und schüttelte nur so, als der Pilot die Maschine auf den Boden aufsetzte und obwohl wir bereits den Asphalt unter den Rädern hatten, dachte ich immer zu: „Hilfe, wir stürzen ab!“ Warum auch immer, mir war einfach nicht wohl. Ich hatte pitschpatschnasse Hände und kam vor lauter Aufregung und Nervosität kaum hinterher, auf meinem Kaugummi herum zu kauen. Dabei vergaß ich glatt, mein zweites Bonbon von der Stewardess zu lutschen.
Das Flugzeug wurde langsamer und kam nach wenigen Minuten endgültig zum Stehen. Einen kurzen Moment hielten alle inne. Wahrscheinlich prüften sie genauso wie ich, ob wir den Flug und die Landung überlebt hatten. Dann, wie aus dem Nichts heraus, fingen alle recht herzlich an, dem Piloten zu applaudieren und natürlich, dem Gruppenzwang sei Dank, klatschte ich ebenfalls fest in meine schweißgebadeten Hände. „Gott sei Dank ist alles gut gegangen! Wir leben noch! Danke Pilot. Danke, dass du uns am Leben gelassen hast.“ Oje, an den in einer Woche stattfindenden Heimflug wollte ich jetzt noch gar nicht denken.
Jetzt hieß es erstmal Sommer, Sonne, Meer, abschalten, genießen, entspannen, Kraft tanken – einfach nur Urlaub!
Die ersten Mitreisenden konnten es anscheinend kaum erwarten. Sie schnallten sich nach Erlöschen des Anschnallzeichens sofort ab, sprangen von ihren Sitzen auf und griffen nach ihren Gepäckstücken, die sie oben in den dafür vorgesehenen Ablagen verstaut hatten. Ich beobachtete das rege Treiben und fragte mich immer wieder, warum einige so eine Hektik verbreiteten. Egal, wie schnell oder langsam wir das Flugzeug verließen, an dem Gepäckband in der Flughalle mussten wir so oder so alle warten. Nur weil die Passagiere fluchtartig die Maschine verließen, hieß das nicht, dass deswegen die Koffer schneller ankamen. Diese mussten ebenfalls die Gepäckkontrolle passieren und unter Beachtung der Anzahl der Koffer pro Maschine dauerte das logischer Weise eine geraume Zeit.
Von der Hektik ließ ich mich nicht anstecken. Das wollte ich auch nicht. Abgesehen davon, dass ich nicht aus meiner Sitzreihe herauskam, solange ich von dem Fenster und den beiden Männern eingepfercht war. Ich wartete geduldig und wischte mir meine feuchten Hände an der Hose trocken, während ich meinen Ausblick aus dem kleinen Guckloch neben mir genoss. Die Flughafenhalle ragte vor der Maschine empor, so beeindruckend und riesig. Ein Sonnenstrahl blitzte genau durch das Fenster auf mein Gesicht. Es war einfach nur herrlich! Herrlich warm. So, wie ich es im Urlaub erwartete.
Nach einer gefühlten Ewigkeit war es dann soweit, dass ich mich von meinem Platz erheben konnte, mir schnell mein Handgepäck schnappte und der Schlange im Flugzeug hinaus an die frische Luft folgte.
Für einen kurzen Moment hielt ich inne, schloss die Augen, holte tief Luft und sagte zu mir selbst: „Urlaub - jetzt komm ich!“
Der fluchtartige Strom riss mich mit, hinein in die Boardingbrücke, auf in die große Halle des Ankunftsterminals bis hin zum Gepäckband, an dem sich bereits eine große Menschentraube versammelte. Leicht schmunzelnd und mich selbst fragend, warum sich eigentlich immer alle am Anfang eines solchen Gepäckbandes anstellen, lief ich an ihnen vorbei und wartete weiter hinten. Hier konnte ich fast schon ungestört und entspannt nach meinen Koffer anstehen und den Blick immer wieder von dem Band zu meinen Mitreisenden schweifen lassen. Die der vorderen Traube, waren bereits so kurz nach der Ankunft von der Rempelei und dem Gedrängel frustriert. Kein Wunder! Wäre ich an ihrer Stelle auch, aber so übernahm ich die Rolle der relaxten Beobachterin und stellte dabei fest,
dass sich bei fast neunzig Prozent, so tippte ich, folgendes Muster erkennen ließ: Die Männer standen unmittelbar und genervt am Band, sehnsüchtig nach den Gepäckstücken Ausschau haltend. Fast schon wie auf der Jagd; wenn Beute gesichtet, sofort zuschnappen! Die Frauen hingegen, das komplette Gegenteil. Sie kämpften währenddessen mit den quengeligen Kindern, die der Meinung waren, in der großen Halle Fange oder Verstecke spielen zu müssen. Wenn sie damit nicht beschäftigt waren, warteten sie ungeduldig mit den noch leeren Gepäckwagen mit oder ohne den artigen Kindern in der imaginären zweiten Reihe. Frauen stärken den Rücken der Männer, heißt es. Hier der optische Beweis. Unglaublich dieses Einheitsbild!
Warum am Anfang eines Urlaubs sich schon so stressen und die Stimmung gen Nullpunkt wandern zu lassen? Wozu? Der Koffer läuft doch die gesamte Bandschlaufe ab. Sprich, hier hinten kommt er genauso an, wie ganz vorn. Ja gut, wenn ich am Anfang inmitten des Gedrängels stehen würde, hätte ich natürlich meinen Koffer eher, als am Ende des Bandes. Dazwischen lag ein Unterschied von maximal einer Minute, wenn überhaupt. Verschmerzbar und ich hatte Zeit, immerhin befand ich mich im Urlaub und nicht auf der Flucht. Weiterhin ist zu bedenken, dass die Busse, die mich und auch alle anderen zu den jeweiligen Hotels bringen, sowieso warten, bis der Letzte eingestiegen ist, der noch mit muss. Also wozu die Eile? Natürlich möchten alle so schnell wie möglich in ihr ersehntes Hotel und sind bereits voller Erwartungen und ganz gespannt, aber wie schon beschrieben, der Bus und der letzte Passagier.
Wie froh war ich an der Stelle, alleine gereist zu sein. Ich musste lediglich auf einen einzigen Koffer warten, brauchte niemanden einfangen und mir kein Gequengel anhören. Ich konnte mich lächelnd an meinen Gepäckwagen festhalten und die schöne Atmosphäre auf mich wirken lassen, die wahrscheinlich niemand anderes bemerkt hatte: Am anderen Ende der Halle bot die große Fensterfront Blick auf die angedockten Flugzeuge. Das Schönste daran war, dass die Sonnenstrahlen direkt durch diese Glaswand schienen und nicht nur die Halle so hell und freundlich wirken ließen, sondern auch mein Herz. Gleichzeitig flutete Serotonin meinen Körper. Ich genoss. Das Vorrücken des Zeigers an der Wanduhr wurde zwar von Kindergeschrei übertönt, dennoch nahm ich den Klang ganz leise in meinem Ohr wahr. Dieses Klacken flüsterte mir ein „Herzlich Willkommen Lena“ zu. Einfach wunderbar.
Auf einmal trübte die Schönheit des Momentes, denn erneut überkam mich der Drang des Urinierens. Was war nur mit meinem Unterleib los? Lag es an zu vielem Kaffee, den Druckunterschied zwischen Himmel und Erde oder war es der Gedanke an Meeresrauschen? Aufregung? So oder so nervte es.
Ich versuchte, diesen zu unterdrücken, aber ich glaube, jeder kennt das Gefühl, wenn man etwas bewusst verdrängen möchte, denkt man genau an das und spürt das zu Verdrängende umso deutlicher. So erging es mir gerade. Umso mehr ich versuchte, mich abzulenken, umso bewusster spürte ich meine volle Blase. Nur leider konnte ich mich von dem Gepäckband nicht entfernen, so lange mein Koffer nicht in Sichtweite und auf meinen Gepäckwagen war. Ich konnte auch niemanden damit beauftragen, nach meinem Lederrechteck Ausschau zu halten. Die anderen Passagiere waren alle mit sich selbst beschäftigt und gereizt. Abstand wahren und nicht ansprechen, war hier definitiv die bessere Strategie.
Schon auf der Stelle auf- und abtretend, erspähte ich mein braunes Ungetüm. Die Erlösung! Natürlich kam er als vorletztes Gepäckstück. Ausgerechnet. Mit aller Kraft wuchtete ich den schweren Koffer auf den Wagen und steuerte zielorientiert und ganz eilig die Toiletten an. Ein großes und unerwartetes Problem trat auf. Der Gepäckwagen war viel zu groß für die winzige Toilettenkabine. Was nun? Ich konnte meine Gepäckstücke nicht unbeaufsichtigt draußen stehen lassen. Sie mussten mit rein! Im Umkehrschluss bedeutete dies für mich, den Koffer wieder von dem Wagen herunterhieven und mit diesem, meiner Jacke und dem Rucksack mich in die Kabine zwängen. Das war gar nicht so einfach, wenn man bedenkt, dass die Tür noch auf- und wieder zugehen sollte. Die Jacke war das geringste Problem, gefolgt von dem Rucksack, aber mein großer Koffer, ich, die Toilettenschüssel an sich und dann eben die Tür. Der adipöse Mann aus dem Flugzeug, der in meiner Sitzreihe außen saß - ich war mir nicht sicher, ob er hier überhaupt reingepasst hätte. Selbst ohne Koffer war es bereits eine Herausforderung, in die wirklich winzige Kabine hinein zu kommen. Welcher Architekt konzipiert so etwas? Ich glaube nicht, dass derjenige jemals diese Örtlichkeit besucht hat und wenn, musste seine Statur entweder eine ganz Dürre sein oder spätestens da seine Fehlplanung bemerkt haben.
Liebe Bauingenieure, Architekten oder alle anderen Planer, falls Sie dieses Buch jemals lesen sollten, bitte beziehen Sie diese Überlegungen bei der nächsten Planung mit ein: Alleinreisende, viel Gepäck, weit entfernt von Modelmaßen, Toilette! Mehr muss ich nicht sagen.
Als ob das nicht schon genug war, wischte ausgerechnet jetzt die Putzfrau durch. Ich war mir nicht sicher, ob sie das Rot in der Türschlossverriegelung übersah, aber sie versuchte ernsthaft, mit ihrem Schrubber durch den Spalt unter der Tür Richtung meiner Füße zu wischen. Dabei eckte sie natürlich an mein Gepäck und an meinen Schuhen an. Ganz klar. Wohin, wenn kein Platz ist? Sie schien mich tatsächlich nicht zu bemerken. Zumindest hörte sie nicht auf. Immer wieder stieß sie an meine Füße. „Hallo?! Hier ist kein Platz und außerdem hätte ich gerne meine Ruhe!“, wollte ich am liebsten vor Empörung rufen. Ich geriet leicht ins Schwitzen. Was hatte ich nur getan, dass ich nicht einmal in Ruhe ein kleines Geschäft verrichten konnte? Zuerst das in die Toilette hineingequetschte, jetzt die nervige Putzfrau. Was sollte als nächstes kommen? Nun wünschte ich mir, ich wäre doch mit jemanden zusammen verreist. Derjenige könnte draußen auf mein Gepäck aufpassen, während ich hier ...
„Nein, nein, nein. Ich bin alleine. So, wie ich es wollte.“ Gemäß dem Zitat: Besser alleine sein, aber nicht einsam, als einsam zu sein und nicht alleine.
Da musste ich jetzt durch. Ein lautstarkes Räuspern und ein gequältes Husten verschreckte letztendlich die Putzfrau und mit Schweißperlen auf der Stirn quetschte ich mich wieder aus der winzigen Kabine raus. Achtung, Bauch einziehen und am besten alle anderen Körperteile ebenfalls! Menschen mit Platzangst hätten hier ihre Klaustrophobie definitiv überwunden oder sie wären an ihr zerbrochen.
Nach nochmaligen Personen- und Gepäckkontrollen atmete ich endlich die tunesische Luft ein. Diesmal so richtig. Ich befand mich vor der Gepäckhalle, sprich hinter mir das Flughafengebäude. Es ist schwer zu beschreiben und dennoch können alle Reisenden diese einzigartige Atmosphäre und das damit geweckte Empfinden nachvollziehen. Ein herzerwärmendes, ausfüllendes, tief durchatmen lassendes, Sorgen vergessendes und wunderschönes Flair. Das mediterrane Klima schrie förmlich nach Urlaub. Selbst die Gerüche, die mir in die Nase stiegen, rochen anders. Irgendwie nach Sand, Salz, Meer, Jasmin, Wasserpfeifentabak. Warme und trockene Luft umgab mich. Palmblätter beugten sich im kaum spürbaren Wind ganz sanft hin und her. Ich genoss den Moment. Spürbar. Ich schloss meine Augen und lauschte. Von allen Seiten dudelte orientalisch klingende Musik aus den Autoradios, im Hintergrund des Öfteren lautstarkes Hupen von der viel befahrenen Straße. Dazu gesellte sich Gebrabbel zahlreicher Leute in allmöglichen Sprachen. All die Laute klangen wie eine Melodie in meinen Ohren. Mein Zuhören wurde jedoch prompt von einem Anrempeln gestört. Ein älterer Mann kollidierte mit seinem rechten Arm direkt in mein Kreuz. Ich erschrak. Schlagartig öffnete ich meine Augen. Er lief weiter, als wäre nichts gewesen. Als ob nicht genug Platz gewesen wäre, nein, musste er ausgerechnet bei mir entlanglaufen, mich stoßen und mich aus meinem akustischen Sinnesgenuss rausreißen. Mürrisch starrte ich ihm hinterher und überprüfte umgehend meinen Rucksack, ob alle meine Habseligkeiten an Ort und Stelle waren, wo sie hingehörten. Über die Methoden von Taschendiebe hört man ja so einige Gruselgeschichten. Ich hingegen konnte aufatmen. Die Mentalität des Landes trübte nicht; ein heimtückischer Trick passte nicht zu der überragenden Gastfreundlichkeit!
Mit erhöhtem Puls bemerkte ich erst jetzt, was für ein hektisches Treiben auf dem Parkplatz herrschte. Es galt lebenswichtige Fragen zu stellen und diese beantworte zu bekommen. Zum Beispiel: Wer muss in welches Hotel und somit zu welchem Bus? Wer gehört zu wem, und manchmal fragte ich mich auch, warum? Aber das ist ein anderes Thema!
Wo sind nur all die lächelnden Menschen, in der Hand die Schilder mit der Aufschrift „TUI“ oder ähnlichen Reiseanbietern? Sie würden jetzt Ordnung in das Chaos bringen. Und wo waren eigentlich die Mitreisenden abgeblieben, die mich seit Anfang des Fluges begleitet und mit ihren Blicken ausgezogen hatten? Fleischbeschauung beendet? Sie waren auf jeden Fall nicht hier und selbst wenn, konnte ich mir sicher sein, dass ich nicht mehr ihr Hauptaugenmerk war, sondern die Nummern an den zahlreichen Bussen. Sie standen in Reihe und Glied auf dem Parkplatz und die Busfahrer luden jeweils eifrig die Koffer ein. Auch ich erspähte weit hinten mein Gefährt. Nummer sechsundachtzig, das war Meiner. Mit meinem Rucksack auf dem Rücken und in der einen Hand meine Reisepapiere hechelte ich leicht schwitzend dem Bus entgegen. Ich bereute gerade erneut, so viele Sachen in den Koffer eingepackt zu haben. Vor allem überlegte ich vehement, welcher spitze Gegenstand sich am liebsten direkt durch die Lederwand in mein Bein bohren wollte. Ich beschloss zukünftig nicht an der Mitnahme meiner Sachen zu sparen, aber mir zu Weihnachten einen Hartschalenkoffer mit Rollen zu wünschen.
An der Nummer sechsundachtzig angekommen, lächelte mich der Busfahrer freundlich an, verglich meinen Namen mit seiner Passagierliste, nickte und erlöste mich von meinem unhandlichen Koffer, indem er das Lederstück in den dafür vorgesehenen Raum verstaute. Endlich. Erwartungsvoll und um mindestens hundert Kilogramm leichter stieg ich in den Bus ein und suchte mir einen Fensterplatz. Die Klimaanlage war ausgeschalten und die Luft stand. Wie sollte es anders sein, dieser Bus startete als Letzter von allen Reisebussen. Der Grund war eine Zigeunerfrau.
Sie fiel mir bereits vor ein paar Stunden am Flughafen in Berlin auf. Als ich in der Warteschleife am Check-in-Schalter stand, kreuzten sich unsere Blicke mehrmals. Sie reiste ebenfalls ohne Anhang und stach mir ins Auge, da sie nur aß. Permanent. Sie verschlang während des Wartens zwei Brötchen, ein Apfel, eine Banane, einen Schokoladenriegel, ein Paar kalte Wiener, ein großes Stück Gurke und lutschte ein paar Bonbons. Das war lediglich das, was ich sah. Gut, vielleicht war sie auch schwanger oder krank und ächzte nach vermehrter Nahrungszufuhr. Genauso wie ich es von anderen erwartete, stand es mir ebenfalls nicht zu, mir ein Urteil zu erlauben. Abgesehen von meinem Entsetzen des stetigen Verspeisens prägte ich mir ihr Gesicht aufgrund ihrer Kleidung ein und erkannte sie nun wieder. Sie hatte erst jetzt den Bus gesichtet, kam dennoch tiefenentspannt daher geschlendert und nahm irgendwann nach dem Einsteigen eine Reihe vor mir Platz. Nun konnte es losgehen und das Gefährt setzte sich endlich in Bewegung. Langsam fuhr er aus dem Flughafengelände. Gespannt sah ich aus dem Fenster. Das Fahrzeug bog nach rechts auf die Straße ab, fuhr ein kurzes Stück, bog links auf die gegenüberliegende Fahrspur ein und dann vernahm ich schon den Namen meines Hotels durch die Lautsprecher. Ich wusste, mein Hotel lag in Flughafennähe, aber dass es tatsächlich so nah lag, das hatte ich im Vorfeld nicht geahnt. Direkt gegenüber und wenn ich direkt schreibe, dann meine ich das auch so. Unmittelbar. Die beiden Gebäude trennten lediglich eine vierspurige Straße mit einer Ampelkreuzung und ein paar Grünflächen. Ich schmunzelte in mich hinein, denn als ich dies realisierte, fragte ich mich selbst, warum ich nicht gleich zu dem Hotel gelaufen bin und stattdessen über eine halbe Stunde lang in dem stickigen Bus auf die Abfahrt gewartet hatte. Wie heißt es sprichwörtlich so schön: Hinterher ist man immer schlauer.
Den Fußmarsch sparte ich mir für den Rückreisetag auf.
Ich sprang als Einzige von meinem Sitzplatz auf, griff nach dem Handgepäck und lief langsam und aufgeregt zugleich den schmalen Gang vor zur Tür. Ich war am Ziel meiner Anreise, während die anderen Passagiere noch mehr oder weniger lang den Transfer über sich ergehen lassen mussten.
Der Busfahrer reichte mir meine Koffer und verabschiedete sich freundlich, bevor er erneut in sein Gefährt einstieg, sich hinter das Lenkrad quetschte und losfuhr.